Nachricht | Nordafrika - Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit - COP27 COP27 auf dem Pfad der Ignoranz

Die Klimakonferenz beschließt einen Fond für Klimaschäden, aber der Erfolg wird von Rückschritten in anderen Bereichen überschattet und das Verbrennen fossiler Energieträger wird nicht angetastet

Information

Autorin

Nadja Charaby,

Ein Umweltaktivist fordert den schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen am Veranstaltungsort des COP27-Klimagipfels in Sharm el-Sheikh, Ägypten, am 18.11.2022
Ein Umweltaktivist fordert den schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen am Veranstaltungsort des COP27-Klimagipfels in Sharm el-Sheikh, Ägypten, am 18.11.2022 Foto: IMAGO / Kyodo Nachrichten

«Gemeinsam für Umsetzung» lautete das Motto der diesjährigen Klimakonferenz, der COP27, in Ägypten. Doch von Gemeinsamkeit war nicht viel zu spüren. Die Konferenz zeigte, wie verhärtet die Fronten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sind, und ein Scheitern schien zeitweise wahrscheinlicher als ein Erfolg. Am Ende konnten die Entwicklungsländer einen Sieg verbuchen: Der Fond für Klimaschäden und -verluste, den sie seit Jahren fordern, soll kommen. Dafür fehlen im Abschlusstext Pläne für die notwendige Senkung der Emissionen ebenso wie der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Und Deutschland war trotz der katastrophalen Menschenrechtslage in Ägypten damit beschäftigt, auf der COP mit dem Gastgeber Gas- und Industriedeals abzuschließen.
 

Die diesjährige UN-Klimakonferenz, COP27, fand unter schwierigen Bedingungen und inmitten einer zugespitzten globalen Krise statt. Entsprechend dramatisch und teilweise auch verhärtet aufgrund nationaler, regionaler oder geopolitischer Interessen liefen die Verhandlungen ab. Bis kurz vor Schluss sah es aus, als könnte die Konferenz ohne Ergebnis enden – um das zu vermeiden, wurde sie schließlich um zwei Tage verlängert. Am Ende steht nun ein Kompromiss, der Grund zur Freude und gleichzeitig für Wut, Trauer und Frustration ist. Die Konferenz fand statt unter dem Motto «Together for Implementation», also «Gemeinsam für Umsetzung». Schritte, die ausreichen, die Klimakrise zu bewältigen, sind aus dieser COP nicht hervorgegangen.

Dass der Klimawandel schon jetzt verheerende Folgen hat, zeigen die wiederkehrenden Extremwetterereignisse, die vor allem in den Ländern des globalen Südens zerstörerische Auswirkungen haben. Ihre Verhandler*innen machten es in Sharm el-Sheikh in ihren Redebeiträgen deutlich: Viele Länder haben die Grenzen ihrer Anpassungsfähigkeit erreicht, sie sind mit Situationen konfrontiert, die für ihre Bevölkerungen eine Frage des Überlebens bedeuten – und das bereits bei einer globalen Erwärmung von 1,1 bis 1,2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit. Auch wenn das in 2015 Paris vereinbarte Ziel erreicht werden würde, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird es weltweit zu massiven ökologischen Zerstörungen und desaströsen sozio-ökonomischen Auswirkungen kommen. Sowohl der jüngste Emissions Gap Report des UN Umweltprogramms als auch die Synthese des UN Klimasekretariats zu den bisher vorgelegten Nationalen Zielen zur Senkung der Treibhausgase zeigen, dass die Weltgemeinschaft weit davon entfernt ist, die Erderwärmung soweit in den Griff zu bekommen, das das vereinbarte Ziel erreicht werden kann. Stattdessen befinden wir uns auf einem Pfad der Ignoranz, der eine Erwärmung um mehr als 2,5 Grad in Kauf nimmt. Die Verantwortung, dem entgegenzusteuern, liegt insbesondere bei den reichen Ländern, deren Nutzung von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas die Klimakrise ausgelöst und weiter befeuert hat – und die gleichzeitig das Fundament ihres industriellen Wohlstandsmodells darstellt.

Verhandlungen unter schwierigen Umständen

Die Folgen des Klimawandels sind nicht das einzige Problem, mit denen die Länder des globalen Südens zu kämpfen haben. Nach der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine befinden sich viele von ihnen in einer Spirale von Verschuldung, steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen. Auch in den Ländern des globalen Nordens ist die Politik von Sorgen um die Energieversorgung und die Inflation geprägt. Insbesondere die deutsche Energiepolitik ist derzeit auf auf weltweite Gaskäufe ausgerichtet und nimmt die temporäre Verlängerung von Kohlekraftwerken in Kauf, was im Rahmen der Klimaverhandlungen immer wieder und zu recht Kritik an der deutschen Politik mit sich brachte.

Diese Umstände prägten die diesjährige COP. Zu Beginn der zweiten Verhandlungswoche kursierten in den Entwürfen für den Abschlusstext noch starke Forderungen der armen Länder nach Entschuldung und einem Umbau des globalen Finanzsystems. Für den notwendigen Umbau ihrer Wirtschaften weg von fossilen Abhängigkeiten und für die Maßnahmen, die nötig sind, um sich an den Klimawandel anzupassen, benötigen die armen Länder massive Finanzmittel. Aus der derzeitigen Verschuldung heraus und mit Hilfe von Formen der Klimafinanzierung, die möglicherweise weitere Verschuldung bedeuten, ist dies kaum machbar.

Der Abschlusstext der Klimakonferenz jedoch zeigt, dass die Weltgemeinschaft nicht bereit ist, diese Transformation einzuleiten. So sind die eindringlichen Textbausteine zur Notwendigkeit von Schuldenschnitten in der finalen Version verschwunden. Die Tatsache, dass unter den gegebenen Umständen, inmitten einer tiefen Krise des Multilateralismus, nun doch ein Ergebnis in Sharm el-Sheikh erreicht wurde, mag erst einmal als Erfolg angesehen werden – so jedenfalls wertet es der Exekutivsekretär des UN-Klimasekretariats in seinem Abschluss-Statement. Und es ist in jedem Fall eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft, dass die Staatschefs sich in Sharm- el-Sheikh auf die Einrichtung eines Fonds für Klimaschäden und -verluste einigen konnten. Zu Recht können sich die betroffenen Länder und die Zivilgesellschaft, aber auch die G77+China-Ländergruppe innerhalb der UN-Verhandlungen, dafür auf die Schulter klopfen. Ohne den jahrelangen Kampf dieser Gruppen für solch eine Anerkennung des Bedarfs auf finanzielle Entschädigung wäre dieses Ergebnis wohl kaum erreicht worden. Die bittere Pille bleibt, dass es unklar ist, wie dieser Fond am Ende operieren und gefüllt werden wird. Bitter ist auch, dass sich die Verhandlungen um den Fond so sehr in die Länge gezogen haben und kein konkreteres Ergebnis erreicht wurde – sicherlich auch wegen der Haltung der USA als größtem Treibhausgas-Emittenten, die einem solchen Fond seit je her ablehnend gegenüberstanden, sowie aufgrund der nahezu obsessiven Versuche von Ländern wie Deutschland, die Geeintheit der G77+China durch ihr diplomatische Agieren aufzubrechen.

Kein Ausstieg aus fossilen Brennstoffen

Die Verhandlungen um die Bereitschaft der Industrieländer, für Klimaschäden und -verluste Geld auf den Tisch zu packen, sagen viel über den Zustand des Verständnisses von globaler Gerechtigkeit im globalen Norden aus. Anstatt die historische Verantwortung anzuerkennen, wurden die Verhandlungen um den Fond an die Verhandlungen um das 1,5-Grad-Ziel geknüpft: Die Industrieländer, wie zum Beispiel die EU, waren nur bereit, einem solchen Fond zuzustimmen, wenn umgekehrt alle anderen Länder zusagen, weiterhin Anstrengungen zu unternehmen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Der Hintergrund ist natürlich erst einmal richtig. Je mehr Treibhausgase, desto mehr Klimaschäden. Aber anstatt mit eindeutigen Worten die notwendigen Bedingungen für eine mögliche Begrenzung der Erwärmung in den Text aufzunehmen – nämlich das Ende der Nutzung aller fossiler Energien – , wurde tagelang um eine Formulierung gerungen, die besagen sollte, dass es auch an den Entwicklungsländern liege, den Ausstoß von Emissionen zu senken. Entsprechend ist das Ergebnis der COP27 in Bezug auf die Erarbeitung eines Programms zur schnellstmöglichen Reduktion von klimaschädlichen Emissionen – also vor 2030 – schlichtweg eine Verleugnung der Ursachen des Klimawandels. Nur der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen kann den Klimawandel ernsthaft eindämmen. Stattdessen wird im vereinbarten Abschlusstext mit Begriffen wie ozeanbasierte Aktionen oder negative Emissionen (removals) die Tür für falsche Lösungen wie Technologien, die Emissionen aus die Atmosphäre ziehen, Geo-Engineering oder Ozeandüngung weiter offengehalten. Auch die Teilnahme von 636 Lobbyist*innen aus den Bereichen Kohle, Öl und Gas konterkariert die Glaubwürdigkeit des gesamten Verhandlungsprozesses um Klimaschutz.

Starke Bauchschmerzen hinterlässt die Rolle, die das Gastgeberland Ägypten gespielt hat, ebenso wie die politische Situation im Land selbst. Bei aller Freude der Zivilgesellschaft über den Fond für Klimaschäden und -verluste, die diese COP damit als Erfolg wertet, darf nicht vergessen werden, wie sehr das ägyptische Regime auf genau solch einen Moment abgezielt hat. Die Konferenz in Sharm el-Sheikh war eine Greenwashing-Show erster Klasse, gepaart mit Einschüchterungen und der Überwachung von Zivilgesellschaft und Delegationen. Die auf der COP gelebte Solidarität der internationalen Zivilgesellschaft mit ägyptischen Aktivist*innen und politischen Gefangenen, insbesondere mit der Familie von Alaa Abd El-Fattah, war in dieser Form sicherlich nicht durch das Regime eingeplant und lief dessen Interessen zuwider. Massive Repressionen gerade gegen die ägyptischen Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen, die sich getraut haben, die COP als Plattform für ihren Kampf zu nutzen, sind zu befürchten. Alaa Abd El-Fattah ist weiterhin im Gefängnis. Es wird hier die Aufgabe gerade der Klimagerechtigkeitsbewegung sein, dafür zu sorgen, dass die internationale Aufmerksamkeit für die Menschenrechtssituation in Ägypten jetzt nicht wieder abklingt und am Ende ganz verschwindet. Klimagerechtigkeit ist eine Frage von politischer Teilhabe und dem Schutz von Menschenrechten, indigenen Rechten und den Rechten anderer benachteiligter Gruppen. Es wirft kein gutes Licht auf die UNFCCC, dass genau diese Punkte im Rahmen der COP immer wieder zur Disposition stehen und dass stattdessen in den Verhandlungsräumen der Vereinten Nationen ein Klima der Angst vor Sicherheitskräften herrscht.

Kritik an Deutschlands widersprüchlicher Politik

Große Fragezeichen wirft aber auch das Vorgehen der Bundesregierung in den und um die Klimaverhandlungen herum auf. Was hat es zu bedeuten, wenn Kanzler Olaf Scholz sich öffentlich für die Freilassung von Alaa Abd El-Fattah ausspricht oder wenn Staatssekretärin Jennifer Morgan gemeinsam mit dessen Schwester Sanaa Seif auf einer Veranstaltung sitzt – und dann trotzdem weiter Geschäfte mit der ägyptischen Regierung gemacht werden, als wäre alles in Ordnung? So besiegelte Deutschland noch kurz vor der COP in zwei Memoranden mit Ägypten die Förderung grüner Wasserstoffprojekte und eine neue fossilen Flüssiggaskooperation. Während der COP konnte sich die Deutsche Bahn einen Deal im einstelligen Milliardenbereich als Betreiber für das ägyptische Schienennetz absichern. Deutschland hat es zu Recht verfehlt, sein Image als Klimaretter während der COP aufzupolieren. Die massiven weltweiten Einkäufe von Gas und das, wenn auch nur kurzfristige, Verlängern von Kohlekraft blieben auf der COP nicht ohne Kritik. Deutschland betonte auf der COP seine finanziellen Beiträge zur G7-Initiative Global Shield against Climate Risks. Doch das Engagement in diesem Feld lässt sich durchaus auch kritisch sehen. Statt auf freiwillige Zahlungen für ohnehin umstrittene Versicherungslösungen zu setzen, sollte sich Deutschland, wenn es Klimagerechtigkeit ernst meint, sich lieber für mehr verbindliche Zahlungen an den geplanten UN-Fonds für Klimaschäden und -verluste einsetzen.

Die diesjährige Klimakonferenz stand im Schatten der weltweiten Krisen. Die Risse im multilateralen Gefüge wurden in den Verhandlungen um das 1,5-Grad-Ziel und die Frage, wer hier welchen Beitrag zu leisten hat, eindeutig sichtbar. Auch wenn die Einrichtung eines Fonds für Klimaschäden und -verluste ein Erfolg ist, bleibt dies aufgrund der Offenheit von dessen Ausgestaltung sowie der verfehlten Entscheidung zum unverzüglichen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen nur ein Kompromiss  mit bitterem Beigeschmack. Neben der grundsätzlichen Kritik an den Weltklimakonferenzen, die die notwendigen transformativen Entscheidungen zur Rettung des Klimas nicht erbringen, wurde durch die Überwachung der Teilnehmenden durch den ägyptischen Sicherheitsapparat in diesem Jahr die Grenze des Hinnehmbaren insbesondere für die Zivilgesellschaft eigentlich schon überschritten. Gerade in Hinblick auf die kommende COP in den Vereinigten Arabischen Emiraten, einem Land mit einer ebenfalls verheerenden Menschenrechtslage, und angesichts der Erwartung, dass eine gemeinsame zivilgesellschaftliche Mobilisierung mit lokalen Akteur*innen erneut nur schwer möglich sein wird, muss der Gesamtprozess der COPs mehr denn je grundsätzlich hinterfragt werden.