Nachricht | Cono Sur Gemeinsam gegen das grüne Tesla-Märchen

Aktivist*innen aus Deutschland und Chile kämpfen solidarisch gegen die Tesla-Erweiterung

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Der Umweltaktivist steht im Wald in Grünheide in Brandenburg vor einem Bild der Atacama-Wüste in Chile.
Lucio Cuenca leitet das Umweltobservatorium OLCA in Chile. Er besuchte das Tesla-Protestcamp in Grünheide und solidarisiert sich mit den Besetzer*innen. Gemeinsam fordern sie eine gerechte Energiewende auf Augenhöhe. 
  Foto: Lucas Reinehr

In Grünheide bei Berlin besetzen Umweltaktivist*innen seit Ende Februar 2024 ein Waldstück. Sie protestieren gegen die Erweiterungspläne der Gigafactory von Elon Musk. Der Milliardär und größte Aktionär von Tesla möchte das etwa 100 Hektar große Waldstück kaufen um dort einen Güterbahnhof und eine neue Produktionshalle für Elektroautos zu bauen. Bei einer Bürger*innenbefragung hatte sich die Mehrheit der Bürger*innen in Grünheide gegen diese Erweiterung ausgesprochen.

Mitarbeiter*innen des Lateinamerika-Referats der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprachen mit Lucio Cuenca Berger, Umweltaktivist aus Chile und Lux, Aktivist beim Mobilitätsbündnis Sand im Getriebe. Für Beide ist klar: Eine gerechte Energie- und Mobilitätswende kann es nur geben, wenn Nord und Süd gemeinsam dafür kämpfen und sich auf Augenhöhe begegnen.


Lucio, was hat die Tesla-Fabrik in Brandenburg mit deiner Arbeit in Chile zu tun?

Die Tesla-Fabrik ist mit einer Form der Energiewende – der Umstellung auf Elektromobilität – verbunden, die unmittelbar mit der verstärkten Ausbeutung von Rohstoffen in Südamerika zusammenhängt. Vor allem in Chile, Argentinien und Bolivien wird ein Großteil des für die Batterien benötigten Lithiums abgebaut. Aber auch der Abbau von Kupfer nimmt zu. Und das beeinträchtigt lokale Ökosysteme und die Bevölkerung vor Ort, die seit Jahrhunderten in diesen Gebieten verwurzelt ist. Ihre Wasserquellen sind gefährdet. In Chile insbesondere in der Atacama-Wüste, der trockensten Wüste der Welt.

Lucio Cuenca ist Umweltaktivist und Leiter von OLCA, dem lateinamerikanischen Observatorium für Umweltkonflikte, einer Partnerorganisation der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Chile.

Für die Initiative Movimiento por el Agua y los Territorios (MAT, Bewegung für das Wasser und die Territorien) setzt er sich für den Schutz des Wassers als Gemeingut ein. Lucio besuchte Ende Februar 2024 das Tesla-Protestcamp in Grünheide und solidarisierte sich mit den Besetzer*innen.

Die Elektromobilität alleine ist keine Lösung in Anbetracht der tiefgreifenden Klimakrise, mit der wir konfrontiert sind. Es reicht überhaupt nicht aus, konventionelle Autos durch Elektroautos zu ersetzen. Wir brauchen eine komplette Umstellung unserer Lebensweisen. Wir müssen unsere Art zu leben so verändern, dass wir nicht mehr von so einem hohen Energieverbrauch abhängen und nicht von solch einem exzessiven Abbau von Rohstoffen aus der Natur. Denn das sind die Probleme, die dieser Krise zu Grunde liegen. Die Klimakrise lässt sich nur bekämpfen, wenn wir wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Verbrennung von fossilen Brennstoffen zu reduzieren und die Ökosysteme, die uns umgeben, zu pflegen und zu regenerieren.
 

Lux, was wollt ihr mit eurem Protest erreichen?

Das, was Tesla und was die Politik macht, ist brutales Green Washing. Weil es einfach nur den Individualverkehr wie er millionenfach auf unseren Straßen stattfindet, weiter zementiert. Und den Leuten das als «grün» verkauft, was es nicht ist. Weil für die Autoproduktion generell extrem große Rohstoffmengen im Globalen Süden aus dem Boden extrahiert werden und teilweise sehr problematische Arbeitsbedingungen herrschen.

Der Aktivist «Lux» ist Mitglied der Ortsgruppe Berlin von Sand im Getriebe. Das Aktionsbündnis setzt sich gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) ein und kämpft für eine gerechte Mobilitätswende. Die Gruppe unterstützt die Kritik an Tesla und die Besetzung des Waldes in Grünheide.

Wenn zum Beispiel indigene Gemeinschaften in Südamerika wegen des Lithiumabbaus aus ihren Territorien verdrängt werden. Wenn das Grundwasser abgepumpt wird und die Rohstoffe aus der ganzen Welt hierher gekarrt werden und dann in ein Auto gepresst werden. Das führt wiederum dazu, dass mehr Straßen gebaut werden, wenn es immer mehr Autos gibt, die Platz brauchen, aber eigentlich gar keine Berechtigung haben. Denn eine gute Mobilität für alle funktioniert nicht durch mehr Autos und mehr Individualverkehr, sondern durch den Ausbau des öffentlichen Transports, also mehr Busse, Straßenbahnen, Schienenverkehr.

Uns ist es besonders wichtig, diese internationale Perspektive aufzuzeigen. Also transparent zu machen, welche Rohstoffe bei der Produktion eines Teslas verbraucht werden. Dazu kommt das Grundwasser, das hier rund um Grünheide verschmutzt wird, weil Gefahrenstoffe einfach eingeleitet werden.
 

Lucio, die Besetzung in Grünheide ist ein nicht genehmigter Protest…

In meinen Augen ist diese Form des Protests vollkommen legitim. Es berührt mich sehr, dass die jungen Aktivist*innen hier sich für die internationalen Zusammenhänge interessieren und sich dagegen stark machen. Weder die Unternehmen noch die Politik geben Antworten auf die Dringlichkeiten, die die Klimakrise von uns erwartet. Eine Politik, die die massive Zerstörung der Umwelt für die Produktion von noch mehr Autos durch eine Fabrik wie Tesla widerspruchslos unterstützt, ist eine zynische Politik. Und deshalb ist solch ein direkter Protest erlaubt und hat unsere volle Solidarität. Auch in Chile ist diese Form des direkten Widerstands die Art und Weise, wie wir versuchen unsere Gesellschaften zu sensibilisieren.

Ohne solche Formen der Mobilisierung ist es sehr schwer, den Wandel voranzutreiben. Wenn wir zu Hause sitzen und abwarten, passiert das, was jetzt schon passiert: In Chile haben wir im Sommer extreme Hitzewellen. Vor kurzem gab es gigantische Waldbrände, bei denen fast 150 Personen gestorben sind. Aufgrund der Konditionen, die die Klimakrise uns aufzwingt aber auch aufgrund der extraktivistischen Politik unseres Landes. Und das passiert überall dort, wo die Regierung und die Unternehmen das Problem ignorieren. Da braucht es die Zivilgesellschaft und den zivilen Protest, sonst vergrößert sich die Ungerechtigkeit. 


Die Ansiedlung von Tesla in Brandenburg ist Teil der regionalen Wirtschaftspolitik. Es geht um Arbeitsplätze und eine Aufwertung des Standorts Brandenburg. Sie ist auch strategischer Teil der angestrebten Energiewende in Deutschland. Was fordert ihr von der Politik?

Lux: Wir erhoffen uns, dass die Fabrik nicht weiter ausgebaut wird. Und da ist die Politik natürlich gefragt, denn das Bürger*innenvotum ist klar: 64% haben sich dagegen ausgesprochen, bei einer hohen Wahlbeteiligung. Und wir wollen die Politik und Tesla in die Pflicht nehmen, die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass die Menschen vernünftig entlohnt werden und sichere Arbeitsbedingungen haben. Gewerkschaftliche Arbeit zu ermöglichen, auch da ist die Politik gefragt. Genau wie es Aufgabe der Politik ist, die Umweltverstöße von Tesla zu ahnden. (…) Die internationalen Zusammenhänge müssen in das Bewusstsein der Politik kommen. Wir brauchen ein Lieferkettengesetz und die Konzerne müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Anmerkung der Redaktion: Seit 2023 gibt es ein deutsches Lieferkettengesetz, das die Nachverfolgung von Verstößen gegen Arbeits- und Umweltgesetze entlang der Lieferketten erleichtern soll. Ob es sich in der Praxis bewährt, muss sich noch zeigen. Nach wochenlanger Debatte stimmte im März 2024 auch eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten für ein gemeinsames europäisches Lieferkettengesetz.

Und natürlich geht es uns auch um Umverteilung, also Elon Musk zur Kasse zu bitten. Nein, nicht bitten, sondern zwingen. Wir wollen Tesla stoppen und erreichen, dass dort andere Dinge produziert werden. Straßenbahnen, Busse, Lastenräder, alles, womit man viel eher mobil ist als mit Autos, die sich kein Mensch leisten kann, weil sie 60 000 Euro oder mehr kosten und die nur ein Luxusgut für einige Wenige sind.

Lucio: Wir fordern von der deutschen Politik, dass wir über eine gerechte Energiewende diskutieren. Nicht nur im sozialen und ökologischen Sinn, sondern es geht auch um Geschlechtergerechtigkeit, darum, das koloniale Politikverständnis hinter uns zu lassen. Denn momentan zwingt diese Politik unsere Länder dazu, den Raubbau unserer Rohstoffe voranzutreiben und einfach nur Rohstofflieferanten zu sein, ohne die Möglichkeit, souverän über unsere Zukunft zu entscheiden, gemeinsam mit den Völkern, die die betroffenen Abbaugebiete bewohnen.

Wir brauchen eine ganzheitlichere Energiewende, die den Schutz und die Erholung der Ökosysteme respektiert, die ein würdiges Leben der lokalen Bevölkerung und der Arbeiter*innen berücksichtigt und die funktioniert, ohne dass Kosten von einem Land in ein anderes ausgelagert werden oder von einem Kontinent in einen anderen. Die aktuelle Energiewende des Nordens vergrößert die Ungerechtigkeit und die Armut der Menschen im Globalen Süden.