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Nach der schweren Niederlage hofft die spanische Linke auf die Präsidentschaftskandidatur von Yolanda Díaz und ihre Plattform «Sumar»

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Yolanda Díaz, Kandidatin von Sumar für die spanische Präsidentschaft, spricht auf einer Kundgebung zusammen mit anderen führenden Vertretern der Linken in Madrid, 18. Juni 2023. Foto: IMAGO / ZUMA Wire

In den letzten zehn Jahren stellte Spanien für die Linke eines der interessantesten Länder in Europa dar. Seit die 15-M-Bewegung und die Indignados 2011 begannen, gegen wirtschaftliche Austeritätsmaßnahmen zu demonstrieren, hat die spanische Linke eine Reihe inspirierender Entwicklungen durchlebt: die Gründung von Podemos 2014, ihr Bündnis mit Izquierda Unida (IU) zwei Jahre später als Unidas Podemos (UP) und schließlich ihr Eintritt in eine Koalitionsregierung im Jahr 2019. Die Koalition unter Ministerpräsident Pedro Sánchez von der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) war zwar nicht unumstritten, verabschiedete aber eine Reihe arbeitnehmer*innenfreundlicher Reformen und schien ein Modell für linke Bewegungen und Parteien in ganz Europa zu sein, die ihren Protest in Politik umsetzen wollten.

Marga Ferré ist Mitglied der Izquierda Unida (IU) und Ko-Vorsitzende von Transform! Europe. María del Vigo sprach mit ihr über das linke Wahlbündnis Sumar, das bei der spanischen Parlamentswahl am 23. Juli d.J. mit Yolanda Díaz als Spitzenkandidatin antreten wird.

All das wurde am 28. Mai zunichtegemacht, als die Linke bei den Regionalwahlen in Spanien auf breiter Front schwere Verluste hinnehmen musste und zusammen mit ihrem rechtsextremen Konkurrenten Vox gegen die rechte Partido Popular (PP) verlor. Die Entscheidung von Sánchez, für den 23. Juli vorgezogene Neuwahlen auszurufen, bedeutet nun, dass die Parteien der radikalen Linken, angeführt von der derzeitigen Arbeitsministerin Yolanda Díaz und ihrer neuen Wahlplattform Sumar, vor der Aufgabe stehen, ihre Wahlergebnisse zu verteidigen und gleichzeitig die Wähler*innen davon zu überzeugen, eine radikale Alternative zum Status quo darzustellen.

Nachdem Sumar am 19. Juni ihre Kandidat*innenlisten fertiggestellt hatte, setzte sich María del Vigo vom Madrider-Büro der RLS mit Marga Ferré von Izquierda Unida zusammen, um sie zu dem enttäuschenden Wahlergebnis des letzten Monats, die neue Wahlplattform Sumar und die Aussichten für Díaz' Präsidentschaftskandidatur zu befragen.

Könntest du kurz zusammenfassen, was im letzten Monat bei der transformativen Linken in Spanien passiert ist?

Es war wie ein Sturm, der die Linke inmitten einer ungelösten Debatte erwischt hat. Die Ansetzung der Parlamentswahlen für den 23. Juli hat uns nur ein kurzes Zeitfenster dafür gelassen, eine gemeinsame politische Formation, die es vorher nicht gab, ins Leben zu rufen. Das hat die Linke unvorbereitet getroffen und sie zu einem Maß an Improvisation gezwungen, das ich in meinen 35 Jahren als Aktivistin noch nie erlebt hatte. Wir wurden davon überrascht.

Anlässlich der Präsentation der neuen Formation «Sumar» hast du einen Artikel mit dem Titel «Liebesgrüße (und Zweifel) aus Magariños» (Desde Magariños con amor – y dudas) geschrieben. Dort schreibst du, dies sei ein wichtiger Schritt, denn es gehe nicht darum, wer die Linke führe, sondern wer das Land regiere. Dennoch schielen wir seit den Kommunal- und Regionalwahlen vom 28. Mai dieses Jahres mehr auf Ersteres als auf Letzteres.

Die erste Frage, die es zu klären gilt, lautet: Wie kann es sein, dass die beiden Regierungsparteien PSOE und Unidas Podemos in den Umfragen derzeit schlecht abschneiden, obwohl in Madrid eine fortschrittliche Linkskoalition regiert, die das Land mit den beschlossenen Schutzmaßnahmen gut durch die COVID-Pandemie gebracht hat, mit einem verbesserten Schutz der Arbeitnehmer*innen durch das Ministerium von Yolanda Díaz, mit einem Anstieg der Beschäftigtenzahlen, verbesserten Arbeitsbedingungen und einer Wirtschaft, die sich nicht in einer Rezession befindet – was in der spanischen Wirtschaft der letzten 15 Jahre fast ein Novum ist?

Anders als in Deutschland gibt es in Spanien außerdem keine «Brandmauer» gegen die extreme Rechte. Das Verhältnis zwischen der konservativen Volkspartei Partido Popular (PP) und der rechtsextremen Partei VOX verschwimmen zunehmend, die Grenzen werden immer durchlässiger. Diese Rechte ist politisch bankrott, selbst wenn man sie mit der Rechten von vor einigen Jahren vergleicht. Damals hatte sie zumindest noch eine Vision für das Land, auch wenn diese schrecklich war. Wie kann es sein, dass diese Rechte zulegt?

Die PP wächst dabei nicht aus eigener Kraft. Ihr Aufstieg ist hauptsächlich auf das Verschwinden von Ciudadanos zurückzuführen. Mit ihrem Verschwinden gingen die zwei Millionen Stimmen, die diese Partei erzielt hatte, direkt an die Partido Popular. Dabei muss man verstehen, dass die Kommunal- und Regionalwahlen eine besondere Bedeutung besitzen, weil Spanien im Grundsatz ein föderaler Staat ist. Und bei diesen Wahlen gewann die PP in fast allen autonomen Regionen, allerdings nicht so sehr an Stimmen, sondern mit Blick auf ihre institutionelle Vertretung. Mit anderen Worten: Der konservative und der progressive Block sind in Spanien etwa gleich stark.

Die PSOE verlor nur ein Prozent der Wählerschaft, 400 000 Stimmen. Der Verlierer der Wahlen vom 23. Mai war Unidas Podemos (UP). Die Erklärung, wieso UP nach einer Regierungsbeteiligung mit sehr gut geführten Ministerien, wie dem für Arbeit oder Gleichstellung, 25 Prozent der Wählerschaft verloren gehen, kann meiner Meinung nach nur mit dem schlechten Management der Parteiführung erklärt werden. Eine öffentliche Bloßstellung der Spaltungen in der Linken ist nie hilfreich, weder hier noch irgendwo sonst auf der Welt.

Diese Bloßstellung wird von den rechten Medien bestens ausgeschlachtet, aber das war natürlich zu erwarten. Genau deshalb sollte so etwas immer vermieden werden. Und doch sind diese Auseinandersetzungen eine Konstante, und ich glaube, dass sie der Hauptgrund dafür sind, dass ein Teil der Bevölkerung jene Sichtweise des Kapitalismus übernimmt, die die Linke als übermäßig zersplittert und unfähig zur Einigung darstellt.

Unidas Podemos ist eine Koalition, die sich zur Wahl stellte und schließlich in die spanische Regierung eintrat. Wie jetzt bei Sumar wurde immer wieder über die Möglichkeit diskutiert, dass es mehr als eine parlamentarische Fraktion sein sollte, nämlich ein aktives politisches Subjekt auch jenseits der Mauern des spanischen Abgeordnetenhauses. Doch dies wurde nie erreicht. Und dieses fehlende Fundament innerhalb der Einflusssphäre von Unidas Podemos, die in all den Jahren ausschließlich als Fraktion agiert hat, ist einer der Gründe für das Scheitern dieses Projekts.

Ich glaube nicht, dass Emotionen das beste Terrain für den Kampf der Linken sind. Wenn wir davon sprechen, positive Emotionen zu schüren, könnte man auf die Idee kommen, dass man in der Politik durch Lächeln und Konfrontationsvermeidung vorankommen könne.

Als Pablo Iglesias mitten in dieser Legislaturperiode beschloss, das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten aufzugeben, um Unidas Podemos in Madrid anzuführen, kam es zu einem Richtungswechsel innerhalb der Partei; er ernannte Yolanda Díaz als neue Führungsspitze. Die neue Formation wurde also bereits mit einem enormen Demokratiedefizit geboren – eine Ursünde des Projekts Sumar.

Die Ernennung von Yolanda Díaz wurde nicht in Frage gestellt, denn sie war und ist die beste und angesehenste Arbeitsministerin in der Geschichte Spaniens. Die Arbeitsreformen, die von ihr vorangetrieben wurden, haben das Leben von 16 Millionen Menschen im ganzen Land verbessert und die von vielen Linken vertretene Maxime verwirklicht: dass die Politik einen tatsächlichen und unmittelbaren Einfluss auf das Leben der Menschen haben kann.

Deshalb sucht Yolanda, die selbst kein Podemos-Mitglied ist, nach einem Weg, wie sie gewinnen kann, der im Grundsatz der Vision entspricht, die die Linke seit dem Movimiento 15-M («Bewegung 15. Mai») von 2011 diskutiert: nämlich die Notwendigkeit, dass sich horizontale Cluster zu einer konkurrenzfähigen politischen Gruppe zusammenschließen.

Das Projekt Sumar ist meines Erachtens zu abstrakt und beruht fast ausschließlich auf dem Wunsch, Yolanda Díaz zur Ministerpräsidentin zu machen. Sumar basierte auf Borics Vorgehen in Chile: alle Kräfte – politische Parteien, Unabhängige, Intellektuelle und Kultur – zusammenzubringen, um das Regierungsprojekt von Yolanda Díaz zu unterstützen und die Wahl zu gewinnen. So etwas erschien vor einem Jahr nicht ganz unmöglich. Die Umfragen zeigten, dass Yolanda Díaz die PSOE von links überholen könnte. Daher war es logisch, dass eine Koalitionsregierung von ihr geführt werden würde. Und genau das war die ursprüngliche Idee hinter Sumar.

Aber die Idee war zu abstrakt, ihre Einführung erfolgte spät und dann in einem sehr langsamen Prozess. Yolanda Díaz begann einen Prozess des «Zuhörens», weil ihr Team festgestellt hatte, dass in einem Teil der spanischen Bevölkerung das Gefühl vorherrschte, nicht gehört zu werden. Die Idee war, dass Yolanda durch das ganze Land reisen und sich die Forderungen der sozialen Bewegungen und der Menschen anhören sollte. Aber der Prozess funktionierte nicht und wurde schließlich zu einer Aneinanderreihung von Veranstaltungen, in denen Díaz das Sumar-Projekt Menschen vorstellte, die ohnehin bereits politisiert waren.

Nach diesem Prozess erklärte sie im April dieses Jahres auf einer Veranstaltung in Madrid ihre Kandidatur. Damals ging man davon aus, dass es noch neun Monate bis zur Parlamentswahl seien, die im Dezember stattfinden sollte. Díaz lud alle linken Parteien zu der Veranstaltung ein, Podemos nahm jedoch nicht teil. Hier zeigte sich das eigentliche Problem von Sumar: Sollte Podemos sich nicht unter das Dach von Sumar begeben, war das Projekt zum Scheitern verurteilt. Denn wenn es die ganze Linke vereinen sollte, durfte es keine Bestandteile verlieren. Dennoch brachte Yolanda das Projekt ohne Podemos auf den Weg, in der Erwartung, dass die verbleibenden neun Monate bis zur Wahl genutzt werden könnten, um an der Einbeziehung der Partei weiterzuarbeiten. Aber durch die Vorverlegung der Wahl war dieser Plan Schall und Rauch.

Man muss dabei berücksichtigen, dass Podemos mit dem Eintritt in die Regierung die eigene politische Arbeit vor allem auf das Gleichstellungsministerium konzentrierte, dessen Tätigkeit auf massiven Widerstand seitens der Rechten und der extremen Rechten stieß. Die Führungsspitze von Podemos, insbesondere Pablo Iglesias und Irene Montero, waren heftigen physischen, medialen und verbalen Angriffen von rechts ausgesetzt – gegen ihre Familie, in den sozialen Medien, vor Gericht. Es war wirklich unerträglich. Dadurch gerieten sie in eine sehr defensive Position, was ich durchaus verstehen kann. In diesem Zusammenhang gewann Podemos den Eindruck, dass Sumar ihnen keinen ausreichenden Rückhalt bot – jedenfalls nicht in dem Maße, wie es die führende Rolle von Podemos innerhalb der spanischen Linken verlangte. Das ist ein großer Teil des Streits.

Und ja, wir haben uns in der Tat in der Frage verzettelt, wer bei den Linken das Sagen hat. Das hat – zusammen mit vielen Ressentiments, offenen Wunden und schmerzhaften Wendungen – den Dialog sehr schwierig gemacht, der meiner Meinung nach mit mehr Zeit möglich gewesen wäre und sogar heilsam hätte sein können. Das war aber nicht der Fall.

Wenn wir bedenken, dass Emotionen stärker mobilisieren als Daten, sollte die Linke dann nicht damit anfangen, positive Emotionen zu schüren? Besteht vor diesem Hintergrund die Möglichkeit dazu?

Die zentrale Achse, auf der sich die extreme Rechte bewegt und die die Rechte in ganz Europa durchdringt, sind negative Emotionen, die sich viel schneller verbreiten als positive. Dabei werden die Botschaften, die die extreme Rechte auf die politische Agenda setzen will, vereinfacht dargestellt. Anders ausgedrückt: Debatten über kulturelle Fragen führen, die sich besonders eignen, Emotionen zu schüren. Das sollte nicht so sein, aber es ist so. Die Menschen haben eine emotionale Haltung zur Migration oder zur LGBTQ-Bewegung, aber nicht so sehr zur Arbeitslosigkeit oder zur Verstaatlichung von Unternehmen.

Ich glaube nicht, dass Emotionen das beste Terrain für den Kampf der Linken sind. Wenn wir davon sprechen, positive Emotionen zu schüren, könnte man auf die Idee kommen, dass man in der Politik durch Lächeln und Konfrontationsvermeidung vorankommen könne. Das glaube ich nicht. Meines Erachtens ist Feminismus konfrontativ; ich denke auch, dass es Konfrontationen mit sich bringt, wenn man ein Mitglied der Arbeiterklasse ist; und ich halte es ebenfalls für konfrontativ, antirassistisch zu agieren.

Sumar ist ein politisches Projekt, das aufgrund der Improvisation, von der ich eingangs sprach, faktisch ohne Programm zur Wahl antritt. Und das ist, gelinde gesagt, äußerst ungewöhnlich.

Angesichts der negativen Emotionen, die von der extremen Rechten geschürt werden, liegt unsere Antwort nicht zwingend darin, positive Emotionen zu wecken. Was wir brauchen, ist ein leidenschaftlicher Einsatz für Gerechtigkeit, der nicht unbedingt mit freundlichen Worten oder einem Lächeln erfolgen muss.

Ich halte es indes für hilfreich, die Rhetorik herunterzufahren. Wir müssen die Polarisierung in der Machtausübung vermeiden, die der Kapitalismus fördert und die ihn in eine immer autoritärere Richtung treibt – was auch die extreme Rechte befürwortet. Gleichwohl bin ich der Meinung, dass Ideen entschieden verteidigt werden müssen.

Umfragen scheinen darauf hinzudeuten, dass das Wahlergebnis von Sumar darüber entscheiden wird, ob die extreme Rechte an der Regierung beteiligt wird oder nicht. Ist die Möglichkeit einer Wiederwahl der Regierungskoalition völlig ausgeschlossen?

VOX verliert derzeit an Zustimmung. Es sieht zwar nicht so aus, aber sie sind in den Umfragen in kurzer Zeit von 16 auf 14 Prozent gefallen, und es könnte durchaus sein, dass Sumar mehr Unterstützung erhält als VOX. Die extreme Rechte wächst in Spanien nicht, sie hat nur mehr Wortführer*innen. Es stimmt allerdings, dass es Vox gelungen ist, ihre politische Agenda bei der PP durchzusetzen, vor allem mithilfe ihrer Regionalpräsidentin in der Autonomen Region Madrid.

Sumar ist zwar noch ausbaufähig, besteht aber bereits aus 13 politischen Parteien, darunter Podemos und Izquierda Unida. Es besteht also die Möglichkeit und die Hoffnung, zumindest die Repräsentation im spanischen Parlament zu halten, die Unidas Podemos derzeit hat. Das bedeutet, dass es – sofern die PSOE nicht allzu viele Stimmen verliert – durchaus möglich ist, eine Übernahme der Regierung durch die Rechte und die extreme Rechte zu verhindern.

Das ist der negative Tenor dieser Wahlen. Es geht nicht so sehr darum, eine Vision für das Land zu haben, sondern vielmehr darum, zu verhindern, dass der Faschismus nach Francos Tod wieder an die Macht kommt.

Ich schließe keineswegs aus, dass die Koalitionsregierung bestätigt wird. Ich halte es sogar für durchaus möglich, aber eben auf andere Weise. Die einzige Chance für die Rechte und die extreme Rechte zu regieren ist, wenn sie zusammen die absolute Mehrheit erreichen. Wenn sie das nicht schaffen, werden sie nicht regieren können, selbst wenn sie die meisten Stimmen erhalten sollten, weil keine andere Partei im Parlament das Programm von VOX unterstützen wird. Das ist ihre große Schwäche.

Es ist also durchaus möglich, dass die Rechte in Spanien nicht gewinnt. Das bedeutet aber nicht, dass es seitens des Linksblocks ein von hinreichender Zustimmung getragenes Projekt für das Land gäbe, um die vorhin erwähnte und von Sumar ursprünglich angestrebte Leidenschaft zu wecken. Dies ist nicht der Fall. Ich denke, dass die Koalition derzeit lediglich eines vermag: nämlich jene Menschen zusammenzubringen, die in ihr ein nützliches Instrument sehen, die Übernahme der Regierung durch die Rechte und die extreme Rechte zu verhindern.

Welche Chancen siehst du für Sumar, falls es nicht für eine Regierungsbeteiligung reicht?

Das beste Szenario wäre, dass Sumar auf die eine oder andere Weise in die spanische Regierung eintritt. Die Neugestaltung der spanischen Linken wäre in diesem Fall viel besser zu bewerkstelligen, als wenn die Partei nicht in der Regierung ist. Falls das nicht der Fall ist, wird ihre Bedeutung schrumpfen. Wie sich die Linke in Spanien neu formiert und welchen Weg sie einschlägt, wird vom Ausgang der Wahlen abhängen und davon, ob es eine fortschrittliche Koalitionsregierung, eine PSOE-Alleinregierung oder eine Regierung der Rechten und der extremen Rechten geben wird.

Hat sich die Wählerschaft verändert? Verändert sich alles so schnell, dass die neue Linke bereits veraltet ist?

Absolut. Ich habe dabei zwei Dinge im Blick: Das eine ist der Sieg der Fratelli d'Italia bei 40 Prozent Stimmenthaltung, also Nichtwähler*innen, in Italien, ein Großteil davon im Süden und bei den progressiven Wähler*innen. Auch bei den Wahlen in Spanien im Mai gab es eine hohe Wahlenthaltung, und wahrscheinlich ist ein Teil davon auf die Demobilisierung der linken Wählerschaft zurückzuführen. Ich hoffe nicht, dass dies am 23. Juli wieder passiert. Aber die Möglichkeit besteht nach wie vor.

Unser Ziel ist es, das Land zu gewinnen. Das ist die dringende Aufgabe, vor der wir stehen.

Der andere Aspekt ist, dass wir meines Erachtens nicht in einer Gesellschaft leben, die sich nach rechts bewegt, sondern dass die Botschaften der Rechten und der extremen Rechten derzeit sehr laut vertreten werden. Dennoch gibt es große Teile der Bevölkerung, die ihre Werte nicht teilen. Ob linksdenkende Menschen ihre Hoffnungen in einer politischen Partei verwirklicht sehen, steht auf einem anderen Blatt. Spanien ist kein besonders homophobes oder rassistisches Land. Es ist deshalb bemerkenswert, dass VOX mehr Gewicht auf Antifeminismus, Sicherheit oder nationale Einheit legt, also auf jene Themen, bei denen leider keine ausreichenden Fortschritte erzielt wurden.

Aber die Wählerschaft ist da draußen. Sie sind vielleicht nicht begeistert, aber das heißt nicht, dass sie nicht wiedergewonnen werden können.

Zur Sumar-Koalition gehören, neben IU und Podemos, auch Parteien, die regionalistisch bzw. souveränistisch-separatistisch orientiert sind: Drago, Chunta, Mes, Compromís u.a. Ist es möglich, eine Parlamentsfraktion, in der einige Mitglieder klare territoriale Prioritäten haben, einheitlich und koordiniert zu führen?

Das wird sehr schwierig. Sumar ist ein politisches Projekt, das aufgrund der Improvisation, von der ich eingangs sprach, faktisch ohne Programm zur Wahl antritt. Und das ist, gelinde gesagt, äußerst ungewöhnlich. Ich denke, dass linke politische Projekte nur dann langfristig bestehen können, wenn sie eine solide programmatische Basis haben.

Spanien hat einen sehr ausgeprägten föderalistischen Charakter. Die regionalen Parteien sind in ihren Gebieten sehr beliebt, und es stimmt, dass man von Madrid aus anderen Gebieten nicht vorschreiben kann, was sie tun sollen. Die Leitung dürfte meines Erachtens alles andere als einfach werden – nicht so sehr mit Blick auf die Fraktion, sondern hinsichtlich des politischen Raums im weitesten Sinne. Ich halte das für so kompliziert, dass ich am 24. gleich wieder von vorne anfangen würde.

Wie siehst du die Zusammensetzung der Listen von Sumar, die Neuzugänge und die Abwesenheiten?

Die Aufstellung der Wahllisten bei einer 13-Parteien-Kandidatur in nur zwei Wochen war alles andere als einfach. Wir haben uns weder das Timing noch das Tempo ausgesucht und waren gezwungen, viel zu improvisieren.

Ich denke, dass die Parteien bei der Aufstellung der Listen in gewisser Weise benachteiligt worden sind. Ich finde es zwar in Ordnung, dass Unabhängige auf den Listen stehen, aber ich denke, dass in manchen Fällen Menschen, die sich seit Jahren in anderen Formationen politisch engagiert haben, benachteiligt wurden.

Was die Abwesenheiten betrifft, so würde ich sagen, dass vor allem eine auffällt: die der Ministerin für Gleichstellung, Irene Montero. Ich halte ihre Arbeit in der Regierungskoalition für sehr wichtig, und sie wurde, wie erwähnt, von der Rechten und extremen Rechten heftig angegriffen. Meiner Meinung nach wäre es wichtig gewesen, ihre Arbeit und ihre Rolle zu würdigen. Die Tatsache, dass sie nicht dabei ist, ist in meinen Augen ein Manko.

Es geht aber auch so. Es gibt auch andere Persönlichkeiten von Izquierda Unida und Podemos, die nicht dabei sind; andere wiederum werden dabei sein. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die rückwärtsgewandte Rechte zu stoppen. Unser Ziel ist es, das Land zu gewinnen. Das ist die dringende Aufgabe, vor der wir stehen.