Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Globalisierung - Ostafrika Kenias problematischer Alleingang

Wirtschaftsabkommen mit der EU bedroht die ostafrikanische Integration

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Edgar Odari,

Nach einer Reihe gescheiterter Versuche, die anderen Mitgliedstaaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft (East African Community – EAC) von einem gemeinsamen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreement – EPA) mit der Europäischen Union (EU) zu überzeugen, schloss die kenianische Regierung am 19. Juni 2023 ein separates EPA mit der EU. Das Land hatte bereits zwei Jahre zuvor bei einem Gipfeltreffen der EAC eine Ausnahmegenehmigung beantragt, um die Implementierung des Abkommens zwischen der EU und der EAC im Alleingang voranzutreiben. Dieser Vorstoß wurde seinerzeit mit dem Auslaufen der europäischen Marktzugangsverordnung begründet, die Kenias Exportwirtschaft bis zum Beitritt der anderen Mitgliedstaaten zu einem gemeinsamen Abkommen einen Zugang zu den europäischen Märkten sichern sollte.

Edgar Odari ist Geschäftsführer von Econews Africa in Nairobi / Kenia.

Mit der Entscheidung für ein eigenes EPA scheint Kenia letztlich zentrale strategische Interessen der EAC für das eigene Interesse geopfert zu haben, ein beschränktes Sortiment an Waren wie Obst, Gemüse und Blumen zu exportieren. Unter den Tisch fällt dabei, dass der Schritt zu einem eigenen Abkommen geltende rechtliche Bestimmungen der EAC verletzt. Denn Fakt ist, dass die auf dem Gipfeltreffen der EAC am 27. Februar 2021 erteilte Ausnahmegenehmigung sich ausschließlich auf die Implementierung des seinerzeit verhandelten Abkommens bezog. Absatz 9 der Abschlusserklärung hielt ausdrücklich fest, dass zwar nicht alle Mitgliedstaaten für ein entsprechendes Abkommen bereit seien, die Wichtigkeit diesbezüglicher Fortschritte für manche Mitgliedstaaten aber anerkannt werde.

Der Gipfel schloss mit der Erklärung, dass es «Mitgliedstaaten im Sinne des Prinzips der flexiblen Integration bei Einführung des EPAs zwischen der EU und der EAC erlaubt sein soll, Beziehungen mit der EU aufzunehmen, wenn sie sich zu diesem Schritt entscheiden.» Hier wird deutlich, dass sich die Ausnahmeregelung auf den laufenden Verhandlungsprozess bezog – nicht auf die Eröffnung neuer Verhandlungen. Kenias Entscheidung, unter Berufung auf Artikel 3 des Abkommens, die sogenannte Überprüfungsklausel («rendezvous clause»), neue Verhandlungen zu beginnen, verstößt gegen Artikel 37.d des EAC-Protokolls über die Zollunion sowie gegen das EAC-Protokoll über den gemeinsamen Binnenmarkt.

Ausgebremste Entwicklung

Fernab juristischer Spitzfindigkeiten hat Kenias Entscheidung weitreichende Konsequenzen für die ganze Region. Seit der Ratifizierung des Protokolls über die Zollunion im Jahr 2005 hat die EAC ehrgeizig auf die Marktintegration hingearbeitet. Gegenwärtig setzt die EAC das Protokoll über den gemeinsamen Binnenmarkt um und sondiert eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit. Doch das kenianische EPA mit der EU bringt den Traum einer stärkeren Integration der Region zum Platzen.

Die größte Herausforderung besteht vielleicht in der Frage, wie mit europäischen Waren verfahren werden soll, sobald sie sich erst einmal auf dem kenianischen Markt befinden. Wenn Ostafrika wirklich ein Binnenmarkt sein soll, dann müssen Einfuhren in ein Land als Einfuhren in die ganze Region behandelt werden, so dass ein über Kenia importiertes EU-Produkt bis nach Burundi gehandelt werden kann. Da Burundi jedoch das EPA mit der EU nicht unterzeichnet hat, stellt der freie Warenverkehr das Land vor zahlreiche Probleme bei der Marktregulierung.

Das zweite große Thema sind die Auswirkungen, die das zwischen dem EPA und dem gemeinsamen ostafrikanischen Außenzolltarif (Common External Tariff - CET) entstandene Zollgefälle auf die Industrialisierung der Region haben wird. Aus unerfindlichen Gründen fallen die Zölle auf einige Schlüsselgüter gemäß dem EPA niedriger aus als nach dem CET. Das bedeutet, dass europäische Produkte viel günstiger über Kenia zu beziehen sein werden als lokale Industrieerzeugnisse. Den derzeit noch durch den CET geschützten lokalen Industriezweigen wird dadurch der Todesstoß versetzt.

Zusätzlich verschärft wird die Situation durch eine sogenannte Stillhalteklausel, die es Kenia und den anderen Staaten der Region dauerhaft untersagt, die Zölle auf für den Freihandel vorgesehene Güter anzuheben, was auch die 25-jährige Übergangsphase betrifft. Die durch die Stillhalteklausel auferlegten Einschränkungen gehen über die Anforderungen der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation – WTO) hinaus, beschneiden den politischen Gestaltungsspielraum und stellen möglicherweise ein Hindernis für die weitere Entwicklung der Region dar.

Schutzmaßnahmen und politische Einschränkungen

Doch damit nicht genug. Eine weitere von dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ausgehende Gefahr hängt mit den Schutzmaßnahmen zusammen. Die EU beruft sich regelmäßig auf die leicht aktivierbare Spezielle Schutzklausel (Special Safeguard Provision - SSG) aus dem Landwirtschaftsabkommen der WTO, die auch in dem nun unterzeichneten EPA erwähnt wird. Die EU hat zwar signalisiert, in den ersten fünf Jahren davon absehen zu wollen, multilaterale Schutzmaßnahmen wie die SSG gegen Einfuhren aus der EAC anzuwenden, behält sich jedoch vor, zu einem späteren Zeitpunkt von solchen Maßnahmen Gebrauch zu machen.

Kenia und die anderen EAC-Mitgliedstaaten in der WTO können nach dem EPA die Spezielle Schutzklausel nicht anwenden. Die Region verfügt somit über keinen wirksamen Mechanismus gegen Importschwemmen aus der EU. In der 25-jährigen Liberalisierungsphase wird Ostafrika dem Druck europäischer Agrarimporte ausgeliefert sein, was die bereits heute prekäre Ernährungssicherheit weiter beeinträchtigen wird.

Den meisten «Entwicklungsländern» fiel es in der Vergangenheit schwer, reguläre, von der WTO garantierte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, da sie aufgrund ihrer lückenhaften und veralteten Daten nicht mit vollständigen und präzisen Angaben dienen konnten. Die im Abkommen enthaltenen Verfahrensvorschriften verpflichten Kenia und die anderen Mitgliedstaaten der EAC zur Bereitstellung «aller zweckdienlichen Informationen für eine gründliche Prüfung der Situation, um eine für die betroffenen Vertragsparteien annehmbare Lösung» durch einen Ausschuss hoher Beamt*innen zu ermöglichen, was die Kapazitäten der Region übersteigt und daher nicht hätte vereinbart werden sollen.

Die Abschaffung der Ausfuhrsteuern auf Rohstoffe schadet den Industrialisierungsaussichten der Region am meisten. In der WTO vertretene «Entwicklungsländer», darunter viele afrikanische Staaten, haben sich stets gegen alle Vorschläge gewandt, die den Verzicht auf Ausfuhrsteuern verbindlich machen sollten. Diese galten als nützliches Instrument der Entwicklung, welches auch die entwickelten Staaten für ihre Industrialisierung genutzt haben. Die Geschichte hat gezeigt, dass solche Steuern Anreize für lokale Anbieter*innen schaffen, in die Weiterverarbeitung einzusteigen und ihre Wirtschaft zu diversifizieren. Das EPA verbietet die Einführung neuer Ausfuhrsteuern, begrenzt dadurch den politischen Gestaltungsspielraum und liegt somit quer zu dem auf der Ebene der WTO sorgsam gewahrten Grad an Flexibilität. Auf diese Weise wird das Abkommen zu einem Instrument, dass die Industrialisierung Kenias und der gesamten EAC unterminiert.

Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück

Die negativen Auswirkungen des EPA auf die regionale Integration können schwerlich überschätzt werden. Durch die Öffnung ostafrikanischer Märkte für Einfuhren aus der EU werden regionale Produkte ins Hintertreffen geraten. Handelsstatistiken zeigen, dass beträchtliche Teile der industriellen Exporte aus der EAC in andere Länder der Region und des restlichen afrikanischen Kontinents gehen. Das wird sich mit der bevorstehenden Liberalisierung des ostafrikanischen Marktes ändern.

Die Chancen, die der Zugang zu einem größeren Binnenmarkt bietet und die sich gerade angesichts der Herausbildung einer Afrikanischen Freihandelszone (Africa Continental Free Trade Area - AfCFTA) abzeichnen, werden ostafrikanischen Produzent*innen entgehen, die nun in ihren eigenen regionalen Märkten mit EU-Importen konkurrieren müssen. Studien haben gezeigt, dass die Länder der Ostafrikanischen Gemeinschaft wahrscheinlich enorm von der vollumfänglichen Verwirklichung der AfCFTA profitieren würden, doch es ist klar, dass diese Chance mit der Umsetzung des nun geschlossenen Abkommens gemindert wird.

Die anderen Mitgliedsstaaten der EAC befinden sich in einer schwierigen Lage, da das EPA zwischen Kenia und der EU mitsamt seinen darin festgeschriebenen Pflichten einen «Standard» etabliert hat, an dem sie sich orientieren müssen, wenn sie ihrerseits ein Abkommen mit der EU aushandeln wollen (sei es aus freier Entscheidung oder unter dem Druck der Verhältnisse). Sicher ist, dass die EAC ihre Ziele bezüglich der regionalen Integration aufgrund des kenianischen Abkommens verfehlen wird.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass Kenia als der Staat in die Geschichte eingehen sollte, der die regionale Integration Ostafrikas unterhöhlt hat, um eine Handvoll Erzeugnisse in die EU exportieren zu können – er ist den sprichwörtlichen Schritt nach vorne gegangen, um dann zwei Schritte zurückzugehen. Ist es das wert?
 

Übersetzung von Maximilian Hauer & André Hansen für Gegensatz Translation Collective