Der Kollaps der Klimaverhandlungen in Kopenhagen kam nicht von ungefähr. Denn mit diesem Gipfel der Superlative ist die Klimakrise endgültig von einem "weichen" Randthema der internationalen Beziehungen zu einem "harten" Gegenstand von Staatenkonkurrenz im Weltsystem avanciert.
Gleichzeitig hat das Gipfeldesaster vielen bewusst gemacht, dass mit den bisherigen umweltpolitischen Mechanismen und Instrumenten, der Klimawandel in absehbarer Zeit weder effektiv noch gerecht wird abgebremst werden können. Die Kombination von Energie- und Klimakrise ist auf dem besten Wege die Rahmenbedingungen aller sozialen Auseinandersetzungen weltweit in den kommenden Jahrzehnten drastisch zu verschlechtern. Linke Politik kommt deshalb nicht mehr darum herum, sich den Konsequenzen der sich zuspitzenden Verteilungskonflikte zu stellen.
Obwohl sich die 14-tägigen Klima-Verhandlungen (COP 15) in der dänischen Hauptstadt von ihrem ersten Tag an auf einem Schlingerkurs befanden, sah der offiziell letzte Verhandlungstag wie einer der üblichen Cliffhanger bei internationalen Verhandlungen aus: Von PR-Strategen sorgsam orchestriert taucht aus einer desolaten Verhandlungslage heraus doch noch ein Kompromisspapier auf, welches der globalen Öffentlichkeit als Schritt nach vorn verkauft werden kann. Tatsächlich schien ein solches Drehbuch auch für den 18. Dezember 2009, den letzten offiziellen Verhandlungstag, zu existieren. Am Nachmittag dieses Freitags verkündete der US-Präsident Barack Obama bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz einen "beispiellosen Durchbruch". Tatsächlich hatte sich eine Gruppe von 30 Staaten auf eine politische Erklärung einigen können. Dies allerdings brüsk an dem offiziellen Verhandlungsprozess vorbei und mit Ergebnissen, die von vielen Delegationen als nicht weitreichend genug oder sogar als Rückschritt betrachtet wurden. Dementsprechend wurde dieser dreieinhalbseitige Text im Plenum der Konferenz lediglich "zur Kenntnis" genommen. Dies artikuliert in der UN-Diplomatensprache eine äußerst distanzierte Haltung, da noch nicht einmal die sehr häufige benutzte Formel "we welcome" zugestanden wurde. Der mit 45.000 Delegierten von Regierungen, internationalen Organisationen, Lobbyverbänden und Nichtregierungsorganisationen (NGO) bisher größte Klimagipfel war endgültig kollabiert.
Mit Enttäuschung, Wut und Schock beschrieben öffentlich viele Politiker und Vertreter von Umweltverbänden ihre Reaktionen auf dieses Nicht-Ergebnis. Jedoch, man hätte es besser wissen können. Denn befremdlich wirkten bereits die unter anderem von vielen NGOs geschürten Hoffnungen auf ein "faires, ambitioniertes rechtsverbindliches Abkommen" im Vorfeld des Gipfels. Joachim Schellnhuber, Chef des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), sprach im Vorfeld sogar von "der wichtigsten Konferenz der Menschheit". Und noch am letzten fatalen Verhandlungstag trommelte beispielsweise die internationale Online-Kampagnen-Plattform Avaaz.org dafür, nun mit noch mehr Unterschriften noch mehr Druck auf die Regierungschefs auszuüben.
Zwar war der vollständige Kollaps wegen der erwähnten üblichen Gipfel-Choreografierungskünste so nicht unbedingt zu erwarten, aber ein Scheitern der Verhandlungen, gemessen an dem bei der Klimakonferenz in Bali im Jahre 2007 beschlossenen Zeitplan und dem klimapolitisch Notwendigen, stand schon vor der Konferenz längst fest. Sichtbar war dies sowohl für Beobachter, die sich grundsätzlich einen effektiven Klimaschutz vom UN-Prozess erwarten,[1] als auch von denjenigen, die ihn grundsätzlich mit Skepsis betrachten.[2] Bereits Monate vorher wurden vonseiten der Regierungen die Erwartungen heruntergeschraubt. Denn gemäß der Road Map des Bali-Gipfels hätte in der dänischen Hauptstadt ein neues, völkerrechtlich verbindliches Abkommen beschlossen werden müssen, um an das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll anzuschließen. Seit dem Sommer 2009 war allerdings nur noch von einer politischen Erklärung die Rede. Und das, was an bekannten Positionen auf dem Verhandlungstisch lag, lies Schlimmes befürchten. Schon während des Weltsozialforums elf Monate zuvor im brasilianischen Amazonasgebiet hatte ein Vertreter von Friends of the Earth International unter der Hand eingestanden, dass man nach Dänemark reisen werden, "um Schadensbegrenzung zu betreiben."
Konkurrenz im Treibhaus
Nicht der "fehlende Mut" der 120 anwesenden Staatschefs oder schlicht "Versagertum", wie die taz titelte, bewirkte den Zusammenbruch der Verhandlungen. Vielmehr befindet sich zum einen das Staatensystem in einer Hegemoniekrise, sodass die Konkurrenz der Staaten um Produktionsstandorte, Märkte und Rohstoffe an Schärfe gewinnt, zum anderen stießen die Strukturen der bisherigen internationalen Umweltpolitik an ihre Grenzen.
Der neue Bundesumweltminister Norbert Röttgen hatte Recht, als er den Kopenhagen-Gipfel als "wichtigste Wirtschaftskonferenz unserer Zeit" bezeichnete. Dabei hatte er allerdings eher die Exportpotenziale für deutsche Unternehmen im Bereich "Umwelttechnologien" im Blick als die Frage, inwieweit durch ein auf internationaler Ebene ausgehandeltes Vertragswerk CO2-Emissionssenkungen, und damit Wachstumspotenziale, festgelegt bzw. Kostenverteilungen für Anpassungsmaßnahmen verteilt werden. Gegenüber dem Jahr 1997, als der Abschluss des Kyoto-Protokolls noch als "weiches" umweltpolitisches Thema internationaler Beziehungen quasi im Windschatten von "harten" ökonomischen und sicherheitspolitischen Themen durchgehen konnte und die finanziellen Lasten – zumindest auf dem Papier – einseitig von den Ländern des Nordens übernommen wurden, hat sich die Situation grundlegend verändert. Mit dem Aufstieg der Schwellenländer und dem relativen Abstieg der G7-Staaten hat sich die ökonomische Konkurrenz verschärft – gerade auch durch die aktuelle Weltwirtschaftskrise. Die Krise beschleunigt massiv den Umbruch der hegemonialen Struktur im Weltsystem. Die Gründung der WTO im Jahre 1994 war die letzte Begründung eines durchschlagskräftigen internationalen Vertragswerks. Möglich war dies, indem die USA und die EU als eindeutig hegemoniale Achse die Verhandlungen der Uruguay-Runde im Wesentlichen unter sich ausmachten. Inzwischen zeichnet sich eine multipolare Konstellation ab, deren Konturen aber noch unscharf sind. Fest steht allerdings, dass die Hegemonie des Nordens zerbröckelt ist. Verdichtet hat sich diese Entwicklung eben in Kopenhagen mit dem erstmalig sehr aktiven Auftreten der chinesischen Diplomatie bei einem internationalen Gipfel. Es ist daher insgesamt kein Wunder, dass nach einer jahrelangen Blockade der Doha-Runde der WTO aufgrund der veränderten Kräfteverhältnisse, nach dem de facto-Ende der G8 und der Neubegründung der G20 und ihrer drei wenig ergiebigen Gipfeltreffen seit dem Herbst 2008 kein multilaterales Klimaabkommen zustande kommt. Ohne eine neue stabile Global Governance mit einem hegemonialen Moment, wie es das neoliberale Projekt basierend auf Konsens und Zwang darstellte, sind große völkerrechtliche Würfe äußerst unwahrscheinlich.
Die Grenzen der Regulierung
Bei der Suche nach den Gründen des Scheiterns stellt sich zudem die Frage, ob diese Form von internationalen Verhandlungen auf dem Terrain globaler Umweltpolitik überhaupt dazu in der Lage sind, Regeln zu finden, die zu den gewünschten ökologischen Strukturen führen. Ist also die Strategie plausibel, über ein globales Abkommen einen Handlungsdruck zu erzeugen, der Regierungen etwas umsetzen lässt, was auf nationalstaatlicher Ebene kaum möglich erscheint? Begreift man internationale Institutionen wie den gegebenen Verhandlungsprozess im Rahmen der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) als materielle Verdichtungen sozialer (Kräfte-)Verhältnisse "zweiter Ordnung"[3] – als Ableitung der Definition des Nationalstaates als Kristallisation gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse –, dann erscheint plausibel, dass die Vorstellung "Alle sitzen in dem einen Boot" und kosmopolitischer Idealismus nicht genügen, um die versammelten Staatschefs von Obama über Berlusconi bis König Abdullah Al Saud ein effektives Klimaabkommen unterzeichnen zu lassen. Die Strukturen des fossilen Regimes sind tief eingelassen in die sozialen Produktions- und Konsumtionsverhältnisse und in die Logik der Akkumulation von Profit auf dem Weltmarkt. Ohne die weitreichende Veränderung dieser Verhältnisse ist es nicht denkbar, dass massive und schnelle CO2-Reduktionen einfach in einem globalen Regelwerk festgeschrieben werden. Der Kollaps von Kopenhagen zeigt damit die Grenzen des Regulierungsansatzes. Denn bei keinem der zentralen Akteure, der entwickelten Länder oder der Schwellenländer, sind die entsprechenden Veränderungen der Ökonomien so weit fortgeschritten, dass die Handlungslogik der staatlichen Apparate eine CO2-arme Wirtschaftsweise als außenpolitisches Projekt verfolgen könnte. Das bedeutet nicht, dass (multilaterale) Regulierung kein notwendiges Element zur Bearbeitung der Klimakrise darstellt. Aber sie wird wohl kaum der Motor sein. Insbesondere nicht die Regulierung auf dem Feld der internationalen Umweltpolitik.
Einen der treffendsten Kommentare zu den Ereignissen in der dänischen Hauptstadt gab am 18. Dezember, dem letzten offiziellen Gipfeltag, der US-Senat ab, indem er ein Verteidigungsbudget von über 680 Mrd. US-Dollar verabschiedete. Anekdotisch stehen diese Entscheidung und die damit verbundenen geostrategischen Implikationen dafür, dass die Frage von Klimaschutz mindestens genauso auf den Terrains von Militärpolitik und Energieaußenpolitik, von Handels-, Industrie- und Landwirtschaftspolitik sowie von Finanzpolitik entschieden wird, wie in den Büros der Umweltministerien. Hinzu kommen die vergangenen und täglich gefällten Investitionsentscheidungen in Unternehmen. Effektive Regulierung wird aller Voraussicht nach erst dann möglich sein, wenn Veränderungen bei den Produktions- und Konsumtionsverhältnissen schon weit vorangeschritten sind.
Realexistierender Klimaschutz
Selbst wenn es wider Erwarten doch in absehbarer Zeit zu einem Abkommen kommen sollte, dann ist von ihm bezüglich eines effektiven, geschweige denn gerechten Klimaschutzes kaum etwas zu erwarten. 13 Jahre nach der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls sind die Resultate eines realexistierenden Klimaabkommens ernüchternd. Statt die CO2-Emissionen, wie für die Länder des Nordens vereinbart, um ein paar Prozentpunkte zu senken, sind sie tatsächlich effektiv gestiegen. Im Falle von beispielsweise Großbritannien sind die Emissionen nach völkerrechtlicher Berechnungsweise zwischen 1992 und 2004 um 5% gesunken. Tatsächlich aber ist der CO2-Ausstoß, wenn man die realen Stoffströme einkalkuliert im selben Zeitraum um 18 Prozent angestiegen, wie der britische Umweltminister Hilary Benn selbst vor dem G8-Gipfel in Japan 2008 zugeben musste. Die Angaben zum Kohlestoffkreislauf, mit denen auf internationaler Ebene hantiert wird, sind daher kaum als seriöser einzuschätzen als die Bilanzen der Hypo Real Estate oder IKB. Umso fragwürdiger mutet es deshalb an, dass ausgerechnet nach den Erfahrungen mit dem neoliberalen Finanzmarktkapitalismus und seiner Krise viele ihr Vertrauen weiterhin einem Mechanismus entgegenbringen, welcher zur Hochzeit des Hurra-Neoliberalismus im Jahre 1995 auf den Weg gebracht wurde: nämlich dem Emissionshandel im Kyoto-Protokoll (bzw. dem Europäischen Emissionshandel). Wesentlich mitverantwortlich für dieses Instrument ist der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore, der selbst in linken Kreisen als Ikone des Klimaschutzes angesehen wird.[4] Als Zugeständnis an den US-Kongress brachte er den Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument zunächst gegen den Willen aller anderen Staaten während der Verhandlungen ins Spiel. Das dieser schließlich zum zentralen Umsetzungsmechanismus des Kyoto-Protokolls wurde, ohne dass der Kongress das Abkommen jemals ratifizieren sollte, bleibt ein Treppenwitz der Geschichte. Bei einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung wenige Wochen vor der COP15 erklärte ein Vertreter von DB Research, dass es das strategische Ziel der Deutschen Bank sei, jede einzelne Transaktion eines Emissionszertifikats über ihre Konten abzuwickeln. Solch eine Aussage war natürlich Kraftmeierei. Ein Hinweis darauf, wie lukrativ diese neuen Märkte von Zertifikaten und deren Derivaten für eine C02-Finanzindustrie eingeschätzt werden, deutet die Anwesenheit von über 500 Lobbyisten der International Emission Trading Assoziation (IETA), dem internationalen Verband der Emissionshandelsunternehmen, im Dezember in Kopenhagen an. Dies war mit Abstand die größte Delegation. Dass diese Unternehmen dort nicht als karitative Organisationen auftraten, sondern mit handfesten Profitinteressen, versteht sich von selbst. Das Nicht-Ergebnis von Kopenhagen bedeutet, dass ein globaler Emissionshandel mit all seinen Spekulationsoptionen zunächst vom Tisch ist. Berichte kursieren, dass die CO2-Finanzabteilungen einiger Banken nun nicht weiter ausgebaut oder sogar verkleinert werden.
Globalisierungskritik & Klimagerechtigkeit
Nach dem Kopenhagen-Debakel ist der weitere Weg der internationalen Klimadiplomatie völlig unklar. Eine erste Deadline zur Notifizierung freiwilliger Emissionsreduktionen Ende Januar wurde von vielen Staaten ignoriert. Und am 18. Februar kündigte Yvo de Boer, der Chef des UN-Klimasekretariats, seinen Wechsel als Berater zu KPMG, einem privaten Beratungsunternehmen, an. Fest steht, dass es im Mai 2010 in Bonn ein Umweltministertreffen geben wird und Zwischenverhandlungen ebenfalls in Bonn in den beiden ersten Juni-Wochen. Ob sich der Scherbenhaufen allerdings zu etwas Neuem zusammensetzen lässt, ist offen. In dieser Situation lädt die bolivianische Regierung die globale Zivilgesellschaft für Ende April zu einer "Peoples’ World Conference on Climate Change" nach Cochabamba. Denn zum einen spitzen sich die Folgen der Klimakrise gerade im Süden rapide zu, und zum anderen ist es sehr wahrscheinlich, dass es in 15 oder 20 Jahren ein ganz anderes Energiesystem als das gegenwärtige geben wird. Weniger deutlich sind die Konturen dieses Energiesystems, d.h. wie gerade auch im Angesicht des nahenden Peak Oil – dem Höchstförderpunkt von Erdöl – Energie verteilt sein wird, mit welchen Technologien sie unter welchen Arbeitsbedingungen produziert wird und von wem sie kontrolliert wird. Nicht zuletzt: wer davon im wahrsten Sinne des Wortes profitieren wird und wer die Kosten trägt. Welche Paradigmenwechsel in diesem Sektor bevorstehen könnten, deutete Mitte Februar der Geschäftsführer der britischen Stromregulierungsbehörde Ofegem, Alistair Buchanan, an, als er anlässlich der Einführung neuer öffentlicher Finanzierungsinstrumente äußerte: "Die freie Marktwirtschaft ist auf dem Energiesektor keine Option mehr." Mit dem Klima-Crash in Kopenhagen und dem bevorstehenden "Weltsozialforum" einer möglichen neuen Klimabewegung in Bolivien gibt es eine Chance, die Themen der globalisierungskritischen Bewegungen mit der ökologischen Frage neu zu verknüpfen. Die effektive Absenkung von CO2-Emissionen ist dann genau so wichtig wie die Fragen nach demokratischer Kontrolle und den Arbeitsbedingungen; der Aspekt gleicher Zugangsrechte zu Energie ist genauso relevant wie ihre Einsparungen. Das neue Konzept dafür lautet Klimagerechtigkeit.
Alexis J. Passadakis ist Mitglied im Koordinierungskreis von Attac und aktiv bei gegenstromberlin.net
[1] Vgl. Müller, Michael (2009): Last Exit Kopenhagen, doch die Party geht weiter, in: swp, 7/2009, S. 14-19.
[2] Vgl. Passadakis, Alexis/Müller, Tadzio (2009): Kopenhagen: Der Gipfel des Scheiterns, in: Blätter für deutsche u. internationale Politik, 11/2009, S. 26-28.
[3] Vgl. Brand, Ulrich/Görg, Christoph/Wissen, Markus (2007): Verdichtungen zweiter Ordnung. Die Internationalisierung des Staates aus einer neo-poulantzianischen Perspektive, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 2/2007, S. 217-234.
[4] Sieber, Rolf (2010): Eine Frage der Wahl und des Willens. Al Gores Vorschlag zur Lösung der Klimakrise und die Konferenz von Kopenhagen, in: Sozialismus 1/2010; Peter, Horst (2009): Für eine nachhaltige, ökologische und sozial gerechte Weltordnung, in: swp, 7/2009, S. 28-33.
Erschienen in «Sozialismus», Heft Nr. 3 (März 2010), 37. Jahrgang, Heft Nr. 340