Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Partizipation / Bürgerrechte - Westafrika Die Unzufriedenheit wächst

Die politische Lage im Senegal vor den Präsidentschaftswahlen 2024

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Am 31. Juli 2023 kam es nach der Verhaftung von Oppositionsführer Sonko auf den Straßen von Dakar erneut zu gewaltätigen Protesten. Foto: Stefan Kleinowitz / ZUMA Wire

Die politische Lage in Senegal ist aktuell durch die Vorbereitungen der Präsidentschaftswahlen 2024 stark angespannt. Dabei zeigen sich die Grenzen der von Präsident Macky Sall geschaffenen hegemonialen Struktur. Lange blieb offen, ob er sich ein drittes Mal zur Wahl stellen würde. Nachdem er dies Anfang Juli verneinte, ist der Vorwahlkampf vor allem durch Maßnahmen gegen den Oppositionellen Ousmane Sonko geprägt.

Eine dritte Amtszeit von Präsident Macky Sall?

Maurice Soudieck Dione ist Professor für Politwissenschaften an der Gaston-Berger-Universität in Saint-Louis, Senegal.

Bis vor kurzem schien es, dass Präsident Sall eine dritte Amtszeit anstrebte, obwohl er sich bei der Wahl 2012 gegen Abdoulaye Wade durchsetzte, der sich verfassungswidrig zum dritten Mal zur Wahl stellte und damit eine große soziopolitische Krise auslöste. Während seiner zweiten Amtszeit seit 2019 machte Präsident Sall zunehmend zweideutige Bemerkungen, ob er 2024 noch einmal antreten würde. Der Scheinargumentation der Machthaber*innen zufolge ist es Macky Salls erste fünfjährige Amtsperiode. Während seiner ersten Präsidentschaft fand eine Verfassungsreform statt, die Amtszeit für Präsident*innen wurde von sieben auf fünf Jahre verkürzt. Entsprechend sei die siebenjährige Amtsperiode ab 2012 nicht mitzuzählen. Das Argument ist aber hinfällig; eine dritte Amtszeit wird in der Verfassung von 2001 ausdrücklich untersagt.

Mit Macky Salls ambivalenten Äußerungen drohte die Wiederholung der schweren Krise von 2012. Schließlich gab Sall dem Druck der Bevölkerung und von internationaler Seite nach und gab sein Vorhaben auf. In seiner Rede an die Nation vom 3. Juli 2023 erklärte er: «(...) meine lang und gründlich überlegte Entscheidung ist es, bei der nächsten Wahl am 25. Februar 2024 nicht als Kandidat anzutreten.» Damit war die brennende Frage, die den Frieden und die Stabilität des Landes in Frage gestellt hatte, geklärt.

Die Opposition ausschalten: Khalifa Sall und Karim Wade

Doch eine weitere Ursache für die Spannungen ist die Haltung von Präsident Sall gegenüber der Opposition: «Wir werden die Opposition auf ihre kleinstmögliche Erscheinungsform reduzieren», erklärte er 2015 auf einer Pressekonferenz. Er warnte zudem: «Man soll keine schlafenden Hunde wecken.» Das mutet merkwürdig an, wurde er doch 2012 von allen Kräften der Opposition unterstützt, insbesondere von der Sozialistischen Partei (PS), die von 1960 bis 2000 unter dem Vorsitz von Ousmane Tanor Dieng Regierungspartei war. Auch die Allianz der Kräfte des Fortschritts (AFP), hervorgegangen aus der PS mit Schwergewicht Moustapha Niasse an ihrer Spitze, stand hinter Sall.

Nach seiner Wahl sicherte sich Präsident Sall die Treue seiner Verbündeten, indem er ihnen zu Ämtern in Ministerien, Generaldirektionen und Behörden oder auch im Vorsitz von Verwaltungsräten verhalf. So wurde Niasse für zwei Amtszeiten in Folge zum Parlamentspräsident gewählt und anschließend zum Sonderbeauftragten des Staatschefs ernannt. Dieng war als Vorsitzender der PS zunächst ein enger Mitarbeiter von Präsident Sall und wurde später als Vorsitzender des Hohen Rates der Gebietskörperschaften eingesetzt. Niasse und Dieng hatten die Aufgabe, in ihren jeweiligen Parteien jegliche Konkurrenz zu Präsident Sall zu unterdrücken.

Wo das nicht gelang, sollten Gerichtsverfahren Salls Konkurrenten ausschalten. Das traf zum Beispiel Dakars Bürgermeister Khalifa Sall von der PS, der 2017 u.a. wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder und Urkundenfälschung zu fünf Jahren Haftstrafe und einer Geldstrafe von 5 Millionen Francs CFA verurteilt wurde. Ziel war es zu diesem Zeitpunkt, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 zu verhindern. Der Gerichtshof der Westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS rügte im Juni 2018 den Staat Senegal wegen zahlreicher Verletzungen der Rechte des Verurteilten Khalifa Sall.

Vor Khalifa Sall hatte es schon das politisch motivierte Verfahren gegen den ehemaligen Minister Karim Wade gegeben, der während der Amtszeit seines Vaters Abdoulaye Wade besonders einflussreich war. Er wurde von einem Sondergericht zur Bekämpfung unrechtmäßiger Bereicherung, das 2012 nach 30 Jahren Dornröschenschlaf zum ersten Mal wieder einberufen wurde, zu sechs Jahren Haftstrafe und 138 Milliarden Francs CFA Geldstrafe verurteilt. Dieses Gericht ist aus verschiedenen Gründen, darunter die Beweislastumkehr, äußerst problematisch. Deshalb hat die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen die Verhaftung von Karim Wade in seinem Gutachten von 2015 für willkürlich erklärt und die Regierung Senegals aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zur Beendigung dieser Situation einzuleiten und sich an die Menschenrechte zu halten.

Kaum Opposition bei der Präsidentschaftswahl 2019

Zusätzlich zur Ausschaltung der zwei Oppositionellen ordnete Präsident Sall die Praxis der Unterstützungsunterschriften an, um seine Wiederwahl 2019 zu begünstigen. Das bedeutet, dass 0,8 bis 1 Prozent der angemeldeten Wähler*innen für eine*n Kandidat*in unterschreiben müssen, damit diese*r sich aufstellen darf. Im Rahmen dieses intransparenten Verfahrens wurden 22 Bewerber*innen aus dem Wahlkampf ausgeschlossen. Der Gerichtshof der ECOWAS erklärte im April 2021 die Praxis der Unterstützungsunterschriften für illegal, weil sie gegen das Prinzip der freien Wahlbeteiligung verstößt. Das Gericht räumte Senegal eine Frist von sechs Monaten ab dem Zustellungsdatum ein, um der Entscheidung Folge zu leisten; die Regierung Senegals lässt sich damit aber Zeit.

Von den fünf für die Präsidentschaftswahlen 2019 zugelassenen Kandidaten spielen die folgenden drei keine Rolle mehr: Idrissa Seck wechselte 2020 in das Lager von Präsident Sall; Madické Niang verließ auf Empfehlung seines religiösen Beraters die Politik; Issa Sall zog sich auf einen Posten als beratender Minister zurück. Macky Sall wurde Präsident und so bleibt nur noch Ousmane Sonko in der Opposition. Der Steuer- und Liegenschaftsprüfer hatte die Gewerkschaft für Finanz- und Liegenschaftsbeamte gegründet und geleitet, bevor er 2014 seine eigene Partei ins Leben rief, die Afrikanischen Patrioten Senegals für die Arbeit, die Ethik und die Brüderlichkeit (PASTEF). 2016 wurde er wegen Verstoß gegen das Berufsgeheimnis aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Er nahm an den Parlamentswahlen 2017 teil und bekam den einzigen Sitz, den das von ihm geleitete Wahlbündnis erlangte. Bei den Präsidentschaftswahlen 2019 kam er mit 15,7 Prozent der Stimmen auf den dritten Platz hinter dem zweitplatzierten Idrissa Seck und dem wiedergewählten Macky Sall. Direkt nach seiner Wiederwahl stärkte Präsident Sall seine persönliche Macht, indem er den Posten des Premierministers abschaffte.

Die Affäre Ousmane Sonko

Die Polit-Affären um Karim Wade und Khalifa Sall verstärkten in der Öffentlichkeit den Eindruck einer ferngesteuerten Justiz, die politische Gegner ausschaltet. Die rechtlichen Schritte gegen den beliebtesten Oppositionellen Ousmane Sonko taten ihr Übriges dazu. Als dieser im Februar 2021 von Adji Sarr, einer jungen Angestellten des Massagesalons Sweet Beauté, wo er Kunde war, wegen Vergewaltigung und Todesdrohungen angezeigt wurde, hielt er – unterstützt von seinen Anhänger*innen – mit der Behauptung dagegen, Opfer eines vom Regime angezettelten Komplotts zu sein mit dem Ziel, ihn von der Präsidentschaftswahlen 2024 auszuschließen.

In Folge von Auseinandersetzungen seiner Gefolgsleute mit den Ordnungskräften wurde Ousmane Sonko auf dem Weg zum Gericht im März 2021 wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verhaftet. Das wiederum führte zu gewalttätigen Demonstrationen in Dakar und zahlreichen anderen Städten des Landes. Die Ordnungskräfte schossen scharf auf Demonstrant*innen. Es gab 14 Tote und 590 Verletzte; Kasernen und Brigaden der Polizei wurden angegriffen, öffentliche Gebäude verwüstet, Supermärkte und Tankstellen geplündert. Religiöse und traditionelle Autoritäten traten als Vermittler*innen auf, und es gelang ihnen, die Situation zu beruhigen.

Bei den Kommunalwahlen am 23. Januar 2022 gewann die oppositionelle Koalition Yewwi Askan Wi («Das Volk befreien») unter Führung Sonkos in sechs Bezirken und in den Städten Dakar, Rufisque, Guédiawaye und Thiès. Dieser Trend bestätigte sich bei den Parlamentswahlen am 31. Juli 2022: Präsident Sall erlangte mit 83 von 165 Abgeordneten nur eine sehr knappe Mehrheit.

Seine zunehmende Beliebtheit machte Ousmane Sonko zu einem störenden Gegner für das Regime. Ein politisch motiviertes Strafverfahren folgte dem nächsten. Durch die Gerichtsvorladungen kam es immer wieder zu Polizeigewalt gegenüber Sonko und seinen Anhänger*innen. Führungsfiguren, Aktivist*innen und Sympathisant*innen der PASTEF wurden und werden festgenommen, inhaftiert, unter Polizeiaufsicht gestellt oder mittels elektronischer Fußfessel überwacht. Ähnliches widerfährt auch Journalist*innen, Aktivist*innen, Kolumnist*innen, Influencer*innen und anderen.

Ein nationaler Dialog?

Um die Spannungen einzufangen, entschied Präsident Sall, einen nationalen Dialog ins Leben zu rufen bei dem es sich offenbar um einen Zusammenschluss der traditionellen politischen Kräfte, insbesondere der PDS und des von Khalifa Sall verkörperten abtrünnigen Randes der PS handelte. Gemeinsam sollten sie gegen Sonko agieren, der mit seiner Partei PASTEF wegen der andauernden Verhaftungen den Dialog verweigerte.

Dank des Dialogs, der am 31. Mai 2023 begann, sind Karim Wade und Khalifa Sall nun wieder wählbar, während die Situation von Sonko offenbar ausgeklammert wurde. Auch Idrissa Seck profitierte von dem Dialog, der ihn zum Oppositionsführer machte und damit die Kontroverse beendete, ob er oder Sonko diese Position verkörperte. Während des Dialogs wurde auch das Verfahren der Unterstützungsunterschriften zur Bestätigung der Kandidaturen für die Präsidentschaftswahlen überarbeitet.

Durch den nationalen Dialog ist es der politischen Elite gelungen, die Oppositionskoalition Yewwi Askan Wi insbesondere durch tiefe Differenzen zwischen Sonkos PASTEF und Khalifa Salls Taxawu Senegaal zu zerschlagen: Die Abgeordneten von PASTEF stimmten nicht für das Gesetz zur Wählbarkeit von Karim Wade und Khalifa Sall und fochten es sogar vor dem Verfassungsrat an, ohne Erfolg.

Sonko aus dem Rennen

Sonko weigerte sich, beim Prozess am 23. Mai 2023 gegen Adji Sarr zu erscheinen. Das Urteil vom 1. Juni 2023 sprach Sonko vom Hauptanklagepunkt der Todesdrohungen frei. Der Anklagepunkt der Vergewaltigung wurde in Anstiftung der Jugend zur Unzucht umgewandelt. Für diese Tat wurde Sonko zu zwei Jahren Haftstrafe verurteilt. Dieses Gerichtsurteil wurde von der öffentlichen Meinung als ungerecht empfunden, weil es darauf abziele, Sonkos Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen zu verhindern.

Als Folge rollte eine Welle gewaltvoller Demonstrationen am 1. und 2. Juni 2023 durch das Land. Es gab 16 Tote, 500 Festnahmen und zahlreiche Sachbeschädigungen, unter anderem bei Bankfilialen in den Vororten, an öffentlichem und privatem Eigentum, und es kam zu Vandalismus an den Anlagen der Busgesellschaft BRT und des vor kurzem in Betrieb genommenen Regionalexpresses TER. Die Ausstrahlung von Radio Wal Fadjri wurde unterbrochen und das mobile Internet blockiert.

Die amtierende Regierung begründete ihre repressiven Maßnahmen damit, die Stabilität des Landes zu bewahren und die Institutionen zu schützen. Wenn jedoch Institutionen für politische, persönliche und parteiische Interessen manipuliert werden, entsteht ein Gefühl von Misstrauen und Ablehnung, insbesondere bei jungen Menschen, die den größten Teil der Bevölkerung ausmachen. Das verstärkt die Spannung im Land.

Am 28. Juli 2023 wurde Sonko festgenommen. Der Staatsanwalt gab am Folgetag auf einer Pressekonferenz bekannt, dass Sonko wegen Aufrufs zum Aufstand, krimineller Vereinigung, Gefährdung der Staatssicherheit, Verschwörung gegen die Staatsgewalt, Handlungen und Manövern, die die öffentliche Sicherheit gefährden und schwere politische Unruhen verursachen sollten, krimineller Vereinigung in Verbindung mit einem terroristischen Unternehmen und eines bei seiner Festnahme begangenen Handtaschenraubs angeklagt wird (Bei dem Diebstahl handelte es sich um das Mobiltelefon einer Zivilpolizistin. Sonko verlangte, dass sie die Videos, die sie von ihm machte, löschte, was sie ablehnte). Seine Partei PASTEF wurde am 31. Juli 2023 vom Untersuchungsrichter unter Arrest gestellt und aufgelöst. In der Mitteilung des Innenministers werden folgende Gründe angeführt:

«Die politische Partei PASTEF hat durch ihre Führer und Gremien ihre Anhänger häufig zu Aufstandsbewegungen aufgerufen, was zu schwerwiegenden Folgen geführt hat, darunter zahlreiche Todesopfer, viele Verletzte sowie Plünderungen und Zerstörungen von öffentlichem und privatem Eigentum. Zuletzt kam es in der ersten Juniwoche 2023 zu schweren Störungen der öffentlichen Ordnung, nachdem es bereits im März 2021 zu solchen gekommen war.»

Im Gefängnis trat Ousmane Sonko in den Hungerstreik, der seitdem andauert. Sehr geschwächt wurde er in das Hauptkrankenhaus eingeliefert. Seine Anwälte warnen vor seinem Gesundheitszustand.

Aktuell sieht es so aus, als könne Sonko zu den Wahlen 2024 nicht antreten. Es gibt eine Meinungsverschiedenheit bei der Auslegung der Strafprozessordnung beim Verstoß gegen die Anwesenheitspflicht bei einem Gerichtsentscheid. Die Staatsanwaltschaft insistiert, dass dem in Abwesenheit Verurteilten Rechte entzogen werden können (Rechtsverlust). Auf der Grundlage dieser tendenziösen Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen wurde Sonko aus dem Wählerverzeichnis gestrichen. Da er nun weder wahlberechtigt noch wählbar ist, kann er bei den Präsidentschaftswahlen 2024 nicht antreten. Angesichts dessen bleibt die Unzufriedenheit vieler Senegales*innen groß.

Die Lage bleibt aus weiteren Gründen angespannt: Präsident Salls Ankündigung, sich 2024 nicht noch einmal zur Wahl zu stellen, und seine Schwierigkeiten, einen Kandidaten in seiner großen Koalition zu nominieren, schafft eine heikle politische Situation für die regierende Mehrheit. Dazu kommt ein sich zuspitzender politischer Kontext: Die Lebenshaltungskosten werden teurer, die Migration fordert viele Opfer im Ozean oder in der Wüste, die Armut steigt. Des Weiteren gibt es eine massive Jugendarbeitslosigkeit und Ränkespiele um die Ausbeutung der Gas- und Ölvorkommen. All das zusammen mit dem zunehmenden Terrorismus in der Region und sporadischer Gewalt, schaffen eine latente politische Spannungssituation.

Die Übersetzung eines ersten Entwurfs auf Französisch erfolgte durch Margarete Gerber & André Hansen für Gegensatz Translation Collective; die deutsche Überarbeitung und Kürzung des späteren Artikels übernahm Franza Drechsel.