Nachricht | Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Krieg / Frieden - USA / Kanada - Südostasien Im Kalten Krieg ging es nie um Demokratie

Vincent Bevins erklärt, wie der gewaltsame antikommunistische Kreuzzug des Westens unsere moderne Welt prägte.

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Menschenmassen bei einer Wahlkampfveranstaltung der Kommunistischen Partei Indonesiens, 1955. Foto: Wikimedia Commons

Der russische Überfall auf die Ukraine markiert das endgültige Ende der Weltordnung, die nach dem Ende des Kalten Kriegs herrschte. Er hat die kürzlich noch «hirntote» NATO wiederbelebt, die mit der Verhängung von Sanktionen gegen Russland und der Lieferung von Selbstverteidigungswaffen in Milliardenhöhe an die Ukraine bemerkenswerte Einigkeit bewiesen hat, und half den USA, den Schandfleck der Irak- und Afghanistan-Kriege hinter sich zu lassen. Moskau wiederum reicht im Namen einer «multipolaren» Welt abseits der US-Hegemonie China, Indien und anderen Verbündeten die Hand – und schafft es, den Westen isolierter denn je erscheinen zu lassen.

Vincent Bevins berichtete für die «Washington Post» über Südostasien, nachdem er als Brasilien-Korrespondent für die «Los Angeles Times» und für die «Financial Times» tätig war. «Die Jakarta-Methode» ist sein erstes Buch.

Angesichts dieser sich vertiefenden geopolitischen Kluft beschwören eine Reihe von Kommentator*innen das Schreckgespenst eines «neuen Kalten Krieges» herauf, in dem der Westen unter der Führung Washingtons Freiheit und Demokratie gegen den sich ausbreitenden Autoritarismus auf der ganzen Welt verteidigt. Die USA und die NATO seien zwar nicht perfekt, aber wesentlich besser als die Diktaturen auf der anderen Seite des neuen Eisernen Vorhangs. Diese Argumentation dürfte einem bekannt vorkommen.

Doch so tröstlich diese Sicht auf die Geschichte auch sein mag – eines ihrer vielen Probleme besteht darin, dass sie verkennt, wer der eigentliche Aggressor im Kalten Krieg war. Für den größten Teil der Welt waren die ersten vier Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht durch den Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus, zwischen USA und UdSSR, gekennzeichnet, sondern durch einen globalen Kreuzzug, der von den USA und ihren Verbündeten, oft zusammen mit lokalen Eliten, angeführt wurde, um alle Demokratisierungsversuche und Unabhängigkeitskämpfe zu ersticken, die ihnen nicht in den Kram passten.

In «Die Jakarta-Methode. Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt», das im Januar in deutscher Übersetzung erschien, zeichnet der US-amerikanische Journalist Vincent Bevins diese Ära. Ausgehend von dem indonesischen Völkermord Mitte der 1960er Jahre, als die indonesische Armee mit Unterstützung der USA mehr als 1 Million Kommunist*en abschlachtete und der das Land in eine jahrzehntelange Diktatur stürzte, legt er dar, wie der Westen während des Kalten Krieges eine globale Welle der Gewalt lostrat und wie deren Folgen die Welt, in der wir leben, bis heute prägen.

«Die Jakarta-Methode» ist jedoch mehr als eine weitere Litanei der Gräueltaten, sondern eine einfühlsame Auseinandersetzung mit den Hoffnungen einer Generation, die diese Ereignisse miterlebt hat. Bevins sprach mit Loren Balhorn von der Rosa-Luxemburg-Stiftung über antikommunistische Gewalttaten, westdeutsche Mitschuld und den Traum von einer anderen Welt, der diese Gewalt ersticken sollte.

Du bist schon seit Jahren als renommierter Journalist in verschiedenen Teilen der Welt tätig. Was hat Dich dazu bewegt, ein Buch über den Kalten Krieg zu schreiben?

Ich kam 2017 nach Jakarta, um für die «Washington Post» über Südostasien zu schreiben – normaler Mainstream-Journalismus für ein großes US-Blatt. Doch ich stieß immer wieder auf diese große, nicht erzählte Geschichte, die direkt unter der Oberfläche lauerte. Man konnte nicht als Korrespondent arbeiten, ohne sich mit der Tragödie und dem ungelösten Trauma des Massenmords von 1965 in Indonesien zu befassen.

Ich näherte mich diesem Ereignis aus einer globalen Perspektive und kam letztlich zu dem Schluss, dass es sich um eines der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts handelte.

Im Mittelpunkt Deines Buches steht die «Jakarta-Methode» der US-Außenpolitik in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Was genau ist darunter zu verstehen und wie verbreitete sie sich in der Welt?

Was ich als «Jakarta-Methode» bezeichne, ist der vorsätzliche Massenmord an Linken oder Menschen, die beschuldigt werden, Linke zu sein. Das geschieht in der Regel mit der Unterstützung anderer nordatlantischer Mächte und verfolgt meistens das Ziel, autoritäre kapitalistische Regime aufzubauen.

Der Ausdruck «Jakarta-Methode» ist eigentlich eine Übersetzung mehrerer Begriffe aus dem Portugiesischen und Spanischen –Operação Jacarta, Plan Yakarta oder einfach Djakarta –, die von rechtsextremen Bewegungen verwendet wurden, die im Kalten Krieg mit Washington verbündet waren. Sie schauten sich an, was in Indonesien geschah, und ließen sich davon «inspirieren». Dieser Prozess wurde durch ein solides globales Netzwerk antikommunistischer Organisationen befördert. Ich bin auf mindestens 23 Länder gestoßen, in denen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert diese Art von Massenmord verübt wurde.

In Deinem Buch bezeichnest Du Indonesien und die Ereignisse, die sich dort Mitte der 1960er Jahre ereigneten, als eine «riesige Blackbox in unserem kollektiven Wissen, selbst bei Menschen, die ein bisschen mehr über die Kubakrise, den Koreakrieg oder Pol Pot wissen». Warum ist das so?

Nun, in der vorherrschenden Sichtweise, insbesondere hier im Nordatlantik, fand der Kalte Krieg zwischen der Ersten und der Zweiten Welt statt. Aber wenn man Rücksicht auf alle Menschen auf dem Planeten nimmt – und die jüngere Forschung, wie die Arbeit des norwegischen Historikers Odd Arne Westad, vertritt zunehmend diesen Standpunkt –, dann fand der Kalte Krieg eher zwischen der Ersten und der Dritten Welt statt, wobei die Erste Welt der Aggressor war.

Das kommunistische Organisationsmodell bot nicht nur eine sehr praktische Möglichkeit, den nationalen Befreiungskampf zu führen, sondern das Beispiel der Sowjetunion bot auch einen möglichen Weg, um mit den Volkswirtschaften der Ersten Welt tatsächlich gleichzuziehen.

In Indonesien – heute das viertgrößte Land der Welt, gemessen an der Bevölkerungszahl, und das größte Land mit muslimischer Mehrheit – wurden etwa 1 Million Menschen getötet. Ein führendes Land der fortschrittlichen, blockfreien Dritte-Welt-Bewegung wechselte vom antiimperialistischen, linksgerichteten Lager in das eindeutig antikommunistische, prowestliche Lager, und die größte unbewaffnete sozialistische Partei auf der Erde wurde praktisch über Nacht zerstört. Das war eine sehr große Sache.

Das historische Vergessen hat mehrere Ursachen. Eine ist, dass die Suharto-Diktatur ihr Regime sehr erfolgreich konsolidierte und ihre eigene Sicht auf die Geschichte erfolgreich verbreitete. Hinzu kommt, dass Vietnam die Politik des Kalten Krieges in Asien dominierte, zumindest in der populären Vorstellung des Westens, weil unsere Aufmerksamkeit für weit entfernte Regionen oft begrenzt ist und weil es in den USA zu einem innenpolitischen Thema wurde. Zu dieser Zeit waren sich jedoch alle im außenpolitischen Establishment der USA einig, dass Indonesien wichtiger war als Vietnam.

Schließlich denke ich, dass die Wahrheit der Ereignisse unseren Vorstellungen von der Globalisierung und der Entstehung unserer heutigen Ordnung so sehr widerspricht, dass es leichter war, sie einfach zu ignorieren.

Es gibt eine großartige Szene in dem Buch, wo Indiens erster Premierminister Jawaharlal Nehru dem jungen John F. Kennedy erklärt, dass der Kommunismus den Menschen in der Dritten Welt etwas gab, «wofür es sich zu sterben lohne». Wie können wir die damalige globale Anziehungskraft des Kommunismus verstehen? Was hat er den Bürgerinnen und Bürgern der postkolonialen Länder bedeutet, und wie verbreitet war er innerhalb der Bevölkerung?

«Die Jakarta-Methode» handelt zum großen Teil von dem Traum von einer anderen Welt, den so viele Menschen in den 1950er und 60er Jahren für realisierbar hielten, und was daraus geworden ist. In Indonesien beispielsweise wissen wir aus freigegebenen CIA- und MI6-Akten, dass beide Organisationen davon ausgingen, dass nach 1958 die – gemäßigte und unbewaffnete – Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) bei freien und fairen Wahlen gewonnen hätte.

Der Kommunismus im Globalen Süden übte eine große Anziehungskraft aus nach der Entkolonialisierung, und marxistisch-leninistische Kräfte spielten im Unabhängigkeitskampf oft eine entscheidende Rolle. Das war auch in Indonesien der Fall, wo die nationale Befreiungsbewegung aus einem Bündnis kommunistischer, muslimischer und nationalistischer Kräfte bestand.

Das kommunistische Organisationsmodell bot nicht nur eine sehr praktische Möglichkeit, den nationalen Befreiungskampf zu führen, sondern das Beispiel der Sowjetunion bot auch einen möglichen Weg, um mit den Volkswirtschaften der Ersten Welt tatsächlich gleichzuziehen – etwas, das in fast keinem Land des Globalen Südens geschah, das in der so genannten «Freien Welt», der Gruppe der prowestlichen kapitalistischen Nationen, verblieb, ob sie nun freiwillig beitraten oder gewaltsam dazu gezwungen wurden. Hätte der Kommunismus in der Dritten Welt keine so große Anziehungskraft gehabt, dann hätte es kein «rotes China», kein sozialistisches Vietnam gegeben und dann wäre es auch nicht notwendig gewesen, ihn so unerbittlich zu bekämpfen.

Die kommunistischen Parteien außerhalb Europas waren oft recht kleine Organisationen, die von ihren Verbindungen zu Moskau abhängig waren. In Indonesien hingegen gab es eine Massenpartei mit einer unabhängigen politischen Linie. Wie ist die PKI entstanden und unter welchen Bedingungen konnte der Kommunismus so stark werden?

Manchmal war das der Fall, manchmal – wie etwa in China – aber auch nicht. Die Kommunistische Partei Indonesiens ist älter als die Kommunistische Partei Chinas. Die PKI ist sogar älter als die Russische Revolution.

Die PKI hatte tiefe Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung, und nach einem kurzen Machtkampf im Revolutionskrieg, als die Niederländer versuchten, das Archipel nach dem Zweiten Weltkrieg zurückzuerobern, so wie Frankreich versuchte, Vietnam zurückzuerobern, stürzte sich die Kommunistische Partei Indonesiens in die demokratische Politik und wandte sich an breite Schichten der Gesellschaft.

Aus westdeutschen Dokumenten geht hervor, dass die Bundesregierung von Anfang an wusste, was vor sich ging.

Die Partei war nicht nur in der aufkeimenden Arbeiter*innenbewegung mächtig und bei den Kleinbauern beliebt, sie verfügte auch über unglaublich populäre Kulturverbände – je nachdem, wo man lebte, konnten sie die interessanteste Unterhaltung im Dorf anbieten – und eine große Frauenorganisation, die «Gerwani». Diese war zu der Zeit wahrscheinlich eine der größten feministischen Organisationen der Welt und wurde 1965 von den Aufständischen besonders ins Visier genommen.

Auch hier sind freigegebene westliche Dokumente aufschlussreich. In den 1950er Jahren waren die westlichen Geheimdienste gerade deshalb beunruhigt, weil sie wussten, dass die PKI die Menschen nicht austrickste oder zwang, ihr die Macht zu überlassen – sie wurde als die am wenigsten korrupte Partei angesehen und wurde schlichtweg immer beliebter. Die PKI-Führung ihrerseits dachte, ihre Popularität würde ausreichen, um sie zu schützen.

Wir wissen um die Grausamkeiten, die die USA und ihre Vertreter in Vietnam und Chile begangen haben, aber Du behauptest, dass den meisten Menschen das Ausmaß der Gewalt in Südostasien nicht bewusst ist. Hast Du beim Schreiben des Buches etwas besonders Schockierendes erlebt?

Ja, auf Bali zum Beispiel. Auf dieser Insel gab es wahrscheinlich den schlimmsten Massenmord, zumindest was die Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Bevölkerung angeht. Vielleicht 5 Prozent der Balines*innen wurden getötet.

Die Einheimischen dort haben heute mit Tourist*innen aus allen möglichen Ecken der Welt zu tun und viele davon halten sich für ziemlich bewandert und gebildet und haben vielleicht auf einer früheren Reise die Schlachtfelder in Kambodscha besucht. Aber in Bali übernachten sie in Strandresorts, die buchstäblich auf Massengräbern errichten wurden. Balinesische Einheimische berichten, dass diese Art von Tourist*innen in der Regel keine Ahnung haben, was auf der Insel geschehen ist.

Du beschreibst in Deinem Buch eine kohärente antikommunistische Agenda, die spätestens ab den 1950er Jahren von den US-Eliten und ihren globalen Verbündeten weitgehend geteilt wurde und die entschlossen war, sozialistische und andere progressive Kräfte in der ganzen Welt politisch – und, wenn nötig, physisch – zu neutralisieren. Seitdem ist Linke viel schwächer geworden. Hat der Antikommunismus als Ideologie heute dennoch noch irgendeinen Einfluss oder Nutzen?

Ich denke, er hat Einfluss, gerade weil er nützlich ist. Nimm zum Beispiel den Bolsonarismo, eine Ideologie, die gewaltsam nach Brasilien zurückgekehrt ist, wo ich seit 2010 überwiegend lebe. Die imaginäre Bedrohung durch eine mögliche Rebellion von unten, die innerhalb der Bevölkerung die Angst vor einem inneren Feind schürt, ist nicht verschwunden, weil sie funktioniert. Rechtsextreme Bewegungen von Asien über Europa bis nach Amerika greifen zu diesen ideologischen Überbleibseln, weil sie wirksam sind.

Dein Buch zeigt, wie die USA und in geringerem Maße auch die UdSSR versuchten, die Entkolonialisierung zu beeinflussen und direkt einzugreifen, wobei die Unabhängigkeitskämpfe Gefahr liefen, zu «Stellvertreterkriegen» für die eine oder andere Seite zu werden. Was sagt uns Dein Buch über das Verhältnis zwischen Großmachtrivalitäten und regionalen Konflikten?

Die wichtigste Erkenntnis in diesem Punkt ist für mich, dass die USA 1945 das bei weitem mächtigste Land der Welt waren. Die Außenpolitiker in Washington blickten auf ein Weltsystem, das durch jahrhundertelange europäische Kolonialisierung geprägt worden war. Zu diesem Zeitpunkt schien die relativ junge Nation an einem Scheideweg zu stehen: Sollte sie ihren vermeintlich revolutionären und antikolonialen Idealen treu bleiben oder sollte sie auf Praktiken zurückgreifen, die eher mit ihrer eigenen imperialistischen Expansion in Nordamerika in Einklang standen?

Wenn man verstehen will, woher das bestehende globale System eigentlich kommt, muss man begreifen, wie diese Prozesse funktionieren.

Heute mag es so aussehen, als würde sie immer den zweiten Weg einschlagen, aber politische Anführer wie Sukarno und sogar Ho Chi Minh wussten nicht, welchen Weg Washington einschlagen würde. Sie wandten sich an Washington in der Hoffnung, eine Freundschaft aufzubauen. Ich denke, die «Jakarta-Methode» ist nur eines von vielen Instrumenten und Taktiken, die Washington in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, um die Ereignisse im Globalen Süden zu beeinflussen und die kolonialen Verhältnissen zwischen Nord und Süd aufrechtzuerhalten, ohne auf formale koloniale Kontrolle zurückgreifen zu müssen.

Dein Buch widmet sich unter anderem auch dem Militärputsch von 1964 in Brasilien, eine Ära, die Jair Bolsonaro als eine «sehr gute» Zeit in der Geschichte des Landes lobt. Wie groß ist die Bedrohung für die brasilianische Demokratie heute angesichts von Ereignissen wie dem Aufstand der Bolsonaro-Anhänger*innen in Brasilia am 8. Januar? Könnte die «Jakarta-Methode» ein Comeback feiern?

Bevor Jair Bolsonaro 2016–18 zu einer echten wahlpolitischen Kraft wurde, sagte er einmal, dass die Diktatur nicht genug Menschen getötet habe und dass Brasilien als Land nur vorankommen könne, wenn Zehntausende mehr getötet werden würden. Natürlich ist es ihm nicht gelungen, die diktatorische Kontrolle tatsächlich zu konsolidieren, und zwar aus einer Reihe von Gründen, die ich letztes Jahr in der »New York Review of Books« dargelegt habe. Aber er repräsentiert mit Sicherheit die Rückkehr des gewaltsam antikommunistischen ideologischen Projekts aus der Zeit des Kalten Krieges. Der 8. Januar war ein deutliches Zeichen dafür, was bereits vor seiner endgültigen Wahlniederlage offensichtlich war: Der Bolsonarismo wird weiterhin eine politische Kraft sein, auch ohne Jair Bolsonaro im Amt des Präsidenten.

Du hast in den letzten Wochen eine Reihe von Veranstaltungen in Deutschland durchgeführt, bei denen Du auf die Mitschuld der Bundesrepublik an den Massakern hingewiesen hast. Trägt die deutsche Regierung eine gewisse Schuld an dem, was damals geschah?

Einige der indonesischen Todesschwadronen waren vom Nationalsozialismus inspiriert. Ich habe mich dennoch vor allem auf die Rolle der Vereinigten Staaten konzentriert – wir wissen heute, dass die indonesische Armee das, was sie tat, zu einem großen Teil aufgrund des Einflusses der USA tat. Washington leistete materielle Unterstützung und ermutigte sie. Ein Botschaftsmitarbeiter gab später zu, dass die US-Regierung den Indonesiern Listen mit zu tötenden Personen übergab.

Aus westdeutschen Dokumenten geht hervor, dass die Bundesregierung von Anfang an wusste, was vor sich ging – ein indonesischer General bat Bonn um finanzielle Unterstützung bei der Durchführung antikommunistischer Operationen während des Massakers, und ein ehemaliger SS-Offizier, der seit 1959 in Indonesien war, half dabei, Suhartos Image im Ausland aufzupolieren.

Ich fühle mich geehrt, dass Sri Tunruang vom International People’s Tribunal die Bucherscheinung in Deutschland unterstützt hat und dass die sehr große Gemeinschaft indonesischer Überlebender so viel beigetragen hat. Diese Woche werden Sri Tunruang und ich auf Einladung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag aussagen. Dabei geht es mir nicht um Schuldzuweisungen oder um Deutschland selbst. Mir geht es darum, dass der überwiegenden Mehrheit der Überlebenden in Indonesien und ihren Angehörigen jegliche Form von Gerechtigkeit verweigert wurde. Es wurde nicht einmal anerkannt, dass das, was ihnen widerfahren ist, nicht ihre Schuld war.

Ganz anders als in Lateinamerika hat es in Indonesien nie so etwas wie eine Wahrheits- und Versöhnungskommission gegeben. Es gibt immer noch ein «Museum des kommunistischen Verrats» im Zentrum Jakartas. Die Gemeinschaft der Überlebenden braucht dringend Unterstützung – die meisten Überlebenden leben in Armut und am Rande der Gesellschaft. Sie werden durch die Anschuldigungen, die ihnen 1965–66 entgegengeschleudert wurden, noch immer stigmatisiert. Während der Pandemie haben wir oft über Twitter Geld gesammelt, um Dinge wie Reis und medizinische Grundversorgung für Menschen zu finanzieren, die einen Großteil ihres Lebens in Konzentrationslagern verbracht haben.

In diesem Buch habe ich mich auf die Rolle der USA konzentriert, aber ich möchte so weit wie möglich für die Anerkennung der Geschehnisse werben. Wenn Deutschland offener und ehrlicher darüber spricht, was in dieser schrecklichen Zeit hinter den Kulissen vor sich ging, könnte das den Druck auf andere Regierungen wie die der USA, Indonesiens und Großbritanniens erhöhen , sich einer gewissen Transparenz anzunähern, und das könnte für viele Menschen von Bedeutung sein.

Dein Buch macht deutlich, wie wenig die meisten Menschen im Westen über die Gewalt wissen, die im Globalen Süden während des 20. Jahrhunderts verübt wurde. Glaubst Du, dass wir – sprich die Menschen, die in den Ländern leben, die den Kalten Krieg «gewonnen» haben – moralisch verpflichtet sind, mehr über diese Geschichte zu erfahren?

Ich vermute, dass heutzutage niemand mehr verpflichtet ist, etwas über irgendetwas zu lernen. Schuldgefühle oder moralische Verpflichtung sind nicht der ausschlaggebende Grund, um sich mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen. Es gibt weitaus bessere Gründe. Wenn man verstehen will, woher das bestehende globale System eigentlich kommt, und wenn man daran interessiert ist, zu analysieren, wie es verändert werden kann, muss man begreifen, wie diese Prozesse funktionieren. In diesem Sinne ist es nicht nur aus historischer Sicht interessant, etwas darüber zu lernen. Es befähigt uns auch dazu, Welt, in der wir leben, verändern zu können.