Nachricht | Parteien- / Bewegungsgeschichte - Westeuropa - Demokratischer Sozialismus - Europa2024 Die portugiesische Linke im Wiederaufbau

Ein Gespräch mit der ehemaligen Bloco de Esquerda-Abgeordneten Beatriz Gomes Dias

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Bloco de Esquerda-Anhänger*innen bei einer Wahlkampfkundgebung in Porto, Portugal, 19. September 2015.
Bloco de Esquerda-Anhänger*innen bei einer Wahlkampfkundgebung in Porto, Portugal, 19. September 2015.
 
 

 

 

Foto: IMAGO / GlobalImagens

Weniger als neun Monate vor den Europawahlen 2024 bereiten sich die demokratischen sozialistischen Parteien auf dem ganzen Kontinent auf den Wahlkampf vor. Die Bedingungen für die Linke sind in Europa recht unterschiedlich: Einige Parteien sind auf dem besten Weg, ihre bisherigen Ergebnisse zu halten oder auszubauen, während andere darum kämpfen, sich über Wasser zu halten – ganz zu schweigen von den EU-Mitgliedstaaten, in denen die Linke überhaupt nicht im Parlament vertreten ist.

Beatriz Gomes Dias ist eine portugiesische Lehrerin, Aktivistin und Politikerin. Sie saß von 2019 bis 2022 als Abgeordnete im portugiesischen Parlament für den Linksblock (Bloco de Esquerda).

Zwei Länder, in denen die Linke in den vergangenen Jahren Rückschläge erlitten hat, sind Deutschland und Portugal. Die Linke, die Mitte der 2000er Jahre aus einem Zusammenschluss zweier kleinerer Parteien hervorging, hat in letzter Zeit eine Reihe herber Wahlniederlagen hinnehmen müssen, kündigte aber kürzlich ein ehrgeiziges Wiederaufbauprogramm an, um die Situation rechtzeitig vor den Parlamentswahlen 2025 in den Griff zu bekommen. In Portugal musste der so genannte Linksblock (Bloco de Esquerda), der ebenfalls aus einem Zusammenschluss kleinerer Parteien hervorgegangen ist, nach einem Jahrzehnt wachsenden politischen Einflusses bei den Wahlen 2022 eine krachende Niederlage einstecken.

Die Europawahlen im nächsten Jahr werden ein wichtiger Gradmesser für den Aufschwung und die Zukunftsaussichten beider Parteien sein. Anna Schröder von der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach mit der ehemaligen Bloco-Abgeordneten Beatriz Gomes Dias über die Herausforderungen, vor denen der Bloco steht, und darüber, was andere europäische Parteien aus ihren Erfahrungen lernen können.

Du bist seit vielen Jahren Aktivistin, warst Abgeordnete im portugiesischen Parlament und Stadträtin von Lissabon. Wie hast Du Dich politisiert und was hat Dich veranlasst, dem Linksblock (Bloco de Esquerda) beizutreten?

Meine Politisierung begann mit der Suche nach Strategien zum Kampf gegen Rassismus und rassistische Diskriminierung, der ersten Form von Ungleichheit, von der ich betroffen war und die ich besser verstehen wollte. Ich wurde daher Mitglied bei der antirassistischen Organisation SOS Racismo und kam dadurch ins Umfeld der Revolutionären Sozialistischen Partei (Partido Socialista Revolucionário; PSR), einer der Gründungsparteien des Linksblocks.

Als Schülerin beteiligte ich mich am Kampf gegen die Abschlussprüfungen, die die Regierung 1988 als Voraussetzung für einen mittleren Schulabschluss und die Hochschulreife eingeführt hat. Als Studentin engagierte ich mich gegen Studiengebühren und habe an Demonstrationen teilgenommen, bei denen es um Chancengleichheit und den Hochschulzugang für alle ging. Einige dieser Veranstaltungen wurden von der PSR unterstützt. Als Lehrerin nahm ich später an einer großen Kampagne gegen den Plan einer hierarchischen Aufspaltung der Lehrerschaft teil. Sie sollte in zwei Berufskategorien unterteilt werden – die eine Kategorie sollte an der Spitze des Berufsfeldes stehen, die andere an dessen unterem Ende. Wir wehrten uns gegen damit einhergehende ungleiche Einkommens-, Karriere- und Mitbestimmungsmöglichkeiten im Bildungsbereich. Im Zuge dieser großen Mobilisierung trat ich dem Linksblock bei.

Der 1999 gegründete Linksblock speiste sich aus mehreren linksradikalen Strömungen unterschiedlicher Prägung, unter anderem aus dem Trotzkismus und orthodoxeren Varianten des Marxismus-Leninismus. Wie hat es die Partei geschafft, eine gemeinsame politische Kultur und Sichtweise zu schaffen?

Die Organisationen, die sich zum Linksblock zusammenschlossen, gehörten drei verschiedenen politischen Strömungen an: Die Demokratische Volksvereinigung (União Democrática Popular) hatte ein marxistisches Selbstverständnis, die PSR kam aus der mandelistischen Unterströmung des Trotzkismus, Política XXI vertrat den Demokratischen Sozialismus. Für mich war es sehr aufregend an diesem politischen Projekt mitzuwirken, das ich für ein schlagkräftiges Mittel zur Veränderung der portugiesischen Gesellschaft hielt – und immer noch halte.

Der Linksblock ist die fortschrittlichste Partei Portugals. Er bietet Räume, Werkzeuge und ein Bezugssystem für den Kampf um soziale Gerechtigkeit sowie gegen Diskriminierung, Ungleichheit und Ausbeutung. Er pflegt sehr enge Beziehungen zu den sozialen Bewegungen und schafft es, ihre Forderungen in politische Maßnahmen zu gießen. Da ich vor meiner Zeit als Parlamentarierin eine Graswurzel-Aktivistin war, sehe ich mich in der Pflicht, die Forderungen sozialer Bewegungen im Rahmen meiner institutionellen politischen Arbeit umzusetzen.

Ist der Linksblock heute eine Partei aus einem Guss, oder handelt es sich immer noch um ein Bündnis verschiedener Gruppen?

Meiner Ansicht nach ist der Linksblock eine einheitliche Partei, auch wenn wir nicht in jeder Frage übereinstimmen. Wir führen intensive interne Debatten, die sehr wichtig für die Weiterentwicklung der Partei sind. Wir können uns nicht selbstgefällig auf unseren Positionen ausruhen, sondern müssen zurückliegende Entscheidungen und Strategien fortwährend reflektieren und Wege finden, mit denen wir unsere politischen Ideen und Anliegen besser vermitteln können.

Wir erholen uns von unserer Niederlage. Wir sind jetzt in der Lage uns neu aufzustellen und im Parlament zu unserer alten Stärke zurückzufinden.

Darin liegt definitiv eine Stärke. Wir müssen weiter nachdenken, uns miteinander austauschen, unsere innerparteiliche Demokratie ausbauen und für Veränderungen bereit sein. Auseinandersetzen müssen wir uns unter anderem mit unserer Diversität, unserer Organisationsstruktur sowie mit den Fragen, wer über den politischen Kurs entscheidet und wer die Partei auf welche Weise in der Öffentlichkeit repräsentiert.

Ich denke, wir müssen unsere Beziehungen zu den sozialen Bewegungen stärken. Wir müssen sichtbarer sein und mehr mit den Leuten ins Gespräch kommen. All diese Fragen sind sehr wichtig.

Die Partei DIE LINKE diskutiert regelmäßig über die Option einer Regierungsbeteiligung und hat in verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Erfahrungen damit gesammelt. Der Linksblock hat von 2015 bis 2019 eine Minderheitsregierung der Sozialistischen Partei unter Führung von António Costa durch ein Tolerierungsabkommen ermöglicht. Nachdem eure Partei bei den Parlamentswahlen 2019 ein sehr beeindruckendes Ergebnis erzielt hat, seid ihr in die Opposition zurückgekehrt, habt dann aber 2022 bei den Parlamentswahlen die Hälfte der Stimmen verloren. Wie habt ihr diese Niederlage in der Partei aufgenommen und welche allgemeineren Schlüsse habt ihr aus dieser Erfahrung in Bezug auf eine mögliche Regierungsbeteiligung gezogen?

Unsere Unterstützung der sozialistischen Minderheitsregierung im Jahr 2015 war ein wichtiges Moment. Wir hatten damals in Portugal einige sehr schwierige Jahre unter der Troika hinter uns. Die Rechte war an der Regierung, die Löhne sanken, viele Menschen verarmten, die Abwanderungsrate war hoch. Um einen Politikwechsel im Sinne besserer Lebensbedingungen für die Bevölkerung anzustoßen, entschied sich der Linksblock dazu, die sozialistische Regierung zu unterstützen. Ein wichtiges Ziel bestand darin, einige der Maßnahmen rückgängig zu machen, die die rechte Regierungspartei in Zusammenarbeit mit der Troika erlassen hatte.

Das Tolerierungsabkommen leistete einen entscheidenden Beitrag dazu, das Land aus dieser sehr harten Phase herauszuführen. Aber das reichte uns nicht. 2019 wollten wir weitere Schritte in die eingeschlagene Richtung gehen, eine Reihe von Arbeitnehmer*innenrechte zurückgewinnen und die öffentliche Daseinsvorsorge des Landes sichern. Wir wollten die Lebensqualität für breite Schichten steigern, das Lohn- und Rentenniveau anheben, die prekären und ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse verbessern sowie Lehrer*innen, Ärzt*innen und Angestellten des öffentlichen Dienstes neue Berufsaussichten eröffnen. Wir merkten jedoch, dass die sozialistische Regierung den entgegengesetzten Weg eingeschlagen hatte, weshalb wir gegen ihren Haushaltsplan stimmten.

Leider war die Rückendeckung aus der Bevölkerung nicht groß genug, um das notwendige Maß an Widerstand aufzubringen. Die Leute konnten unsere Entscheidung nicht nachvollziehen und uns fehlte die Zeit, um all die Entwicklungen zu erläutern, die sich für uns damals bereits deutlich abzeichneten, und deren Auswirkungen heute alle spüren. Zu unserem Ergebnis beigetragen hat auch die alarmistische Rhetorik der Sozialist*innen, die sich als letztes Bollwerk gegen eine drohende Regierungsbeteiligung der extremen Rechten inszenierten.

Nach den enttäuschenden Parlamentswahlen im Jahr 2022 kam der Linksblock im Mai dieses Jahres in Lissabon zu seinem dreizehnten landesweiten Parteitag zusammen. Die Partei blickt auf eine lange Geschichte von Erneuerungen, Spaltungen und Wiederaufschwüngen zurück. Wie würdest Du eure derzeitige Lage beschreiben?

Wir mussten 2022 einen riesigen Stimmenverlust hinnehmen und haben 14 Sitze im Parlament eingebüßt. Auch ich wurde nicht wiedergewählt. Diese Bedingungen machen es sehr schwer, weiterhin alle Politikfelder abzudecken, in denen wir vorher aktiv waren.

Umfragen zufolge gewinnen wir nun jedoch wieder Auftrieb. Ich denke, wir erholen uns von unserer Niederlage. Wir sind jetzt in der Lage uns neu aufzustellen und im Parlament zu unserer alten Stärke zurückzufinden. Das ist entscheidend, um wieder im gewohnten Maße auf das politische Geschehen Einfluss nehmen zu können.

Welche strategischen Prioritäten habt ihr euch als Partei für die kommende Zeit gesetzt?

Die Verteidigung der aktuell gefährdeten öffentlichen Daseinsvorsorge gehört zu unseren wichtigsten Themen. Derzeit verlassen Fachkräfte das öffentliche Gesundheitswesen, um im privaten Gesundheitssektor zu arbeiten, der wiederum von der Regierung finanziert wird. De facto ist es so, dass dafür Ressourcen aus dem öffentlichen Gesundheitswesen abgezogen werden. 40 Prozent des öffentlichen Gesundheitsetats fließen in Verträge mit privaten Dienstleister*innen. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar.

Fachkräfte kehren dem Gesundheitswesen den Rücken, da die Branche mit ihren niedrigen Löhnen und zahlreichen Überstunden keine berufliche Perspektive bietet. Das gleiche gilt für das öffentliche Bildungswesen – niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten, fehlende Berufsaussichten. Der Linksblock wirkt daher an Kampagnen zur Verteidigung des öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesens mit.

Es ist entscheidend, dass Abgeordnete dem Kampf gegen Rassismus hohen politischen Stellenwert einräumen, aber damit dürfen wir uns nicht begnügen.

Ein weiterer Fokus liegt auf der Mobilisierung rund um das Thema Klimagerechtigkeit. Die globale Klimakrise verschärft gesellschaftliche Probleme und betrifft alle Aspekte von Leben, Gesellschaft, Arbeit und Politik. Wir setzen uns für die Dekarbonisierung, also für die schnelle und drastische Senkung der CO2-Emissionen, sowie für den Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen ein.

Eng damit verbunden ist der wichtige Kampf für Arbeitnehmer*innenrechte, gegen Ausbeutung, prekäre Arbeitsverhältnisse und Ungleichheit. Im Mittelpunkt unserer Politik steht immer der Wunsch, ein besseres Leben für alle zu schaffen. Aus diesem Grund konzentrieren wir uns auf Branchen mit den unsichersten Arbeitsbedingungen und legen entsprechende Gesetzesvorschläge für sie vor.

Es gibt in Portugal eine drastische Wohnungsnot, die Mieten sind unbezahlbar. Viele Leute können sich mit ihren Einkommen keinen angemessenen Wohnraum leisten. Die von der Regierung ergriffenen Gegenmaßnahmen reichen nicht aus, um der Immobilienspekulation Einhalt zu gebieten und die Mieten zu kontrollieren. Die Durchsetzung des Rechts auf Wohnraum ist für uns ein zentrales Anliegen.

Schließlich betonen wir nachdrücklich die politische Bedeutung des Kampfes gegen Rassismus und Diskriminierung. Unsere Aufgabe ist es, die Forderungen antirassistischer und migrantischer Organisationen in politische Vorschläge zu übersetzen und rassifizierte Communitys, Migrant*innen und Geflüchtete auf diese Weise im Kampf um ihre Rechte zu stärken.

Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. und die Rosa-Luxemburg-Stiftung haben letztes Jahr in Berlin die internationale Konferenz «Black Europe» veranstaltet, auf der Du über die Selbstorganisation der Schwarzen Community in Portugal gesprochen hast. Kannst Du ausführen, welche Bedeutung die Themen Rassismus und Antirassismus für die Politik des Linksblocks haben?

Es waren vor allem die Protestbewegungen von Schwarzen Menschen und Rom*nja, die das Land im Kampf gegen Rassismus vorangebracht haben, auch wenn der Linksblock in dieser Hinsicht ebenfalls große Fortschritte gemacht hat. Aufgrund unserer Nähe zu den sozialen Bewegungen konnten wir ihre Debatten als Partei ins Parlament tragen. Ein Beispiel sind die Novellierungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes in den Jahren 2018 und 2019 – das war die erste Gesetzesvorlage, die ich im Parlament vorgestellt habe. Auch wenn ein weiterer von uns eingebrachter Gesetzesvorschlag zur Ahndung rassistischer Diskriminierung leider abgelehnt wurde, ist es uns gelungen, die anderen Parteien zum Nachdenken über Ansätze zur Bekämpfung von Rassismus, Ungleichheit und Diskriminierung in der portugiesischen Gesellschaft zu bewegen.

Es ist entscheidend, dass Abgeordnete dem Kampf gegen Rassismus hohen politischen Stellenwert einräumen, aber damit dürfen wir uns nicht begnügen. Auch wenn der Linksblock diesbezüglich eine positive Rolle gespielt hat, erreichte die Debatte im Parlament nicht das progressive Niveau, auf das wir in den sozialen Bewegungen gehofft hatten. Wir drängen die politischen Parteien nach wie vor dazu, schneller Lösungen zu erarbeiten, etwa für einen effektiven Schutz von Migrant*innen vor Ausbeutung und Prekarität. Hier gilt es aktiv zu bleiben und sich nicht mit dem Erreichten zufrieden zu geben.

Meine nächste Frage schließt hieran an. Wir verzeichnen aktuell einen erschreckenden Aufstieg rechtsextremer Kräfte in ganz Europa. Sinnbildliche Figuren dieser Entwicklung sind etwa die italienische Premierministerin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia oder Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National. Bei den griechischen Parlamentswahlen sind dieses Jahr zwei rechtsextreme Kleinparteien ins Parlament eingezogen und hierzulande legt die AfD in den Umfragen zu. Droht in Portugal ein ähnliches Szenario?

Ja. Die extreme Rechte befindet sich im Aufwind und konnte Parlamentssitze dazugewinnen. Die rechtsextreme Partei Chega stellt dort gegenwärtig mit zwölf Abgeordneten die drittstärkste Fraktion. Ihre Anhänger*innen halten sie mit Hassreden bei der Stange.

Die extreme Rechte verdankt ihren Erfolg einem Zusammenspiel sich wechselseitig verstärkender Ideen: Einerseits verschlechtern sich die Lebensbedingungen vieler Menschen, und der Unmut in der Gesellschaft wächst. Andererseits stachelt der hierzulande gesellschaftlich verankerte strukturelle Rassismus den Unmut weiter an und lenkt ihn auf die Vorstellung der «Anderen», die vermeintlich für alle Probleme im Leben verantwortlich sind. Dieser Mechanismus ist die Hauptursache für Chegas Wahlerfolg. Die extreme Rechte kann mit keinerlei Vorschlägen aufwarten, um das Leben wirklich zu verbessern, bedient sich aber dieser Idee der «Anderen», die bereits in der portugiesischen Gesellschaft vorgeprägt war.

In Portugal gibt es, wie in Frankreich und Spanien auch, mehrere bedeutende Parteien links der Sozialdemokratie. Welche Chancen siehst Du für eine geeinte Linke in Portugal nach dem Vorbild jener Länder?

Das hängt von der Situation ab. Unsere Unterstützung der Regierung war eine wichtige Erfahrung und ein großer Erfolg, da wir die Lebensbedingungen auf verschiedene Weise verbessern konnten. Heute, da die Sozialistische Partei über eine parlamentarische Mehrheit verfügt, ist sie mit ihrem Kurs jedoch deutlich nach rechts gerückt. Unsere Aufgabe ist es, sie nach links zu drängen, etwa durch unsere parlamentarischen Initiativen und unsere Bündnisse mit sozialen Bewegungen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir die 2015 geschmiedete linke Parteiallianz in der Zukunft erneuern werden. Entscheidend ist jedoch, dass es uns gelingt, die Sozialist*innen auf einen linken Kurs zu bringen.

Kann die Tolerierung der sozialistischen Minderheitsregierung durch den Linksblock und die Kommunistische Partei Portugals (PCP) als Ausdruck einer linken Einheit bewertet werden?

Naja, es handelte sich dabei lediglich um parlamentarische Unterstützung – wir sind nicht mit den Sozialist*innen in eine gemeinsame Regierung eingetreten. Hier liegt ein Unterschied zu dem Bündnis, das in Frankreich entstanden ist, oder auch zur Situation in Spanien, wo Pedro Sánchez und Yolanda Díaz gemeinsam regieren.

Wir können die Rechten nur besiegen, wenn wir an einem Strang ziehen. Wir dürfen nicht über jedes Stöckchen springen, das sie uns in der politischen und medialen Debatte hinhalten.

Bei uns hat jede Partei – die Sozialist*innen, die Kommunist*innen und wir – ihre programmatische Unabhängigkeit bewahrt, doch wir konnten bei einigen Themen Schnittmengen zwischen den Parteien ausmachen. Wir vertreten unser eigenes Programm und treten für unsere eigenen Vorschläge ein. Nach den Wahlen können wir in Sondierungsgespräche gehen und dann hoffentlich einen Konsens erreichen.

Die Frage möglicher Koalitionsbildungen ist auch mit Blick auf die Europawahlen spannend, die zwischen dem 6. und 9. Juni 2024 stattfinden werden. Mit welcher Aussicht geht der Linksblock in die Wahlen zum Europäischen Parlament?

Wir treten für die politische Unabhängigkeit Portugals ein. Einige europäische Bestimmungen drücken hierzulande die Löhne und lassen den Wohlstand der Arbeiter*innenklasse in den Taschen des Kapitals verschwinden. Wir müssen alle entsprechenden Bestimmungen und Gesetze verändern, da sie einen verheerenden Einfluss auf die portugiesische Bevölkerung haben.

Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der europäischen Einwanderungspolitik und dem – gelinde gesagt – sehr repressiven Vorgehen von Frontex. Europa braucht Zuwanderung, betreibt aber eine Politik, die Migrant*innen schutzlos macht und sie verschiedenen Formen der Ausbeutung ausliefert.

Derzeit sitzen zwei Abgeordnete für den Linksblock im Europäischen Parlament. Es ist wichtig, dass wir diese Sitze halten oder sogar weitere dazuzugewinnen. 2009 haben wir ein gutes Ergebnis erzielt und konnten drei Vertreter*innen entsenden. Da wollen wir 2024 wieder hin. Es wird auch darauf ankommen, die europäische Linke insgesamt im EU-Parlament zu stärken um der Macht der Rechten und der rechtsextremen Parteien etwas entgegenzusetzen. Mit einer starken parlamentarischen Linken können wir den politischen Rechtsruck stoppen, Bürgerrechte schützen und Rassismus und Fremdenhass wirksam angehen.

Wie schätzt Du die Situation der Linken in Europa heute ein? Die überwiegende Mehrheit der Parteien ist in keiner besonders guten Verfassung. Gibt es für dieses Problem allgemeine Ursachen – und vielleicht sogar gemeinsame Lösungen?

Die europäische Linke muss entschlossener auftreten, wenn es um Fragen der Gleichheit und die Bekämpfung des Klimawandels geht. Das sind die Themen, die den Leuten unter den Nägeln brennen. Wir müssen der Ungleichheit den Kampf ansagen. Wir müssen uns gegen soziale Ausschlüsse jedweder Art stellen. Und wir dürfen nicht zulassen, dass die extreme Rechte die öffentliche Debatte weiterhin mit konservativem Ideengut überflutet.

Wir können die Rechten nur besiegen, wenn wir an einem Strang ziehen. Wir dürfen nicht über jedes Stöckchen springen, das sie uns in der politischen und medialen Debatte hinhalten. Wir müssen die Errungenschaften verteidigen, die wir erkämpft haben, sei es das Recht auf Abtreibung oder LGBTQ-Rechte. Wir müssen alle Fortschritte bewahren, die wir als Gesellschaft gemacht haben.

Die Vorschläge linker Parteien gehen manchmal nicht weit genug. Ich denke, die Linke sollte mutiger sein und ihre Positionen vehementer verteidigen. Dann gewinnen wir auch mehr gesellschaftliche Zustimmung.

Übersetzung von Maximilian Hauer und Conny Gritzner für Gegensatz Translation Collective.