In seinen ersten 200 Amtstagen hob Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (PT) 97 der 210 Bestimmungen des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro (PL) auf, nachdem diese für die Demokratie des Landes als schädlich eingestuft wurden.
In einem von der Stiftung Lauro Campos e Marielle Franco und der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlichten Dokument zur Großreform und Wiederherstellung der brasilianischen Demokratie (Revogaço e a Reconstrução da Democracia Brasileira) wurde ermittelt, dass die Lula-Regierung 46 Prozent der grundsätzlichen Bestimmungen der Vorgangsregierung außer Kraft gesetzt hat, um Prozesse des Rechtsverfalls und Sozialabbaus umzukehren.
Katarine Flor ist Referentin für Kommunikation im Regionalbüro Brasilien/Paraguay der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo.
«Die Bilanz der ersten 200 Regierungstage zeigt wichtige Fortschritte», betont Natália Szermeta, Vorsitzende der Stiftung Lauro Campos e Marielle Franco. Die Bilanz stützt sich auf eine Studie zur Großreform und Umkehrung der destruktiven Bolsonaro-Politik (Revogaço: reverter a destruição do governo Bolsonaro). Das Dokument wurde Ende 2022 durch die Stiftungen erarbeitet. Mehr als 20.000 Bestimmungen – von Dekreten über Verordnungen bis hin zu vorläufigen Maßnahmen – des ehemaligen Präsidenten sind darin erfasst. Nach Lulas Wahlsieg wurde die Studie seinem Übergangsteam überreicht.
Von den 97 Bestimmungen, die nun durch die aktuelle Regierung aufgehoben wurden, betreffen 45 die öffentliche Sicherheit. An zweiter Stelle stehen wirtschaftliche Richtlinien (20), gefolgt von Kultur (16) und Umwelt (16), dann Erdöl, Gas und Energie (14) sowie Bildung (12).
«Die neue Regierung hat sich deutlich dem Abbau der bolsonaristischen Strukturen verschrieben. Die große Herausforderung besteht nun jedoch darin, neben dem Abbau destruktiver rechtsextremer Mechanismen auch konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um auf die dringenden Probleme der brasilianischen Bevölkerung einzugehen. Ohne weitere wesentliche Schritte zur Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und strukturellem Rassismus verfehlt die angestrebte Reform ihre Wirkung», stellt Jorge Pereira Filho, Projektkoordinator der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo, fest.
Das kürzlich veröffentlichte Dokument zur umfangreichen Reform enthält eine qualitative Analyse zum Regierungsantritt. Darin hervorgehoben wird, dass die Verabschiedung eines Haushaltsrahmens trotz der damit verbundenen Einschränkungen den Auftakt für neue öffentliche Investitionen bilden könnte. Dies muss jedoch im Haushaltsplan, den die Regierung dem Kongress für 2024 vorlegt, erst bestätigt werden, nachdem die Regierung in diesem Jahr lediglich mit den Mitteln arbeiten konnte, die im letzten Amtsjahr Bolsonaros bewilligt wurden.
Trotz der Konfrontation mit rechtsextremen Kräften, die die Demokratie – wie bei den Ausschreitungen am 8. Januar geschehen – bedrohen, sind Erfolge der Arbeiter*innenpartei (PT) zu erkennen. «Hervorzuheben ist die Wiederaufnahme des Programms Minha Casa Minha Vida (Mein Haus Mein Leben) für den sozialen Wohnungsbau – ein wichtiger Schritt, um dem absurden Zustand entgegenzuwirken, dass Millionen von Menschen in Brasilien ohne angemessenen Wohnraum leben. Im Hinblick auf die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben des Staates begrüßen wir die Aufhebung von Privatisierungen und die Wiederaufnahme der öffentlichen Ausschreibungsverfahren für den öffentlichen Dienst sowie die verstärkte Wertschätzung dieses Sektors», heißt es in der Studie.
Die Analyse der Stiftungen weist jedoch auch darauf hin, dass es Bereiche gibt, in denen die Fortschritte noch nicht spürbar sind, wie bei der Landreform oder der diskriminierenden Migrationspolitik, mit der das Konstrukt pessoa perigosa (gefährliche Person) geschaffen wurde.
Außerdem betont die Studie, dass ein Fortschritt staatlicher politischer Handlungsfähigkeit zur Förderung sozialer und Umweltgerechtigkeit nur durch den politischen Druck der Bevölkerung und einen kontinuierlichen Abbau der politischen Grundpfeiler der Bolsonaro-Regierung erreicht werden kann. «Auf der ideologischen Ebene ist es wichtig, das Ende der 100-jährigen Geheimhaltung von Themen wie den Kreditkartenausgaben Bolsonaros einzuläuten, das Programm für zivil-militärische Schulen einzustellen, erneut eine verantwortungsvolle Waffenkontrollpolitik aufzunehmen und die Sammler-, Schützen- und Jägerclubs (CACs) stärker zu kontrollieren.»
In der Studie wird zudem auf die Präsenz rechtsextremer Kräfte in den brasilianischen Institutionen aufmerksam gemacht und vor der Regierungsform gewarnt, die Arthur Lira, Vorsitzender der Abgeordnetenkammer, durchzusetzen plant. Diese könnte den Kampf gegen Ungleichheit in der Politik wieder gefährden.