Publikation International / Transnational - Amerikas Machtwechsel in Paraguay

Die seit 60 Jahren regierende rechte Colorado-Partei wurde abgewählt. Aber ist damit auch ein linker Politikwechsel verbunden? Eine Wahlanalyse von Kathrin Buhl.

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Reihe

Online-Publ.

Autorin

Kathrin Buhl,

Erschienen

August 2008

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Mit der Wahl Fernando Lugos am 20. April 2008 zum neuen Präsidenten Paraguays wurde zum ersten Mal in der paraguayischen Geschichte ein Regierungswechsel auf demokratischem Weg eingeleitet. Die Macht der seit 60 Jahren herrschenden Colorado-Partei ist damit gebrochen. Allein dieser Fakt ist von enormer gesellschaftspolitischer Bedeutung, und die Hoffnungen auf einen Wandel beruhen nicht zuletzt auf den sich öffnenden demokratischen Spielräumen.

Der Machtwechsel ist gleichzeitig Ausdruck sowohl der Krise des herrschenden neoliberalen, vorrangig auf Agrarexportproduktion gestützten Wirtschaftsmodells, der Ablehnung eines durch Korruption und Klientelismus gekennzeichneten politischen Systems, der internen Krise der Colorado-Partei sowie der Bündnisfähigkeit der oppositionellen Kräfte.

Die Wahl Lugos wurde von der Alianza Patriótica por el Cambio (APC) getragen (1), einem breiten Bündnis aus linken Parteien und sozialen Bewegungen, aber auch einer Minderheit eher mitte-rechtsgerichteter Kräfte. Gemeinsames Ziel war die Abwahl des Colorado-Präsidenten Nicanor Duarte. Lugo, als Bischof im Departement San Pedro für seine Nähe zu Bauernbewegungen bekannt und der Theologie der Befreiung nahe stehend, wurde auch deshalb gewählt, weil er nicht zum etablierten politischen System gehörte. Er verfügt über keine eigene parteipolitische Machtbasis, und die Wahlergebnisse der Parlamentswahlen sahen für die progressiven, linken Kräfte deutlich schlechter aus: in beiden Kammern des Parlaments verfügen sie über 10 – 12 % der Sitze, da sie sich hier – im Gegensatz zur gesondert stattfindenden Präsidentschaftswahl – nicht auf eine gemeinsame Liste einigen konnten.

Der politische Spielraum von Fernando Lugo wird also entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, eine breite soziale Unterstützungsbasis zu entwickeln und zu konsolidieren, die auf außerparlamentarischem Weg eine Politik des Wandels begleitet und ermöglicht.
Die Erwartungen an einen Politikwechsel sind aus Sicht linker Parteien und sozialer Bewegungen gemischt. Lugo gilt, auch nach eigener Beschreibung, als „Mann der Mitte“ und wird eher ein politisch progressives Regierungsprogramm verfolgen, ökonomisch „moderat neoliberal“ und mit einer Ausrichtung auf Sozialprogramme zur Bekämpfung der Armut. Die Regierungspolitik wird wohl eher der Lulas in Brasilien oder Tabaré Vázquez´ in Uruguay vergleichbar sein als weitergehenden Ansätzen in Bolivien oder Venezuela.

Wichtigste Schwerpunkte der neuen Regierung, wie sie auch in den Reden zum Amtsantritt Lugos benannt wurden, sind eine Agrarreform, die Reformierung und Stärkung von Sozialsystemen (Bildung und Gesundheit vor allem) sowie eine Verfassungsreform. Das breite und politisch höchst heterogene Bündnis, das den Machtwechsel ermöglicht hat, spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der neuen Regierung wieder, in die viele Vertreter der in dem Bündnis APC stark repräsentierten liberalen PLRA berufen wurden. Mit den Worten der Analystin Marielle Palau: „Lugo hat in die Schlüsselpositionen Männer mit neoliberalem Politikverständnis berufen, und in die sozialen Bereiche hervorragende Verwalter von Armut“. Die Vertreter der PLRA in der Regierung scheinen dieses Urteil zu bekräftigen:

Federico Franco, der Vizepräsident, gilt als Anhänger von Privatisierungen, Agrarminister Bejarano ist selbst Großgrundbesitzer, der Minister für öffentliche Infrastruktur, Afraín Alegre, steht für die Unterstützung von IIRSA, einem lateinamerikanischen Programm für die Förderung des Rohstoff-Exports (im Fall Paraguays vorrangig Soja). Die Ernennung des Ministers für Justiz und Arbeit, Blas Llano, wird von den Gewerkschaften aufgrund seiner Bestrebungen zur „Flexibilisierung“ der Arbeitsgesetzgebung kritisch betrachtet. Das Wirtschaftsministerium untersteht Dionisio Borda (Patria Querida), der dieses Amt bereits unter dem vorangegangenen Präsidenten Nicanor innehatte und für eine Fortführung der bisherigen Wirtschafts- und Finanzpolitik steht. Der Verteidigungsminister Luis Bareiro Spaini, ehemaliger Militär und Sympathisant der Strössner-Diktatur, spricht sich für eine intensive bilaterale militärische Zusammenarbeit mit den USA aus.

Diesem eher ernüchternden Personaltableau steht eine Gruppe von Personen gegenüber, die das Vertrauen und die Unterstützung der Linken und der sozialen Bewegungen genießen: Außenminister Hamed, dessen arabische Herkunft und dezidiert kritische Einschätzung der Politik der Vereinigten Staaten (und Israels) bereits zu deutlich missgestimmten Kommentaren seitens der US-Botschaft geführt haben und dem eine Neuausrichtung der paraguayischen Außenpolitik hin zu verstärkter Kooperation mit den anderen Mitte-Linksregierungen Lateinamerikas zugetraut wird, Innenminister Rafael Filizzola (PDP), Gesundheitsministerin Esperanza Martínez (Tekojoja) und vor allem die StaatssekretärInnen für Jugend, Karina Rodriguéz und Nationalen Notstand, Camilo Soarez (beide P-MAS).

Neben der fehlenden parlamentarischen Unterstützung für eine progressive Politik und einer widersprüchlichen Zusammensetzung des Kabinetts sieht sich die neue Administration vor ein weiteres Problem gestellt: Sie muss mit dem bisherigen administrativen Personal zusammenarbeiten, das sich mehrheitlich der Colorado-Partei verbunden fühlt und jahrzehntelang in klientelistischer Manier an diese gebunden wurde.

Wird es unter diesen politischen Rahmenbedingungen möglich sein, eine Agrarreform durchzusetzen, die nicht nur den Widerstand der traditionellen Oligarchie hervorrufen muss, sondern auch den des modernen Agrobusiness, das auch in Paraguay von Konzernen wie Cargill und Monsanto vertreten wird? Wird die anstehende Neuverhandlung der Verträge über die Wasserkraftwerke Itaipú und Yacyreta nur einen etwas gerechteren Preis für Paraguay erbringen oder die von Teilen vor allem der brasilianischen Bourgeoisie vertretene geostrategische Expansionspolitik in Frage stellen? Wie kann es gelingen, gegen den zu erwartenden Widerstand des Parlaments eine Reform des Steuersystems zur Verbesserung der Staatseinnahmen (und damit des finanziellen Spielraums für Sozialreformen) durchzusetzen? Ist es möglich, die Politik der straflosen Korruption zu beenden?

Die neue paraguayische Regierung steht vor enormen Herausforderungen, rund 40 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut, 1,3 Millionen sind davon extrem betroffen. Der von so vielen ParaguayerInnen erhoffte Wandel wird jedoch nur möglich sein, wenn soziale Bewegungen, Gewerkschaften und linke Parteien zusammenarbeiten, wenn es gelingt, den notwendigen Prozess einer kritischen Unterstützung der neuen Regierung konstruktiv und partizipativ zu gestalten.

Kathrin Buhl ist Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Sao Paulo, Brasilien.

(1) Diesem Bündnis gehören an: Partido Liberal Radical Auténtico, Partido Revolucionario Febrerista,
Partido Demócrata Cristiano, Partido Democrático Progresista, Partido Movimiento al Socialismo, País Solidario, Partido Encuentro Nacional, Movimiento Resistencia Ciudadana, Movimiento Fuerza Republicana und der Bloque Social y Popular bestehend aus den Gewerkschaftszentralen  Central Nacional de Trabajadores und Central Unitaria de Trabajadores Auténtica sowie der Frente Amplio, Partido Socialista Comunero und der Coordinadora de Desarrollo Comunitario).