Die Sozialpathogenese von Depression, Sucht und Suizidalität liegen auch in der auf Selbstverwirklichung und Konkurrenz angelegten neoliberalen Moderne. Der psychiatrische Apparat übernimmt dabei die Aufgabe diese Leiden individualisierend zu verarbeiten. Eine der herausforderndsten, aber auch alltäglichen Aufgaben ist es dabei die Suizidalität von Betroffenen zu erkennen, darauf «richtig» zu reagieren und sie schließlich wieder zum Leben zu überzeugen.
Während sich die medizinisch-psychologische Suizidforschung meist auf Risikofaktoren, Erklärungsmodelle und einzelne suizidpräventive Maßnahmen konzentriert, nimmt die vorliegende Ethnographie die Psychiatrie und Suizidprävention hingegen selbst zum Gegenstand der Analyse und Kritik. Im Versuch einer mikrosoziologischen Anwendung einer biopolitischen Machtanalytik, entsteht so eine Geschichte und Praxistheorie der Psychiatrie und Suizidprävention, welche die Herausforderungen, Schwierigkeiten und Widersprüche dieser Arbeit analysiert.
Während die psychiatrische Suizidprävention zwar darauf ausgerichtet ist, Suizidalität zu verhindern, ist sie dabei auch unweigerlich an der Konstruktion und Konstitution ihres Gegenstands beteiligt. Dabei wird das normative Grundprinzip der autonomen Lebensführung oftmals gleichermaßen verteidigt wie auch praktisch infrage gestellt. Die schwierigen Spannungsverhältnisse von Hilfe und Zwang, Therapie und Kontrolle, Tabu und Narrativ, Prävention und Ansteckung zeigen sich hier besonders deutlich. Diese Widersprüche herauszuarbeiten ist von geradezu existenzieller Bedeutung – und Ziel dieses Buches.
Iltzsche Robin, 2023: Die Überzeugung zum Leben. Eine Ethnographie der psychiatrischen Suizidprävention. Köln: Psychiatrie Verlag (Anthropologische Psychiatrie, 4). ISBN: 978-3-96605-218-4, € 49,00.
Robin Iltzsche war Studien- und Promotionsstipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.