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Wie Luxemburg zum Steuerparadies wurde

Im November und Dezember 2014 veröffentlichte das internationale Journalistennetzwerk ICIJ unter der Überschrift „LuxLeaks“ erstmals detaillierte Steuerdokumente aus Luxemburg. Nach den Enthüllungen über umfassende Steuergeschenke an internationale Konzerne in Luxemburg gab es einen weltweiten Aufschrei.

Wie Luxemburg zum Steuerparadies wurde und wie das Prinzip von Steueroasen am Beispiel Luxembourgs funktioniert, darüber fand am 20. Januar im Versammlungsraum des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung Saarland eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit Thomas Schulz (Attac-Saar) und dem Vorsitzenden der Gréng Stiftung Luxembourg, Mike Mathias, statt.

In Folge seines Beitrags fordert Thomas Schulz eine grundsätzliche Abkehr von der fatalen Logik des internationalen Steuerwettbewerbs. Ziel der Kritik ist nicht allein Luxemburg, da es in der EU weitere 21 Länder gibt, die mit so genannten „Tax Rulings“ agieren und so Konzernen Schlupflöcher zur Steuerflucht bzw. Steuervermeidung anbieten.
Schulz schrieb hierzu einen Artikel, der am 16. Januar 2015 in dem FORUM-Magazin erschienen war und den wir hier mit Genehmigung des Autors veröffentlichen.

Kälteeinbruch im Steuerparadies

Eine vier Gigabyte große Informationsbombe tickt seit Kurzem im Netz. Sie deckt 548 geheime Steuerdeals zwischen der Steuerverwaltung Luxemburg und über 340 Unternehmen auf. Die Regierung des Großherzogtums hat jetzt ein Problem. Der Ruf als Steuerparadies ist gefährdet. Außerdem ist bereits die Veröffentlichung neuer brisanter Informationen angekündigt.

Eine Kältewelle erschüttert das Großherzogtum Luxemburg. Seit dem 5. November 2014 ist die heile Welt dort nicht mehr in Ordnung. Viel zu kitten gibt es auch nicht. Denn auch wenn das luxemburgische Krisenmanagement insgesamt gut angelaufen ist, sind die Schäden riesig.
Was ist passiert? Im April 2014 begannen 80 Journalisten aus 26 Ländern mit der Sichtung von knapp 28.000 Seiten vertraulicher Dokumente aus Beständen des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) Niederlande. Angeblich waren die Dokumente dort 2010 als gestohlen gemeldet worden. Die Journalisten hielt das trotzdem nicht davon ab, die unzähligen Steuervereinbarungen, Steuererklärungen und sonstigen Dokumente gründlich zu prüfen.
International koordiniert wurde die Sichtung der Papiere von der Nichtregierungsorganisation „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ).
Heraus kam unter anderem, dass PwC 343 Firmen durch insgesamt 548 Vorbescheide, sogenannte „Tax Rulings“, mit der luxemburgischen Steuerverwaltung geholfen hatte, Steuern zu sparen.
Das lohnt sich für die Unternehmen. Die Tax Rulings führen zu einer Unternehmensbesteuerung von rund einem Prozent. Höchstens. US-Logistikriese Fedex hat auf Gewinne, die künstlich nach Luxemburg verlagert wurden, nicht mal 0,1 Prozent Steuern bezahlt. Zum Vergleich: Kleine inländische und mittelständische Unternehmen ohne den Bescheid zahlen 29 Prozent.
Der Skandal hat weltweit für Aufsehen gesorgt, weil solche Steuervermeidungstricks erstmals anhand von Originalmaterial umfassend dokumentiert wurden. Die Sünderkartei ist riesig – und prominent: Amazon, IKEA, Pepsi, Procter & Gamble, die Deutsche Bank, E.ON. Alle haben mitgemacht und dabei kräftig abkassiert. Und zwar auf Kosten jener Länder, in denen die Firmen eigentlich ihren Sitz hätten.
Nachdem australische Medien am 5. November die ersten „LuxLeaks“-Dokumente online gestellt hatten, ging es am 6. November in anderen Ländern weiter: The Guardian (Großbritannien) und Le Monde (Frankreich), die Süddeutsche Zeitung, der Tages-Anzeiger (Schweiz), NDR und WDR  und viele weitere Medien erklärten die formal legalen Steuertricks aus dem kleinen Großherzogtum. Gleichzeitig veröffentlichte das ICIJ einen Teil der Dokumente im Internet.
„Nicht eine Sekunde wusste ich, dass ein Dokument geleakt werden sollte, und dass wir uns als Regierung für das zu verantworten hätten, was in der Vergangenheit passierte“, beschwert sich später Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna. Dabei war sein Ministerium Mitte Oktober von dem Konsortium der investigativen Journalisten gebeten worden, elf Fragen zu beantworten. Gramegna bat sich Bedenkzeit aus und antwortete schließlich nur teilweise und sehr allgemein. Nach den Veröffentlichungen war er dann nicht mehr so locker.
„Eine Medienkampagne, die uns nicht gefällt“, klagt auch Didier Mouget, Managing Partner der Berater- und Steuerprüfungsgesellschaft PwC Luxemburg: „Es war alles legal und legitim. Wir haben uns nichts vorzuwerfen“, behauptet er. Trotzdem äußert sich PwC nicht zu den Enthüllungen.
Auch der große luxemburgische Gewerkschaftsbund OGBL kommentierte die Krise zunächst nicht. Er hoffe, die Diskussion werde „nicht auf dem Rücken der Beschäftigten“ ausgetragen, erklärt OGBL-Präsident Jean-Claude Reding knapp, als ahne er Böses für den Finanzstandort Luxemburg. Immerhin rund 42.000 Menschen arbeiten im Banken-, Finanz- und Versicherungssektor, viele von ihnen sind Gewerkschaftsmitglieder.
Den Luxus, einfach zu schweigen, kann sich die Regierung nach dem 5. November nicht mehr leisten. Da aber mit neu gewähltem Premier Xavier Bettel und dem hypernervösen und vor Journalisten genervt agierenden Finanzminister Gramegna nicht gerade Medienspezialisten zur Verfügung stehen, muss einer ran, der zu Hause oft wegen seiner lustig-betulichen Art Deutsch zu sprechen belächelt wurde: Jean Asselborn (57). Der luxemburgische Außenminister spricht von einem „Schlag, der den Ruf Luxemburgs hart trifft“. In der Talkrunde bei Anne Will in der ARD gibt Asselborn den reichen Onkel vom Land, der gar nicht verstehen kann, warum ihm plötzlich alle Welt einen verdorbenen Charakter unterstellt. Er macht seine Sache richtig gut. Er ist witzig, „charmant und unglaublich sympathisch“, wie Anne Will nicht müde wird zu betonen. Und im „Spiegel“-Interview gibt er sich sogar reumütig: Luxemburg dürfe „kein Ort sein, der Firmen willkommen heißt, die keine Steuern zahlen wollen“. Für derartige Tricksereien stehe das Land nicht mehr zur Verfügung.

Und als wäre der Wunsch des reichen Onkel Jean in Erfüllung gegangen, enthüllt der „Spiegel“ wenige Tage danach die Niederlande als „mutmaßlich beliebteste legale Steueroase der Welt“.
Jean-Claude Juncker, unter dessen Regierung Luxemburg seit 1995 systematisch vom Stahlstandort zum Steuerparadies umfunktioniert wurde, schlägt den G 20 in Brisbane vor, härter gegen Steuerflucht vorzugehen – wird aber von Japan, Australien und Großbritannien geblockt. Was ihn gefreut haben dürfte.
Tatsache ist auch, dass es unter den 28 Staaten der EU außer Luxemburg noch 21 weitere Länder gibt, die Ruling-Praktiken betreiben. Der Hinweis, nun gelte es, auf europäischer Ebene an einem Strang zu ziehen und gemeinsam neue Regeln auszuarbeiten, ist deswegen nicht ganz falsch. Auf diese Weise war es Luxemburg in der Vergangenheit immer wieder gelungen, sein System aufrechtzuerhalten. Doch nachdem im Dezember 2014 mit „LuxLeaks 2“ detaillierte Unterlagen, die Konzerne wie Disney und Skype belasteten, nachgelegt wurden, muss Luxemburg Vergangenheitsbewältigung betreiben.
Der Staat Luxemburg ist mit seinen rund 550.000 Einwohnern vergleichbar mit mittleren Großstädten wie Bremen oder Hannover. Doch anders als in Deutschland gelingt es, die Bürokratie in Grenzen zu halten. Allerdings nicht immer zum Wohle der Allgemeinheit.
Ein Beispiel dafür ist Marius Kohl, einst Leiter des Luxemburger Steueramts „Sociétés 6“ und direkter Ansprechpartner für PwC. Kohl war für die Beurteilung und Bewilligung der Abkommen („Rulings“) zwischen dem Staat Luxemburg und internationalen Konzernen zuständig. Er hat in seiner aktiven Zeit nie ein Interview gegeben, von ihm existiert kein Pressefoto. Aber er hat rund 380 der geleakten Tax Ruling–Deals im Werte von über 1,5 Milliarden Euro eingefädelt. Fast ohne Bürokratie: Die PwC-Berater stellten Kohl im Auftrag ihrer Kunden die Pläne der Unternehmen persönlich vor. Nach ein bis zwei Treffen wurde ein schriftlicher Antrag vorgelegt, den Kohl meist noch am selben Tag positiv beschieden hat. Die Luxemburg-Leaks belegen, dass Kohl in seiner 22-jährigen Amtszeit allein für die Bearbeitung zuständig war und bis zu 54 Anträge an einem einzelnen Tag schaffte. Im Jahr 2013 wurde er pensioniert und durch sechs Mitarbeiter ersetzt.

Grundlegend Neues haben die LuxLeaks nicht ans Licht gebracht. Wiederholt haben Nichtregierungsorganisationen Studien veröffentlicht und den G 20 beziehungsweise der OECD vorgestellt, die einen Eindruck von den Dimensionen der Steuerflucht gaben. Wer sich ernsthaft verwundert gibt angesichts der Dimensionen oder gar den Kopf von „Mr. Steueroase“ Jean-Claude Juncker fordert, der kennt sich in der Branche nicht aus oder schauspielert für die Medien.
Halbwegs verlässliche Schätzungen der Ausmaße des Schadens durch Steuerflucht und Steuervermeidung gibt es seit über einem Jahrzehnt. Brot für die Welt, das Global Policy Forum und Misereor stellten im August 2013 fest: „Insgesamt werden die entgangenen Steuereinnahmen in den Ländern des Südens je nach Berechnungsmethode auf 100 bis 160 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. In Ländern wie China, den Philippinen und Simbabwe erreichten sie eine Größenordnung von fast einem Drittel der Staatseinnahmen.“ Eine Studie des ehemaligen McKinsey-Ökonoms James Henry im Jahr 2012 kam zu dem Ergebnis, dass weltweit bis zu 32 Billionen Dollar in Steueroasen gebunkert werden – und nicht nur aus Industrieländern. Es wird geschätzt, dass zum Beispiel aus Nigeria etwa 306 Milliarden, aus der Elfenbeinküste etwa 141 Milliarden, aus Russland etwa 800 Milliarden, aus China insgesamt fast 1,2 Billionen Dollar in Steueroasen abgeflossen sind.
Heute sind allein mehr als 2,7 Billionen Euro in luxemburgischen Investmentfonds versteckt – die seit 2008 stetig steigende Zahl wird öffentlich in luxemburgischen Medien abgefeiert.

Lediglich in drei Fällen (Starbucks, Apple, Fiat) prüft die EU-Kommission, deren Präsident pikanterweise Jean-Claude Juncker ist, ob europäisches Wettbewerbs- und Beihilferecht verletzt wurde. Das könnte dieses Jahr noch mal für Gerede sorgen. Ein erstes Misstrauensvotum im EU-Parlament hat Juncker überstanden. Und selbst der Grünen-Europa-Abgeordnete Sven Giegold will ihn im Amt halten: „Juncker ist eigentlich ein Glücksfall für den Kampf gegen Steuerdumping und Steuerhinterziehung. Es ist besser, wenn er bleibt und wir ihn fünf Jahre lang unter Druck setzen können.“ Druck will Giegold über einen Untersuchungsausschuss erzeugen. Bei Redaktionsschluss erklärte Giegolds Düsseldorfer Büro, man gehe davon aus, dass die notwendige Stimmenzahl von 188 EU-Parlamentariern noch Mitte Januar erreicht werde.
Dann würde Luxemburg auch den kältesten Frühling aller Zeiten erleben, bevor es im 2. Halbjahr 2015 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

Übrigens: Den inzwischen geouteten Informanten – es handelt sich um den 29jährigen Franzosen Antoine Deltour, einen ehemaligen PwC-Mitarbeiter – erwarten im schlimmsten Falle bis zu zehn Jahre Haft. Ein Solidaritäts-Effekt wie bei Edward Snowden ist für ihn nicht zu erwarten, dafür ist das letzte Großherzogtum der Welt zu klein.
Thomas Schulz