Nachricht | Krieg / Frieden - Osteuropa - Südosteuropa Vom Gefrier- zum Siedepunkt und zurück

Anhaltende ethnische Spannungen im Kosovo lassen allenfalls auf ein Einfrieren des Konflikts hoffen

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Polizisten aus dem Kosovo sichern eine wichtige Kreuzung im Dorf Banjska am Montag, 25. September 2023.
Banjska-Zwischenfall: Am 24. September 2023 töteten schwer bewaffnete lokale Serben unter der Führung von Milan Radoičić, einem engen Mitarbeiter von Vučić mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität, einen kosovarischen Polizisten. Der größte bewaffnete Zwischenfall seit Kriegsende hat gezeigt, dass es kaum Fortschritte in Richtung Dialog und Versöhnung zwischen den ethnischen Gruppen gibt.  Polizisten aus dem Kosovo sichern eine wichtige Kreuzung im Dorf Banjska am 25.9.2023., Foto: IMAGO / VXimages.com

Im Jahr 2018 schien die diplomatische Strategie von Zuckerbrot und Peitsche in Bezug auf Serbien und Kosovo noch gut zu funktionieren. Entsprechend kursierte in den sogenannten diplomatischen Kreisen eine kontroverse Idee: Wenn sich Belgrad und Pristina über den endgültigen Status des Kosovo einigten, würden die Hauptakteur*innen mit dem süßesten diplomatischen «Zuckerbrot» belohnt. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić und sein damaliger kosovarischer Amtskollege Hashim Thaçi sollten – gemeinsam mit der damaligen Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini – für den Friedensnobelpreis nominiert werden.

Es wäre eine Win-Win-Situation gewesen. Vučić, ein Autokrat mit chauvinistischer Vergangenheit, und Thaçi, der derzeit wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist, die er während seiner Zeit als Führer der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) begangen haben soll, hätten die lang ersehnte «weiße Weste» erhalten und die EU hätte einen wichtigen Beitrag zur Lösung eines der gefährlichsten Dauerkonflikte auf europäischem Boden geleistet.

Radomir Klasnić ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er lebt in Belgrad.

Vučić war zu diesem Zeitpunkt so mächtig, dass er der serbischen Öffentlichkeit mit seiner medialen Dominanz schlicht alles verkaufen konnte. Für Thaçi war es der letzte Versuch, seine politische Karriere zu retten und einem Gerichtsverfahren wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu entgehen.

Doch für eine Aufteilung des Territoriums war der Zug längst abgefahren, und so fand die von Vučić und Thaçi wiederbelebte Idee keine Zustimmung. Seither hat ein geopolitisches Roulettespiel die Welt auf andere Weise destabilisiert. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist dabei die bedeutendste Entwicklung mit Auswirkungen auf den Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo.

Aufgeschobene Träume

Fünfzehn Jahre nach seiner Unabhängigkeitserklärung ist der Kosovo de facto ein Staat unter dem Schutz der USA, auch wenn er weder von Serbien noch von einem Großteil der Staaten der Welt rechtlich anerkannt wird. Während die Mehrheit der EU-Länder die Unabhängigkeit befürwortet, lehnen fünf Staaten sie weiterhin ab. Der «Belgrad-Pristina-Dialog», eine Reihe von EU-vermittelten Gesprächen zwischen den Regierungen Serbiens und des Kosovo, die 2011, drei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, begannen, ist längst zu einem Paradebeispiel für Ineffizienz geworden. Da die regelmäßigen Verhandlungsrunden keine wirklichen Fortschritte gebracht haben, werden sie in den Medien oft unter ferner liefen verbucht.

Die Pattsituation bzw. der «eingefrorene Konflikt» zwischen beiden Seiten erreichte kürzlich mit dem sogenannten Banjska-Zwischenfall einen Siedepunkt. Am 24. September 2023 töteten schwer bewaffnete lokale Serben unter der Führung von Milan Radoičić, einem engen Mitarbeiter von Vučić mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität, einen kosovarischen Polizisten und verletzten zwei weitere. Wie später bestätigt wurde, starben dabei auch drei der serbischen Angreifer.

Der größte bewaffnete Zwischenfall seit Kriegsende hat gezeigt, dass es kaum Fortschritte in Richtung Dialog und Versöhnung zwischen den ethnischen Gruppen gibt. Die Träume von einem «Statusabkommen» sind längst geplatzt, und die Vermittlungsversuche des Westens haben sich als unrealistisch und in einigen Fällen sogar inkompetent entpuppt. Die Mehrheit der serbischen Bevölkerung sieht die EU nicht mehr als das «gelobte Land», und die langjährige westliche Haltung der «moralischen Überlegenheit» gegenüber den Serb*innen bei gleichzeitiger «bedingungsloser» Unterstützung des Kosovo hat den Euroskeptizismus nur noch verstärkt.

Kurzum, das berühmte «Zuckerbrot» hat seinen Reiz verloren, während der Einsatz der paternalistischen «Peitsche» in Serbien nur weitere Konflikte und Ressentiments gegenüber der EU hervorrufen könnte.

Nach den Ereignissen im Kosovo und der russischen Invasion der Ukraine haben Vučić und sein Regime (das mit zahlreichen Verbrechen und Korruptionsfällen in Verbindung gebracht wird) die volle Kontrolle über den Diskurs in Serbien verloren. Die nationalistische Opposition ist auf dem Vormarsch, und die Unterstützung der EU für Vučić als eine Art «Laufbursche» hat seinen Ruf selbst bei der liberalen serbischen Intelligenz beschädigt.

Der Kosovo unter der Führung von Albin Kurti versucht unterdessen immer aggressiver, die faktische Anerkennung als eigenständiger Staat zu erreichen, wobei zahlreiche undemokratische und einseitige Maßnahmen die Integration der serbischen Minderheit in das kosovarische System zusätzlich erschweren. Das westliche «Staatskind» ist sozusagen in die Pubertät gekommen, will sich unter Führung des radikalen Kurti nicht von seinem «Erzieher» disziplinieren lassen und die sogenannte Identitätskrise ein für allemal beenden.

Doch bevor wir dazu kommen, sollten wir zunächst analysieren, wie die Ereignisse des letzten Jahres zur aktuellen Lage geführt haben.

Die große Autokennzeichendebatte

Für Vučić, seit mehr als einem Jahrzehnt an der Macht, ist sein jüngster «Dialog»-Partner Kurti alles andere als ein Wunschpartner. Mit den ehemaligen UÇK-Führern ließ sich noch eine gemeinsame Basis finden, da ihre gemeinsame ultranationalistische Vergangenheit bedeutete, dass keine der Seiten eine Position der moralischen Überlegenheit einnehmen konnte.

Im Gegensatz dazu ist Kurti, der einst gewaltfreie Studierendenproteste gegen die Besetzung der Universität Pristina durch die jugoslawische Polizei organisierte, wegen «Verschwörung zu feindlichen Aktivitäten in Verbindung mit Terrorismus» in einem serbischen Gefängnis landete und ein «linksradikaler» Basisaktivist in der neu entstandenen Gesellschaft des Kosovo war, nicht gerade Vučićs bevorzugter Gesprächspartner.

Kurti verfolgte in den Verhandlungen eine harte Linie, indem er eine De-facto-Anerkennung forderte, Serbien des Völkermordes beschuldigte und Reparationen verlangte. Sein Image als «kompromissloser Anführer» war in den Gesprächen mit Belgrad nicht hilfreich, denn Kompromisse waren das erklärte Ziel und der eigentliche Grund für die Verhandlungen. Kurti sprach sich für eine Vereinigung des Kosovo mit Albanien aus und bestätigte damit die Behauptungen serbischer Nationalist*innen, die den Westen vor dem Projekt «Großalbanien» gewarnt hatten. Seine politischen Ansichten und Handlungen haben dem kosovarischen Ministerpräsidenten sogar Kritik seitens der Vereinigten Staaten, seines wichtigsten Verbündeten, eingetragen.

Auf der anderen Seite der Verwaltungsgrenze nahmen Vučićs autoritäre «Kontrollfreak»-Haltung und seine Verbindungen zur organisierten Kriminalität, die er zur Kontrolle der serbisch dominierten Gemeinden im Kosovo nutzte, zunehmend offen destruktive Züge an, insbesondere nach der Ermordung des bekannten kosovo-serbischen Oppositionspolitikers Oliver Ivanović, der im Jahr 2018 vor dem Büro seiner Partei mit sechs Schüssen niedergestreckt wurde. Er war einer der wenigen hartnäckigen Kritiker*innen der Srpska lista, der von Belgrad unterstützten politischen Partei der serbischen Minderheit im Kosovo.

Die Hauptverdächtigen des Mordes sind Zvonko Veselinović und Milan Radoičić, beste Freunde und kosovarische Unterweltgrößen, die seit fast zwanzig Jahren an vorderster Front an den Unruhen im Kosovo beteiligt sind. Seit Vučić an die Macht kam, wurden alle strafrechtlichen Anklagen gegen die beiden fallen gelassen. Gleichzeitig erhielten sie die Möglichkeit, serbienweite Geschäftsimperien aufzubauen, indem sie Bauaufträge von staatlichen Institutionen erhielten. Beide stehen derzeit aufgrund krimineller Aktivitäten auf der schwarzen Liste der USA. Radoičić war zeitweise sogar Vizepräsident der Srpska lista und übernahm später die alleinige Verantwortung für den Banjska-Vorfall.

Die Konfrontation zwischen Vučić und Kurti – oder besser gesagt: die Eskalation dieser Konfrontation – nahm 2021 in Form des sogenannten Autokennzeichenstreits eine drastische Wendung. Einige Aspekte dieser Auseinandersetzung stellen seit dem Kosovo-Krieg 1998/99 ein ständiges Hindernis für die Verbesserung der Beziehungen dar.

Im Jahr 2011 einigten sich der Kosovo und Serbien darauf, dass das Kosovo Autokennzeichen mit der Aufschrift «RKS» (Republik Kosovo) und – als Zugeständnis an die Kosovo-Serb*innen, die die Anerkennung der ehemaligen Provinz als Staat ablehnen – mit der neutraleren Aufschrift «KS» (Kosovo) ausgibt. Damit sollten die Serb*innen im Nordkosovo ermutigt werden, die von den kosovarischen Behörden ausgegebenen Kennzeichen zu verwenden und nicht wie bis dahin die von Belgrad ausgegebenen Schilder in Serbien zu beantragen.

Als das Abkommen 2016 auslief, verlängerte der Kosovo die Gültigkeit der neutralen KS-Kennzeichen um weitere fünf Jahre und erklärte die für kosovarische Städte ausgestellten serbischen Nummernschilder für illegal. Dies führte dazu, dass viele kosovarische Serb*innen, die die Nummernschilder der Republik Kosovo ablehnten, nun Autos ohne oder mit «illegalen» Kennzeichen fuhren.

Als die Regelung im September 2021 auslief, beschloss die kosovarische Regierung, sie nicht zu verlängern, und die Polizei begann, serbische Nummernschilder zu beschlagnahmen. Die Regierung Kurti sah darin lediglich eine Gegenmaßnahme, da Belgrad von Autofahrer*innen mit kosovarischen Kennzeichen bei der Einreise nach Serbien ein temporäres Nummernschild verlangte.

Über die Behandlung durch Kurti insgesamt unzufrieden und insbesondere über diesen Schritt verärgert, blockierten Serb*innen aus dem serbisch dominierten Norden des Kosovo die Grenzübergänge in Jarinje und Brnjak, woraufhin Kosovo bewaffnete Spezialeinheiten der Polizei einsetzte. Als Folge der Spannungen wurde im Oktober 2021 das beiderseitige «Aufklebersystem» eingeführt, das die Frist für die Beschlagnahmung der Nummernschilder um etwa sechs Monate hinausschob, aber zum Überkleben des jeweils anderen Staatswappens verpflichtete.

Dieser Aufschub hielt die kosovarische Regierung jedoch nicht davon ab, die Beschlagnahmung schließlich doch durchzuführen und noch eins oben draufzusetzen: Im Juni 2022 beschloss sie, Personen, die an der Grenze von den serbischen Behörden ausgestellte Ausweispapiere vorlegten, vorübergehend für 90 Tage gültige Meldebescheinigungen für den Kosovo auszustellen, die die von Serbien ausgestellten Dokumente ersetzen sollten. Diese Entscheidung wurde auch als Reaktion auf die Nichtanerkennung kosovarischer Ausweispapiere durch die serbischen Behörden dargestellt.

Die Spannungen nahmen weiter zu, als Kurti immer mehr kosovarische Polizeikräfte für sogenannte Anti-Schmuggel-Operationen in den Norden schickte, was die lokale Bevölkerung verärgerte, weil sie die Operationen als Vorwand ansah, um die serbische Gemeinschaft zu schikanieren.

Proteste und der Rückzug der Serb*innen aus den Institutionen

Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine machte sich Kurti die weit verbreitete Ansicht über Serbien als Putins Handlangerstaat zunutze und stellte es als kleine Imperialmacht dar, die auf dem Balkan Chaos stiften und sogar in das Kosovo einmarschieren könnte. Seine Ablehnung der zu gründenden Vereinigung der serbischen Gemeinden – Vučićs Hauptforderung, die im Rahmen des mit Hilfe der EU ausgehandelten Brüsseler Abkommens von 2013 akzeptiert wurde – hängt eng mit seiner Sicht der Rolle Serbiens in der Region zusammen.

Gemäß dem Abkommen wäre diese Vereinigung zu umfassender Mitsprache in den Bereichen wirtschaftliche Entwicklung, Bildung, Gesundheit sowie Stadt- und Raumplanung berechtigt. Obwohl sie offiziell in den Rechtsrahmen des Kosovo eingefasst sein soll, zeigte sich Kurti besorgt, dass sie der Schaffung eines serbischen Teilstaates innerhalb des Kosovo dienen könne, und verglich die Situation mit der in Bosnien und Herzegowina, wo sich die serbisch dominierte Republika Srpska für Unabhängigkeit stark macht.

Viele von Kurtis Maßnahmen wurden von Analyst*innen als Provokation gegenüber Belgrad gedeutet. Auf jede groß angelegte und aggressive Aktion der kosovarischen Spezialeinheiten im Norden folgte die Stationierung von Truppen der serbischen Armee an der Grenze.

Diese aufgeheizte Atmosphäre ist zur Normalität geworden. Die Situation erreichte im November 2022 einen Höhepunkt, als Serb*innen in vier mehrheitlich serbischen Gemeinden im Norden des Kosovo von ihren Ämtern in staatlichen Institutionen zurücktraten und behaupteten, dass die von der EU vermittelten Vereinbarungen zwischen Serbien und dem Kosovo verletzt würden.

Das vielfach verbreitete Video von serbischen Polizist*innen, die ihre kosovarischen Uniformen ablegen, wird in Zukunft eine wichtige Rolle in der Dokumentation der Geschichte des Kosovo spielen – die Frage ist nur, in welchem Kontext. Der damalige Hauptmann und Einsatzleiter der kosovarischen Polizei im Norden, Aleksandar Filipović, gab bei der Gelegenheit zu Protokoll: «Wir haben gemeinsam beschlossen, den Dienst bei der kosovarischen Polizei zu quittieren und unser Volk zu unterstützen. Es reicht!»

Neben den Polizist*innen traten auch die Bürgermeister*innen von vier mehrheitlich serbischen Gemeinden im Norden des Kosovo sowie Gemeindevertreter*innen, Parlamentsabgeordnete, Richter*innen, Staatsanwält*innen und Justizverwaltungsangestellte zurück.

Die Srpska lista betonte, Pristina müsse aufhören, die Serb*innen auf kosovarische Autokennzeichen zu verpflichten, und forderte, endlich die lange erwartete Vereinigung der serbischen Gemeinden zu gründen, damit die Interessen der serbischen Bevölkerung im Kosovo angemessen vertreten werden könnten. Das Kosovo reagierte mit verstärkter Polizeipräsenz und weiteren Verhaftungen von Serb*innen, darunter auch ehemalige Polizist*innen, die ihren Dienst quittiert hatten. Als unmittelbare Folge des Verzichts der Serb*innen auf institutionelle Positionen kündigten die kosovarischen Behörden zudem vorgezogene Lokalwahlen für den 18. Dezember 2022 an.

Die Sicherheitslage im Norden verschlechterte sich zusätzlich durch Zwischenfälle in den serbisch dominierten Gemeinden Zubin Potok und Severna Mitrovica: Am 6. Dezember versuchten die neuen albanischen Mitglieder der kommunalen Wahlkommission mit Unterstützung der Polizei, die Räumlichkeiten zu betreten, wurden aber von ihren serbischen Kolleg*innen daran gehindert. Es gab auch Berichte über den Einsatz von «Schockgranaten».

Der ehemalige Polizist Dejan Pantić wurde unter dem Vorwurf verhaftet, die Räumlichkeiten der Wahlkommission angegriffen zu haben, woraufhin die örtlichen Serb*innen Barrikaden errichteten und die Freilassung aller verhafteten Serb*innen forderten. Die Srpska lista beschuldigte die Regierung Kurtis, alle Serb*innen unter falschen Anschuldigungen aus dem Weg räumen zu wollen, um jeden potenziellen Widerstand der serbischen Minderheit zu hintertreiben. Die kosovarische Regierung entgegnete, sie setze lediglich auf dem gesamten Staatsgebiet die Rechtsstaatlichkeit durch.

So blieb die Atmosphäre angespannt, die Barrikaden standen drei Wochen lang und wurden erst zwei Tage vor Silvester, angeblich auf Aufforderung Vučićs, entfernt.

Vučićs propagandistisches Machtspiel schien außer Kontrolle geraten, vor allem für die Serb*innen, die mit ihrem alltäglichen Leben dafür einstanden. Der Rückzug aus den kosovarischen Institutionen erwies sich als Katastrophe, denn das entstandene Vakuum wurde von albanischen Polizist*innen und Bürokrat*innen gefüllt, die zusätzliche Unsicherheit für die Serb*innen mit sich brachten.

Doch was einst den Siedepunkt des Konflikts zu markieren schien, wirkt angesichts der Ereignisse des Jahres 2023 heute eher lauwarm.

Ein Jahr der Schusswechsel

Im Jahr 2023 erkannte die sogenannte internationale Gemeinschaft, sprich: die Achse USA-EU, dass sie den Dialog vorantreiben musste, bevor es zu spät war, insbesondere angesichts der 2024 anstehenden Wahlen in den USA und zum Europäischen Parlament. So versuchte sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, sowohl Kurti als auch Vučić zu Zugeständnissen zu bewegen.

Ein von Frankreich und Deutschland initiierter Einigungsvorschlag orientierte sich augenscheinlich an dem 1972 unterzeichneten Grundlagenvertrag der zwei deutschen Staaten, der beiden Ländern eine breitere internationale Anerkennung und die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen ermöglicht hatte.

Kurti und Vučić sollen dem Vorschlag zugestimmt haben, der im März in nordmazedonischen Ohrid weiter konkretisiert wurde. Das Abkommen wurde jedoch bislang nicht unterzeichnet, und Kurti und Vučić streiten weiterhin über seine Auslegung.

Vučić sah sich in Serbien heftiger Kritik ausgesetzt, insbesondere von Seiten der rechten Oppositionsparteien, die ihm bis dahin weniger kritisch gegenübergestanden hatten. Der «deutsch-französische» Vorschlag wurde zu einer «roten Linie» für diejenigen, die Vučićs Alleinherrschaft bis dahin toleriert hatten, und seine Gegner*innen begannen ihn sogar als «Verräter» zu bezeichnen, ein Label, mit dem Vučić während seiner gesamten Karriere selbst seine Gegner*innen dämonisiert hatte.

Unterdessen blockierte Kurti trotz Drucks der EU weiterhin die Gründung der Vereinigung serbischer Gemeinden und drängte die lokalen Serb*innen immer weiter in die Enge. Im April 2023 beschlossen die kosovarischen Behörden, im Norden des Landes Wahlen abzuhalten, obwohl die serbische Bevölkerung einen Boykott angekündigt hatte. Dies führte dazu, dass in vier Gemeinden erstmals Bürgermeister*innen aus der albanischen Community gewählt wurden. Die EU kritisierte daraufhin das Vorgehen der kosovarischen Behörden und stellte die Legitimität des Verfahrens in Frage, da ausschließlich albanische Wähler*innen – die dort nur 3,5 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen – zu den Urnen gegangen waren.

Die Unzufriedenheit der Kosovo-Serb*innen mit Vučić nahm weiter zu, insbesondere nachdem er sie zur Teilnahme an einer Kundgebung der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) am 26. Mai in Belgrad gedrängt hatte, um dem Druck der Opposition zu begegnen: Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die «Serbien gegen Gewalt»-Proteste auf dem Höhepunkt, in denen sich die Erschütterung des Landes über zwei Amokläufe Anfang des Monats ausdrückte. Kurti nutzte die weitgehende Abwesenheit der Serb*innen im Nordkosovo aus, um Gemeindegebäude zu besetzen und die neu gewählten albanischen Bürgermeister*innen einzusetzen.

Wenige Tage später brach ein massiver Konflikt zwischen lokalen Serb*innen und der kosovarischen Polizei aus, bei dem NATO-Soldat*innen zwischen die Fronten gerieten. Mindestens 30 von ihnen sollen verletzt worden sein.

Nach diesem Vorfall verschlechterte sich die Situation noch weiter. Die kosovarische Polizei setzte die Festnahme von Serb*innen fort, oft ohne klare Rechtsgründe anzugeben, während Serbien am 14. Juni drei kosovarische Polizisten wegen illegalen Betretens serbischen Territoriums verhaftete. Kosovo verhängte erneut Einfuhrsanktionen gegen Serbien, die bis heute zu Engpässen bei Lebensmitteln und insbesondere Medikamenten im serbisch dominierten Nordkosovo führen.

Die EU hat Kurti wiederholt kritisiert und dabei Neuwahlen im Norden sowie die Umsetzung von Vučićs Hauptforderung verlangt – der vor einem Jahrzehnt vereinbarten Gründung der Vereinigung der serbischen Gemeinden. Darüber hinaus kritisierte die EU das Kosovo, Serb*innen enteignet zu haben, um Polizeistützpunkte an der Grenze zu Serbien zu errichten.

In diesen Monaten schien Serbien im Verhandlungsprozess gegenüber dem Kosovo die Oberhand zu gewinnen. Im Juni verhängte die EU Sanktionen gegen das Kosovo, weil es die Spannungen im Norden des Landes nicht «entschärft» hatte.

Doch am 24. September 2023 kam es zu einem denkwürdigen Ereignis, das bis heute für Kontroversen sorgt und Verschwörungstheorien nährt. Etwa dreißig bewaffnete Männer, angeführt von Vučićs Partner Radoičić, griffen die kosovarische Polizei im Dorf Banjska an, töteten eine Person und verletzten zwei. Die kosovarische Polizei tötete daraufhin drei Serben und verhaftete weitere, während andere, darunter Radočić, nach Serbien entkommen konnten. Wie ihnen das gelungen ist, bleibt ein Rätsel.

Später beschlagnahmte das Kosovo eine große Anzahl von Waffen und Ausrüstungsgegenständen, die Journalist*innen des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) zu Einrichtungen des serbischen Verteidigungsministeriums zurückverfolgten. Unklar bleibt, ob Radočić Unterstützung von Vučić hatte oder allein handelte, wie er behauptet.

Infolge dieser Attacke befinden sich die Kosovo-Serb*innen in einer schlechteren Ausgangslage als zuvor: Alle Vorteile, die sie in den Verhandlungen aufgrund von Kurtis nationalistischer Hardliner-Position erringen konnten, sind verspielt.

Die Zukunft ist die Vergangenheit

Nach dem Tod des Staatschefs des sozialistischen Jugoslawien, Josip Broz Tito, waren in dem Vielvölkerstaat verschiedene Formen des Nationalismus erstarkt, darunter der albanische Nationalismus im Kosovo und ein breiterer serbischer Nationalismus, der eine der Hauptursachen für den blutigen Krieg war, der zum Zerfall des Landes führte.

In den 1990er Jahren unterdrückte der serbische Staat unter Führung des Machthabers Slobodan Milošević systematisch die Kosovo-Albaner*innen. Nach Angaben des Humanitarian Law Center (HLC) wurden während des Konflikts in den Jahren 1998 und 1999 10.500 Albaner*innen getötet, darunter 8.700 Zivilist*innen. Hunderttausende Albaner*innen wurden von der serbischen Armee, Polizei und paramilitärischen Einheiten vertrieben. Das HLC hat auch festgestellt, dass die Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) während desselben Konflikts für den Tod von 2.197 Serb*innen verantwortlich war.

Fast ein Vierteljahrhundert später hat sich die Situation gewandelt: Der Staat Kosovo wird heute von ethnischen Albaner*innen kontrolliert, während die serbische Bevölkerung hier eine unterdrückte Minderheit darstellt, die täglich «Versuchen der Delegitimierung, Entmenschlichung, Schuldzuweisung und Kriminalisierung» ausgesetzt ist, so die NGO New Social Initiative.

Die UN-Mission im Kosovo verzeichnet in ihrem Bericht vom April 2023 «verbale und physische Angriffe durch die Spezialeinheit der kosovarischen Polizei», zwölf Vorfälle gegen serbisch-orthodoxe Kirchen und weitere «Vorfälle gegen verschiedene ethnische Gruppen». Der jüngste Jahresbericht des US-Außenministeriums zum Kosovo spricht von «Gewalt oder Gewaltandrohung gegen ethnische Minderheiten» und «sozialer und arbeitsrechtlicher Diskriminierung» von Kosovo-Serb*innen.

Angesichts des Drucks aus Pristina, aber auch wegen der von Belgrad unterstützten kriminellen Strukturen unter der Führung von Radoičić, haben viele Serb*innen das Kosovo verlassen, weil sie schmerzlich erfahren mussten, dass es für ihre Kinder dort keine Zukunft gibt.

Es steht außer Frage, dass sich die Situation gegenüber den 1990er Jahren radikal verändert hat. Wurden die Albaner*innen damals vom serbischen Staatsapparat diskriminiert, so sind es heute sie, die die Repression ausüben. Während die UÇK, aus der ein Großteil der kosovarischen Elite hervorging, von Milošević als Terrororganisation eingestuft wurde, betrachten die kosovarischen Behörden heute die bewaffnete Gruppe von Radoičić als terroristisch.

Alte Wunden aufreißen?

In einer Situation, die von alten Feindseligkeiten und politischem Populismus geprägt ist, scheinen Lösungen rar gesät. Angesichts der bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament und in den USA kann man nur hoffen, dass der Konflikt sich wieder abkühlt.

Für die große Mehrheit der Serb*innen ist das Kosovo ein historisches Denkmal für die Größe ihrer Nation, ein Ort mit reichem kulturellen Erbe und wichtigen Stätten der serbisch-orthodoxen Kirche, ein Gebiet mit tiefer Verankerung in ihrem kollektiven nationalen Denken. Ungeachtet der Versprechungen, die Präsident Vučić seinen westlichen Verbündeten gemacht hat, ist es unwahrscheinlich, dass er die Unabhängigkeit des Kosovo offiziell anerkennen wird. Als Narzisst, der seinen Namen in goldenen Lettern in die Geschichtsbücher der serbischen Nation eintragen lassen will, wird er nicht zulassen, dass man sich an ihn als denjenigen erinnert, der das Kosovo «verkauft» hat.

Nachdem er zwölf Jahre lang mit harter Hand und in autokratischem Stil regiert hat – wenn auch heute nicht mehr unangefochten –, sicherte er sich und seiner SNS bei der Parlamentswahl Mitte Dezember letzten Jahres weitere vier Regierungsjahre. Obwohl praktisch alle Wahlbeobachter*innen von zahlreichen Unregelmäßigkeiten berichteten, vor allem in der Hauptstadt Belgrad, wo die Opposition leicht hätte gewinnen können, wurde sein Wahlsieg vom Westen gestützt und anerkannt.

Doch diese Unterstützung war nicht geschenkt. Nur wenige Tage nach der Wahl akzeptierte Vučić die Gültigkeit kosovarischer Autokennzeichen, obwohl er zuvor die Kosovo-Serb*innen wegen ebendieser Frage in einen Konflikt mit Kurtis Polizeikräften getrieben hatte.

Dennoch kann der Westen bestenfalls auf eine schrittweise De-facto-Anerkennung des kosovarischen Staats durch Vučić hoffen, und zwar auf Grundlage des deutsch-französischen Vorschlags, dem er bereits mündlich zugestimmt hat. Der serbische Präsident wird weiterhin Gegenleistungen fordern, die seine machthungrige Herrschaft festigen.

Für Kurti und die kosovarischen Eliten ist das Ziel zum Greifen nahe. Die albanische Bevölkerung wird sich nach den vielen Opfern, die sie gebracht hat, ihre Souveränität nicht nehmen lassen. Selbst liberale Intellektuelle vertreten einen kompromisslosen nationalistischen Ansatz, wie jüngst die Forderung zivilgesellschaftlicher Organisationen im Kosovo zeigte, die von der EU verlangten, den Vorschlag zur Erleichterung der Visapflicht für Kosovo-Serb*innen zurückzuziehen, wenn diese die kosovarischen Dokumente nicht akzeptierten. Bei der im Dezember abgehaltenen Parlamentswahl schloss Kurti die Kosovo-Serb*innen erneut von der Stimmabgabe aus.

Doch ohne Kompromisse wird es keine Lösung geben. Es scheint indes, als könnten zwei von der Geschichte und dem Opferdiskurs besessene Seiten keine gemeinsame Sprache finden.

Im Jahr 2006 warnte Clive Baldwin von Human Rights Watch, der zuvor für die OSZE im Kosovo tätig gewesen war, die internationale Öffentlichkeit vor der katastrophalen Situation dort und betonte, dass es «nirgendwo in Europa ein solches Maß an Segregation wie im Kosovo» gebe. Er fuhr fort: «Nirgendwo sonst gibt es so viele ‹ethnisch reine› Städte und Dörfer auf so engem Raum. Nirgendwo sonst gibt es so viele Minderheiten, die befürchten müssen, allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit schikaniert zu werden. Und vermutlich nirgendwo sonst in Europa ist die Gefahr so groß, dass es in naher Zukunft zu ethnischen Säuberungen oder gar zu einem Völkermord kommt.»

Wo alte Wunden aufgerissen werden, brechen allzu oft neue auf. Von der Ukraine bis zum Nahen Osten erleben wir derzeit viele Beispiele dafür. Hoffen wir, dass sich der Balkan ausnahmsweise gegen den Trend entwickelt und gewaltsame Konflikte größeren Ausmaßes, als wir sie in jüngster Zeit gesehen haben, verhindert. Wenn der Konflikt dafür eingefroren werden muss, so ist das immer noch besser als brennende Häuser und Kolonnen verzweifelter Flüchtender.
 

Aus dem Englischen von Camilla Elle und Daniel Fastner für Gegensatz Translation Collective.