Nachricht | Andenregion Stimmt Ecuador gegen die Ölförderung?

Volksabstimmung über die Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark

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Autor

Franklin Vega,

Der Yasuní-Nationalpark in Ecuador. Bild von einem Flussufer des Amazonas mit Bäumen
Der Nationalpark Yasuní ist der größte Nationalpark in Ecuador mit einer Fläche von 10.227,37 km² und einer Kernfläche von ca. 5000 km². Foto: Franklin Vega

Der 9. Mai 2023 war ein entscheidender Tag im Kampf für die Mitbestimmung und die Rechte der Natur in Ecuador. An diesem Tag hat das Verfassungsgericht entschieden, dass das vom Umweltkollektiv YASunidos geforderte Referendum umgesetzt werden muss. Ziel ist es, die weitere Förderung von Erdöl im ecuadorianischen Block 43 im Amazonasgebiet zu stoppen. Das Referendum soll am 20. August 2023 zeitgleich mit vorgezogenen Wahlen zum Parlament und Präsidentschaft stattfinden.

Das Urteil des Verfassungsgerichts folgt einer langen Geschichte von juristischen Hindernissen, Betrug und massivem Druck seitens der verschiedenen Regierungen Ecuadors seit 2013, insbesondere während der Amtszeit von Rafael Correa (2007–2017). Deren Sabotage des Vorhabens, die 846 Millionen Barrel Schweröl des Ishpingo-Tambococha- und Tiputini-Feldes (ITT) im Boden zu lassen, begann laut YASunidos schon kurz nachdem die Regierung von der internationalen Gemeinschaft Kompensationszahlungen in Höhe von 3,6 Milliarden US-Dollar forderte (Plan A). Gleichzeitig verfolgte die Regierung immer Plan B, nämlich das Öl doch zu fördern.

Das wichtigste Element des Kampfes von YASunidos war die Volksbefragung. Sie wurde am 23. August 2013 mit folgendem Wortlaut vorgestellt: «Sind Sie damit einverstanden, dass die ecuadorianische Regierung das ITT-Rohöl, bekannt als Block 43, dauerhaft im Boden belässt?» Dies war eine Antwort auf den Rückzug der Regierung Correa aus der Initiative. YASunidos sammelte 757.623 Unterschriften, von denen jedoch 60 Prozent für ungültig erklärt wurden. Nach zehn Jahren hat das Verfassungsgericht nun zugunsten des YASunidos-Kollektivs entschieden und das Referendum für zulässig erklärt.

Volksabstimmung über Ölförderung in Ecuador

Details

Seit dem Jahr 2016 wird im Yasuní-Nationalpark Erdöl abgebaut. Der Abbau zerstört die Umwelt und gefährdet den Lebensraum vieler Tiere und der indigenen Gemeinschaften die dort leben. 

Karin Gabbert, Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Quito erklärt die Bedeutung der Volksabstimmung über die Ölförderung im Yasuní-Nationaplark in Ecuador.

Warum das Öl im Boden lassen?

Die Initiative, das Öl im Boden zu lassen, um den Yasuní-Nationalpark zu retten, entstand in den 1990er Jahren im Rahmen der Arbeit von Acción Ecológica, einer Umwelt-NGO, die sich seit über 40 Jahren für die Rechte der Natur im ecuadorianischen Amazonasgebiet einsetzt. Die Maßnahme sollte einen fast unberührten Teil des Urwaldes gegen die Ölkonzerne verteidigen. Dort lebten die Völker der Tagaeri-Taromenane ohne Kontakt zur Außenwelt.

Alexandra Almeida von Acción Ecológica zeigt auf ein mit einem Stock verstopftes Rohr: «Das ist die sogenannte Spitzentechnologie, auf diese Weise werden Öllecks hier im Oriente abgedichtet. Das ist das Erbe von Texaco, einem Unternehmen, das mehr als 300 solcher Becken hinterlassen hat». Almeida führt eine «Toxitour» in der Provinz Sucumbíos im nördlichen Amazonasgebiet Ecuadors.

1999 lernte ich bei solch einer Tour zum ersten Mal die Schattenseiten des Erdöls in Ecuador kennen. Die Szenerie hätte nicht trostloser sein können: eine Lache voll Öl, aus der Gase mit einem stechenden, benzinähnlichen Geruch aufstiegen. Vom Straßenrand aus konnte man den Dunst sehen, der von der Oberfläche aufstieg, die wie eine dicke schwarze Creme oder Teerpaste aussah. Am beunruhigendsten war, dass nur wenige Meter von der Lache entfernt ein Holzhaus mit einem Blechdach stand. Eine Siedlerfamilie wohnte dort, obwohl ein Familienmitglied an Krebs erkrankt war und konnte nirgendwo anders hin.

Franklin Vega ist Umweltjournalist und Herausgeber des Umweltportals Bitácora Ambiental. Für seine Reportagen über das Amazonasgebiet erhielt er mehrere Preise in Ecuador und Brasilien.

Auf diesen Bildungsreisen erklärte Almeida die Auswirkungen der Erdölförderung und die Aussichten für neue Erschließungen. Dabei kam sie bereits Ende der 90er Jahre auf den ITT Block zu sprechen und der Idee, dort auf die Förderung des Öls zu verzichten. In dieser frühen Phase wurde die spätere Yasuní-ITT-Initiative als «Ölmoratorium» bezeichnet.

Die ersten Ansätze für die Initiative stammen aus der Kampagne «Amazonas für das Leben». Damals fand die Idee eines Ölmoratoriums Anklang bei den Bauern und Bäuerinnen sowie indigenen Völkern des Amazonas. Carolina Valladares, Forscherin von Acción Ecológica, erinnert sich, dass der Vorschlag, das Öl im Boden zu lassen, entstand, nachdem sie während der Kampagne sämtliche negativen Auswirkungen der Erdölförderung auf Mensch und Natur dokumentiert hatte.

Zusammen mit Acción Ecológica und ERA aus Nigeria wurde Oilwatch als zivilgesellschaftliche Organisation für Länder gegründet, die Erdöl fördern. Die Aktivist*innen stellten fest, dass die Ölkonzerne nach verschiedenen Standards verfuhren und sich im Süden nicht an die gleichen Vorgaben hielten wie in den Ländern des Nordens, wo sich die Firmensitze befinden. So entstand der Vorschlag eines Moratoriums.

Wie sich Umweltbewegung und Regierung entzweiten

Im Juni 2007 wurde der Plan, das Öl für Kompensationen im Boden zu lassen auf Initiative des damaligen Ministers Alberto Acosta von der ecuadorianischen Regierung bestätigt. Ein Jahr nach dem Amtsantritt Correas, im Januar 2008, wurde der Yasuní-ITT-Treuhandfonds unter der Leitung des Wirtschafts- und Finanzministeriums eingerichtet und wurde damit zum Regierungsprogramm.

Die Initiative erlangte internationale Aufmerksamkeit. Das deutsche Parlament beschloss 2008 parteiübergreifend, jährlich 50 Millionen Euro in den Treuhandfonds einzuzahlen. Zwei Jahre später, machte Dirk Niebel, FDP Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das wieder rückgängig.

Antonella Calle, Sprecherin von YASunidos und seit 2013 mit dem Kollektiv verbunden, zeigt sich selbstkritisch. «Eine der Lektionen, die wir gelernt haben, ist, dass wir den Fehler gemacht haben, die Yasuní-ITT-Initiative der Regierung von Rafael Correa zu überlassen. Wir dachten mit Alberto Acosta als Energieminister und Esperanza Martínez, die den Prozess begleitete, bessere Chancen zu haben, das Projekt zu verwirklichen. Doch das Gegenteil war der Fall. Plan B, die Ausbeutung des Yasuní war immer das Ziel der Regierung Correa.»

Diese Entzweiung zwischen Umweltschützer*innen und Regierung wurde im August 2013 mit den historischen Worten besiegelt: «Leider müssen wir sagen, dass die Welt uns im Stich gelassen hat». Damit kündigte Rafael Correa das Ende der Initiative und den Beginn der Ölförderung an. Er erklärte, dass nur 13,3 Millionen US-Dollar in den Yasuní-ITT-Treuhandfonds eingezahlt wurden, was gerade einmal 0,37 Prozent der erwarteten Summe ausmachte. Zusammen mit Zusagen, die nicht direkt mit der Initiative in Verbindung stehen, belaufe sich die Summe auf 116 Millionen US-Dollar.

Block 31, direkt neben Block 43 und ebenfalls im Yasuní, gehörte bis Dezember 2010 der brasilianischen Petrobras. 2013 übernahm die ecuatorianische Regierung dort die Ölförderung mit Hilfe der Ölgesellschaft Petroamazonas. Diese staatliche Gesellschaft hatte die Regierung unter anderem gegründet, um die gut organisierte Gewerkschaft der staatlichen Petroecuador zu schwächen, die sich gegen die Ausweitung der Ölförderung im Amazonas ausgesprochen hatte. Sie erleichterte die Ölförderung auch durch neue Verträge. Die alten hatten für Block 31 einen Helikopterbetrieb[1] und Anlagen außerhalb des Schutzgebietes vorgesehen. Nun sollte das Öl über eine zwölf Meter breite Straße herausgeholt werden, die bis zur Grenze der Schutzzone Tagaeri-Taromenane reichte. 2013 änderte die Umweltministerin Marcela Aguiñaga auch die Umweltauflagen und legte die bis dahin gültige Genehmigung aus dem Jahr 2008 zu den Akten. Diese war von der früheren Umweltministerin Anita Albán erteilt worden und enthielt neben umfassenden Konsultationsprozessen zur «Minimierung der Umweltauswirkungen» zwölf Auflagen für die Erschließung von Block 31.

Vor diesem Hintergrund gründete sich im August 2013 YASunidos (Wortspiel aus Yasuní und unidos – vereint, Anm. d. Ü.) als Reaktion auf die Entscheidung der Regierung, die Yasuní-ITT-Initiative (Plan A) aufzugeben. YASunidos versteht sich als ein Kollektiv aus Umweltschützer*innen, Feminist*innen, Indigenen, städtischen Radfahrer*innen, Ölarbeiter*innen und Aktivist*innen. «Wir sind ein gleichberechtigtes Kollektiv ohne feste Struktur. Wir arbeiten in Kommissionen. Wir haben Vertreter*innen oder Kerngruppen im ganzen Land und finanzieren uns durch Spenden und Beiträge. Wir sind alle Freiwillige und werden nicht für die Verteidigung des Yasuní bezahlt», erklärt Pedro Bermeo, einer der Organisatoren von YASunidos.

Der Ursprung von YASunidos

Auch Carolina Valladares betont, dass es nicht ideal war, dass die Regierung «die Kontrolle übernahm». «Acción Ecológica und andere kleinere Organisationen gehen seit 2008 an Schulen und Universitäten, damit sich die Gesellschaft die Idee zu eigen macht. Damit sie lernen, was der Yasuní-Nationalpark ist und warum es nötig ist, dass sie die Kampagne unterstützen, damit dort kein Öl ausgebeutet wird. Seit Beginn der Regierungsinitiative haben wir eine parallele Kampagne durchgeführt». Diese Kampagne hieß «El Yasuní depende de ti» (Der Yasuní hängt von dir ab). In ihrem Rahmen wurden Ausflüge für junge Umweltschützer*innen organisiert, um den Nationalpark kennenzulernen. Sie erhielten Material, um in Schulen über die Bedeutung des Yasuní zu informieren. Tausende Kinder und Jugendliche nahmen 2008 an den Schulungen teil und fünf Jahre später, als Präsident Correa das Ende der Initiative ankündigte, waren es genau diese jungen Menschen, die auf die Straße gingen und protestierten. «Diese unsichtbare Arbeit von sehr vielen Menschen unterschiedlichster Bereiche war der Schlüssel zum Aufbegehren der Jungen und Mädchen, die am 13. August 2013 auf die Straße gingen. Das war zwar nicht gänzlich spontan, aber eine solch massive Beteiligung war nicht vorhersehbar», beschreibt Valladares die Anfänge des Kollektivs YASunidos.

Als Reaktion auf den Rückzug der Regierung Correa aus der Initiative, das Öl im Boden zu lassen, stellten die YASunidos am 23. August 2013 eine Frage für eine Volksbefragung vor: «Sind Sie damit einverstanden, dass die ecuadorianische Regierung das Öl im ITT, bekannt als Block 43, dauerhaft im Boden belässt»?

Laut Verfassung (Artikel 104) müssen für eine Volksbefragung mindestens fünf Prozent der bei den letzten Wahlen registrierten Wähler*innen unterschreiben, was damals 584.116 Stimmen waren. Laut Bermeo sammelten die YASunidos 757.623 Unterschriften. Doch davon wurden 60 Prozent mit Tricks für ungültig erklärt. Im Oktober 2013 erklärte die ecuadorianische Nationalversammlung «die Ausbeutung der Blöcke 31 und 43 zum nationalen Interesse» .

In einer hitzigen Rede forderte Mauro Andino, Abgeordneter der Regierungspartei Alianza País, die Förderung im ITT zum nationalen Interesse zu erklären: «Machen wir uns nichts vor, seien wir nicht heuchlerisch! Entwicklung hat ihren Preis. Was wir heute diskutieren, ist, ob der Nutzen für die gesamte ecuadorianische Gesellschaft die möglichen Kosten überwiegt.»

Obwohl die Erdölförderung im Yasuní nun voranschritt, gingen die Angriffe auf die YASunidos weiter. Correa beschuldigte sie sogar Geld von Chevron-Texaco zu erhalten (Enlace Ciudadano[1] Nr. 415 vom 14. März 2015): «Haben Sie jemals gehört, dass die Pseudo-Umweltschützer*innen, die YASunidos, die Steinewerfer*innen, irgendetwas davon (von Texaco verursachte Umweltschäden im Amazonasgebiet) anprangern? Man muss wissen, dass sie von Chevron finanziell stark unterstützt werden. Wir haben Berichte darüber.»

Dabei beruhte ein Teil des Prozesses gegen Chevron Texaco auf Umweltschutzverletzungen, die von Acción Ecológica dokumentiert worden waren. Diese Sammlung von Beweisen für die Umweltschäden durch Ölförderung war auch Grundlage für die von YASunidos getragene Yasuní-ITT-Initiative.

Die Geschichte des staatlichen Betrugs

YASunidos sammelte 2013 in sechs Monaten fast 200.000 Unterschriften mehr für das Referendum als nötig. Es beteiligten sich 1.600 Menschen an der Sammlung, die von jungen Freiwilligen wie Antonela Calle und Pedro Bermeo koordiniert wurden. «60 Prozent der Unterschriften wurden wegen Formfehlern für ungültig erklärt, und es ist bewiesen, dass dies ein Betrug am Bürgerwillen darstellte. Es gibt ein Gutachten des Nationalen Wahlrates (CNE), einen Bericht der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte, eine Resolution des Rates für Bürgerbeteiligung, ein Urteil des Gerichts für Wahlstreitigkeiten und des Verfassungsgerichts. Es gibt damit fünf Instanzen und zwei Urteile, die den Betrug bestätigen», erklärt Bermeo.

In seinem Urteil vom Mai dieses Jahres stellt das Verfassungsgericht fest: «Die Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen, die seinerzeit die volle Ausübung der Beteiligungsrechte der Befürworter*innen und Unterstützer*innen der betreffenden Volksbefragungsinitiative behindert haben, ist zu rügen.» «Es gab entscheidende Akteure wie die Prüfer*innen der Unterschriften, von denen 10 jeweils 10.000 Unterschriften für ungültig erklärten. Sie haben den Betrug durchgeführt, aber er war sorgfältig vorbereitet. Bei der Prüfung der Formulare wurden Listen auch wegen des Gewichts und der Größe des Papiers sowie der Farbe des Aufdrucks zurückgewiesen. Die entsprechenden Anforderungen wurden geändert, als wir bereits Unterschriften sammelten, und rückwirkend angewendet», berichtet Bermeo mit Verweis auf eine Recherche von Manolo Sarmiento, in der das Verfahren detailliert beschrieben und die Namen der Beteiligten genannt werden.

Kindische Umweltschützer*innen besiegen die Regierung

Die Angriffe des Präsidenten Rafael Correa auf YASunidos vervielfachten sich schon seit 2010. Am 16. Januar 2010 wetterte der damalige Präsident in seiner Radio- und Fernsehsendung Enlace Ciudadano, die während seiner Regierungszeit jeden Samstag ausgestrahlt wurde: «Der kindische Umweltschutz möchte das Erdöl unbedingt im Boden lassen, ohne irgendwelche Gegenleistungen, damit wir wieder einmal die nützlichen Idioten des Planeten sind, denn diejenigen, die die Umwelt verschmutzen, sind die Reichen, und diejenigen, die die Erdölreserven in der Erde lassen, die für die Entwicklung des Landes so notwendig sind, sind die Armen (…).»

YASunidos reagierten kreativ. Sie organisierten in mehreren Städten des Landes Tage der «kindischen Umweltschützer*innen». Carolina Valladares erzählt, dass sie das nie als Beleidigung empfunden hätten, im Gegenteil, «wir haben uns den Namen zu eigen gemacht und Dutzende von Workshops organisiert, es gab Theater, Geschichten, Filmvorführungen, Malworkshops, Puppentheater und Ausstellungen.» Das erste Treffen der «kindischen Umweltschützer*innen», oder  «Wächter*innen des Yasuní» fand am 14. März 2010 in der Casa de la Cultura Ecuatoriana statt.

«Wir bevorzugen den kindischen Umweltschutz gegenüber einer senilen, rücksichtslosen Entwicklungspolitik», erklärte Esperanza Martínez, Gründerin von Acción Ecológica, und fügte hinzu, dass die Angriffe der Regierung Correa ihre Position in den Augen der Öffentlichkeit gestärkt hätten. Das Wortspiel: Ecologismo infantil (kindischer Umweltschutz) und desarrollismo senil (seniler Entwicklungspolitik) wurde zur Botschaft. «Wir drehten die Botschaft des Präsidenten um, und riefen innerhalb weniger Tage ein kindisches Umweltschützer*innen-Festival ins Leben. Die Stadt- und Überlandbus-Stationen waren voller Plakate für das Festival. Kinder konnten Ausweise als «kindische Umweltschützer*innen» beantragen und ein Sparschwein mit Münzen für den Yasuní füllen», erinnert sich Valladares.

All dies geschah, während das Fachteam aus renommierten Umweltaktivist*innen und Unternehmer*innen die internationalen Verhandlungen für die Regierung vorantrieb, es aber nicht schaffte, die notwendigen Mittel zu beschaffen. Im Jahr 2010 verstärkten die selbsternannten «kindischen Umweltschützer*innen» den politischen Druck und versuchten, das Projekt der ecuatorianischen Gesellschaft wieder näher zu bringen. Unterstützung kam auch von lokalen Regierungen. Die Yasuní-ITT-Initiative war darüber hinaus mit politischen Aktionen der indigenen Partei Pachakutik und der indigenen Bewegung verknüpft. Ein weiterer Akteur war Yaku Pérez, der die Unterschriftensammlung im Süden des Landes unterstützte.

Allerdings erinnert sich das YASunidos-Kollektiv auch noch gut an regelmäßige Angriffe auf sie aus der Regierung. «Ich war 19 Jahre alt, als ich anfing, an den Demonstrationen für den Yasuní teilzunehmen, nach und nach habe ich mich dann mehr engagiert», erinnert sich Antonela Calle, Sprecherin von YASunidos. «Ich bekam Angst, als sie bei einer Sabatina (der wöchentlichen Ansprache des Präsidenten Correa) meinen Namen nannten, und ich begann mich zu fragen, was ich da tat und welcher Gefahr ich mich aussetzte.»

Heute sind YASunidos zuversichtlich, dass sie das Referendum gewinnen werden. Die Kinder, die Wächter*innen des Yasuní, jene ersten «kindischen Umweltschützer*innen», gehören nun zu den Wähler*innen beim Referendum. Um eine Kampagne durchzuführen, sollen die Kollektive in jeder Stadt und Provinz aktiviert werden, bekräftigt Bermeo: «Wir können 1.600 Personen erreichen, die in Kommissionen organisiert sind».

Am Mittwoch, den 10. Mai 2023, bekräftigte YASunidos, dass sie für das Referendum mobilisieren werden. Für den 3. Juni wurde dazu eine nationale Versammlung der YASunidos in Quito einberufen. Ihr Engagement fand 2013 Widerhall in der Bevölkerung und sie hoffen, dies zu wiederholen. Am Tag als Präsident Correa verkündete, das Öl im Yasuní doch zu fördern, gab Paulina Recalde vom Meinungsforschungsinstitut Perfiles de Opinión bekannt, dass die Unterstützung für die Initiative, das Öl im Boden zu lassen, weiter angestiegen sei. Von 83,7 Prozent im August 2011 auf 92,7 Prozent im Juni 2013. Mit anderen Worten: Die Yasuní-ITT-Initiative war von der Bevölkerung angenommen worden. Die nachfolgenden Regierungen von Lenin Moreno und Guillermo Lasso setzten die Erdölförderung im Yasuní im Allgemeinen und im ITT-Feld im Besonderen fort.

Was kostet es, das Öl im Boden zu lassen?

Was passiert, wenn die Bevölkerung dafür stimmt, das ITT-Öl im Boden zu lassen? Bermeo ist überzeugt: «Sie werden die bestehenden Anlagen abbauen und das betreffende Gebiet wiederherstellen müssen, das heißt, sie müssen den Willen des Volkes respektieren.»

Die  Kosten eines  Abbaus der Förderanlagen, die sich auf etwa eine Milliarde Dollar belaufen könnten, seien minimal im Vergleich zu den Subventionen, die die großen Unternehmen, «auch die großen Tourismusunternehmen», erhalten, so Bermeo. «Es ist ein Leichtes, die Vorverkäufe an die großen Wirtschaftskonzerne rückgängig zu machen und sie dazu zu bringen, die Verluste mit dem Rohöl zu decken, das nicht aus dem ITT stammt.»

«Allein im Jahr 2021 wurden Subventionen in Höhe von 6 Milliarden Dollar gewährt, von denen 80 Prozent an die 270 reichsten Firmengruppen Ecuadors gingen. Wir vergeben also Subventionen an die Eliten, während wir (als Land) Entscheidungen zur Ausbeutung des ITT-Gebiets treffen. Die Ausbeutung von ITT macht nur 1/42 dessen aus, was den Reichen gegeben wurde.»

Bermeo beruft sich auf die ehemalige ecuadorianische Finanzministerin Wilma Salgado: «Im Jahr 2021 gewährte der ecuadorianische Staat Steuererleichterungen in Höhe von 6.338,6 Millionen US-Dollar, das sind 30 Prozent mehr als die geschätzten Gesamteinnahmen aus der Ölförderung von Yasuní-ITT, die sich in den 33 Jahren zwischen 2023 und 2055 auf 4.883,1 Millionen Dollar belaufen.» Und der Ökonom Carlos Larrea betont, dass immer weniger Öl aus dem ITT komme, «es handelt sich um schweres Rohöl, das aufgrund seiner Eigenschaften einen geringeren Wert hat.»

Carlos Larrea berechnete auf Grundlage des Durchschnittspreises seit 2016 und von Gesamtförderkosten von 35 US-Dollar pro Barrel auch den aktuellen Nettowert der verbleibenden Reserven des ITT-Feldes. «Unter diesen Annahmen ergibt sich ein Wert von 912,8 Millionen US-Dollar, was 19 Prozent des von Petroecuador prognostizierten Wertes entspricht. Geht man von einer sinkenden Nachfrage aus, entspricht der errechnete Wert weniger als 1 Prozent des BIP im Jahr 2022 und macht nur ein Drittel der Subventionen für Benzin und Diesel in diesem Jahr aus.»

Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen betont Larrea: «Die Erdölförderung schafft keine Arbeitsplätze. Für jeden Arbeitsplatz im Erdölsektor könnten 25 im Tourismus geschaffen werden. Wir müssen neu über die Zukunft Ecuadors nach der Erdölförderung nachdenken und den Tourismus als eine der Alternativen betrachten, dabei aber das Leben und die Natur schützen. Wir brauchen ein besseres Modell als das der Galapagos-Inseln, wo die Gewinne aus dem Tourismus größtenteils großen Unternehmen zu Gute kommen und nicht den Inselbewohner*innen.»

Was geschieht, wenn die Nein-Stimmen beim Referendum überwiegen?

Wenn das Nein beim Referendum gewinnt, wird die Ausbeutung des Öls im ITT fortgesetzt; auch wenn es dagegen erhebliche technische Einwände gibt, denn es handelt sich um schweres Rohöl mit hoher Konzentration an Formationswasser. Dies bedeutet einen hohen Energieaufwand sowohl für die Förderung des Öls als auch für das Zurückpumpen des Wassers in den Untergrund.

Ecuadors Energieminister Fernando Santos erklärte, dass angesichts der technischen Schwierigkeiten bei der Ölförderung im ITT ein ausländischer Partner gesucht werde, «um die notwendige Technologie für eine weitere Förderung und die zukünftige Ausweitung derselben bereitzustellen, die Petroecuador nicht zur Verfügung steht.»

Eine Niederlage beim Referendum am 20. August 2023 ist für YASunidos keine Option. «Wir haben Teams im ganzen Land und sind in unseren Provinz- und Kantonsparlamenten aktiv. Unsere Haltung ist klar: Wir werden nicht auf die Täuschungen der Regierung hereinfallen. Schon während der Gerichtsverhandlung bat die (scheidende) Regierung von Guillermo Lasso, das Referendum zu verschieben», erklärt Bermeo. «Eines unserer Hauptargumente ist, dass der wirtschaftliche Nutzen des ITT-Blocks nur ein Zehntel dessen beträgt, was sie veranschlagen».

Esperanza Martínez, Gründerin von Acción Ecológica, betont, dass neben den sozialen Netzwerken auch die Mainstream-Medien erreicht werden müssten. «Die Debatte muss über Facebook und Twitter hinausgehen, damit die Menschen verstehen, dass sie über einen praktikablen Vorschlag abstimmen, dass sich die Ölförderung ökonomisch nicht auszahlt und dass wir als Land durch den Stop der Förderung Geld sparen, wenn man die Umweltschäden mit einrechnet».

Unabhängig davon, wie das Referendum ausgeht hat das Yasuní-ITT Referendum allerdings Vorbildcharakter für zukünftige Volksbefragungen. «Das Referendum über den Yasuní-ITT ist ein Präzedenzfall in direkter Demokratie, der von einer Regierung boykottiert wurde, die sich als progressiv und links bezeichnete. Es ist ein Prozess, der die wirkliche Macht, die wirtschaftliche Macht des Großkapitals besiegt hat. Das beweist einmal mehr, dass der einzig verlorene Kampf der ist, der aufgegeben wird», so Antonela Calle, Sprecherin der Gruppe YASunidos (in Anlehnung an einen Ausspruch Che Guevaras, Anm. d. Ü.).

Aus dem Spanischen für Gegensatz Translation Collective von Camilla Elle. Es handelt sich um eine gekürzte und bearbeitete Version des spanischen Originalartikels.


[1] Die Enlaces ciudadanos waren Radio- und Fernsehsendungen, die während der Regierung Correa jeden Samstag ausgestrahlt wurden


[1] Helikopterbetrieb bedeutet, dass die Bau- und Betriebsphase der Ölförderung aus der Luft erfolgt. Auf diese Weise werden keine Straßen gebaut; alle Werkzeuge und Ausrüstungen werden per Hubschrauber transportiert, was die Kosten erhöht.