Publikation Wirtschafts- / Sozialpolitik - Sozialökologischer Umbau - Verteilungskrise - Klimagerechtigkeit Streitpunkt LNG

«Kurz & bündig»: Brauchen wir Flüssiggas-Terminals und schaffen wir dadurch neue Anhängigkeiten von fossilen Energieträgern?

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Uwe Witt,

Erschienen

September 2022

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Zwei FSRUs (Floating Storage Regasification Unit)  im Dock des neuen EemsEnergyTerminal in Eemshaven
Zwei FSRUs (Floating Storage Regasification Unit), also schwimmende Flüssiggasterminals, im Dock des neuen EemsEnergyTerminal in Eemshaven versorgen Deutschland mit Energie. IMAGO / ANP

Was ist LNG?

Flüssigerdgas (Abkürzung LNG für englisch: liquefied natural gas) ist durch starke Komprimierung und Abkühlung auf -161 bis -164 °C verflüssigtes Erdgas. Dafür muss das Erdgas speziell aufbereitet werden, damit es fast ausschließlich aus Methan besteht. LNG weist nur etwa ein Sechshundertstel des Volumens von gasförmigem Erdgas auf. Damit lässt es sich mit Spezial-Tankschiffen transportieren. Am Zielhafen wird das LNG zurück in den gasförmigen Zustand versetzt («regasifiziert») und in Pipelines eingespeist. Beim Verflüssigen und Transport entstehen Energieverluste von 10 bis 25 Prozent. Aufgrund der verlustreichen Umwandlungsschritte und des Transports per Schiff hat LNG-Gas in der Regel höhere Herstellungskosten als Pipelinegas. Allerdings spielen die Entstehungskosten am Gasmarkt momentan keine Rolle. Die Knappheit an Gas treibt die Preise am Spotmarkt in astronomische Höhen – egal ob LNG oder Pipelinegas.

Der wichtigste LNG-Lieferant der EU sind die USA (28 Prozent der LNG-Importe), gefolgt von Katar und Russland (jeweils 20 Prozent). Andere Lieferländer sind Australien, Malaysia, Algerien, und Nigeria, sowie zukünftig auch Kanada und Senegal.  

Warum brauchen wir überhaupt Flüssiggas-Importe?

Vor der Invasion Russlands hätte es in Europa weder zusätzliche LNG-Importe noch neue Pipelines (etwa die Nord-Stream-2-Trasse) gebraucht. Als Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Bundesregierung bereits im März angekündigt, bis Sommer 2024 den Import russischen Gases schrittweise auf nur noch 10 Prozent des deutschen Verbrauchs zu reduzieren (im Jahr 2021 betrug der Anteil 55 Prozent). Damit sollen die starke Gasabhängigkeit Deutschlands von Russland genauso verringert werden wie Einzahlungen in Putins Kriegskasse. Russland verringerte seinerseits die Gaslieferungen nach Europa enorm, um damit auf die Sanktionspolitik des Westens zu reagieren. Im September 2022 war die Ostseepipeline Nord Stream 1 nur noch zu 20 Prozent der Leitungskapazität ausgelastet, zuletzt war sie sogar leer (unter dem Vorwand technischer Probleme). Ein dauerhafter vollständiger Lieferstopp Russlands kann nicht ausgeschlossen werden.

Zukunftsfähige Alternativen zum russischen Gas sind konsequente Energieeinsparung und der forcierte Ausbau Erneuerbarer Energien. Doch weil die letzten Bundesregierungen beides nicht ausreichend vorangetrieben, teils sogar ausgebremst haben, lässt sich das Gros hier nur mittelfristig realisieren. Für die nächsten zwei Winter können kurzfristige Einsparmaßnahmen lediglich einen Teil der ausfallenden russischen Lieferungen ersetzen. Weil alternatives Pipelinegas, etwa aus Norwegen oder den Niederlanden, nur begrenzt zusätzlich verfügbar ist, ist der Import von LNG per Tankern tatsächlich unumgänglich, wenn es nicht zu deutlich spürbaren Einschnitten in der industriellen Produktion und/oder der Wärmeversorgung der Haushalte kommen soll.

Wie ist die Umwelt- und Klimabilanz von LNG?

LNG kann verflüssigtes konventionelles Erdgas sein. Vor allem wenn es aus den USA und Kanada kommt, besteht es jedoch großenteils aus umweltschädlich gefracktem Erdgas. Dort werden unter hohem Druck Wasser und Chemikalien in tiefe Gesteinsschichten gepresst. So wird Erdgas förderfähig gemacht, welches bei konventioneller Förderung in der Erde bleiben müsste. Deshalb gibt es beispielsweise gegen den LNG-Exporte aus dem Westen Kanadas oder aus dem Küstengebiet von Louisiana  entsprechende Proteste von dortigen indigene Gruppen und Menschenrechtsaktivisten.

Nach Angaben von Greenpeace ist LNG mit hohem Fracking-Anteil aus den USA über sechsmal und aus Australien rund 7,5-mal klimaschädlicher als Pipeline-Gas aus Norwegen.

Was sind LNG-Terminals, welche Arten gibt es und was planen Bundesregierung und private Betreiber?

An LNG-Terminals landen die Flüssiggas-Tanker an, wo das verflüssigte Erdgas wieder gasförmig gemacht und ins landseitige Gasnetz eingespeist wird. Als Alternative zu festen LNG-Terminals sind auch schwimmende verfügbar, so genannte Floating Storage and Regasifaction Unit (FSRU).

Momentan gibt es in der EU mehr als zwei Dutzend LNG-Terminals, weitere sind geplant. Die Bundesrepublik hat bislang keine Terminals, denn die Anlagen in den Niederlanden und Belgien, die über Pipelines für Deutschland erreichbar sind, waren früher stark unterausgelastet. Nun hat die Bundesregierung mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz eine wahre Flut von Terminal-Standorten ausgewiesen und stellt für Bau bzw. Mietkosten knapp drei Milliarden Euro bereit.

Die Standorte für insgesamt acht schwimmende und vier feste Terminals sind: Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade, Hamburg, Rostock, Lubmin, Emshaven (in den Niederlanden für Deutschland). Hinzu kommt ein privates Terminal (FSRU) bei Lubmin. Vier FSRU sind bereits «optioniert», es wurden oder werden dafür Charterverträge abgeschlossen, zwei sollen um die Jahreswende einsatzfähig sein.

Wie viel LNG-Terminals wären sinnvoll und welche?

Bis heute gibt es keine detaillierten Angaben über das dem LNG-Beschleunigungsgesetz zugrundeliegende Mengengerüst, kritisieren Umweltverbände und halten die Planungen für deutlich überdimensioniert. Nach einer Rechnung des taz-Redakteurs Malte Kreuzfeldt könnten bereits vier schwimmenden Anlagen (Brunsbüttel, Wilhelmshaven, Stade und Rostock) und zwei feste Terminals (Brunsbüttel und Stade) zusammen überdimensioniert sein, um die ausfallenden Mengen aus Russland zu ersetzen.

Auch der Klimaschutz spricht dagegen: Alleine die 7 wahrscheinlichsten LNG-Projekte würden laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) über eine Laufzeit von jeweils zehn Jahren bei FSRU oder bis zum zugelassenen Enddatum bei festen Terminals im Jahr 2043 insgesamt 2,1 Milliarden Tonnen CO2 verursachen und damit drei Viertel des deutschen Treibhausgas-Restbudgets aufzehren.

Im Übrigen geht Bundeskanzler Olaf Scholz inzwischen davon aus, dass die Bundesrepublik bereits Ende kommenden Jahres vollständig unabhängig von russischem Gas sein wird. Bis dahin könne dann voraussichtlich alles nötige Gas aus anderen Ländern bezogen werden - Dank bis dahin fertiger Importterminals für Flüssiggas. Wenn dem so sein sollte: Bis Ende 2023 wären ausschließlich die geplanten FRSU einsatzbereit. Wozu dann noch die Jahre später fertig werdenden festen LNG-Terminals?

Feste Terminals sind vielmehr unbedingt zu verhindern, auch weil sie sich wirtschaftlich erst über 30 Jahre abschreiben, während die gecharterten FSRU wieder zurückgegeben werden können. Schließlich muss sich nach den Klimaschutzvorgaben der deutsche Gasverbrauch in den nächsten Jahren deutlich verringern. Feste LNG-Terminals wären damit «stranded investments» und würden im schlechtesten Fall sogar zu neuen Pfadabhängigkeiten von fossilen Rohstoffen führen.

Kann der LNG-Boom für die Bundesrepublik neue Abhängigkeiten schaffen?

Die DUH warnt zu recht vor neuen langfristige Abhängigkeiten infolge des LNG-Booms. So habe die EU mit den USA eine langfristige Vereinbarung zum LNG-Import vereinbart – mit steigenden Mengen und extrem klima- und umweltschädlichem Fracking-Gas. Auch der LNG-Lieferant Katar verlange langfristige Verträge für Lieferungen ab 2026. Der Umweltverband warnt vor einer zuschnappenden fossilen Falle: Neue Gasfelder gehen in die Produktion, das bedeute neue Treibhausgasemissionen und neue langfristige fossile Abhängigkeiten von einem zweifelhaften Regime.

Die Erzählung, die LNG-Terminals könnten später für Wasserstoff genutzt werden, ist eine Nebelkerze. Die Terminals dürfen nach dem LNG-Beschleunigungsgesetz bis ins Jahr 2043 für reines LNG genutzt werden. Eine Umrüstung auf Wasserstoff ist ohnehin technisch kaum möglich.

Welche Folgen kann der LNG-Boom für die Lieferländer haben, insbesondere im globalen Süden?

Der LNG-Boom hat einen Preis, den vielfach andere bezahlen: Russland ist aufgrund fehlender Infrastruktur nur sehr begrenzt in der Lage, in Europa nicht abgesetztes Erdgas in andere Teile der Welt umzuleiten (im Gegensatz zur Logistik beim Erdöl). Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die zusätzliche europäische Nachfrage nach LNG die globalen Erdgas-Preise extrem nach oben treibt. Darunter leiden vor allem die Menschen in Staaten, die weitaus ärmer sind als die EU-Länder, so etwa Pakistan, Sri Lanka oder Bangladesch.

Wie kann der LNG-Verbrauch eingedämmt werden, wie lässt sich Gas sparen?

Mittelfristig ist der Umstieg auf Erneuerbare Energien der größte Hebel. Im Wärmebereich geht es hier vor allem um die Installation von Wärmepumpen sowie um die bessere Isolierung von Gebäuden. Kurzfristig und während der gesamten Energiewende muss parallel Energie eingespart werden, auch beim Gaseinsatz im Strombereich. Die Deutsche Umwelt Hilfe hat dafür gerade ein Maßnahmenpaket vorgelegt, in dem übersichtlich die wichtigsten Punkte dargestellt sind. Und Fridays for Future hat am 13. September die Einrichtung eines Sondervermögens für Klima und Sicherheit gefordert – in Höhe von 100 Milliarden Euro, also genauso viel wie das Sondervermögen für die Bundeswehr. Aus diesem Mitteln ließen sich viele dieser Maßnahmen finanzieren. Die DIE LINKE im Bundestag hatte einen vergleichbaren Fonds bereits im Mai gefordert.

Um speziell den LNG-Bezug langfristig zu minimieren, wäre zu diskutieren, ob im Falle eines Rückzugs der russischen Truppen mit entsprechenden Sicherheitsgarantien für die Ukraine auch wieder russisches Pipelinegas bezogen werden sollte – wenn auch in einem deutlich geringeren Umfang als früher. Denn die Bundesrepublik muss ohnehin spätestens in den 2030er Jahren weitgehend aus fossilem Gas austeigen, sollen die Klimaziele erfüllbar bleiben.