Nachricht | Osteuropa - Queer-Trans Nur den Regenbogen zeigen reicht nicht

Interview mit dem queeren ukrainischen Kollektiv «QueerLab»

Im Vorfeld des Pride Month hat «Commons» mit dem Grassroots-Kollektiv QueerLab aus Lwiw darüber gesprochen, was die ukrainische LGBTIQ+-Community abgesehen von eingetragenen Lebenspartnerschaften und Logos mit Regenbogenfahne im Juni braucht, wie die Arbeit des queeren Kollektivs und ihre Unterstützung der Streitkräfte aussieht und wie Homophobie sie gelegentlich von ihrer Arbeit und ihrem ehrenamtlichen Engagement abhält.
 

Erzählt uns doch bitte von eurer Initiative. Wie ist sie entstanden? In welchem Bereich arbeitet ihr?

QueerLab ist eine Genossenschaft für queere Menschen. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, queeren Personen eine Arbeit zu geben und Spenden für die Armee zu sammeln, um den Beitrag der LGBTIQ+-Community an einem baldigen Sieg zu stärken und sichtbarer zu machen. Wir stechen Piercings oder Tattoos, bieten Beratungen über Instagram an und verkaufen Second-Hand-Waren.

Entstanden ist die Initiative im März 2022, als Lwiw zu Beginn der großflächigen Invasion zu einem wichtigen Zentrum für Aktivist*innen wurde. Wir haben recht schnell als Kollektiv zusammengefunden. Ursprünglich waren wir elf Personen. Mit der Zeit sind die meisten wieder an ihre Wohnorte zurückgekehrt, sodass wir heute zu viert sind.

Wieso habt ihr gerade die Form der Genossenschaft gewählt, um euch zu organisieren?

Das ist die beste Art, Arbeit im Kapitalismus zu organisieren. Als Linke ist es uns wichtig, eine horizontale Alternative zu hierarchischen Strukturen zu bieten und die Organisationsform von Genossenschaften bekannter zu machen.

Wie hat sich eurer Erfahrung nach das Verhältnis zu LGBTIQ+-Personen in der Ukraine seit dem Beginn der russischen Großoffensive verändert? Laut Umfragen gab es in den letzten Jahren eine positive Dynamik. Sind diese Veränderungen für euch persönlich bemerkbar gewesen oder nicht? Gibt es eurer Meinung nach vielleicht regionale Unterschiede?

Ehrlich gesagt ist es schwer, diese Frage auf Grundlage unserer eigenen Erfahrung zu beantworten, da wir alle in unseren eigenen sozialen Blasen leben und uns ausschließlich mit Personen umgeben, die selbst der queeren Community angehören oder ihr gegenüber positiv eingestellt sind. Aber die Tatsache, dass unser Studio nicht offen zugänglich ist und wir Vorkehrungen treffen müssen, um bei unseren Veranstaltungen die Sicherheit aller Teilnehmenden zu gewährleisten, spricht für sich. Außerdem gibt es immer noch besorgniserregende Meldungen. So hat zum Beispiel eine junge Frau viel Hass erfahren, dass sie ihrer Freundin auf einer belebten Straße im Stadtzentrum von Lwiw eine Liebeserklärung gemacht hat. Dann gab es den Vorfall mit dem Sänger Mélovin, der einen Auftritt in einer Comedy-Show hatte, in der es mehr Klischees und homophobe Witze als Humor gab. Es bewegt sich etwas, aber unserer Meinung nach ist es noch ein langer Weg bis zur vollständigen Gleichstellung queerer Menschen.   

Die Einführung eingetragener Lebenspartnerschaft als Recht für LGBTIQ+-Personen ist seit Beginn der Invasion ein heißes Thema. Wie steht ihr zu dieser Gesetzesinitiative und den Debatten darum? Welche Gesetzesänderungen wären eurer Meinung nach sonst notwendig?

Wir sind für die eheliche Gleichberechtigung anstelle von eingetragenen Partnerschaften. Wir denken, dass queere Personen dieselben Rechte haben sollten wie Personen, deren Lebensformen der Heteronormativität entsprechen. Diese Rechte sollten u. a. das Recht auf Adoption der Kinder der Ehepartner*in oder eine Vermögensgemeinschaft einschließen. Die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft könnte die Bemühungen um eheliche Gleichstellung um viele Jahre zurückwerfen.

Aber bei aller Kritik sind wir froh, wenn die eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt wird. Einige aus unserem Kollektiv wollen von diesem Recht gebraucht machen, sobald es möglich wird.

Gleichzeitig macht es auch etwas wütend, wie ein Teil der Regierung zu dem Gesetzesentwurf steht. Wir verurteilen die Erklärung des Verteidigungsministeriums (Das Ministerium der Verteidigung der Ukraine erkennt den Gesetzentwurf nicht an. Anm. der Red.) und die beschämenden Formulare, die an die Kämpfer*innen ausgeteilt wurden. (Anm. der Red.: Die Umfrage «zur Untersuchung der Fragen der sexuellen Orientierung und der Notwendigkeit der Eintragung einer Partnerschaft» unter Militärangehörigen wurde von der Abteilung für moralische und psychologische Unterstützung eines der Kommandos der Streitkräfte der Ukraine durchgeführt. In dem Formular heißt es, dass die Befragten ihren Nachnamen und ihre Einheit nicht angeben müssen.)

Das Ministerium demonstriert damit ein erschreckendes Ausmaß an Unverständnis und Unwillen, sich mit den Lebensrealitäten der queeren Community auseinanderzusetzen. Es ist klar, dass bei weitem nicht alle in den Streitkräften bereit sind, sich zu outen, erst recht, wenn das Ministerium so mit ihnen umgeht.

Außerdem sind wir dagegen, dass in dem Entwurf, der gerade im Justizministerium erarbeitet wird, Personen in eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht als Familien anerkannt werden. Es ist schrecklich, immer wieder mit Homophobie vonseiten der Regierung konfrontiert zu werden, selbst bei einer Kompromisslösung wie diesem vorgelegten Entwurf jetzt.

Sicherlich sind Gesetzesänderungen wichtig im Hinblick auf die Gleichstellung der LGBTIQ+-Community. Aber gibt es auch Probleme, die nicht auf legislativer Ebene gelöst werden können? Wenn ja, was braucht es für ihre Lösung? Was für Probleme seht ihr als Aktivist*innen?

Das größte Problem ist die Weltanschauung der Leute. In der Ukraine hat die Kirche einen recht großen Einfluss. Vertreter*innen der Kirche rufen offen zu Diskriminierung von LGBTIQ+-Personen auf und wollen jegliche legislative Initiative um jeden Preis verhindern. Der ukrainische Kirchenrat mischt in nahezu allen Gremien mit und hat bis heute einen Priester der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats zum Mitglied. Dieses Problem kann nur durch Aufklärungsarbeit und Repräsentation von LGBTIQ+-Menschen in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens gelöst werden. Die einfache Erkenntnis, dass die Sexualität einer Person sie nicht zu einem schlechten Menschen macht, muss endlich im Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden – nicht nur in der Ukraine.

Der Juni wird als Pride Month gefeiert. Dieses Jahr unterstützen viele Unternehmen und Organisationen den Anlass. Das hat sowohl eine gewisse Skepsis unter unabhängigen Aktivist*innen ausgelöst, da solche Vereinnahmung oft als «Pinkwashing» kritisiert wird, als auch einen Aufruhr unter den konservativen Kräften. Was denkt ihr darüber?

Genau wie die Frage der eingetragenen Lebenspartnerschaften gibt es auch hier keine eindeutige Antwort. Einerseits wird dadurch zweifellos «Pinkwashing» betrieben. So unterstützt der Großteil der Unternehmen den Pride Month lediglich, indem sie eine Regenbogenfahne auf ihr Logo setzen, anstatt beispielsweise an LGBTIQ+-Organisationen zu spenden. Außerdem kommt diese «Unterstützung» erst, nachdem ukrainische Aktivist*innen bereits den Weg geebnet und alles dafür getan haben, um das Ausmaß der Homophobie zu senken. Es wäre eher bahnbrechend gewesen, wenn die Unternehmen bereits 2014 den Pride unterstützt hätten.

Andererseits geht es den Homophoben so richtig auf ihre sensiblen Säcke, und es macht großen Spaß, das zu beobachten. Und für viele aus der queeren Community ist jede noch so mickrige Unterstützung ein Zeichen von Akzeptanz und Respekt, was auch schon eine Menge ausmacht. Aber wir würden uns mehr von der Gesellschaft wünschen als Firmenlogos und Designs von Organisationen mit einer Regenbogenfahne.

Das Interview ist erschienen in der Zeitschrift «Commons» einem linken ukrainischen Medium für Wirtschaft, Politik, Geschichte und Kultur.