Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 beschlossen. Sie basiert auf der «Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft» und bezeichnet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das «von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal».
Das erste Treffen der Vereinten Nationen fand im April 1945 statt, im Juni 1945 unterzeichneten die Mitgliedsstaaten die gemeinsam erarbeitete Charta. Sowohl die Charta als auch die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sind stark von den Folgen des Zweiten Weltkrieges geprägt. Letztere weist darauf hin, dass die «Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt» hat.
Halina Wawzyniak war Mitglied des Bundestages für Die Linke, stellvertretende Vorsitzende der Partei und arbeitet für das Justiziariat der Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin als Fraktionsgeschäftsführerin. Außerdem ist sie Doktorin der Rechtswissenschaft und schreibt regelmäßig zu einer Bandbreite von politischen Themen.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist eine rechtlich nicht bindende Resolution (vgl. Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 10, Rz. 33). Dies ist deshalb von Bedeutung, weil das Bundesverfassungsgericht festgehalten hat (Rz. 88), dass die «allgemeinen Regeln des Völkerrechts […] gemäß Art. 25 GG Bestandteil des deutschen Rechts im Rang über dem einfachen Bundesrecht [sind]». Wichtig ist in diesem Zusammenhang der am 16. Dezember 1966 beschlossene Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt). Am 23. März 1976 trat er völkerrechtlich in Kraft, die Bundesrepublik ratifizierte ihn am 17. Dezember 1973, die DDR mit Vorbehalten ebenfalls im Jahr 1973.
Die Bezeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als «Ideal» macht deutlich, dass der in der Erklärung beschriebene Zustand 1948 noch nicht erreicht war. Er ist bis heute nicht erreicht – trotz des hinzugekommenen UN-Sozialpaktes – und sicherlich müsste eine solche Erklärung heutzutage auch den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (also das Thema Klima) enthalten. Die unzulängliche Umsetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist nicht allein dem Kapitalismus geschuldet, auch die vermeintlich sozialistischen Staaten haben aktiv zum Scheitern der Umsetzung beigetragen.
Zum Verhältnis der BRD zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist viel geschrieben worden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte legt jährlich dem Bundestag seinen Bericht über die Entwicklung der Menschrechtssituation in Deutschland vor. Der Bericht für den Zeitraum Juni 2021 bis Juli 2022 weist zum Beispiel darauf hin, dass Schüler*innen mit Behinderungen de facto der diskriminierungsfreie Zugang zu einem inklusiven Schulsystem verwehrt bleibt. Die Bundesrepublik ist weit davon entfernt, als Musterbeispiel für die Einhaltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gelten zu können.
Aber zurück zu den vermeintlich sozialistischen Staaten, insbesondere der DDR. Die DDR hat die Freiheitsrechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eklatant verletzt und ist auch deshalb zu Recht zu Grunde gegangen. Dies dürfte mittlerweile Allgemeinwissen sein. Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beispielsweise enthält das Recht «jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen». Die DDR hat auf Menschen geschossen, wenn sie dieses Recht in Anspruch nehmen wollten. Das sagt alles zum Stellenwert der Freiheitsrechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in der DDR aus.
Doch die DDR hat nicht nur die sogenannten Freiheitsrechte verletzt, auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK-Rechte) wurden nur oberflächlich umgesetzt.
Da wäre beispielsweise der Umgang mit den Vertragsarbeiter*innen. Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagt, dass Niemand in Leibeigenschaft gehalten werden darf. Als Leibeigenschaft wird allgemein eine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit verstanden. Waren die Vertragsarbeiter*innen aber nicht im Wesentlichen Leibeigene der DDR? Die vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen kamen aufgrund eines Vertrags zwischen DDR und Vietnam zum «Einsatz». Ihre Arbeitsverträge waren zeitlich befristet und vor Ort wurde keine Integration angestrebt. Die Arbeiter*innen durften ihren Arbeitsort nicht frei wählen und wurden meist in Wohnheimen untergebracht. Bevor sie ihre Arbeit aufnahmen, wurde ihre «gesundheitliche Eignung» festgestellt, wer ernsthaft erkrankte, musste zurück nach Vietnam, Schwangere mussten sich zwischen Schwangerschaftsabbruch oder Rückreise entscheiden. Das hat alles nichts mit «angeborener Würde» und «gleichen und unveräußerlichen Rechte[n] aller Mitglieder der Gemeinschaft» zu tun.
Sowohl in Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als auch in Artikel 6 des UN-Sozialpaktes wird das Recht auf Arbeit bestätigt. Auch die Verfassung der DDR aus dem Jahr 1949 schrieb das Recht auf Arbeit in Artikel 15 fest. Die Verfassung der DDR aus dem Jahr 1968 wiederum enthielt in Artikel 24, Absatz 1 das Recht auf Arbeit und in Absatz 2 dann die Formulierung: «Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit». Somit wurde in der Verfassung nichts anderes als ein Zwang zur Arbeit verankert. Dieser Zwang kam auch in § 249 des Strafgesetzbuches der DDR zum Ausdruck. Dort wurde geregelt, dass «wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, [...] mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft [wird]». Diese Regelung wurde erst am 18. Mai 1990 aufgehoben. «Der Tatbestand war bereits erfüllt», so schreiben Carla Geib und Nora Tuchelt in einem Beitrag für den «SQ Blog: Geschlecht und Recht», wenn über einen längeren Zeitraum nicht gearbeitet wurde, wobei «die Gründe für die Tat nie tiefergehend erforscht wurden. Häufig war eine psychische Krankheit wie Alkoholismus ein Grund». Das Verhängen von Gefängnisstrafen für Personen, die sich ihrer «Pflicht» zu Arbeiten widersetzten, stellt eine krasse Missachtung der angeborenen Würde des Menschen dar.
Nicht selten wird die DDR als Vorzeigebeispiel einer progressiven Politik in Sachen Frauenbeschäftigung gehandelt. Die Errungenschaften in diesem Bereich sind jedoch weniger den Bemühungen um «Gleichberechtigung», als wirtschaftlichen Notwendigkeiten geschuldet. Selbst bei diesem «Vorzeigeprojekt» zeigt sich jedoch, dass Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Artikel 7 des UN-Sozialpakts nicht eingehalten wurden. Beide schreiben gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit vor. Eine Auswertung der Lohndatenerhebungen im Jahr 1988 ergab jedoch, dass Frauen in den niedrigeren Lohn- und Gehaltsgruppen waren, und «auch in gleichen Lohngruppen […] im Durchschnitt sieben Prozent weniger Lohn [erhielten].» (Vgl. S. 557)
Ein letztes Beispiel für die Missachtung der WSK-Rechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist die Verletzung von Artikel 26 und Artikel 13 des UN-Sozialpakts. Letzterer garantiert jeder Person das Recht auf Bildung. Es stimmt, dass der Zugang zu Bildung in der DDR nicht vom Geldbeutel der Eltern abhing. Allerdings war der Zugang zu höherer Bildung wie dem Abitur dennoch durchaus selektiv. Ich habe selbst erlebt, wie in meiner Schulklasse im Jahr 1989 die Klassenbeste, eine Katholikin und nicht Mitglied der FDJ, keine Zulassung zum Abitur erhielt, obwohl sie auch noch «volkswirtschaftlich wichtige» Berufe als Berufswunsch angegeben hatte. In dem im Jahr 1990 beginnende Abiturjahrgang gab es zahlreiche Schüler*innen, denen zuvor z.B. auf Grund ihrer Kirchenzugehörigkeit der Zugang zum Abitur verwehrt worden war.
Die Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte wartet weiterhin auf ihre Umsetzung. Weder Kapitalismus noch die vermeintlich sozialistischen Staaten haben eine Umsetzung auf den Weg gebracht. Von einem kapitalistischen Staat ist das vermutlich auch gar nicht zu erwarten, denn kapitalistische Profitinteressen und eine gesellschaftliche Ordnung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, schließen sich gegenseitig aus. Dass allerdings auch die vermeintlich sozialistischen Staaten selbst bei den WSK-Rechten versagt haben, zählt zu den bitteren Wahrheiten der jüngeren Geschichte. Für die Umsetzung der Erklärung der Allgemeinen Menschrechte ist eine Menschenrechtspolitik nötig, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht instrumentell auf tatsächliche oder vermeintliche Verbündete und Gegner*innen abstellt. Eine Menschenrechtspolitik, die deutlich macht, dass Freiheitsrechte und WSK-Rechte sich nicht voneinander trennen lassen.