Nachricht | Div. (Hrsg.) Vom Ich zum Wir und wieder zurück? Göttingen 2023

Gabe zum Geburtstag eines Bewegungshistorikers

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Der Zeithistoriker Detlef Siegfriedfeierte vor einigen Wochen seinen 65. Geburtstag. Aus diesem Anlass würdigen persönliche und akademische Freund*innen Leben und Werk des Jubilars in einer kleinen Festschrift. Diese enthält eine fundierte Einleitung und zwölf Texte. Siegfried lehrt seit 1996 in Kopenhagen und ist dort seit 2011 Professor. Er hat sich vor allem um die Erforschung der «neuen Linken» und der alternativen Milieus und neuen sozialen Bewegungen in Deutschland und Europa verdient gemacht und diese in vielen Büchern und Aufsätzen beschrieben. Ein Schriftenverzeichnis bietet der Band leider nicht, die Würdigung der Person durch den 1940 geborenen Historiker Jürgen Reuleckegibt aber einen guten Überblick; Reulecke nennt die biografischen Stationen und die wichtigsten Veröffentlichungen seit der Dissertation 1991 an der Universität Kiel.

Die Aufsätze der Festschrift thematisieren geografisch die DDR und Westdeutschland, aber auch Südafrika, die Türkei und Dänemark. Zu finden sind Beiträge über die dänische Homosexuellenbewegung, die Rezeption der algerischen Unabhängigkeitsbewegung in der südafrikanischen Antiapartheids- und Freiheitsbewegung (Hanno Plass), die maoistischen Kleinparteien der bundesdeutschen 1970er (Knud Andresen) oder zu den Erfahrungen türkischer Linker im Exil in Hamburg vor und nach dem Putsch in der Türkei 1980 (David Templin). Dagmar Herzog erinnert an Ernst Klee(1942-2013), der mit seinem schon Anfang der 1980er Jahre starken Fokus auf die «subjektive Täterperspektive» zurückblickend als eine/r der (heute nahezu vergessenen) Begründer*innen der so genannten «NS-Täterforschung» angesehen werden müsse. Stefanie Schüler-Springorumerinnert in ihrem lesenswerten Text an Franz Josef Degenhardt(1931-2011). Der promovierte Jurist war als Liedermacher sehr bekannt, lange Mitglied der Deutschen Kommunistischen Parteiund auch als Schriftsteller tätig. Kristoff Kerl beschäftigt sich mit Drogengebrauch und -diskursen in der Bundesrepublik um 1970, und Michael Rauhut(Norwegen) mit der ostdeutschen Band «Silly».

Die Beiträge sind ein, wie könnte es anders sein, unvollständiges Spiegelbild des umfangreichen und kontinuierlichen Schaffens von Siegfried. Eine Frage, die sich durch die Texte des Bandes, und durch die Forschung von Siegfried zieht, ist die nach dem Verhältnis von «Kultur» und «Politik», ja nach dem grundlegenden Wandel der Vorstellungen davon, was «Politik» und »«Kultur» überhaupt ist oder gewesen sei. Eine zweite, ebenso relevante ist die danach, wie sich die Subjekte selbst veränderten, und inwiefern die Protestbewegungen ein neues «Wir» zum Ziel - und zur Voraussetzung ihrer Aktivitäten hatten.

Detlef Siegfried hat sich um die Erforschung der neuen sozialen Bewegungen verdient gemacht und nicht nur deswegen sei auch an dieser Stelle noch nachträglich herzlich gratuliert.

Knud Andresen, Sebastian Justke, Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.). Vom Ich zum Wir und wieder zurück? Subjektverständnisse zwischen Politisierung und Entradikalisierung seit den 1960er Jahren; Wallstein-Verlag, Göttingen 2023, 267 Seiten, 34 Euro