Die der Kommunistischen Partei Frankreichs nahestehende Tageszeitung „L’Humanité“ drückt am 8. Januar 2015 auf schwarzer Titelseite ihre Trauer um ihre Kollegen der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ aus, indem es dort sinngemäß heißt, dass es die Freiheit sei, die mit diesem Attentat ermordet werden soll - „C’est la liberté, qu’on assassine“.
Wer in Frankreich „Freiheit“ („Liberté) sagt, meint in diesem Kontext stets mehr als „Meinungsfreiheit“ oder „Toleranz“. Gemeint sind dann die ursprünglichen Ideale der Französischen Revolution insgesamt: „Liberté, égalité, fraternité“ („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“). Außerdem sind nicht zuletzt wegen der weiteren Entwicklung der Französischen Revolution die Schwierigkeiten der Freiheit mitzudenken. Mit dem Wissen von heute meint „Freiheit“ dann auch, dass es eben nicht um irgendeinen von einer dominierenden Gruppe oder selbst von der Mehrheit religiös oder national definierten Einheitsbrei gehen kann, sondern um die Anstrengung, ein Leben in Vielfalt als die normale Bewegungsform der menschlichen Gesellschaft zu begreifen und politisch zu gestalten. Islamisten, Pegida und andere Antidemokraten sehen das anders. Mit „Liberté, égalité, fraternité“, diesen ständig neu einzulösenden Idealen der Französischen Revolution, haben sie nichts im Sinn.
Bezeichnend ist, dass sich der AfD-Fraktionsvorsitzende Gauland in seiner Rede zur Konstituierung des neuen Landtages als Alterspräsident auf einen der größten Hasser dieser Ideale, Edmund Burke (1729 – 1797), bezog. Wie Burke nicht zu den dummen Konservativen gehört, so war die Gauland-Rede zwar kein intellektuelles Glanzstück, wie sogar einige linke Abgeordnete meinten, jedoch auch kein plattes rechtsradikales Gebrüll.
Soll allen Antidemokraten dieses trotzige „Je suis Charlie!“ entgegenschallen! Als Ersatz für eine gründliche Auseinandersetzung mit den Ursachen für Terror, Gewalt, „nichtäquivalenter Kriegführung“ und religiösem Fanatismus reicht das jedoch nicht. Auch der komplizierte Zusammenhang, warum islamistischer Terror und Pegida (einschließlich der Unterstützer in AfD und NPD) zwei Seiten einer Medaille sein könnten, wird auf Kundgebungen, und seien sie noch so groß, nicht herauszuarbeiten sein.
Mehrere der ermordeten Journalisten des Satiremagazins hatten auch für die „L’Humanité“ gearbeitet. Heute, am Sonntag nach den Morden, erschien eine Sondernummer dieser Zeitung mit dem Titel: „Contre la haine. LIBERTÉ, ÉGALITÉ, FRATERNITÉ“ („Gegen den Hass. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“). Und ebenfalls heute gab es die Verabredung während des Neujahrsbrunchs der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin, weiterhin die politische Bildung darauf zu konzentrieren, an die Wurzeln aktueller Erscheinungen vorzudringen und damit Schlussfolgerungen für linkes demokratisches Handeln zu ermöglichen. Mögen politische Reflexe auf schreckliche Ereignisse auch verständlich sein, für mich ist wichtig, dass wir mit den Veranstaltungen des Senftenberger Lausitzbüros und der brandenburgischen Rosa-Luxemburg-Stiftung insgesamt auch weiterhin dem Anliegen einer argumentativen Demokratie verpflichtet bleiben. Darum ging es bei der Gründung der Interessengemeinschaft Dritter Weg Senftenberg wie auch der DDR-Volksbewegung 1989/1990.
Der Auftakt der Europäischen Linken für 2015 in der Berliner Volksbühne machte in beeindruckender Weise deutlich, dass Terrorismus und Krieg sich gegenseitig bedingen. Wer Terrorismus also bekämpfen will, muss auch die Kriege des „Westens“ gegen die „Barbaren“ ablehnen. Und es wird herausragende Aufgabe der Linken bleiben müssen, ständig Kritik an jenen zu üben, die den Terrorismus mit Mitteln bekämpfen wollen, die Teil der Ursachen der Entstehung des Terrorismus sind: Auslandseinsätze, Waffenexporte, Abschottung des „Abendlandes“, Arroganz gegenüber anderen Kulturen, Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche …
Nicht „die westliche Welt“ muss jetzt ihre Werte verteidigen, wie einige Journalisten und europäische Spitzenpolitiker sofort riefen, sondern Menschen aller Kulturen müssen dafür einstehen, dass überall auf der Welt ein Leben in Würde möglich wird. Die Hindernisse für ein solches Leben sind nicht in nationaler Abschottung oder durch „abendländischen“ Überlegenheitstaumel zu beseitigen. Ja, ein erster Schritt kann das Vereintsein in Trauer nach so schrecklichen Taten wie in der vergangenen Woche in Frankreich sein. Zum Eintreten für Menschenwürde gehörte dann jedoch auch, dass es keine Hierarchie der Trauer geben darf. Oder sind die Opfer der Boko-Haram-Terrormilizen im Norden Nigerias oder die durch Drohnenangriffe getöteten Hochzeitsgesellschaften in Afghanistan von geringerem Interesse, weil nicht zur "westlichen Wertegemeinschaft“ gehörend? „Charlie Hebdo“ übrigens hätte diese Frage nicht so harmlos gestellt.
Dass Denkweisen mit tief sitzendem Rassismus bei vielen Menschen, von ihnen selbst oft unbemerkt, ihren Platz haben, zeigt sich in Reden wie „obwohl er Muslim ist, kamen alle mit ihm aus“. Die französische Philosophin Simone Weil (1909 – 1943) hat diese Haltung bereits während ihres Deutschlandaufenthaltes 1932 am Beispiel eines verinnerlichten Antisemitismus selbst bei Linken beobachtet.
Selbstverständlich sind die Akteure der Rosa-Luxemburg-Stiftung tief betroffen von den Ereignissen, den Morden, in Frankreich. Wir sind traurig und wütend. Jedoch, das allein reicht nicht. Außer Empathie, dem Wärmestrom, wie Bloch es nannte, muss auch ein kühler Kopf, die Analyse, dazu kommen. Darum geht es in der politischen Bildung. Nicht zuerst um spektakuläre oder publikumswirksame Veranstaltungen kann es gehen, sondern vielmehr um Beharrlichkeit und einen langen Atem, um politische Bildung langfristig gegen Politikmüdigkeit, die sich immer mehr als Demokratiemüdigkeit erweist, in Anschlag zu bringen. Denn, um mit Herbert Marcuse auf die Ausgangsüberlegung zurückzukommen, Tatsache ist, „dass Freiheit unvereinbar ist mit Unwissenheit.“
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