Hintergrund | Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit Der Boom von Öl und Gas in den USA

Im Süden der USA boomt die Förderung von Öl und Gas wie lange nicht mehr – auch aufgrund der Nachfrage aus Europa

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Industrieanlage in den USA im Sonnenschein
Foto: Johannes Streeck

Die Ölförderregionen im südlichen US-Bundesstaat Texas wurden immer wieder totgesagt, Wellen von steigenden und sinkenden Ölpreisen haben in der Region tiefe Spuren hinterlassen. Derzeit allerdings geht es dem Permbecken, der ertragreichsten Förderregion der USA, blendend. Neue Fracking-Technologien ermöglichen den Zugang zu immer neuen Ölreserven, und die Nachfrage nach Flüssigerdgas hat aus Gas, bisher nur Nebenprodukt der Ölförderung, ein lukratives Exportgut gemacht – für das jetzt, trotz des Widerstandes der Bevölkerung, am Golf von Mexiko gigantische neue Exportterminals gebaut werden.

Im dünn besiedelten Nordwesten von Texas erstreckt sich das Permbecken, ein gigantisches Gebiet, das bis in den südwestlichen Zipfel des Nachbarstaates New Mexico reicht. Vor rund 300 Millionen Jahren – im Perm - befand sich hier ein großer, flacher Ozean; der Name des Gebiets geht auf diese Periode zurück. Das Permbecken ist eine der ertragreichsten Ölförderregionen der Welt. Kein US-Bundesstaat produziert momentan so viel Öl wie Texas, die trockenen Weiten des Permbeckens sind geologisch so gut erschlossen wie kaum ein anderer Ort. Allein zwischen 2018 und 2019 erhöhte sich die Ölproduktion laut der amerikanischen Firma Chevron hier um 44 Prozent. Seit einiger Zeit gilt die Gegend zudem als wichtiger Lieferant von Erdgas, das zusammen mit dem Öl gefördert wird. Rund 17 Prozent der US-Gasproduktion kommen mittlerweile aus dem Permbecken – das mittlerweile auch Europa mit Gas versorgt.

Johannes Streeck ist freier Journalist mit Schwerpunkt im Südwesten der USA.

Das Permbecken boomt derzeit wie seit Langem nicht mehr; die hohen Preise für Erdöl und Gas haben zu massiven Investitionen internationaler Konzerne geführt und heizen die ökonomische Entwicklung an. Allein Chevron hält im Permbecken die Förderrechte an einer Fläche von über 8000 Quadratkilometern. Dabei wurde die Region zwischenzeitlich immer wieder totgesagt. Die Spuren einer langen Reihe von sogenannten «Boom-Bust» Zyklen sind bis heute zu sehen. In der Innenstadt von Odessa, dem industriellen Herzen des Permbeckens, finden sich etliche stillgelegte Restaurants, Hotels und andere Geschäfte, die vor Jahren aufgegeben wurden. Mit dem schwankenden Weltpreis des Öls kamen und verschwanden Arbeitsplätze, die Bevölkerung der Gegend stieg und fiel mit der Nachfrage nach Arbeitskräften aus der Region und dem Rest der USA, sowohl auf den Ölfeldern als auch in etlichen Branchen und Unternehmen, die von der Ölindustrie abhängig sind.

Ein Museum für die Ölindustrie

«Die Geschichte des Permbeckens ist eine Geschichte der Innovation», sagt Cathy Shannon vom Petroleum Museum in Midland stolz über ihre Heimat. Shannon ist in Midland aufgewachsen. Ihr Vater, erzählt sie, sei in einem der sogenannten «Camps» in der Förderregion groß geworden. In diesen Arbeitslagern lebten die Ölarbeiter in den frühen Jahren des Ölbooms, bis die Anbindung an Autobahnen es ihnen ermöglichte, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Das Petroleum Museum ist kein gewöhnliches Museum. Es ist eine  Erfindung der Ölindustrie. Nicht nur in der großen Lobby des Gebäudes, sondern auch über vielen seiner Exponate trohnen prominent die Logos von Ölkonzernen wie ConocoPhillips und Fasken Oil & Ranch. Mithilfe großer Plastikteile, die die geologischen Gegebenheiten ihrer Heimat darstellen, erklärt Shannon, wie auf immer wieder neue Weise versucht wurde, zu den tiefliegenden Reservoiren fossiler Brennstoffe in der Gegend vorzudringen.

Denn der Umstand, dass das Permbecken gut 100 Jahre nach den ersten Bohrungen in der Gegend immer noch so produktiv ist, ist vor allem einer Palette von Technologien geschuldet, die allgemein als «unkonventionelle Fördermethoden» beschrieben werden. Der feste Schieferstein, der im Permbecken vorherrscht, wies lange die Bohrköpfe ab, über die Erdölförderung meist stattfindet. Damit war ein großer Teil der immensen Lagerstätten des Permbeckens unerreichbar. Dass sie heute gefördert werden können, verdankt die Region einem neuen Ansatz: Fracking.
Auch als «Hydraulic Fracturing» bekannt, wurde diese Methode zwar schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt, doch erst Ende des Jahrhunderts erfolgreich in der kommerziellen Ölförderung eingesetzt. Beim Fracking wird ein Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch unter Hochdruck in Bohrstellen gepumpt, um kleine Risse zu erzeugen und so die großen Öl- und Gaskammern aufzubrechen, die sich der traditionellen Förderung lange entzogen haben. Seitdem das Fracking um 2008 im Permbecken Einzug hielt, sind die Ölfelder der Region so produktiv wie nie zuvor.

Fracking ist alles andere als unumstritten. In fast allen Staaten der Europäischen Union wird die Praxis stark eingeschränkt oder gleich komplett verboten. Eine Gefahr, die vom Fracking ausgeht, betrifft das Grundwasser: Die unterirdischen Kammern, in denen Erdöl lagert, werden durch das Einbringen der giftigen Substanzen als Wasserleiter kontaminiert. Die Verunreinigungen können dazu führen, dass ganze Regionen den Zugang zu sauberem Trinkwasser verlieren. Des Weiteren werden beim Fracking oftmals seismische Aktivitäten ausgelöst, die noch Hunderte Kilometer von den Bohrstellen entfernt Folgen haben können. In der Kleinstadt Pecos, die über 100 Kilometer von Midland und seinen Ölfeldern entfernt liegt, haben sich seismische Aktivitäten in den letzten Jahren fast verzehnfacht. Der Grund dafür geht auch auf die Entsorgung von belastetem Frackingwasser zurück, die im Permbecken meist über versiegte Bohrstellen geschieht.

Die Kehrseite des Gas-Booms

Mit dem Erdöl fördert das Permbecken noch eine zweite Ressource, die derzeit vor allem in Europa dringend gesucht wird: Gas. Erdgas tritt fast immer zusammen mit Erdöl auf und muss sicher abgeleitet oder entsorgt werden, damit das schwerere Öl gefördert werden kann. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sucht vor allem Deutschland nach neuen Lieferanten für den Rohstoff, die politisch besser verdaulich sind als Russland. Die USA sind für dieses Unterfangen ein natürlicher Partner – denn neben stabilen diplomatischen und wirtschaftlichen Verhältnissen verfügen die Vereinigten Staaten über große Mengen an natürlichem Gas. Mit 473 Milliarden Kubikmetern gefördertem Gas im Jahr 2022 hat das Permbecken theoretisch Gas genug, um die fehlenden Lieferungen aus Russland in Deutschland zu decken. Auf den ersten Blick ist der Zusammenschluss von europäischen Abnehmern und US-Exporteuren ein gewinnendes Geschäft für beide Seiten. Von der Industrie wird Gas gerne als saubere Alternative zu anderen, «dreckigen» Brennstoffen verkauft. Doch die Förderung von Erdgas ist alles andere als sauber.

Ben Hmiel ist Wissenschaftler und Teil des Environmental Defense Fund, einer Umweltorganisation mit Sitz in New York, die über anderthalb Millionen Mitglieder in den USA hat. Der Environmental Defense Fund beschäftigt sich schon seit Jahren mit den Folgen der Öl- und Gasförderung. Hmiel beschreibt, wie der Environmental Defense Fund in den ersten Boomjahren des Fracking-Zeitalters um 2009 begann, sich mit den Methangas-Emissionen der Industrie auseinanderzusetzen. «Wir begannen mit verschiedenen Studien, größtenteils durch Kooperationen mit verschiedenen Wissenschaftler*innen rund um das Barnett Shale genannte Fördergebiet bei Dallas. Was wir herausgefunden haben, war, dass die Emissionen überall höher sind als von der Industrie angegeben.» Der Environmental Defense Fund begann nach und nach, in den Gegenden um die großen Ölfelder Messungen vorzunehmen, um zu klären, wie akkurat die von der Industrie angegebenen Zahlen waren. «Das Ganze gipfelte in einer 2018 veröffentlichten Studie», erklärt Hmiel, «in der wir zeigen, dass die Emissionen durch die Öl- und Gasindustrie im Schnitt um 60 Prozent höher waren als angegeben.»

Eine der größten Methanquelle weltweit

Diese Studie war für die Umweltorganisation Anlass, ein weiteres Projekt zu starten: Sie versucht seither, im großen Stil eigene Daten zu erheben, um das tatsächliche Ausmaß der Emissionen darstellen zu können. Die Wahl fiel schnell auf das Permbecken – schließlich eines der größten Fördergebiete überhaupt. Als potentes Treibhausgas ist Methan besonders gefährlich, da es über kürzere Zeiträume bis zu 25 Mal stärker zur globalen Erwärmung beiträgt wie Kohlenstoffdioxid. Um möglichst genaue Informationen über die Emissionslast im Permbecken zu bekommen, nutzte die Umweltorganisation verschiedenste Methoden - von Teams auf dem Boden, die Bohrstellen mit Infrarotkameras ableuchten und dabei Methanemissionen aufzeigen können, bis hin zu Drohnen, Flugzeugen und Satellitendaten von Forschungssatelliten. «Satelliten können uns helfen, Hotspots zu entdecken, an denen die Emissionen besonders hoch sind», sagt Hmiel. «Dann kommen wir mit einem feineren Instrument, zum Beispiel einem Flugzeug, das Hunderte oder Tausende von Stellen an einem einzigen Tag scannen und die Hotspot-Quellen identifizieren kann. Dann müssen wir genau feststellen, wo diese Emissionen herkommen. Dafür nutzen wir Drohnen oder lokale Messungen, um genau herauszufinden, welche Bohrstelle konkret verantwortlich ist.»

Die Ergebnisse, zu denen der Wissenschaftler*innen des Environmental Defense Fund kamen, sind erschreckend: Die Methanemissionen, die sie im Permbecken fanden, waren fast doppelt so hoch wie das, was die Industrie angab. Das Permbecken, schätzt die Organisation, könnte damit die größte einzelne Methanquelle der Erde sein. Besonders erstaunlich sind die Gründe für die hohen Emissionen: So ist es nach texanischem Recht vollkommen legal, ungenutztes Methangas nicht nur zu verbrennen, sondern auch schlicht in die Atmosphäre zu entlassen. Dazu kommen tausende verlassene Bohrstellen, aus denen große Mengen Gas durch mangelhafte Versiegelungen schlicht entweichen. Über 6000 solcher «Orphan Wells», schätzt der Environmental Defense Fund, gibt es alleine in Texas.

Neue LNG-Terminals am Golf von Mexiko

Die Förderung des Gases ist dabei nur ein Aspekt des Problems. Denn um seine neuen Kunden in Europa zu erreichen, muss es erst einmal abtransportiert und verflüssigt werden, bevor es als Flüssigerdgas (liquefied natural gas, LNG) auf Tanker verladen und über den Atlantik verschifft wird. In Texas führt der Weg des Gases dazu zwangsläufig an den Golf von Mexiko, wo der Bundesstaat über 590 Kilometer Küste verfügt. Schon heute erreichen Erdöl und Gas aus dem Permbecken und anderen Fördergebieten dort die Küste. Für die aufkommende LNG-Industrie ist dabei keine Gegend so interessant wie das Rio Grande Valley.

In Texas meist «das Tal» genannt, befindet sich das Rio Grande Valley an der südlichsten Spitze des Staates. Zwischen dem Atlantik und der Grenze zu Mexiko liegt hier eine Gegend, die sich kulturell und ökonomisch stark vom Rest von Texas abhebt. Gut 90 Prozent der Einwohner*innen des Tals sind Latinx, viele von ihnen leben ohne Aufenthaltsstatus in der Region, die lange zu Mexiko gehörte. Das subtropische Klima eignet sich gut für den Anbau von Zitrusfrüchten und anderen Agrarprodukten. Trotz der reichen Ernten ist das Rio Grande Tal jedoch bis heute eine der ärmsten Regionen der USA.

Gleich zwei gigantische LNG-Projekte werden derzeit im Rio Grande Valley geplant. Unter dem Namen Rio Grande LNG plant das Konsortium Next Decade ein Terminal, das 400 Hektar Fläche an der Küste einnehmen wird. Neben großer Mengen an Energie bedarf die Verflüssigung von Erdgas vor allem Platz. Tanks, Kompressoren und Hafeninfrastruktur für die großen Tankschiffe, die LNG in die Welt bringen können, gehören zu den größten Strukturen, die an der ökologisch sensiblen Küste aufgebaut werden sollen.

Bedrohte Küsten

Ein Besuch in Brownsville zeigt schnell, was dort auf dem Spiel steht. Das geplante Vorhaben soll direkt zwischen zwei Naturschutzgebieten entstehen, die wichtige Stationen für Zugvögel auf ihrem Weg nach Süden sind. Die Menschen der Region sind ebenfalls von den ökologischen Ressourcen des Flussdeltas abhängig, das durch die neuen Terminals stark verändert werden soll.

«Die Menschen hier in der Gegend leben vom Fischfang, von der Shrimps-Fischerei und vom Ökotourismus», erzählt die Aktivistin Bekah Hinojosa. «LNG bedroht all das: durch die Baumaßnahmen in Feuchtgebieten, durch die giftigen Emissionen und dadurch, dass die Terminals den Schiffskanal blockieren, den die Shrimps-Fischer*innen brauchen, um aufs Meer hinaus zu gelangen.»

Hinojosa arbeitet für die Umweltorganisation Sierra Club und engagiert sich bei der Gruppe Another Gulf is Possible. Sie ist selbst in Brownsville aufgewachsen und glaubt den Versprechungen der Industrie nicht, für Arbeitsplätze im armen Rio Grande Valley zu sorgen. «Sie sagen, sie werden 100 bis 200 Jobs für die Anwohner*innen hier schaffen, aber dann sagen sie plötzlich, dass die Leute auch 160 Kilometer von den Anlagen entfernt wohnen können.»

Für viele Personen aus dem Rio Grande Valley sind auch gutbezahlte Stellen in den LNG-Anlagen die Zerstörung der Küste nicht wert: In Brownsville und den umliegenden Gemeinden Port Isabel und South Padre Island haben sich jeweils Tausende Menschen mit Petitionen gegen den Ausbau der LNG-Infrastruktur gewehrt.

Auch die Aktivistin Emma Guevara aus dem Rio Grande Valley ist besorgt über die Maßnahmen in den Salzwassersümpfen. Dass gerade ihre Heimat für die Profite der Konzerne hinhalten muss, findet sie nicht überraschend. «Die Regierung des Bundesstaates interessiert sich nur für Geld», so Guevara. «Was wir denken, ist denen egal. Wir sind arm, also interessieren sie sich nicht für uns, und das macht es besonders schwierig, Widerstand gegen diese Entwicklungen zu leisten.»

Erfolgreicher Widerstand

Für Guevara, die ebenfalls für die Umweltschutzorganisation Sierra Club arbeitet, liegt die Verantwortung für die Entwicklungen an der Küste aber auch dort, wo das Gas längerfristig ankommen soll: «Wer in einem Staat lebt, in dem Fracking illegal ist, der muss sich auch von der anderen Seite dagegen engagieren. In Deutschland zum Beispiel könnten die Menschen sich auch für nachhaltige Energien einsetzen, anstatt Gas zu importieren. Für uns im Rio Grande Valley fühlt sich das an, als würden wir schon wieder dem Wohlstand Europas geopfert. Als würden wir zum zweiten Mal kolonisiert.»

Dass Widerstand durchaus erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel Annova LNG. Das geplante Terminal sollte die dritte LNG-Einrichtung an der Küste werden, bis ökonomischer und politischer Druck Anfang 2021 dazu führten, dass das 3-Milliarden-Dollar-Projekt aufgegeben wurde. «So etwas ist möglich», sagt Emma Guevara, «es ist nur schwierig.»

Einen weiteren Erfolg sehen viele Gegner*innen der LNG-Terminals darin, dass die französische Bank Société Générale, bis dahin Hauptinvestorin des Projekt Rio Grande LNG, Ende März bekanntgegeben hat, dass sie dem Bau ihre Unterstützung entziehe. Zu groß war der politische Druck geworden, zu gering schienen dagegen die potenziellen Gewinne.

Die zwei großen Terminals am südlichen Zipfel von Texas wurden kürzlich durch die zuständige Bundesbehörde FERC genehmigt. Dem Bau der gigantischen Industrieanlagen im Flussdelta steht nun theoretisch nichts mehr im Wege. Ob sie überhaupt gebraucht werden, ist eine andere Frage – denn Studien legen schon heute nahe, dass es zumindest in Europa bald zu einer Überversorgung an LNG kommen kann.