«Wenn Sie das irgendwo sehen, in einem anderen Land vielleicht, dann bitte ich Sie gut zuzuhören. Damit sie wissen was mit uns, den Indigenen Guatemalas geschieht; damit Sie die traurige Wahrheit kennen».
Energisch guckt der drahtige Mann mit dem kantigen Gesicht in die Kamera. Er lebt in der Gemeinde El Estor im guatemaltekischen Bundesstaat Izabal. Direkt neben seinem Dorf fressen sich Bagger in die rotbraune Erde. Nickel im Wert von etwa 413 Milliarden US-Dollar holt dort das kanadische Unternehmen Hudbay mit seiner guatemaltekischen Tochter CGN jährlich aus dem Boden, während die Dorfkinder barfuß mit Kanistern über einen Kilometer weit bis zur nächsten Wasserstelle laufen müssen. Die Bewohner wehren sich seit Jahren gegen die Vertreibung von ihrem angestammten Territorium. Bestehende Landtitel wurden entzogen, neue werden nicht mehr ausgestellt –und das obwohl das Verfassungsgericht die zuständigen Behörden aufgefordert hat, im Sinne der Maya-Q’eqchi‘ zu entscheiden.
Um den Widerstand zu brechen, ziehen bezahlte Schlägertrupps nachts durch die Dörfer, entführen und ermorden AktivistInnen und brennen Häuser nieder. Dies berichten die Betroffenen im Film «Resistencia» (Widerstand) des kubanisch-guatemaltekischen Filmemachers Alejandro Ramírez Anderson, den er gemeinsam mit Partnern des Regionalbüros Mexiko der Stiftung gemacht hat. Noch zwei weitere Beispiele für die destruktive Kraft extraktivistischer Politik und Praxis für die meist indigene- Bevölkerung beleuchtet der Film: die Zerstörung des Regenwaldes und der Lebensgrundlage der Bevölkerung von El Castillo in Nicaragua durch Palmölplantagen sowie die Bedrohung der indigenen Terrabá durch das Großstaudammprojekt Diquís in Costa Rica.
Seit der Eroberung basiert die Ökonomie Lateinamerikas auf der Ausbeutung von Rohstoffen, deren Nutzung im Lauf der Geschichte maßgeblich zum Wohlstand im globalen Norden beigetragen hat. Der Extraktivismus, eine auf höchstmögliche Ausbeutung von Rohstoffen und Agrarland für den Export ausgerichtete Entwicklungsstrategie, prägt die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der meisten Länder des Subkontinents bis heute wesentlich. Die Folgen sind überwiegend negativ: extraktive Industrien wie Bergbau, Erdöl und Agrobusiness sind verantwortlich für massive Menschenrechtsverletzungen, weisen eine verheerende soziale und Umweltbilanz auf und geben wenig Impulse für die lokale Ökonomie. Rohstoffreiche Länder sind in der Regel wirtschaftlich abhängig von äußeren Faktoren wie Weltmarktpreisen und leiden unter ungerechten Welthandelsstrukturen.
Mesoamerika deckt die ganze Bandbreite des extraktivistischen Ausbeutungsmodells ab: durch Edelmetallabbau, Mega-Staudammprojekte und agro-industrielle Monokulturen werden Gemeinden vertrieben, Ökosysteme und Lebensformen zerstört. Je nach Vorkommen dominieren in dem Gebiet, das Mexiko, Zentralamerika und die Karibik umfasst, der Bergbau, die Mega-Energieprojekte wie Staudämme und Windparks) oder das Agrobusiness. Meist handelt es sich um internatonale oder transnationale Unternehmen, die kaum Steuern zahlen - in Mexiko etwa null Prozent auf die Gewinne des Bergbaus - und für nationale Rechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Ist der Boden erschöpft, ziehen sie sich zurück und hinterlassen eine zerstörte Landschaft und einen Haufen Umweltprobleme für die Bevölkerung.
Vor allen Dingen für indigene und traditionell lebende Gemeinden ist die extraktivistische Praxis fatal: Landvertreibung Abholzung der Wälder, Vergiftung des Trinkwassers und der Böden zerstören ihre Lebensgrundlage. Im Falle der Terrabá etwa sollen zehn Prozent des Territoriums durch den Staudamm geflutet werden. –Auf der anderen Seite spaltet die geschickte Politik der Unternehmen die Gemeinschaften: ein Teil der Bewohner_innen verkauft das Land in Aussicht auf eine bessere Zukunft oder unterstützt die Projekte, weil ihnen Arbeitsplätze, Schulen, Krankenhäuser und eine bessere Infrastruktur versprochen werden. Der andere Teil setzt sich zur Wehr.
Eine Strategie des Widerstandes ist der juristische Weg – entweder über Anrufung der lokalen Gerichte im Hinblick auf bestehende Landrechte und schwere Umweltschäden, oder über Einforderung der Konvention 169 der internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Landrechte indigener Völker anerkennt und UN-Mindeststandards dafür aufstellt, wie indigene Völker konsultiert werden müssen und mitentscheiden dürfen, wenn Projekte sie betreffen. In Mexiko, Guatemala, Nicaragua und Costa Rica wurden sie ratifiziert; bislang fehlt es aber meist an politischem Willen die Konvention umzusetzen.
Das im Film von Alejandro Ramírez gezeigte Beispiel des Staudammprojekts Diquís ist bislang ein positives Beispiel für juristischen Widerstand. Dieser konnte Dank der Einigkeit der Gemeinde sowie einem breiten Netzwerk von Unterstützer_innen wie der Organisation Ditsö, einer Stiftungspartnerin, stattfinden. Wie lange die Terrabá jedoch dem Argument der “nationalen Interessen” noch standhalten können steht in den Sternen. Costa Ricas Regierung rühmt sich damit, den Strom im Land ökologisch zu produzieren. In dieser “Green Economy” spielen Großstaudammprojekte eine wichtige Rolle. Die Erhaltung von komunitären, dezentralen Strukturen der Energieerzeugung ist dagegen nicht geplant. Auch die Palmölplantagen in Nicaragua werden zur Produktion von Biosprit genutzt, dienen aber dabei den Interessen internationaler Unternehmen und nicht denen lokaler Akteure. Ein weiteres desaströses Beispiel für “green economy” sind die riesigen Windparks im Süden Mexikos. Auch hier produzieren ausländische Unternehmen unter anderem aus Europa Strom für die Industriezentren während die enteigneten BäuerInnen ihre Hütten mit Petroleum beleuchten.
Überall in Lateinamerika wehren sich die betroffenen Gemeinden. Dabei sind sie nicht nur der Gewalt der paramilitärischen Sicherheitstrupps der Unternehmen, sondern auch der Kriminalisierung durch die eigenen Regierungen ausgesetzt. Verschleppung, Folter und Mord werden oft durch die lokale Polizei oder die Armee gedeckt und unterstützt. Widerständige Organisationen werden mit Gerichtsverfahren überzogen, die sie bis zur Handlungsunfähigkeit lähmen. Über soziale Konflikte, die mit extraktivistischen Projekten in Zusammenhang stehen, wurden allein in Mexiko im vergangenen Jahr registriert. Ein Ende ist nicht in Sicht.
«Resistencia» spricht mit der Stimme der Betroffenen.Es geht jedoch nicht nur um Bedrohung und Widerstand, sondern auch um den Versuch, Alternativen zur Entwicklung auf lokaler Ebene zu schaffen. In Südnicaragua haben ansässige BäuerInnen eine Kakao-Kooperative gegründet. Sie ist heute neben den Palmölplantagen ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber in El Castillo. Auch anderswo in der Region entstehen Projekte für solidarische Ökonomie, sanften Tourismus und lokale Entwicklung. Diese werden sich aber nur dem extraktivistischen Wirtschaftsmodell entgegenstellen können, wenn die Regierungen ihre Politik ändern. Dafür aber gibt es bislang wenig Anzeichen.
Die Debatte um Alternativen zu globalem Wirtschaftswachstum und grenzenloser Ressourcenausbeutung steht im Mittelpunkt der kommenden Ausgabe 2-2014 des Stiftungsjournals RosaLux mit dem Titel «Nach dem Wachstum». |
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