Nachricht | Erinnerungspolitik / Antifaschismus - GK Geschichte Schöppner: Antifa heißt Angriff. Militanter Antifaschismus in den 80er Jahren, Münster 2015

"...erzählt, zitiert und gewichtet der Autor äußerst subjektiv."

Nach dem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest, dem verstärkten offenen Auftreten von gewalttätigen Neonazis um Michael Kühnen und einer von Neonazis und rechten Konservativen offensiv formulierten rassistischen Stoßrichtung Anfang der 1980er-Jahre, sahen unabhängige und autonome Linke in der alten BRD die Notwendigkeit, den neuen Nazis koordiniert und in Antifa-Gruppen organisiert Widerstand entgegenzusetzen.
Ein Teil von ihnen organisierte sich überregional in einem norddeutschen und später auch einem süddeutschen Treffen, bestehend aus Delegierten der Gruppen. Obwohl sich unter den Teilnehmer_innen eine hohe Verbindlichkeit entwickelte, handelte es sich um keine Organisation, sondern eher um ein Netzwerk von Gruppen und Einzelpersonen, die sich zwar darin einig waren, Neonazis konsequent zu bekämpfen, ansonsten aber politisch recht unterschiedlich waren.
Unter anderem wurden Informationen über Neonazi-Strukturen gezielt gesammelt und ausgetauscht – dabei fand die Informationsbeschaffung oft auf recht unkonventionelle und nicht immer mit dem Gesetz in Einklang stehende Weise statt. Neonazis wurden körperlich angegriffen, Anschläge auf ihre Infrastruktur und Treffpunkte verübt. Dies wurde eine Zeit lang recht intensiv betrieben und brachte die Struktur der Neonazis in sichtbare Schwierigkeiten. Deutlich wurde dabei, dass die Neonazis von Polizei und Verfassungsschutz geschützt wurden – ein Umstand, der wesentlich zur antifaschistischen Selbstorganisation beigetragen hatte, der Staatsfeind der alten BRD stand links. Ab 1987
löste sich die Struktur aufgrund unüberbrückbarer politischer und auch persönlicher Widersprüche auf.
Wenn der Autor im nun erschienenen Buch »Antifa heißt Angriff« als sein Anliegen formuliert »die Geschichte der Militanten Antifaschisten [der 1980er Jahre – d. Autor] zu recherchieren und aufzuschreiben, und zwar so vollständig und authentisch wie möglich«, so ist das nicht gelungen. Obwohl er sich selbst als Wissenschaftler bezeichnet, erzählt, zitiert und gewichtet der Autor äußerst subjektiv.
Bei der Lektüre des Buches kann man sich des Eindrucks der Mythenbildung und Verklärung nicht erwehren. Der Verfasser stützt seine Aussagen auf Interviews mit 6 Aktivist_innen, die einen Teil der damaligen politischen Strömungen der »Militanten Antifa« abbildeten. In der Gewichtung dieser Aussagen
dominiert dann aber die Sichtweise des zitierten Protagonisten der späteren Antifa M aus Göttingen. Relevant scheint für den Autor nur das zu sein, was sich revolutionär gibt, wo von Antiimperialismus, »Kommandomilitanz« oder Revolution die Rede ist. Um seine beschränkte Auswahl zu legitimieren, führt er das Konstrukt einer angeblichen Sprachlosigkeit der »mittlerweile in die Jahre gekommenen Politaktivisten«ins Feld. So rechtfertigt er die Unterschlagung der Geschichte des Teils der »Militanten Ant i -faschist_innen«, der sich ab ca. 1987 von der im Buch ausführlich dargelegten ideologisierten Sichtweise abwandte. Aussagen von Akteur_innen des unideologischen Teils der »Militanten Antifa«, die zu den Gründer_innen des apabiz, des Antifaschistischen Infoblatts, der Lotta aus Nordrhein-Westfalen und zahlreichen noch heute bestehenden Initiativen gehörten, fanden keinen Eingang in das Buch. Unterschlagen werden die Innovationen der 1980er Jahre, die zur Verbreitung konsequenten Antifaschismus beigetragen haben – wie die AntifaJugendfronten und Schülerantifas, die Antifa-Info-Telefone und Antifa-Cafés, der Rundbrief Antifaschistischer Gewerkschafter_innen oder die Zusammenarbeit mit Selbsthilfe-Initiativen von Migrant_innen wie der Antifasist Gençlik.
Die eigentlich spannende Diskussion, die zur inhaltlichen Ausdifferenzierung der »Militanten Antifaschist_innen« Mitte der 1980er-Jahre geführt und unterschiedliche Politikansätze hervor gebracht hat, die man unter den Schlagworten Organisation versus Netzwerkarbeit oder »revolutionärer Antifaschismus « versus konsequente Menschenrechtsaktivität umschreiben kann, die Frage wie man neue Strategien gegen eine drohende Massenbasis neonazistischer und rassistischer Politik entwickeln kann, findet im Buch keine Erwähnung – schade.

Martin Becker

Horst Schöppner: Antifa heißt Angriff, Militanter Antifaschismus in den 80er Jahren, Unrast Verlag, Reihe antifaschistischer Texte, Hamburg/Münter 2015.

(Auf der Verlagswebsite sind Vorwort, Inhaltsverzeichnis und ein Anhang als PD sowie Presseresonanz zugänglich.)

Diese Rezension erschien zuerst in monitor, Rundbrief des apabiz  e. v. Ausgabe nr. 70, Juli 2015.