Nachricht | Krieg / Frieden - Westafrika «Wir wollen keine Toten für eine Demokratie, die keine ist»

Aminata Dramane Traoré über Demokratie in Westafrika und westliche Einflussnahme

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«Wir wollen auf keinen Fall, dass der Westen uns in einen Stellvertreterkrieg führt, weil er sich in Europa im Krieg gegen Russland befindet. Davor haben wir Angst.» Aminata Dramane Traoré (2015), CC BY-SA 2.0, Foto: ActuaLitté, via Wikimedia Commons

Aminata Dramane Traoré ist die Grande Dame der Globalisierungskritik in Mali, engagierte Feministin, Essayistin und ehemalige Kulturministerin. Wir sprechen in einem Hotel in Dakar und diskutieren insgesamt vier Stunden lang über die Situation in Westafrika, die durch Putschregierungen in Guinea, Mali, Burkina Faso und seit kurzem auch in Niger geprägt ist. Wir sprechen intensiv, aber in der Einschätzung liegen wir meist nahe beieinander, so dass ich nicht mehr sicher sagen kann, welches Argument von ihr in die Diskussion eingebracht wurde, oder wo sie meinen Beiträgen zuhörte und ich daraus ihre Zustimmung ableitete.

Nicht noch einen Krieg

 «Jetzt noch ein Krieg, weil Truppen der ECOWAS den Niger angreifen, das wäre katastrophal», so reagiert Aminata auf meine Frage, welchen Nutzen eine von der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft angedrohte Intervention haben könnte. «Was wäre das für eine Demokratie, die man mit Waffengewalt gegen die Bevölkerung erzwingt?»

Militärs haben im Niger am 26. Juli die Macht an sich gerissen und den vor zwei Jahren gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum inhaftiert. Das Attribut «demokratisch» wäre allerdings beschönigend für dessen bisheriges Handeln als Regierungschef: Oppositionelle wanderten ins Gefängnis und seine Partei PNDS sicherte sich die Macht durch Korruption und eine geschickte Politik den Oppositionsparteien gegenüber; ein System, das sein Vorgänger Mahamadou Issoufou etabliert hatte. Entweder wurden ihre Führungspersonen durch Posten und Pfründe in das Machtgeflecht der PNDS integriert und die Parteien auf diese Weise geschwächt oder sie wurden massiver Repression ausgesetzt. Der Unterschied zu einem Einparteienstaat war lediglich formal, so dominierte die PNDS Politik und Öffentlichkeit. Nun will die Wirtschafts­gemeinschaft der west­afrika­nischen Staaten (ECOWAS) durch Androhung bzw. Anwendung von Waffengewalt eine liberale Demokratie wiederherstellen, der kein Projekt für das Land zugrunde liegt. Aminata beobachtet, dass den Nigrer*innen bewusst ist, dass die Politik aktuell ein Geschäft ist, in dem einige Wenige sich bereichern und in dem es keineswegs darum geht, in demokratischer Weise Entscheidungen zu treffen und dem Land und den Menschen zu dienen. Dass die Nigrer*innen ein solches System nicht wollten, artikulierten sie auf den Straßen.

Aminata Dramane Traoré ist eine malische Essayistin, Feministin und Kritikerin einer Globalisierung zu Lasten Afrikas sowie ehemalige Ministerin für Kultur und Tourismus.

Claus-Dieter König ist Leiter des RLS-Büros in Westafrika. Er kennt Aminata seit 2013.

Nach Aminatas Einschätzung sind es Frankreich und seine westlichen Partner, also auch Deutschland, die hinter den Angriffsdrohungen der ECOWAS stehen. Nach der ersten Ankündigung einer militärischen Intervention, falls die Putschisten Bazoum nicht wiedereinsetzen, drohten die Juntas in Mali und Burkina Faso an, eine Invasion in den Niger als Kriegserklärung zu verstehen. Entsprechend würde ein Einmarsch von ECOWAS-Truppen einen regionalen Krieg auslösen. Wir sind uns über die zwei wahrscheinlichen Folge-Szenarien einig: Entweder würde ECOWAS militärisch erfolgreich sein und als Besatzungsmacht gegen die nigrische Bevölkerung regieren. Wahlen, fänden sie wahrhaftig demokratisch statt, würden kaum das Wunschresultat einer dem Westen nahestehenden Regierung ergeben. Oder ein militärischer Erfolg bleibt in relativ kurzer Zeit aus. Dann würden die Militärs in Niger, Mali und Burkina Faso gestärkt und die Optionen wären ein lange schwelender regionaler Krieg oder der Rückzug der ECOWAS-Truppen.

In jedem Fall bedeute ein Krieg vor allem Leiden für die Bevölkerung, betont Aminata. Zudem würde er all die Faktoren, die zur Erstarkung djihadistischer bewaffneter Gruppen im Land beigetragen haben, verschlimmern, u.a. Armut und Unsicherheit, fehlende Investitionen und Personal für die Infrastruktur staatlicher Dienste wie Justiz, Gesundheit und Bildung. Wer nicht sicher ist, ob die Arbeit auf dem Feld morgen noch gefahrlos verrichtet werden kann, gibt diese auf und braucht andere Einkünfte. Ein Krieg würde die Region noch stärker militarisieren, obwohl sie gerade das Gegenteil benötigt. «Wir haben schon zu viele Tote und Hungernde, wir brauchen nicht noch mehr Tote für eine Form der Demokratie, die nicht die Demokratie ist, die wir brauchen», sagt sie.

Statt Krieg eine andere Wirtschafts- und Handelspolitik

Ich lenke das Gespräch in Richtung Lösungsansätze, möchte wissen, was sich ändern muss. Aminata spricht aber zunächst über die vielfältigen Ursachen der Konflikte und die Erstarkung des Djihadismus im Sahel, in ihrem Land Mali, im benachbarten Burkina Faso und im Niger. Sie verweist auf die Vernachlässigung ländlicher Regionen schon unter der Kolonialregierung und die Zusammenarbeit Frankreichs vor und nach der Unabhängigkeit mit lokalen traditionellen Autoritäten sowie bewaffneten Gruppen. Die Strukturanpassungspolitik habe seit Ende der 1970er Jahre staatliche Leistungen der Daseinsvorsorge massiv beschnitten, vor allem in den weit von den Hauptstädten entfernten Regionen des Sahel. Der Klimawandel verschärfe Ressourcenkonflikte, die zuvor oft vor Ort gemanaged und befriedet wurden.

In ihren Ausführungen macht Aminata deutlich, dass heute stärker als früher externe Akteure in die lokalen Konfliktdynamiken eingreifen, sie verschärfen und verstetigen. Frankreichs Unterstützung für die separatistische Bewegung der Tuareg MNLA (Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad) im Norden Malis sei ein Beispiel dafür. Ein anderes sei 2011 die Invasion der NATO in Libyen und dass darauffolgend Waffen und Kämpfer in Richtung Sahel wanderten. Aminata hebt hervor, dass sich djihadistische Gruppen mittels Schutzversprechen in der lokalen Bevölkerung verankerten und viele ihrer Rekruten ihr Handeln unter anderem als soziale Revolte sähen. Schließlich habe auch der durch die Europäische Union (EU) in die Sahelzone exportierte Kampf gegen Migration seine Folgen. In einer Region, in der Migration seit Jahrhunderten zum Alltag gehört, unterbindet die EU-Grenzpolitik nicht zuletzt auch regionale saisonale Migration, die für das Überleben in den oft kargen Regionen unabdingbar ist. Ohne die Option zu migrieren, hat die eh schon perspektivlose Jugend im Sahel noch weniger Möglichkeiten. Entsprechend merkt Aminata an, dass viele Rekruten djihadistischer Gruppen keine Überzeugungstäter sind, sondern lediglich Geld verdienen wollten, von dem sie einen Großteil zur Unterstützung an andere Familienmitglieder sendeten. Egal ob Flüchtende wegen der Grenzexternalisierung der EU immer größere Risiken eingehen oder sich junge Männer bewaffneten Gruppen anschließen: Aminata sagt nüchtern: «Ihr Leben riskieren sie so oder so.»

Dann spannt Aminata den Bogen und kommt langsam zu ihrer Vision der Zukunft. Statt einen erfolglosen Krieg «gegen den Terror» zu führen oder einen Krieg anzuzetteln, um eine zivile Regierung wiedereinzusetzen, müsse man, so Aminata, das gesamte Entwicklungsmodell verändern. Aktuell sei die Wirtschaft dem neoliberalen Paradigma unterworfen; übersetzt auf Westafrika heiße das vor allem: Rohstoffexport ohne Vorteile für die Bevölkerungen. Wirtschaftspolitik müsse sich stattdessen an den Bedarfen der Bevölkerung nach sicherem Einkommen und sicherer Ernährung orientieren.

Dafür sei es wichtig, betont Aminata, auf die lokale Konfliktbearbeitung und auf Verhandlungen zu setzen. Frankreich habe, solange es in Mali Truppen stellte und Einfluss auf die Regierung ausübte, jegliche Verhandlungen mit den Djihadisten untersagt. Selbst aber hätte Frankreich immer dann verhandelt, wann es darum ging, die Befreiung von Geiseln französischer Staatsbürger*innen auszuhandeln. Für die direkten Interessen Frankreichs und das Leben einiger weniger Französ*innen waren Verhandlungen mit den djihadistischen Gruppen also stets möglich, nie aber für die Interessen der Malier*innen, also für das Leben einiger tausend Menschen. Auch das habe die Menschen in der gesamten Region gegen Frankreich aufgebracht. Der Dialog mit den lokal sehr unterschiedlich agierenden djihadistischen Gruppen sei essentiell dafür, dass alltägliches Leben wieder möglich werde. Es brauche eine sichere Umgebung, damit Bäuer*innen ihre Felder bestellen, Viehhirt*innen ihre Tiere weiden lassen, Kinder die Schule besuchen könnten – Grundlagen für den Aufbau einer an der Bevölkerung ausgerichteten Wirtschaftspolitik.

Nach den Putschen in Mali und Burkina Faso fordert der Westen immer wieder Wahlen, fokussiert sich auf das Formale der Demokratie. Aminata stellt aber klar: Nicht das Wiedereinsetzen einer Bürgerrechte missachtenden Regierung ist ein ernstzunehmender Schritt in Richtung Demokratie. Denn ein System, in dem ein Präsident für fünf Jahre quasi uneingeschränkt Macht ausübt, habe wenig mit Demokratie zu tun, selbst wenn die Wahlen korrekt verliefen. Auch in der afrikanischen Geschichte fänden sich dagegen Erfahrungen mit demokratischen Institutionen, die mehr Partizipation der Einzelnen ermöglicht hätten, als die heutigen aus Europa importierten Wahlsysteme. Kurzum: Wer Demokratie wirklich wolle, solle die freie Meinungsäußerung gewährleisten und sicherstellen, dass Menschen sich frei organisieren und ihre Interessen vertreten können.

Schließlich, es ist schon späte Nacht, frage ich Aminata nach ihrer Einschätzung zur Unterstützung Russlands von Seiten der malischen, burkinischen und nigrischen Bevölkerungen. Sie erinnert mich daran, wie euphorisch vor zehn Jahren in Mali die französische Intervention Serval von der Bevölkerung begrüßt worden war, als djihadistische Gruppen kurz vor der Hauptstadt Bamako standen. Sie habe damals die ausländischen Truppen nicht begrüßt und tue das auch jetzt nicht. Wer heute russische Flaggen schwenke, befasse sich nicht mit den globalpolitischen Zusammenhängen, die Flagge stehe vielmehr als Symbol gegen die neokoloniale Abhängigkeit von Frankreich. Die historischen Erfahrungen mit Frankreich seien Kolonialismus, neokoloniale Ausbeutung und zuletzt die Bevormundung Frankreichs im Rahmen des «Krieges gegen den Terror», wo die malischen Streitkräfte entmündigt wurden. Das Fass sei nun mehr als übergelaufen. Außerdem hätten in Mali gute Beziehungen zur Sowjetunion und später Russland eine lange Geschichte, viele hätten in Russland studiert.

Beim Abschied warnt Aminata jedoch: «Wir wollen auf keinen Fall, dass der Westen uns in einen Stellvertreterkrieg führt, weil er sich in Europa im Krieg gegen Russland befindet. Davor haben wir Angst.»