Nachricht | Globalisierung - Krieg / Frieden - Westeuropa - Westafrika Frankreich und das nigrische Uran

Ein Hintergrundtext zu Frankreichs andauerndem Neokolonialismus in Niger – anlässlich des aktuellen Militärputsches

Ansammlung von Fässern auf einem Fabrikhof mit einem Bergwerksarbeiter.
Uranbergwerk Arlit (Niger). Mit Yellow Cake (Urankonzentrat) gefüllte Fässer, die nach Frankreich geschickt werden sollen. Foto: Ferrandox/Andia.frx

Seit fast fünfzig Jahren wird der französische Atompark durch den Mythos gerechtfertigt, Frankreich sei bei der Stromerzeugung «energieunabhängig». Er blendet jedoch aus, dass ein Teil des für Atomstrom verbrauchten Urans aus Niger kommt und welche Verantwortung Frankreich für den Abbau dort trägt.

Historisch gesehen basiert die Ausbeutung des afrikanischen Urans durch Frankreich auf zwei großen Schweigepflichten: derjenigen der Nuklearindustrie (erst militärisch, dann zivil) und der des französischen Neokolonialismus, der «Françafrique», wobei deren Akteure zum Teil dieselben waren. Mit der Gründung des Atomenergiekommissariats (Commissariat à l'énergie atomique, CEA) 1945 suchte Frankreich sowohl auf eigenem Boden als auch in seinen Kolonien nach Uran. Nach einigen enttäuschten Hoffnungen in Madagaskar wurde 1956 in Mounana, Gabun, das erste wirkliche Vorkommen in Afrika entdeckt. Weitere Vorkommen in Niger folgten.

Die Unabhängigkeit der französischen Kolonien in Afrika in den 1960er Jahren wurde nur im Austausch gegen Abkommen gewährt, die Frankreich die Kontrolle über Öl und Uran überließen. Und auch erst, nachdem die eigentlichen Führer der Unabhängigkeitsbewegung physisch oder politisch eliminiert worden waren. So wurde in Gabun Omar Bongo, der aus dem französischen Geheimdienst hervorgegangen war, schnell an die Macht gebracht. Als enger Vertrauter von Jacques Foccart, dem Schattenmann des französischen Präsidenten Charles de Gaulle für afrikanische Angelegenheiten, machte er sein Land zum Herzstück der Françafrique. Im Niger übernahm Hamani Diori, ein überzeugter Frankophiler, die Zügel der Macht. Beide Länder errichteten ein autoritäres Einparteienregime, «betreut» von französischen Beratern. Als 1968 und 1970 die Uranunternehmen Société des mines de l'Aïr (Somaïr) und Cominak gegründet wurden, erhielt der Staat Niger nur 20 Prozent der Anteile und musste den Firmen große Steuererleichterungen zugestehen. Von da an hörte Frankreich nie auf, sich in das politische Leben des Landes einzumischen, um seine Kontrolle aufrechtzuerhalten.

Ermutigt durch den Anstieg der Rohstoffpreise und den Ölschock Anfang der 1970er Jahre, forderte Diori eine Neubewertung des Uranpreises. Kurz darauf wurde er durch einen Militärputsch gestürzt, wahrscheinlich unter Beteiligung der Foccart-Netzwerke. Der neue Diktator, Seyni Kountché, zeigte bis zu seinem Tod 1987 mehr Respekt vor den französischen Wirtschaftsinteressen. Die französische Diplomatie unterstützte 1996 einen weiteren Militärputsch. Mit dem 1999 gewählten Präsidenten Mamadou Tandja blieben die Beziehungen schließlich lange Zeit gut, bis dieser 2006 versuchte, sich mit dem französischen Uran-Konzern Areva (heute Orano) um eine Erhöhung der Royalties zu streiten. Dazu kam, dass er das Monopol von Areva brach und chinesischen Unternehmen Genehmigungen zum Uranabbau gab. Frankreich knickte schließlich ein, nachdem es versucht hatte, eine Rebellion der Tuareg, eines Nomadenvolks in Westafrika, zu instrumentalisieren. Der Uranpreis wurde verdoppelt und Areva erhielt mit Mühe und Not ein neues Vorkommen: Imouraren. Tandja, der sich verfassungswidrig an der Macht gehalten hatte, wurde daraufhin von Paris fallen gelassen und durch einen weiteren Staatsstreich gestürzt. 2011 wurde Mahamadou Issoufou gewählt. Trotz einiger Spannungen um Uran, blieb er ein treuer Verbündeter Frankreichs, insbesondere als Frankreich ab 2013 seinen «Krieg gegen den Terrorismus» in der Sahelzone begann. Einer der Gründe für die militärische Präsenz Frankreichs in der Region war der Schutz der nigrischen Uranminen von Areva, in denen es zu Geiselnahmen kam.

Nach 50 Jahren des Uranabbaus in Niger ist die Bilanz wenig erbaulich. Niger erhielt nur etwa 12 Prozent vom Wert des geförderten Urans und rangiert immer auf den drei letzten Plätzen der ärmsten Länder der Welt. Das nigrische Uran hat jedoch ein Drittel zur Stromerzeugung Frankreichs beigetragen und damit eine nicht zu unterschätzende Rolle in der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung des Landes gespielt. Und obwohl das Unternehmen Areva auch Minen in anderen Ländern besitzt, ist Frankreich für sein Militärprogramm nach wie vor zu 100 Prozent von Uran aus Niger abhängig. Der französische Staatskonzern Areva war lange Zeit das weltweit größte Unternehmen im Bereich der zivilen Kernenergie. Ohne staatliche Hilfe wäre er wegen des Fiaskos beim Bau von Europäischen Druckwasserreaktoren (EPR) bankrott gegangen. Auch die Uramin-Affäre trug dazu bei, benannt nach der Firma, an die Areva 2007 einen astronomischen Preis für wertlose Vorkommen in der Zentralafrikanischen Republik, Namibia und Südafrika zahlte. Nach diesem finanziellen Desaster wurde der Konzern in Orano umbenannt.

Auch wenn die Namensänderung sicherlich dazu dient, die Skandale zu kaschieren, erinnern sich die Nigrer*innen noch lange an die Präsenz von Areva, denn der Konzern hat in den Produktionsgebieten eine wahre Umwelt- und Gesundheitskatastrophe verursacht: allgegenwärtige radioaktive und chemische Verschmutzung, radioaktive Abfälle, die in den örtlichen Bauwerken recycelt werden, Verseuchung von Luft, Boden und Wasser durch Radon, Grundwassermangel usw. Zwar wurden im Jahr 2011 «Gesundheitliche Beobachtungsstellen» eingerichtet. Dennoch werden in Niger wie in Gabun die zahlreichen durch Radioaktivität verursachten Erkrankungen der Bergleute und der Bevölkerung weiterhin verschwiegen und die Opfer nicht entschädigt. Daran haben auch mehrere Gerichtsverfahren in Frankreich und seit 2020 auch vor der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) bislang nichts geändert.

Schließlich zeichnet sich ein sozialer Schiffbruch ab: Die Cominak wurde im März 2021 geschlossen, wodurch 600 Arbeitnehmer*innen und mehr Subunternehmer*innen auf der Strecke bleiben. Die Somaïr wird folgen, sobald die Uranvorkommen erschöpft sind. Was wird aus den 150.000 Einwohner*innen der Stadt Arlit, die inmitten der Wüste vollständig vom Uranabbau abhängig ist? Darüber hinaus ist zu befürchten, dass sich das Szenario der Schließung der Mounana-Mine in Gabun im Jahr 1999 wiederholt: Arbeitnehmer*innen und Einwohner*innen wurden völlig im Stich gelassen, von Areva blieben nur die Radioaktivität und ihre Gefahren übrig: Es gab keine ernsthafte Sanierung des Geländes. Orano ist immer noch ein Unternehmen in staatlichem Besitz, und der französische Staat trägt die Verantwortung.

Der Text ist ein übersetztes Kapitel aus dem französischen Uranatlas: «Atlas de l’Uranium. Faits et données relatifs à la matière première de l’ère atomique» (2022)

Weiterführende Informationen (auf Französisch): 
Raphaël Granvaud: Areva en Afrique: une face cachée du nucléare français, Agone, Paris, 2012.