Nachricht | Staat / Demokratie - Partizipation / Bürgerrechte «Wichtiger Schritt zur Überwindung von Feindbildern»

Interview mit Bodo Ramelow nach der erfolgreichen Klage gegen den Verfassungsschutz.

Seit Jahren kämpft der linke Abgeordnete Bodo Ramelow gegen die Beobachtung seiner Tätigkeit durch den Verfassungsschutz. In dem gestern bekannt gemachten Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die jahrzehntelange Überwachung für rechtswidrig erklärt. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist ein schwerer Eingriff in das freie Mandat, der nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann, so die Karlsruher Richter. Das Urteil ist auch für weitere linke Parlamentarier von Bedeutung, die immer noch beobachtet werden. Allein im Bundestag waren im Juni dieses Jahres mindestens 25 Abgeordnete betroffen.

«Das Urteil freut uns als Rosa-Luxemburg-Stiftung natürlich in besonderem Maße, weil Bodo Ramelow Vorstandsmitglied unserer Stiftung und darüber hinaus ein aktiver Unterstützer ist», so Geschäftsführer Florian Weis. Es mache deutlich, dass die der RLS nahestehende Partei DIE LINKE uneingeschränkt als Partei im demokratischen Spektrum der Bundesrepublik Deutschland zu akzeptieren sei. Die Stiftung beschäftige sich seit langem mit der  Gefährdung von Freiheitsrechten durch Geheimdienste. Die Unterdrückungsmechanismen durch Staatssicherheit und andere Einrichtungen in der DDR sind ebenso Gegenstand der Bildungsarbeit wie problematisches Geheimdienstagieren in der Bundesrepublik, ohne das eine mit dem anderen aufzurechnen. Aktuelles Beispiel ist die unklare Rolle verschiedener Verfassungsschutzbehörden im Zusammenhang mit den Morden des NSU.

Die jahrelange Bespitzelung Ramelows wurde in dem 2010 bei Dietz Berlin erschienenen Buch «Die Akte Ramelow - Ein Abgeordneter im Visier der Geheimdienste» dokumentiert. 2011 verfasste der Bremer Bürgerrechtler Rolf Gössner, selbst Opfer unrechtmäßiger Beobachtung durch den Verfassungsschutz, eine Einschätzung zum Verfahrensgang in der Reihe «RLS Standpunkte».

 

Bodo Ramelow äußert sich in einem kurzen Interview zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz und seiner erfolgreichen Klage:

Das BVerfG hat entschieden, dass der Verfassungsschutz dich nicht mehr beobachten darf. Hast du zwischenzeitlich mal daran gezweifelt, mit deiner Klage erfolgreich zu sein?

Ich bin mir immer sicher gewesen, dass die Prozesse mit einem Sieg enden werden. Überrascht hat mich jetzt der Zeitpunkt, auf den bin ich nicht vorbereitet gewesen. Leicht war es aber nicht. Mir ist sehr schnell klar geworden, dass viele der Akteure in den Geheimdiensten, die angeblich die Verfassung schützen sollen, noch den Kalten Krieg im Kopf und im Herzen tragen. Auch unter Juristen wird der Feind oft links gesehen. Sich mit dieser Praxis politisch und juristisch auseinanderzusetzen, verlangt große Geduld und Zähigkeit. Wir reden hier ja von zehn Jahren und 15 Prozessen! Ich habe aber von Anfang an gesagt, dass ich nicht aufgeben werde, denn gegen obrigkeitsstaatliches Gebaren hilft nur Selbstbewusstsein und Zivilcourage. Im unwahrscheinlichen Falle des Unterliegens hätte ich die Europäischen Gerichte angerufen.

Was hat die Beobachtung konkret für dich bedeutet; war sie Teil deines Alltages?

Natürlich. Diese unsägliche Praxis hat tief in mein Leben eingegriffen. Selbst eine so genannte Beobachtung aus offenen Quellen stellt einen schweren Eingriff in die politische Arbeit dar. Es ging ja immer auch darum, den Menschen Angst davor zu machen, mit mir zu sprechen. Aber trotz anderslautender Stellungnahmen des Verfassungsschutzes bin ich sicher, dass auch Spitzel im Einsatz waren. Mir gegenüber hat sich jemand dekonspiriert und gesagt, er sei V-Mann. Ein Mann wohlgemerkt, der vorher wochenlang in meinem Wahlkreisbüro ein- und ausgegangen ist. Nach dem Leipziger Skandalurteil hat meine Frau sehr sarkastisch gesagt, sie hängt jetzt erst einmal alle Gardinen ab, damit auch unsere Wohnung eine öffentliche Quelle ist! Generell finde ich eine Entwicklung bedrückend, für den einzelnen Menschen keinen geschützten Bereich mehr zuzulassen. Früher gab es eine Tabuzone, das war die Privatsphäre. Doch die wird auch durch Geheimdienste permanent zerstört.

Was bedeutet es für dich, dass deine Beobachtung mit der vermeintlichen Verfassungsgegnerschaft einzelner Personen in Zusammenhang gebracht wird und was entgegnest du darauf?

Man muss sich das einmal vorstellen: ich soll für alles, was irgendjemand in der Linken irgendwann gesagt hat oder gesagt haben soll – denn die Geheimdienste produzieren am laufenden Band auch Fälschungen – sozusagen in geheimdienstliche Geiselhaft genommen werden! Meine Phantasie reicht übrigens aus, nicht zuletzt durch meine Mitarbeit im Untersuchungsausschuss 5/2 im Thüringer Landtag, mir vorzustellen, dass ein untergeschobener Agent Provocateur bestimmte Dinge sagt, die dann der Partei DIE LINKE angelastet werden. Diese niedrige Eingriffsschwelle besteht gegen einen gewählten Abgeordneten, eine Schwelle, die noch dazu vom Geheimdienst selbst definiert wird! Kriterium kann doch nur das Verhältnis zum Grundgesetz  sein, das die Verfassung unserer Bundesrepublik Deutschland bildet. Und da heißt es im Artikel 15, um ein Beispiel aufzugreifen, das der Linken immer vorgehalten wird, dass Verstaatlichung und Vergesellschaftung ein legitimes Mittel sind, um etwa Macht und Monopole aufzubrechen. Das hat Frau Merkel dann im Falle der Hypo Real Estate auch praktiziert – ohne dass sie oder die CDU bespitzelt wurden.

Seit 2010 bist du auch Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Hast du mal befürchtet, deine Beobachtung könne auf deine Vorstandarbeit Einfluss haben?

Mir war klar, dass davon alle Aspekte meines Lebens betroffen waren, vor allem die mit einer politischen Relevanz, also auch die Vorstandstätigkeit bei der Rossa-Luxemburg-Stiftung.

Was ändert sich jetzt für dich?

Zunächst geht der Fall ja zurück zum Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig. Dorthin hat ihn das Bundesverfassungsgericht zurückverwiesen, mit einer schallenden Ohrfeige für die dortigen Herren in den roten Roben. Die müssen jetzt nachsitzen. Wichtig ist mir, dass dieses Urteil über meinen Fall hinaus große Bedeutung hat. Ich habe immer betont, dass ich nicht nur für meine persönliche Reputation kämpfe, sondern für die meiner ganzen Partei. Da gilt festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht den Weg frei gemacht hat für einen wichtigen Schritt hin zu mehr Frieden im Inland und zur Überwindung von Feindbildern. Diesen Schritt müssen jetzt aber Frau Merkel und die Bundesregierung gehen und dazu fordere ich sie auf.