Konservative Parteien stehen international erheblich unter Druck. Manche sind fast verschwunden; rechtspopulistische oder gar -extremistische Parteien haben ihren Platz im politischen Spektrum eingenommen. Andere Mitte-rechts-Parteien wurden von diesen unterwandert – so auch in den Vereinigten Staaten, wo der radikale Rechtsruck der etablierten konservativen Partei die Stabilität der demokratischen Institutionen und die Grundfesten der liberalen, multiethnischen Demokratie bedroht. Die Republikaner, die sich selbst «Grand Old Party» (GOP) nennen und deren Geschichte in den 1850er Jahren mit dem Kampf gegen die Sklaverei begann, befinden sich in einer scharf geführten Auseinandersetzung um die Seele der Partei, die allerdings vorzeitig zugunsten des Personenkults um Donald Trump entschieden werden könnte. Trump, die ihm weitgehend hörige Parteibasis und die vielen Amtsträger*innen, die sich seiner Behauptung einer gestohlenen Präsidentschaftswahl 2020 anschließen, haben die Partei auf einen autokratischen Kurs geführt, der im Wahljahr 2024 zu erheblicher politischer Gewalt führen könnte.
Dr. Thomas Greven ist Privatdozent für Politikwissenschaft am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.
Die USA befinden sich in einem «kalten Bürgerkrieg» gegen einen progressiv-kosmopolitischen Feind, der das Land und seine Werte zu zerstören drohe, heißt es in den apokalyptischen Analysen zahlreicher Autoren (darunter Michael Anton, John Eastman, Stephen Wolfe und Patrick Deneen), die ihre Katastrophenszenarien unter anderem am Claremont Institute in Kalifornien ausarbeiten. Wären dies nur Schriften randständiger Intellektueller, könnte man sie schnell vergessen. Doch sie werden von GOP-Politiker*innen bereitwillig als ideologische Rechtfertigung für extreme Maßnahmen, wie den Sturm des Kapitols am 6. Januar 2021, aufgegriffen. Demokratie sei ein Luxus, den man sich angesichts der fundamentalen Bedrohung vielleicht nicht mehr leisten könne, heißt es. So wird am Begriff «liberale Demokratie» zunehmend nicht nur das Adjektiv in Frage gestellt, wie man es aus der Diskussion um die «illiberale Demokratie» (Viktor Orbán) kennt, sondern auch das Substantiv.
Bereits heute beeinträchtigt diese Entwicklung der GOP die Regierungsfähigkeit der USA erheblich. Nach der von den «Rebellen» in der Fraktion um Matt Gaetz aus Florida erzwungenen Absetzung von Kevin McCarthy brauchte es mehrere Anläufe, bis sich die Republikaner im US-Repräsentantenhaus am 25. Oktober auf Mike Johnson aus Louisiana als neuen «Speaker» einigen konnten. Zuvor stand die Arbeit des Kongresses – und damit teilweise auch der Regierung – drei Wochen lang still.
Johnson gehört nicht dem radikalen, weitgehend Trump-hörigen Freedom Caucus in der Fraktion an, sondern er war Vorsitzender des – allerdings ebenfalls erzkonservativen – Republican Study Committee, bevor er 2021 zu einem der Vizevorsitzenden der Fraktion gewählt wurde. Kann Johnson, der wie ein Bibelschüler wirkt und kein verbaler Scharfmacher ist, die Auseinandersetzungen zwischen den – im erstaunlich passenden Mafia-Vokabular «fünf Familien» genannten – Flügeln in der Fraktion beenden?
Wahrscheinlich ist das nicht, denn tatsächlich bestehen die fundamentalen Probleme weiter und sind nicht allein durch den Speaker lösbar. Da die Fraktion nur über eine knappe Mehrheit verfügt und ein einzelner Abgeordneter die Absetzung des Speakers beantragen kann, hängt bei allen überparteilichen Kompromissen ein Damoklesschwert über Johnson, wie zuvor bereits über McCarthy.
Johnson ist trotz seines ruhigen Auftretens ein äußerst konservativer, christlich-nationalistischer Politiker, der die Bibel als maßgebliche Richtschnur des Regierungshandelns betrachtet und beispielsweise Homosexualität illegalisieren will. Und er war hinter den Kulissen einer der treibenden Akteure, als es darum ging, die Wahl von Joe Biden mit pseudojuristischen Begründungen anzufechten. Die große Mehrheit der republikanischen Abgeordneten lehnte im Januar 2021 die Zertifizierung von Bidens Wahlsiegs ab und bestreitet weiterhin seine Legitimität.
Die republikanische Fraktion ist also weiter nach rechts gerückt. War McCarthy noch ein Opportunist, der in alle Richtungen verhandelte, um seine Machtposition zu halten, werden Kompromisse mit Johnson voraussichtlich noch schwieriger.
Aus Sicht der Rebellen um Gaetz und vieler anderer in der republikanischen Fraktion sind solche Kompromisse nämlich grundsätzlich Produkte des Washingtoner Politiksumpfs, den es um jeden Preis auszutrocknen gilt. Niemand weiß, wie weit diese Rechtsaußen zu gehen bereit sind, um die Bundesregierung zu bekämpfen, die gemäß ihrer kollektiven Wahnvorstellung von einer «deep state» genannten Verschwörung beherrscht wird, die angeblich das Land zerstören will. Ob Johnson dieser Verschwörungserzählung anhängt, muss sich noch zeigen.
In jedem Fall dürfte die Kompromissfindung schwierig bleiben. Das ist ein grundsätzliches Problem, denn Kompromisse sind notwendig im Präsidialsystem der USA, vor allem, weil die Situation des geteilten Regierens («divided government») seit geraumer Zeit der Normalfall ist – keine der beiden Parteien ist strukturell so dominant, dass sie eine eigene Ära prägen könnte. Aktuell steht deshalb einmal mehr ein «Government Shutdown», die vorübergehende Schließung aller nicht-essenziellen Einrichtungen der Bundesregierung, im Raum, wenn die Übergangsfinanzierung am 17. November endet.
Wie konnte es soweit kommen? Hat Donald Trump eine zuvor «normale» konservative Partei gekapert? Tatsächlich muss man bis in die Gründungsgeschichte der GOP zurückgehen, um zu verstehen, warum Trump so ein leichtes Spiel hatte, die Partei in eine radikal rechtspopulistische und autokratische Richtung zu treiben.
Die strukturellen Vorteile der GOP
Die US-Verfassung ist Ergebnis vielfältiger Kompromisse. Bei der Staatsgründung mussten nicht nur die Belange der sklavenhaltenden Staaten berücksichtigt werden, sondern auch die Sorgen der Wohlhabenden vor dem «Pöbel» – in beiden Fällen galt es zuvörderst, die Eigentumsrechte zu schützen. Zudem war die Bundesregierung ein Geschöpf der Bundesstaaten, nicht umgekehrt; die Rechte der dreizehn Gründungsstaaten mussten also ebenfalls beachtet werden. Im Ergebnis entstand ein Verfassungssystem, das zwar die befürchtete «Tyrannei der Mehrheit» durch «checks and balances» verhindert und das Regierungshandeln im Regelfall von überparteilichen Kompromissen abhängig macht. Zugleich aber ermöglicht es einer politischen Minderheit, die Regierung zu übernehmen oder doch zumindest der Mehrheit das Regieren nahezu unmöglich zu machen. In diesem Sinne «schützt und ermächtigt» die Verfassung eine autoritäre Minderheit, wie Steven Levitsky und Daniel Ziblatt jüngst in «The Atlantic» schrieben, was angesichts des autokratischen Kurses der GOP eine strukturelle Bedrohung der Demokratie darstellt.
Kern des Problems ist die massive Überrepräsentation der ländlichen Bevölkerung im Senat und im Electoral College, das den Präsidenten wählt. Jeder Staat entsendet zwei Senator*innen nach Washington; damit sollte das Gewicht der Staaten im Gesetzgebungsprozess des Bundes gesichert werden. Heute jedoch sind die Abstände zwischen den bevölkerungsreichen Staaten mit großen städtischen Zentren und den bevölkerungsarmen, weitgehend ländlichen Staaten deutlich größer – in Kalifornien leben 40 Millionen Menschen, in Wyoming weniger als 600.000. Und so wurden vier der neun Richter*innen des derzeitigen Supreme Court, des Obersten Gerichtshofs, von einer Senatsmehrheit bestätigt, die nicht die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert. Zudem wurden drei von ihnen von einem Präsidenten ernannt, der nicht von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt wurde. Dies liegt am Electoral College, in das jeder Staat so viele Wahlpersonen entsendet, wie er Senator*innen und Abgeordnete im Repräsentantenhaus stellt – eine weitere Bevorteilung der Wähler*innen in ländlich geprägten, bevölkerungsarmen Staaten.
Darüber hinaus profitieren die Republikaner davon, dass die Zahl der Abgeordneten im Repräsentantenhaus auf 435 begrenzt ist und es deshalb nach der alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung zu einer Neuverteilung der Sitze zwischen den Staaten kommt. Diese kann auch einen Neuzuschnitt der Wahlkreise erfordern, der meist von den Bundesstaatsparlamenten vorgenommen wird. Da die Wähler*innen der Demokraten kompakter als die der Republikaner in Städten und Suburbs wohnen, fällt es republikanisch dominierten Parlamenten leichter, die Wahlkreise zu ihren Gunsten zuzuschneiden («gerrymandering»).
Die derart demographisch «optimierten» Wahlkreise, die für eine der beiden Parteien als «sicher» gelten können, stärken die Radikalen und tragen zur politischen Radikalisierung und gesellschaftlichen Polarisierung bei. Denn in den USA werden die Kandidat*innen der Parteien im Regelfall in Vorwahlen bestimmt, an denen für gewöhnlich nur eine kleine Zahl besonders aktiver Parteigänger*innen teilnimmt. Ist ein Wahlkreis für eine Partei «sicher», wird die Vorwahl zur entscheidenden Wahl, und dann setzen sich oft die größten Schreihälse durch – heute sind das in der GOP meist Anhänger*innen von Donald Trump und «Make America Great Again» (MAGA).
Zu diesen strukturellen Vorteilen kommt hinzu, dass die GOP auch von der statistischen Wahlbeteiligung profitiert: Die demokratische Wählerkoalition ist tendenziell jung, urban und ethnisch gemischt, aber die älteren, ländlichen und weißen Anhänger*innen der Republikaner gehen verlässlicher zur Wahl. Die GOP könnte ihre Wählerbasis mit einem weniger aggressiven Kurs über die schrumpfende weiße, christliche Bevölkerung hinaus erweitern und beispielsweise sozialkonservative Latinos und Afroamerikaner*innen zu gewinnen versuchen. Interne Kommissionen haben ihr nach den Niederlagen gegen Barack Obama eine ebensolche Neuausrichtung empfohlen, doch die Basis der Partei hat sich mit der Tea-Party-Bewegung gegenläufig positioniert und einen populistischen Kurs eingeschlagen.
Mit anderen Worten: Auch wenn es so aussieht, als ob Trump die Partei gekapert habe, ist es eher so, dass die weiße, christliche Basis das Establishment der Partei seit geraumer Zeit vor sich hertreibt. Die Strategen Roger Smith und Steve Bannon erkannten, dass diese innerparteiliche Bewegung über keine Führungsfigur verfügte, und präsentierten Trump daher als «Retter» vor der befürchteten «majority-minority society» – also einer Gesellschaft, in der die Summe der Minderheiten größer ist als die der Gruppe der Weißen.
Weil immer mehr Republikaner die Demokraten zur existenziellen Bedrohung des Landes erklären, muss die GOP sichergehen, dass nur sie regiert. «Für sie ist es keine Demokratie mehr», schreibt David Pepper in seinem Buch «Laboratories of autocracy». Und so ist die systematische Wählerunterdrückung und Behinderung der Wahlbeteiligung in den vielen Einzelstaaten, die von Republikanern kontrolliert werden, zentraler Teil des strategischen Repertoires der Partei, um im Bund Wahlen zu gewinnen, auch wenn sie landesweit weniger Stimmen als die Demokraten erringt (was in sieben der letzten acht Präsidentschaftswahlen der Fall war). Unter dem Vorwand, die Integrität der Wahlen gegen angebliche Fälschungsversuche zu schützen – für die es keine aktuelle Evidenz gibt, nur historische Anekdoten –, werden dafür neben Gesetzen auch alle administrativen Möglichkeiten genutzt, beispielsweise die Reduzierung der Wahllokale in afroamerikanischen Wahlbezirken. Daneben setzt die GOP auch auf die Unterwanderung der Wahlbehörden durch militante Parteisoldaten. Angesichts des aggressiven politischen Klimas, inklusive Morddrohungen aus den Reihen der MAGA-Republikaner, geben reihenweise erfahrene Wahlbeamt*innen und freiwillige Wahlhelfer*innen auf. Das Risiko, dass die Wahl 2024 nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann, steigt.
Die «affektive Polarisierung», sprich: die unversöhnliche Feindseligkeit und Tribalisierung der Bevölkerung, der Kontrollverlust des GOP-Establishments und deren inhaltlich entkernter, gemeinwohlfeindlicher Obstruktionskurs bringen die Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen der USA erkennbar an ihre Grenzen. Werden die Republikaner künftige Wahlniederlagen überhaupt noch akzeptieren? Oder sind die dreisten Behauptungen Trumps, dass eine Niederlage seinerseits überhaupt nur auf Wahlbetrug zurückzuführen sein könne, ein Menetekel für den Weg der GOP in die Autokratie?
Einwanderungsfeindlichkeit und Rassismus
Klar ist, dass dieser Weg nicht mit Donald Trump begonnen hat, sondern dass seine Wurzeln bis zum Gründungsmoment der Partei zurückreichen. Die Abschaffung der Sklaverei, die der republikanische Präsident Abraham Lincoln nach einem blutigen Bürgerkrieg durchsetzte, war nicht allein menschenrechtlich begründet, sondern auch mit dem Wunsch, die Konkurrenz für die «freie Arbeit» («free labor») im industrialisierenden Norden der USA zu beseitigen. «Free labor» hieß eben auch «American labor», und so war diese Position auch eine migrationsfeindliche, nativistische, welche die GOP von einer ihrer Vorgängerparteien, den «Know Nothings», übernahm. Viele Republikaner betrachteten die befreiten Schwarzen nicht als gleichwertig, und ein Großteil der überwiegend protestantischen Republikaner stellte sich gegen die Einwanderung aus katholisch geprägten Ländern – es dauerte viele Jahrzehnte, bis Einwanderer und Einwanderinnen aus Irland, Italien oder Polen von ihnen als «weiß» anerkannt wurden; noch John F. Kennedy musste seine Unabhängigkeit vom Vatikan beteuern. Hier liegt auch eine Wurzel der heutigen, größtenteils vorgeschobenen Sorge um die «Integrität der Wahlen» – schon in der sogenannten Progressiven Ära (um das Jahr 1900) bedurfte es großer Anstrengungen, um die Patronagesysteme aufzubrechen, mit denen sich damals insbesondere die Demokratische Partei die Stimmen der neu eingebürgerten Immigrant*innen sicherte.
Neben dem antiurbanen Instinkt, den die GOP in diesem historischen Kontext entwickelt hat, ist auch geblieben, dass sie religiöse Spaltungslinien politisch zu nutzen sucht. Spätestens seit dem gemeinsamen Kampf gegen das bundesweite Recht auf Abtreibung, das der Supreme Court mit der Entscheidung im Fall Roe vs. Wade 1973 etablierte, ist die traditionelle Trennlinie gegenüber Katholik*innen aufgeweicht, die lange als «Papisten» oder gar «Antichristen» verunglimpft wurden.
Nach den terroristischen Angriffen vom 11. September 2001 prägt heute vor allem die antimuslimische Haltung, in erster Linie die Ablehnung muslimischer Einwanderung, die GOP. Der Islam gilt ihnen als «antiamerikanisch». Zugleich werden Versuche unternommen, die überwiegend demokratisch wählenden Jüdinnen und Juden durch eine dezidiert proisraelische Politik für die GOP zu gewinnen.
Die Geschichte der amerikanischen Parteipolitik kann als Abfolge sogenannter «realignments» erzählt werden, das heißt grundsätzlicher Neuausrichtungen der parteipolitischen Präferenzen großer Wählergruppen. Besonders wirkmächtig war seit den 1960er Jahren die Umkehr der parteipolitischen Präferenzen im «Deep South», also in jenen Staaten, in denen die Sklaverei und später die gesetzliche Rassentrennung («segregation») praktiziert wurde. Je deutlicher sich die Demokraten von der Politik der Rassentrennung distanzierten und die Bürgerrechtsbewegung unterstützten, desto mehr wandten sich die Wähler*innen des alten Südens von ihnen ab.
Umgekehrt gab die GOP ihre vormalige Unterstützung afroamerikanischer Anliegen völlig auf. 1968 konnte Richard Nixon mit einer – für die Republikaner neuen – Ausrichtung auf die weißen Wählergruppen («Southern strategy») die Präsidentschaftswahl gewinnen. Ronald Reagan erweiterte diese Strategie erfolgreich auf weiße Vorstadtbewohner*innen («Reagan Democrats»), indem er Afroamerikaner*innen verschlüsselt Wohlfahrtsstaatsbetrug vorwarf. Sein Nachfolger, George H.W. Bush, nutzte zum gleichen Zweck die Furcht weißer Wähler*innen vor (schwarzer) Kriminalität. Neben ihrem traditionellen immigrationsfeindlichen Nativismus wurde Rassismus so – implizit oder explizit – Teil einer Spaltungsstrategie, mit der die Republikaner Wahlen gewinnen können, obwohl ihre Basis weißer, christlicher Wähler*innen schrumpft: «Wir gegen sie» – diese rassifizierte populistische Erzählung prägte die GOP, lange bevor Donald Trump die politische Bühne betrat. Als Partei der weißen Christen definiert sich die GOP als letztes Bollwerk gegen eine säkulare, von Minderheiten dominierte Gesellschaft.
Die Delegitimierung der Bundesregierung
Eine Zielsetzung, auf die sich nahezu alle Flügel des GOP-Establishments einigen können, ist die Delegitimierung der Bundesregierung in allen Fragen jenseits der nationalen Sicherheit. Die Bundesregierung gilt ihnen als Quell allen Übels und soll derart verkleinert werden, dass man sie «in der Badewanne ersäufen» kann (Grover Norquist von Americans for Tax Reform). Nachdem spätestens mit der Präsidentschaft Ronald Reagans die New-Deal-Hegemonie der Demokraten – also die überparteiliche Zustimmung zu einer aktiven Rolle der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik – gebrochen wurde, adaptierte die GOP eine Doppelstrategie: Republikaner wollen immer dann weniger Schulden machen und den Bundeshaushalt ausgleichen, wenn die Demokraten an der Regierung sind. Regieren sie aber selbst, spielen Schulden keine Rolle mehr, weil man durch Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche das Wachstum angeblich so ankurbeln kann, dass alle davon profitieren und der Haushalt trotzdem ausgeglichen werden kann. Zwar hat es diesen «trickle-down effect» empirisch nie gegeben, aber die wachsenden Schulden beschneiden massiv die Möglichkeiten für demokratische Präsidenten, die dann unbedingt sparen sollen – und dies lange Zeit auf der Basis neoliberaler Überzeugungen sogar wollten.
Diese republikanische Hegemonie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik hat sich etwas abgeschwächt, seit der Aufstieg von Bernie Sanders und den linken Kongressabgeordneten um Alexandria Ocasio-Cortez die neoliberalen Kräfte in der Demokratischen Partei unter Druck setzt. Aber abgeschwächt heißt nicht aufgehoben: Die Republikaner machen den Reichen – wie zuletzt unter Präsident Trump – weiterhin Steuergeschenke, wenn sie regieren, und hindern mit ihrem in der Opposition immer wieder neu entdeckten Schuldenbewusstsein die Demokraten daran, so zu regieren, dass der Staat für seine Bürger*innen vernünftig funktioniert. Reagan meinte bekanntlich, die Regierung sei «das Problem, nicht die Lösung». Und das soll auch so bleiben.
Doch etwas ist neu: Die Absetzung Kevin McCarthys als Speaker durch eine Gruppe von «Rebellen» um den Abgeordneten Matt Gaetz ist der Kulminationspunkt einer Entwicklung, die schon andere Speaker mittelbar ihr Amt gekostet hat. Der Unterschied zwischen den Rebellen und dem Gros der Fraktion besteht vor allem darin, dass die Ultrarechten jedes Chaos in Kauf nehmen, um ihre Forderungen nach drastischen Budgetkürzungen durchzusetzen – im Frühjahr, als es um die Erhöhung der Schuldenobergrenze ging, sah es vorübergehend gar so aus, als würden sie die Kreditwürdigkeit der USA aufs Spiel setzen wollen. Angefeuert von Trump – dem es vor allem darum geht, die juristische Aufarbeitung seiner Rolle beim Sturm auf das Kapitol und beim Versuch, trotz seiner Niederlage im Amt zu bleiben, zu behindern – verweigern die Rebellen jegliche Kompromisse und setzen auf ein «Alles-oder-Nichts».
Die Selbstermächtigung der Basis
Es waren zwar nur wenige Abgeordnete, die bereit waren, Kevin McCarthy als Speaker abzuwählen. Doch die Zahl der republikanischen Amtsträger*innen im Bund und in den Bundesstaaten, die sich einem entschlossenen Anti-Establishment-Kurs verschreiben und entschlossen gegen überparteiliche Kompromisse – und damit oft auch gegen Parteifreunde – stellen, ist viel größer und wächst stetig. Woher kommen diese Rebellen, die sich vor allem im rechten Freedom Caucus im Repräsentantenhaus versammeln, und warum hat das Parteiestablishment sie nicht unter Kontrolle?
Bereits die klassisch konservative Republikanische Partei des 19. und 20. Jahrhunderts hatte trotz ihres «Country-Club»-Images Elemente eines Anti-Intellektualismus und eines ländlich geprägten Anti-Urbanismus und Anti-Snobismus. Doch erst der konzertierte Versuch des späteren Speakers Newt Gingrich Mitte der 1990er Jahre vermochte die Verstrickungen auch der republikanischen Senator*innen und Abgeordneten in die politische Kultur von Washington, DC, aufzubrechen. Hier liegen die Wurzeln der heutigen Bedeutung des Anti-Establishment-Populismus. Gingrich attackierte Republikaner, die nicht in ihren Wahlkreisen wohnten oder dort kaum noch Zeit verbrachten, weil sie aufgrund ihrer demographischen Zusammensetzung «sicher» waren. Angefeuert von konservativen Medienpersönlichkeiten wie Rush Limbaugh, wiegelte er die Basis gegen diese Republikaner auf, wenn sie nicht seinem Kurs der Verweigerung von Kompromissen und der zunehmenden Dämonisierung des politischen Gegners folgten. Das Ergebnis war in der Tat eine stärkere Rückbindung der Abgeordneten an ihre Wahlkreise, aber eben auch die soziale, kulturelle und politische Entfremdung zwischen den Vertreter*innen der beiden Parteien.
Mit der sogenannten Tea-Party-Bewegung, die sich im Frühjahr 2009, unmittelbar im Anschluss an die Wahl Barack Obamas, formierte, verselbstständigte sich dieser Anti-Establishment-Populismus innerhalb der GOP. Es ist zwar umstritten, ob die Tea Party tatsächlich eine Basisinitiative war oder doch eher eine gesteuerte Kampagne des Establishments, das Unterstützung für seine Obstruktion der Politik der Obama-Regierung benötigte. Aber heute ist klar, dass das Establishment durch die Wucht der vielen Tea-Party-Akteur*innen die Kontrolle über den Anti-Establishment-Populismus verlor. Die Basis wartete nicht länger auf Ansagen aus der Parteizentrale oder von der Kongressführung, um gegen sogenannte RINOs («Republicans in name only» – Republikaner nur dem Namen nach) vorzugehen. Stärker noch als bei der Gingrich-Strategie setzten die Tea-Party-Aktivist*innen auf die Macht, die sie in den Vorwahlen der Partei besaßen. Denn da die Wahlbeteiligung bei diesen Vorwahlen meist niedrig liegt, kommt den Aktivist*innen hier eine besondere Bedeutung zu. Tatsächlich führt das Instrument der Vorwahlen dazu, dass insbesondere in «sicheren» Wahlkreisen ideologisch radikalere Kandidat*innen leichter gewinnen können. Sie müssen eben «nur» die aktive Parteibasis von sich überzeugen.
Mit der Tea Party begann auch die Entwicklung der GOP hin zu einer radikal-populistischen Partei, die fast ausschließlich weiße Christ*innen vertritt. Die Basis skandierte: «Wir wollen unser Land zurück” – und man fragte sich: Von wem? Angesichts einer demographischen Entwicklung, die über kurz oder lang zu einer Gesellschaft führen wird, in der die Weißen nicht länger die Mehrheit stellen, begreifen viele Republikaner die Gesamtheit des Landes nicht länger als Nation, sondern schauen auf andere Gruppenidentitäten – auf die «richtigen Amerikaner», und das sind für viele die Weißen und für manche sogar nur die weißen Christ*innen. Für diese sollte es durchaus auch einen Wohlfahrtsstaat geben, was der vorherrschenden vulgärlibertären Linie des GOP-Establishments widersprach, und genau deshalb später für Donald Trump zum Einfallstor wurde.
Die Kulturkriege
In der demographischen Defensive forciert die GOP als Vertreterin einer schrumpfenden, fast ausschließlich weißen und christlichen Basis die populistische Mobilisierung von Kulturkampfthemen. Der gemeinsame Kampf gegen das bundesweite Recht auf Abtreibung seit 1973 hatte bereits die Gräben zwischen Evangelikalen und Katholik*innen überbrückt und die Politisierung der christlichen Rechten zugunsten der GOP bewirkt. Die christlich-fundamentalistische «Moral Majority» wurde zu einem wichtigen Teil der GOP-Basis, der es dann auch um den Kampf gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ging. George W. Bushs Chefstratege nutzte diese Auseinandersetzung im Wahlkampf 2004, um mit geschickt platzierten Referenden zur gleichgeschlechtlichen Ehe konservative Wähler*innen in umkämpften Bundesstaaten zu mobilisieren.
Heute ist der GOP dieser Mobilisierungsvorteil abhandengekommen. Nachdem eine konservative Mehrheit im Supreme Court das bundesweite Recht auf Abtreibung gekippt hat, können nun wiederum die Demokraten bundesstaatliche Referenden strategisch zur Wählermobilisierung einsetzen.
Zudem hat sich im Kampf gegen die «wokeness» – ein eigentlich progressiver Begriff für die Wachsamkeit gegenüber Ungerechtigkeiten, den die Konservativen zu einem Kampfbegriff gemacht haben – eine Zuspitzung ergeben, die über eine taktische Instrumentalisierung hinausgeht. Kulturkämpfe um die Rechte von LGBTQ-Personen, um Bücherverbote in Schulen, um Lehrinhalte zu Rassismus, Homosexualität und Transsexualität, aber auch um das Recht auf Waffenbesitz, untergraben inzwischen die Grundfesten der amerikanischen Demokratie, weil die Aktivist*innen sie mit der Frage verbinden, wer als vollwertiger Staatsbürger gelten soll. Teilweise haben diese Kulturkämpfe einen stark christlich-konservativen Einschlag: Wer kein Christ ist, gehört nicht wirklich zu America. Dieser «Christian nationalism» ist nicht einfach konservativ, sondern reaktionär – es geht nicht darum, den Wandel zu moderieren, sondern um eine Rückkehr in eine angeblich bessere Zeit.
Inzwischen wenden sich Teile der GOP sogar gegen die sie traditionell unterstützende Geschäftswelt – wenn Unternehmen sich progressiv positionieren, sozialökologische Anlagestrategien verfolgen oder, wie bei der Auseinandersetzung zwischen Disney und Gouverneur Ron DeSantis in Florida, LGBTQ-Rechte verteidigen, müssen sie mit Boykottaufrufen rechnen.
Die Geister, die ich rief: Der Anti-Establishment-Populismus frisst seine Väter
Was fügte Donald Trump dem Strategie-Mix der Republikaner noch hinzu, was erklärt die Leichtigkeit, mit der er die GOP-Basis weitgehend zu einem auf ihn ausgerichteten Personenkult formen konnte, und was sind die Aussichten für einen «Trumpismus ohne Trump»?
Die Präsidentschaft Barack Obamas bot Donald Trump die Möglichkeit, sich als «letzte Hoffnung» für die demographisch schrumpfende Gruppe der weißen Christ*innen in den USA anzubieten. Während er im Amt weitgehend eine orthodoxe GOP-Politik von Steuersenkungen und Deregulierung verfolgte, bot er in seinen Wahlkämpfen das gesamte Repertoire der republikanischen Spaltungspolitik auf, allerdings stark zugespitzt, wie «auf Steroiden»: Immigrationsfeindlicher Nativismus, Rassismus und antiislamische Aussagen wurden nicht länger unterschwellig, sondern aggressiv und beleidigend vorgetragen. Auch die Dämonisierung des politischen Gegners und der Medien als «Volksfeinde» erreichte eine neue Dimension. Die Instrumentalisierung der Basis in den Vorwahlen führte zur Abwahl oder zum «freiwilligen» Rückzug vieler Republikaner, die Trump skeptisch gegenüberstanden.
Neben seinem Star-Status und seiner Bereitschaft zur Entmenschlichung des politischen Gegners setzte sich Trump mit seiner expliziten Skepsis gegenüber Freihandel und Militäreinsätzen hinreichend von der GOP-Orthodoxie ab, um von einem Außenseiterstatus zu profitieren. Als Partei der (weißen) Arbeiterschaft – pragmatisch definiert als Menschen ohne Collegeabschluss – hat die GOP den Protektionismus wiederentdeckt, der allerdings von der Trump-Regierung vor allem instrumentell eingesetzt wurde, um Marktöffnungen zu erzwingen. Auch bezüglich des Wohlfahrtsstaats ist Trump pragmatisch, da sich ein Teil der Basis hier gegen die GOP-Orthodoxie stellt. Aber der Staat soll nur für sie funktionieren, genauer: für «echte Amerikaner» und nur für jene Armen, die es auch «verdienen» («deserving poor»).
In der GOP hat es immer auch extremistische Strömungen gegeben, beispielsweise mit der antisemitischen John Birch Society; diese wurden aber stets vom Establishment eingehegt. Trumps rhetorische und durch die Forcierung der Grenzbefestigung auch praktische Verstärkung des migrationsfeindlichen Nativismus und Rassismus sowie die Verwendung antisemitischer Codes (wie «Globalismus») haben die Abgrenzung zu rechtsradikalen Positionen jedoch bröckeln lassen, was sich nicht zuletzt an der Beteiligung von Gruppierungen wie den Oath Keepers und den Proud Boys am Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 zeigte, der von vielen Beobachter*innen als von Trump versuchter Staatsstreich gewertet wird. In der GOP ist in der Folge eine starke ethnonationalistische und christlich-nationalistische Strömung gewachsen. Sprich: Wer nicht weiß ist, gehört nicht wirklich zu Amerika.
Nicht ohne Grund wird deshalb in den USA eine Diskussion über Faschismus geführt. Autoren im Umfeld des Claremont Institute sprechen ungerührt von Caesarismus oder sehen Trump als neuen Napoleon – wobei sie deren jeweilige Schicksale wohl übersehen. Möglicherweise hat Trump wirklich eine Neuausrichtung der US-Politik eingeläutet: die kult-ähnliche, bedingungslose Ausrichtung auf eine Person. Die aktuellen Umfragen, die Trump ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl in den besonders umkämpften Bundesstaaten («battleground states») vor Präsident Joe Biden sehen, scheinen dafür zu sprechen.
Doch zugleich deutet einiges darauf hin, dass nicht nur das Establishment, sondern auch Trump die Kontrolle über die MAGA-Basis zu verlieren droht – die Verachtung von Eliten ist zu einem schwer zu kalkulierenden Faktor geworden. Die christlich-nationalistische Basis und ihre in sicheren Wahlkreisen geschützten Repräsentant*innen bestehen auf der Forderung nach einem strikten bundesweiten Verbot von Abtreibungen, wovon selbst Trump mit Blick auf die verbreitete Zustimmung für das Recht auf Abtreibung Abstand nimmt. Trump sorgt sich diesbezüglich zurecht um seine Chancen bei der Wahl 2024, aber die Zunahme von Kleinstspenden hat nicht nur ihn, sondern auch einige Abgeordnete und Senator*innen unabhängiger von den Großspendern und ihren Spendensammelorganisationen (Political Action Committees) gemacht.
Während in der GOP die Manipulationsbereitschaft bezüglich zukünftiger Wahlen steigt – insbesondere die gezielte Behinderung der Wahlbeteiligung von Minderheiten und Jungwähler*innen –, wächst an der Basis die Verbreitung von Verschwörungserzählungen und die Gewaltbereitschaft. Viele glauben, dass zur Rettung des Landes vor den Demokraten und den Minderheiten die demokratischen Regeln missachtet werden können oder gar müssen. Zwar gibt es in der GOP nach wie vor die Country-Club-Kultur und die Geschäftsleute, die alles mittragen, solange nur die Steuern niedrig sind. Aber die Basis verachtet sie inzwischen offen als RINOs und ist bereit, sie mithilfe konservativer Medien zu dämonisieren und auszuschalten.
Die Bundesstaaten: «Labore der Autokratie»
Der Kontrollverlust zeigt sich insbesondere in republikanisch dominierten Bundesstaaten. Durch die Dominanz des Trumpismus in Teilen der USA verschärft sich die gesellschaftliche und politische Polarisierung der USA immer weiter. Auch wenn bei den Zwischenwahlen 2022 die prognostizierte «rote Welle» ausblieb, weil viele explizit von Trump unterstützte Kandidat*innen durchfielen und die Republikaner nur eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus gewinnen konnten: In Nevada gewann der von Trump unterstützte Joe Lombardo die Gouverneurswahl. Nicht nur dort hat sich die GOP unter Trumps Einfluss in eine rechtsautoritäre Partei verwandelt. Insbesondere das zuletzt noch umkämpfte Florida hat sich immer deutlicher zu einem faktischen Einparteienstaat entwickelt, auch aufgrund von «gerrymandering», also von parteiisch manipulierten Wahlkreiszuschnitten. Das gilt ähnlich auch für Ohio, obwohl die Bevölkerung dort politisch ziemlich genau in der Mitte gespalten ist. In Wisconsin halten die Republikaner zwei Drittel der Sitze, obwohl sie weniger als die Hälfte der Stimmen errangen. Und auch wenn MAGA-Republikaner in einigen umkämpften Bundesstaaten wie Michigan und Pennsylvania 2022 die Wahlen verloren, gewannen Hunderte andere MAGA-Kandidat*innen, auch ohne dass Trump sie explizit unterstützen musste.
Mit Klagen versuchen konservativ regierte Bundesstaaten, allen voran Texas, erfolgreich, die Kompetenzen der Bundesregierung in Bereichen wie Klimapolitik, Migration und Gesellschaftspolitik zu beschneiden. Die Aussetzung wesentlicher Teile des Voting Rights Act durch den Supreme Court erleichtert den republikanisch regierten Bundesstaaten die systematische Unterdrückung der Wahlbeteiligung von Minderheiten. Im Ergebnis sind die von Republikanern regierten Staaten nicht länger die föderalistischen «Labore der Demokratie», wie sie der Supreme-Court-Richter Louis Brandeis 1932 nannte, sondern «Labore der Autokratie».
Floridas Gouverneur, Ron DeSantis, hat eine Reputation als Kulturkämpfer. Mit den als «Don’t say gay» und «Stop WOKE Act» bekannten Gesetzen versucht er, staatliche Schulen und Bibliotheken im Sinne einer Geschichtsschreibung «ohne Schuldgefühle» (für Weiße) an die Kette zu legen. Noch instruktiver für seinen autoritären Kurs ist die Art und Weise, wie Florida die – von der Wählerschaft 2018 per Referendum beschlossene – Wiedergewährung des Wahlrechts für rund eine Million entlassener Strafgefangener bekämpft. Bis dahin war dies nur individuell, per Gnadenerlass des Gouverneurs, möglich. Nach dem Referendum verabschiedete das Parlament dann sofort ein Gesetz, welches die Wiedergewährung an die vollständige Bezahlung aller ausstehenden Gebühren, Mahngebühren und Strafzahlungen knüpft – eine extrem hohe Hürde für entlassene Strafgefangene.
Schicksalswahljahr 2024
Die Wahlen und Abstimmungen, die am 7. November 2023 in einigen Bundesstaaten stattfanden, ergaben einen Dämpfer für den autokratischen Kurs der GOP, aber auch für die Protagonist*innen eines konservativen Kurses jenseits der MAGA- und Trump-Hörigkeit.
So legalisierten die Wähler*innen im republikanisch-roten Ohio nicht nur den Freizeitgebrauch von Marihuana, sondern verankerten auch – gegen den massiven Widerstand der GOP – das Recht auf Abtreibung in der Verfassung. Im ebenfalls roten Kentucky gewann der demokratische Amtsinhaber Andy Beshear gegen den von Trump – aber auch vom institutionalistischen Minderheitsführer im US-Senat, Mitch McConnell – unterstützten Daniel Cameron.
Am 7. November scheiterte auch der Versuch des Gouverneurs von Virginia, Glenn Youngkin, in diesem «purple state» (gespalten zwischen dem blauen Norden der Washingtoner Vorstädte und dem ländlichen, republikanisch-roten Süden) die Mehrheiten in beiden Häusern der General Assembly zu gewinnen. Youngkin stand selbst nicht zur Wiederwahl; er versuchte, wie die meisten Republikaner, dem Abtreibungsthema auszuweichen, indem er einen von ihm als moderat angesehenen Kurs vertrat, demzufolge Abtreibungen in den ersten fünfzehn Wochen der Schwangerschaft legal sein sollen. Im Vergleich zu den drastischen Verboten in anderen Bundesstaaten, wo Ärzte warten müssen, bis das Leben der Mutter akut gefährdet ist, scheint der Vorschlag in der Tat gemäßigt. Dennoch gelang es weder, die Mehrheit im Senat von Virginia zu erobern, noch die GOP-Mehrheit im House of Delegates zu verteidigen. Wie 2022 – und wohl auch 2024 – nutzten die Demokraten jede Chance, als Kämpfer für das Recht auf Abtreibung und mittelbar als Verteidiger der Rechte von Frauen insgesamt aufzutreten. Daher sieht es für sie derzeit, jenseits der allerdings nicht unerheblichen Schwierigkeiten des Kandidaten Joe Biden, nicht schlecht aus.
Dies ist eindeutig die Folge der autokratischen Wende der GOP, die sich in kurzer Zeit von einer traditionell konservativen, weitgehend staatstragenden in eine rechtspopulistische Partei gewandelt hat und nun in Teilen rechtsradikal (und mitunter rechtsextremistisch) auftritt. Die apokalyptischen Verschwörungsüberzeugungen weiten sich zur Gewaltbereitschaft aus. Zur Verteidigung der von ihnen als existenziell bedroht wahrgenommenen «weißen, christlichen Nation» gegen die zunehmend diverse, säkulare und urbane Bevölkerung sind sie zu (fast) allem bereit. Bewaffnete Bürger*innen tauchen bei Wahlkampfveranstaltungen auf, und Angehörige ethnischer Minderheiten berichten, dass sie Angst davor haben, wählen zu gehen. Prominente Vertreter der angeblichen «Law-and-Order»-Partei wie Marco Rubio, Kevin McCarthy und Ted Cruz machen sich mit Wortführern der extremen Rechten und Verschwörungsgläubigen gemein, die von «Gestapo», «Stasi», «Bananenrepublik» und vom anstehenden Bürgerkrieg reden.
Der mutmaßliche Kandidat der GOP, Donald Trump, macht seinerseits kaum ein Geheimnis daraus, was er in einer zweiten Amtszeit vorhat. Karrierebeamte, die ihm nicht loyal genug sind, sollen entlassen und durch Gefolgsleute ersetzt werden können. Die Drohung, die Regierungsgewalt nicht nur dazu zu benutzen, die eigenen Unterstützer*innen zu belohnen – und im Zweifelsfall auch sich selbst zu begnadigen –, sondern auch dazu, den politischen Gegner zu bestrafen, könnte nicht deutlicher sein.
Bisher schadet diese harte Haltung Trump in den Umfragen nicht; auch die Murdoch-Medien (Fox, New York Post etc.) haben ihre zwischenzeitliche Distanzierung von Trump teilweise wieder abgeschwächt. Noch haben die Großspender*innen aus der Geschäftswelt ihre Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich in den GOP-Vorwahlen ein aussichtsreicher Gegner Trumps herauskristallisiert. Im Zweifel aber werden sie – wie 2016 und größtenteils 2020 – wieder opportunistisch den nominierten Kandidaten der GOP unterstützen. Jenseits aller nativistischen, rassistischen, protektionistischen oder christlich-nationalistischen Rhetorik würde Trump ihnen sicher wieder liefern, was der GOP-Orthodoxie entspricht: niedrige Steuern, Deregulierung, konservative Richter und gewerkschaftsfeindliche Maßnahmen.