Mit der Freien Arbeiter-Union Deutschlands gründete sich im Dezember 1919 die erste anarcho-syndikalistische Gewerkschaft im deutschen Raum. Der Syndikalismus zeichnet sich durch einen föderalen und explizit anti-parlamentarischen Organisationsansatz aus, favorisiert die Direkte Aktion im Arbeitskampf und propagiert die Überwindung von Staat und Kapital mithilfe des Generalstreiks. Jule Ehms untersucht, inwiefern es den Syndikalist:innen der Weimarer Republik gelang, dieses konfliktorientierte Programm in die Betriebe zu tragen, und geht so dem Verhältnis von politischer Radikalität und gewerkschaftlicher Praxis nach.
Im Mittelpunkt ihrer Forschung steht die Frage, ob die FAUD, nachdem sie ab 1923/24 mit einem gravierenden Mitglieder- und auch Bedeutungsverlust konfrontiert war, an ihren revolutionären Ansprüchen festhielt oder einen kooperativen Kurs ähnlich zu den sozialdemokratischen Gewerkschaften einschlug. In insgesamt sieben Kapiteln rekonstruiert Jule Ehms unter anderem, inwiefern und unter welchen Bedingungen die FAUD die staatlich gestützten Strukturen des Betriebsrats-, Schlichtungs- und Tarifwesen nutzte. Sie fragt, ob es den Syndikalist:innen gelang, während betrieblicher Konflikte eigene Akzente zu setzen; spielten die Direkte Aktion und der Generalstreik hier tatsächlich eine Rolle? Konnte die FAUD den eigenen Ansprüchen einer basisdemokratischen Organisation gerecht werden? Welchen Zielgruppen widmete sie sich und wie gestaltete sich ihre Bündnispolitik? In Ergänzung zu der bisher ideologie- und organisationsgeschichtlich geprägten Forschung, widmet sich Jule Ehms erstmals dezidiert der syndikalistischen Betriebsarbeit. Anders als mitunter in der Geschichtsschreibung vermutet, erweisen sich die Syndikalist:innen als überlegte, taktierende und kompromissbereite Gewerkschafter:innen, die ihre eigenen Antworten auf Sozialpartnerschaft und Korporatismus zu finden versuchten und an ihrer Utopie einer sozialistischen Gesellschaft festhielten.
Jule Ehms, 2023: Revolutionärer Syndikalismus in der Praxis. Die Betriebsarbeit der Freien Arbeiter-Union Deutschlands von 1918 bis 1933. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot,
372 S., ISBN 978-3-89691-077-6, € 40,00.
Jule Ehms studierte Geschichte und Philosophie und promovierte 2021 am Institut für Soziale Bewegungen zu Betriebsarbeit der FAUD; weitere Forschungs- und Lehrtätigkeiten in den Bereichen Geschichte und Theorie der Arbeiter:innenbewegung, Erinnerungsgeschichte und marxistische Philosophie. Jule Ehms war Mitglied des RLS-Graduierten-Kollegs «Geschichte linker Politik in Deutschland jenseits von Sozialdemokratie und Parteikommunismus».