Nachricht | Antisemitismus (Bibliographie) - Nahost und Antisemitismus in der BRD - Antisemitismus und Nahost global Reden über ein missverstandenes Land

Zwei neue Bücher über Israel

Zwei Bücher über Israel, die trotz unterschiedlicher Herangehensweisen doch einiges gemeinsam haben. Ihre Autor*innen sind zur gleichen Zeit, Mitte der 1970er Jahre, in Israel geboren und aufgewachsen. Die eine verfolgte ihre Schauspielerinnen-Karriere in den USA, der andere kam zum Studium nach Deutschland. Beide wurden von der Heftigkeit der Debatten über ihr Herkunftsland im Ausland überrascht. Diese Irritation ist sowohl für Noa Tishbyals auch für Meron MendelAnlass des Schreibens.

In Israel. Der Faktencheck über das am meisten missverstandene Land (Leseprobe als PDF) gibt Noa Tishby einen leicht zugänglichen Überblick über die zentralen historischen Ereignisse. Vor welchem Hintergrund entstand die zionistische Bewegung? Wie erging es den ersten Siedler*innen? Tishby erzählt von den großen Entwicklungen oftmals anhand der eigenen Familienbiografie: So war ihre damals 15-jährige Großmutter ein begeistertes Mitglied der jüdisch-russischen Pionierbewegung. Später flüchtete sie mit ihrer Familie vor den Bolschewiki nach Israel und schloss sich dort einem der ersten Kibbuzim an. Auch bei aktuellen Konfliktthemen wie dem Siedlungsbau, den sie als «Balagan» – Riesenschlamassel – bezeichnet, oder der Militärverwaltung des Westjordanlandes kann die Autorin eigene Erfahrungen aus der Zeit ihres Wehrdienstes einbringen.

Der zweite Teil ist den großen Stereotypen in der US-amerikanischen Debatte gewidmet – nicht nur mit dem Versuch, Mythen aufzuklären, sondern auch, um die progressiven Seiten der israelischen Gesellschaft zu skizzieren. Tishby legt dar, warum es unangebracht ist, Begriffe wie Apartheid oder Kolonialismus auf Israel anzuwenden und fragt sich, warum die Vereinten Nationen in den letzten Jahrzehnten gegen kein anderes Land, gegen keine Diktatur auf der Welt so viele Resolutionen erlassen haben wie gegen Israel – dem einzigen Land im Nahen Osten, in dem etwa Menschen der LGBTIQ* Szene mit allen Rechten ausgestattet sind und frei leben können.

Mit Aussagen wie «Antizionismus ist die politisch korrekte Form des Antisemitismus» hat sich Tishby in der stark polarisierten US-Debatte nicht nur beliebt gemacht. Andere aus dem linken Umfeld kündigten ihr die Freundschaft auf, wie Tishby in einer US-Talkshow erzählte.

Dass der Nahostkonflikt derart heftige Emotionen auslöst, ist auch aus der deutschen Debatte bekannt. «Um kein Thema kämpft die deutsche Linke so erbittert wie um das Verhältnis zu Israel, kein Thema hat mehr Bedeutung für die Definition der Wir-Identität», schreibt Meron Mendel in Über Israel reden. Eine deutsche Debatte. Seine Leitfrage ist, welche Funktion das Verhältnis zu Israel für Politik und Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland erfüllt.

Das erste Kapitel widmet sich den Wandlungen der offiziellen deutschen ‚Staatsräson’, die keineswegs immer israelfreundlich war. So hat es ganze 15 Jahre gedauert, bis die BRD unter Adenauer überhaupt diplomatische Beziehungen zu Israel aufnahm. Das Verhältnis der DDR zu Israel oder die dortigen Debatten um Antisemitismus tauchen im Buch leider nur am Rande auf.

Weitere Kapitel beschäftigen sich mit der BDS-Bewegung, der deutschen Linken und dem Entstehen von antideutschen wie antiimperialistischen Strömungen, deren extreme Pole von Mendel gleichermaßen kritisiert werden. Den Abschluss bildet der neue Historiker*innenstreit um die deutsche Erinnerungskultur, dem Mendel eine Entlastungsfunktion von Täterschaft attestiert. Auch medial breit rezipierte ‚Skandale‘ der letzten Jahre wie die Diskussionen um den postkolonialen Historiker Achille Mbembe oder die documenta 15 tauchen auf und auch ein Freiburger Antirassismus-Festival wird in einem eigenen Unterkapitel behandelt. Spannend ist dabei, dass der Autor und engagierte Aktivist in manchen Fällen direkt an den Ereignissen beteiligt war und aus erster Hand erzählt.

Mendel lässt immer wieder biografische Erfahrungen einfließen. Auch er hat seinen Wehrdienst in Israel absolviert und kam darüber in direkten Kontakt mit Menschen in den palästinensischen Gebieten. Natürlich kritisieren beide Autor*innen die unsäglichen Bedingungen im Westjordanland oder Gaza-Streifen und hoffen auf Veränderung. Aber ihr Resümee fällt unterschiedlich aus.

Noa Tishby fordert die Linke dazu auf, sich bei der Frage nach Gründen für den anhaltenden Konflikt von einseitigen Schuldzuweisungen und antisemitischen Narrativen zu verabschieden. Wem die Parole «Free Palastine» etwas bedeute, der sollte sich stattdessen ernsthaft mit dem Terror der Hamas auseinandersetzen. Meron Mendel hingegen fragt, wie demokratische Kräfte auf israelischer wie palästinensischer Seite von Deutschland aus unterstützt werden könnten, was für ihn unter anderem eine klare Absage an jeden Rechtsextremismus und damit auch Kritik an Israels rechter Regierung beinhaltet.

Katrin Dietrich

Noa Tishby: Israel. Der Faktencheck über das am meisten missverstandene Land der Welt. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh & München 2022. 400 Seiten, 22 Euro.

Meron Mendel: Über Israel reden. Eine deutsche Debatte. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023. 224 Seiten, 22 Euro.

Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift iz3w, Nummer 397. Wir danken für die Erlaubnis zur Online-Publikation.