Nachricht | Staat / Demokratie - Rassismus / Neonazismus «Mit dem Rechten sieht man schlechter – Nazis morden, der Staat schaut weg?»

Podiumsgespräch am 17. Juni 2012 im Rahmen des Festes der Linken in der Kulturbrauerei Berlin. Bericht von Axel Krumrey und Henning Obens.

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Autor*innen

Axel Krumrey, Henning Obens,

Die extreme Rechte und rechter Terror sind zweifelsfrei zentrale Themen, die die politische Linke nicht nur in Deutschland auf die Tagesordnung setzen muss. Selbstverständlich spiegelt sich das auch in den politischen Bildungsangeboten der Rosa-Luxemburg-Stiftung wider. Nun handelt es sich, nicht zuletzt wegen der aktuellen Erkenntnis rund um die Morde des sogenannten NSU sicherlich um keine Themensetzung, die den Festcharakter einer Veranstaltung verstärkt. Dennoch sah es die Rosa-Luxemburg-Stiftung als notwendig an, die Gedanken auf die Gefahren rechter Entwicklungen zu richten.,  Vor dem Hintergrund staatlichen Versagens, von dem manche sagen, es handele sich sogar um bewusstes Wegschauen. Den Einstieg in die Veranstaltung markierte der Kabarettist Gerd Hoffmann, der gewohnt bissig die gesellschaftlichen Entwicklungen aufgriff und jeden aufforderte, in sich zu gehen und damit zu ergründen, wie der Schoß – um mit Brecht zu reden – noch immer fruchtbar sein könne, aus dem einst Nazideutschland erwuchs. Wo allerdings sonst ein Lacher im Publikum den nächsten jagt, blieb es diesmal bei betretenen Gesichtern. Kein Wunder, ob der offensichtlichen Blindheit in Deutschland, was Neonazismus, rechte Gewalt und Ausländerfeindlichkeit angeht. Dass die zu diskutierende Thematik ernst sei, dessen waren sich schließlich auch die Podiumsteilnehmer/innen bewusst.

Moderiert vom taz-Redakteur Andreas Speit, nahmen Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin, Uwe-Karsten Heye, Regierungssprecher unter Gerhard Schröder, Lothar König, Jugendpfarrer aus Jena und Anti-Nazi-Aktivist, sowie Jonas Grutzpalk, Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, Platz. Der Bogen sollte von den ausländerfeindlichen Pogromen Anfang der 1990er Jahre in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda  über das Verbot neonazistischer Organisationen und ihr Aufgehen in der NPD Mitte der 1990er Jahre bis hin zu den Morden des sogenannten NSU gespannt werden. Letzteres nahm erwartungsgemäß einen besonders großen Stellenwert in der Diskussion ein. Eher zufällig, führte Speit ein, sei man darauf gestoßen, dass die Zelle um die Neonazis Böhnhardt und Mundlos verantwortlich sei für mindestens 10 Morde. Die Polizei und auch der Verfassungsschutz tappten jahrelang im Dunkeln, standen sich selbst auf den Füßen oder ermittelten in völlig falsche Richtungen. Petra Pau, die ihre Bundestagsfraktion im Untersuchungsausschuss zum NSU vertritt, erläuterte die aktuellen Erkenntnisse und stellte damit das Versagen der staatlichen Behörden heraus. Es sei nicht gelungen die Ähnlichkeiten bei den Morden zu erkennen, geschweige denn, sie in Verbindung miteinander zu bringen. Eindimensionale Interpretationen hatten teilweise sogar rassistische Färbungen, nicht zuletzt als nach dem Polizistenmord von Heilbronn im „Zigeuner-Milieu“ ermittelt wurde.  In Hamburg seien die Ermittler sogar so weit gegangen, über ein „Medium“ Kontakt zu einem der Mordopfer aufnehmen zu wollen. Auch Uwe-Karsten Heye ließ wenig Gutes an den ermittelnden Einrichtungen. Er habe bereits 2006 mit dem Hinweis, dass es durchaus sogenannte „No-go-Areas“ in Deutschland gebe, nicht von ungefähr wachrütteln wollen. Doch anstelle dessen, die Probleme offen anzusprechen oder sie zumindest erst einmal zu erkennen, habe die CDU-geführte Bundesregierung nichts Besseres zu tun, als die Programme gegen rechts um so etwas wie „Linksextremismus“ und „Islamismus“ zu erweitern. Das Thema sei aber zu wichtig, als das es durch derartiges Handeln aufgeweicht und relativiert werden kann. Sowohl Pau als auch Heye  kritisierten zudem, dass die „Stille im Land“ nach den Morden schnell wieder verflog und zur Tagesordnung übergegangen wurde. Für die Opfer jedoch gab es recht wenig Empathie. Dies zeigte sich insbesondere bei dem bürokratischen und kaltherzigen Umgang mit den Hinterbliebenen. So wurden „Entschädigungsgelder“ gezahlt, gleichzeitig aber Sozialleistungen gekürzt, da die Familien „ja zu Geld gekommen seien“.

Lothar König, der seit Jahren mit den Behörden kämpft, weil er sich nicht zuletzt an Blockaden gegen Neonaziaufmärsche beteiligt, erkannte in der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zum NSU bereits einen Fortschritt. Man müsse dieses Gremium nun aber arbeiten lassen, um wirklich verwertbare Erkenntnisse zu erhalten. Sicher könne es für die staatlichen Behörden kein Ruhmesblatt geben und natürlich ärgere ihn die ständige Gleichsetzung rechter Gewalt mit linker Systemkritik, die er oft genug am eigenen Leib erfahren muss. Ein wenig Aufklärungsarbeit zur Wirkungsweise der Verfassungsschutzbehörden wollte Jonas Grutzpalk leisten und so zur „Entmystifizierung“ dieser Organe beitragen. Er selbst habe bis 2009 in der Öffentlichkeitsarbeit des Brandenburger Verfassungsschutzes gearbeitet, bevor er die Professur in Bielefeld annahm. Man dürfe die Möglichkeiten, die ein solcher Apparat hat nicht überschätzen. Selbstverständlich sind hier massive Fehler unterlaufen und selbstverständlich haben Polizei und Verfassungsschutz auf den gleichen Sachverhalt mit unterschiedlichen „Ferngläsern“ geblickt. Das müsse letztlich aber nicht die Konsequenz der Abschaffung des Verfassungsschutzes haben, sondern die bessere Kooperation beider Einrichtungen. Im Übrigen, fuhr Grutzpalk fort, halte er als Sozialwissenschaftlicher so überhaupt nichts von der „Hufeisen-Theorie“ des Prof. Jesse, mit der „links“ und „rechts“ ab einem gewissen Punkt gleichgesetzt werden. Gesellschaft sei nun einmal komplexer und lasse sich nicht so simpel darstellen. Durchaus bemerkenswert, diese Aussage, die auch Konsens im Podium war. Die weiteren Enthüllungen des Untersuchungsausschusses des Bundestages wollen die Diskutanten nun abwarten. Die Reaktion der Einrichtung eines Lagezentrums Extremismus, das nun aus der innenministeriellen Mottenkiste gezaubert wurde, werde der eigentlichen Problematik in keiner Weise gerecht, wenn man parallel über ein  Pendant für „Linksextremismus“ nachdenkt. Was also die durch die Regierung vertretene „Hufeisen-Theorie“ vorgibt, lässt sich auch von der Realität der Mordserie nicht einfach ändern. Insofern bleibt die Gefahr, dass der Staat wegschaut, wenn sich rechte Gewalt Bahn bricht, auch mit den aktuellen Erkenntnissen latent.

Mehr: www.rosalux.de/documentation/46273