Diejenigen, die am Montag den Reden der Staats- und Regierungschefs im gigantischen COP21-Konferenzzentrum Le Bourget gelauscht haben, hätten glauben können, es sei Sonntag: Denn die salbungsvollen Reden erinnerten eher an Predigten in einem Gottesdienst denn an knallharte politische Verhandlungen.
"Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen des Klimawandels spürt, und die letzte, die etwas dagegen tun kann", machte der große Rhetoriker Barack Obama den Aufschlag. Was aber bleibt von den wohlfeilen Worten, wenn man einen Blick auf die US-amerikanische Realpolitik wirft? Wenn man darauf hinweist, dass die USA - Stichwort: Fracking, Stichwort: Erlaubnis der Arktis-Bohrungen - unter der jetzigen Regierung einen enormen Aufwuchs der Förderung fossiler Brennstoffe erlebt hat? Wenn man daran erinnert, dass der Verkauf der spritfressenden SUVs in den USA derzeit auf dem höchsten Stand seit dem Einbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ist? Wenn man daran erinnert, dass die US-Administration mit aller Macht das umwelt- und klimazerstörerische TTIP-Abkommen vorantreibt, das wohl ungleich klimawirksamer sein wird als das Vertragswerk, das in Paris unterzeichnet werden könnte?
Keine Signale für den Gipfel
Auch mit der Klima-, nein Autokanzlerin Angela Merkel gingen die Sonntagsreden weiter."Ambitioniert, umfassend, fair, und verbindlich" soll das Paris-Protokoll nach Merkel werden, die sich damit des Vokabulars der gipfeloptimistischen Umweltverbände bediente. Ein Grund zur Freude? Nein. Denn zwangsläufig stellt sich die Frage: Was hat die Rede in Paris mit der deutschen Energie- und Klimapolitik zu tun? Warum verkündet die "Klimakanzlerin" kein Datum für den Kohleausstieg? Das wäre angesichts des sich bereits abzeichnenden Klimachaos auf der Welt die notwendige Absage an das Debakel um die deutsche Klimaabgabe gewesen, deren kluger und moderater Ansatz durch das Sperrfeuer der deutschen Kohle-Allianz zu einer Subventionsmaschine für abgehalfterte Braunkohlemeiler pervertiert wurde. Die Ankündigung des deutschen Kohleausstiegs wäre ein wirklich relevantes Signal für den Gipfel gewesen, das tatsächlich eine Dynamik hätte erzeugen können.
So aber läuft die von der französischen Regierung erdachte Gipfeldramaturgie ins Leere. Deren Plan war es, dass die Anwesenheit der Staats- und Regierungschefs gleich zu Beginn des Gipfels den Gordischen Knoten lösen sollte, der die Verhandlungen lähmt. Welche Wirkkraft Sonntagsreden gegen die verbissene Verteidigung ökonomischer Interessen haben können, bleibt vollkommen unklar.
Und gefährlicher noch: Die Sonntagsreden drohen sogar, die Schlagkraft derjenigen zu untergraben, die versuchen, einen echten Wandel zu erkämpfen. Denn inzwischen bemächtigt sich selbst die politische Elite des Vokabulars einer "umfassenden Transformation". Genau die mahnte Merkel in Paris an: die Transformation "unseres Wirtschaftens, das alle Sektoren umfasst: die industrielle Produktion, die Mobilität, die Wärmedämmung und die Energieerzeugung." Nicht nur, dass in dieser Hinsicht unter Merkels Kanzlerinnenschaft nichts geschehen ist. Im Gegenteil: Unter dem Deckmantel der Begrünung des Verkehrssektors mittels Elektromobilität setzt die deutsche Regierung weiterhin auf den ökologisch nicht länger haltbaren Wahnsinn einer uneingeschränkten individuellen Automobilität und unterstützt deutsche Autokonzerne aktiv dabei, ihre globalen Marktanteile massiv auszubauen. Der VW-Skandal mit seiner systematischen und politisch gedeckten Unterwanderung ohnehin zu lascher umweltpolitischer Gesetze ist nur das Aushängeschild dieser Politik. Solange das so bleibt, ist die Rede von "Transformation" eine Farce und untergräbt die Wirkmacht des Begriffs.
Ganz allgemein gilt: Um zu beurteilen, ob es in der Klimapolitik tatsächliche Fortschritte in Richtung einer Transformation gibt, muss man sich die Handelspolitik, die Industrie- und Verkehrs-, die Energie- und die Außenpolitik ansehen. Solange hier nichts ankommt, bleibt die Klimapolitik auf dem Niveau einer Predigt.