Nachricht | Europa - Südostasien Wie blickt die philippinische Linke auf die EU?

Ein Gespräch mit dem philippinischen Gewerkschafter Josua Mata

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Der philippinische Präsident Ferdinand Bongbong Marcos Jr. und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen schütteln sich beim Gipfeltreffen der Europäischen Union (EU) und des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) in Brüssel die Hände
Der philippinische Präsident Ferdinand Bongbong Marcos Jr. und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen schütteln sich beim Gipfeltreffen der EU und ASEAN in Brüssel die Hände, 14.12.2022.
 
 

 

 

Foto: IMAGO / SNA

Die Philippinen zeichnen sich in Asien als eines der Länder mit der stärksten und militantesten Linken aus, die von revolutionären kommunistischen Parteien bis hin zu starken sozialdemokratischen Strömungen und kämpferischen Gewerkschaften reicht.

Josua Mata ist Generalsekretär von SENTRO, eines progressiven sektorübergreifenden Gewerkschaftsbundes auf den Philippinen.

Um ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, wie die philippinische Linke die Beziehungen zu und die Entwicklungen in Europa sieht, sprach Liliane Danso-Dahmen von der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem philippinischen Gewerkschaftsorganisator Josua Mata darüber, wie fortschrittliche Aktionen im Lande Europa sehen und welche Potenziale sie für eine zukünftige Zusammenarbeit sehen.

Josua, was halten Sie insgesamt von der Europäischen Union als Institution? Was kritisieren Sie? Was müsste reformiert werden, damit die EU ein progressiver politischer Akteur sein kann?

Das ist eine komplexe Frage. Wir könnten wohl eine ganze Woche lang darüber diskutieren. Meine kurze Antwort lautet, dass wir uns eine demokratischere Europäische Union wünschen. In meinen Augen ist die EU keine wirklich demokratische Institution. Ich sehe das Bestreben der Länder, sich zusammenzuschließen, aber geführt wird sie hauptsächlich im Interesse der kapitalistischen Klasse. Das Europäische Parlament halte ich für sehr progressiv, es vertritt in vielen Fällen sehr progressive Positionen. Aber der Europäische Rat hört nicht auf das Parlament, und das ist für mich eines der größten Probleme der EU.

Welcher Teil dieser großen Organisation sollte als Erstes reformiert werden?

Ich betrachte die EU aus der Perspektive des Globalen Südens und würde daher sagen, dass das Europäische Parlament unbedingt einen gewissen politischen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse erhalten muss, wenn in Europa mehr demokratische Instrumente entwickelt werden sollen. Viele Entscheidungen werden von einigen wenigen Organen getroffen, der EU-Kommission und dem Europäischen Rat. Ich würde mir wünschen, dass das Europaparlament ein signifikantes Mitspracherecht dabei hätte, wie die Dinge in der EU geregelt werden.

Auf dem Höhepunkt des grausamen Drogenkriegs der Duterte-Regierung setzte sich das Europäische Parlament stark für die Menschenrechte auf den Philippinen ein. Trotzdem wirkte sich keine seiner Resolutionen auf die Haltung und Politikgestaltung des Europäischen Rates aus. Es wurde nur das Freihandelsabkommen ausgesetzt, ansonsten nahm man Duterte gegenüber aus diplomatischen Gründen eine zögerliche Haltung ein. Man hielt sich zurück und gewährte uns weiterhin die APS+-Förderungen, wobei komplett außer Acht gelassen wurde, dass das «+» in APS+ für Menschenrechte steht und diese unter Duterte mit Füßen getreten wurden. Auch heute noch bekommen wir die Ermäßigungen von APS+.

Können Sie uns kurz erklären, was APS+ bedeutet?

APS+ ist eine Handelsrichtlinie, die auf Produkte aus vielen Entwicklungsländern, zum Beispiel den Philippinen, praktisch keine Zölle erhebt. Wir befürworten das «+» in APS+, weil es fordert, dass sich jedes Land, das von diesem Programm profitiert, an bestimmte Konventionen halten muss, darunter auch die der Internationalen Arbeitsorganisation.

Duterte hat ganz klar eklatant gegen viele der Menschenrechtskonventionen verstoßen, die im Rahmen von APS+ beobachtet werden. Trotzdem hat nichts davon Anlass gegeben, die den Philippinen durch das APS+ gewährten Vorteile einer Prüfung zu unterziehen. Da stellt sich mir die Frage: Welchen Zweck hat das «+», wenn die EU keinen Druck auf die philippinische Regierung ausübt, für die Umsetzung der IAO-Konventionen und den Schutz der Menschenrechte in unserem Land zu sorgen? Das ist ein echtes Problem.

Ich erinnere mich an eine Begegnung mit dem APS+-Beobachtungsgremium, das die Philippinen in regelmäßigen Abständen besucht. Auf dem Höhepunkt des Drogenkriegs von 2016 bis 2018 trafen sich Vertreter*innen von SENTRO mit dem Beobachtungsgremium, und wir fragten ganz konkret, wann sie planten, die APS+-Ermäßigungen für die Philippinen zu überprüfen. Damals waren im Drogenkrieg bereits etwa 10.000 Menschen getötet worden. Wissen Sie, was der Vertreter der EU in diesem Gremium zu uns sagte? «Naja, wissen Sie, das Problem mit den Daten ist, dass die einen sagen, es gibt 2.000 Tote, und die anderen sagen, es sind 10.000. Wir müssen wissen, wie viele Tote es tatsächlich gegeben hat.» Was für eine entsetzliche Antwort. Wie viele Tote müssen es denn sein, bevor sie auch nur anfangen, die Ermäßigungen zu prüfen?

Derzeit ist wieder ein europäisches Freihandelsabkommen mit den Philippinen im Gespräch. Europa argumentiert, ein Freihandelsabkommen würde die Umwelt- und Sozialstandards in den Partnerländern erhöhen. Was ist Ihre Meinung dazu? Wäre zumindest dieses Instrument der EU ein Vorteil für Verbände wie SENTRO?

Das Freihandelsabkommen würde unsere Möglichkeiten, nationale Gesetze durchzusetzen, massiv einschränken. Es würde das Recht auf geistiges Eigentum ausweiten, um die Interessen großer Pharmakonzerne zu schützen, von denen viele aus Europa und vor allem aus Deutschland kommen. Ein solches Abkommen hätte negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Arbeiter*innen, speziell auf die Arbeitsplätze.

Besondere Sorge bereitet uns jedoch, dass die EU die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der philippinischen Regierung unter Ferdinand Marcos Jr. wieder aufnimmt. Die Gesetze und Institutionen, unter denen die entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen der Vorgängerregierung möglich waren, sind immer noch in Kraft. Dass jetzt über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Philippinen diskutiert wird, zeugt davon, dass die EU in die Falle getappt ist und glaubt, der Regierung Marcos nicht die Sünden seines Vorgängers anlasten zu können. Und das ist problematisch, da die Regierung Marcos noch nicht das Geringste getan hat, um die Politik rückgängig zu machen, die zum Drogenkrieg geführt hat. Auch die Institutionen, die den Weg für die Gewerkschafts- und Menschenrechtsverletzungen, insbesondere die Unterdrückung von Gewerkschaften, geebnet hatten, bestehen weiter. Das vermittelt die Botschaft, auf den Philippinen sei jetzt endlich alles in Ordnung. Ich halte es für einen großen Fehler, wenn die EU die Propaganda der Marcos-Regierung für bare Münze nimmt.

Was müsste sich ändern?

Unserer Ansicht nach braucht das APS+ der EU ein effektives Instrument, über das Menschen aus den APS+-begünstigten Ländern Beschwerden einreichen können. Die Philippinen müssen zahlreiche Konventionen einhalten, wenn sie von APS+ profitieren wollen, und wenn diese Konventionen verletzt werden, müssten zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und NGOs die Möglichkeit bekommen, Beschwerde einzulegen. 

Aber das betrifft nur das APS+, nicht das Freihandelsabkommen. Dieses Abkommen ist noch ein ganz anderes Kaliber. Es macht uns weiterhin große Sorgen, dass die Verhandlungen im Geheimen ablaufen und Menschen wie wir, die davon betroffen sein werden, nicht einbezogen werden.

Sprechen wir noch kurz über das deutsche Lieferkettengesetz, das auf europäischer Ebene implementiert werden soll. Wie stehen Sie dazu?

Gesetze zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht wie das deutsche Lieferkettengesetz halte ich für einen Schritt in die richtige Richtung. Allerdings sind sie nicht viel mehr als eine Möglichkeit für uns alle, Rechtsverletzungen durch internationale Unternehmen, insbesondere aus der EU und Deutschland, öffentlich machen zu können.

Viele finden es problematisch, weil dadurch nichts garantiert wird. Warum sollte es im Kapitalismus irgendwelche Garantien für die Arbeiter*innen geben? Wie soll man also von einem kapitalistischen Instrument erwarten, dass es tatsächlich Arbeiter*innenrechte garantiert? Im Kapitalismus werden Arbeitnehmer*innenrechte niemals garantiert sein. Aber Sorgfaltspflichtgesetze bieten uns zumindest eine Möglichkeit, unsere Rechte zu stärken und zu schützen.

Ich hoffe, dass Deutschlands Lieferkettengesetz sowie die anderen Sorgfaltspflichtgesetze, die derzeit in vielen europäischen Ländern sowie in der EU selbst ausgearbeitet werden, tragfähig genug sein werden, um uns in den Entwicklungsländern ein wirkungsvolles Mittel an die Hand zu geben, auf Verletzungen von Menschen- und Gewerkschaftsrechten aufmerksam zu machen und Beschwerden einzureichen.

Wie könnte die Europäische Union den Perspektiven des Globalen Südens darüber hinaus mehr Gehör und Unterstützung verschaffen?

Zur Europäischen Union habe ich nicht viel mehr zu sagen, aber ich wünsche mir, dass die progressive Bewegung in Europa, die Gewerkschaftsbewegung, die Zivilgesellschaft sowie die politischen Parteien an Stärke gewinnen, um die Demokratie in Europa zu festigen. Denn ehrlich gesagt ist die EU im Moment in einer schlechten Verfassung. Ich glaube, die einzigen Institutionen, die in ihrem Teil der Welt die Demokratie stärken können, sind die Arbeiter*innenbewegung und die progressiven Kräfte in der Politik. Wir sind geeint in dem Bemühen, stärker zu werden und viel mehr Macht zu erlangen, als wir sie heute haben.

Übersetzung von Cornelia Röser und Cornelia Gritzner für Gegensatz Translation Collective. Sprachliche Bearbeitung von Marjohara S. Tucay.