Aus dem Vorwort:
Der dreißigjährige Siegeszug des Neoliberalismus ist am Beginn des 21. Jahrhunderts an seine Grenzen geraten und hat zu einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise geführt. Erstmals fallen Finanz- und Wirtschaftskrise zusammen mit einer Krise der Gesellschaft, der Umwelt und des Klimas. Das Ausmaß der sie verursachenden gesellschaftlichen Deformationen, der zunehmenden sozialen Klüfte, Hunger und Armut sind schon heute in allen Ländern Europas sichtbar. Aber noch weiß niemand, wie diese Krise enden wird, auch nicht die Linke.
Die Linken in Europa haben in der Vergangenheit vieles beschrieben, analysiert und eingefordert. Viele ihrer Forderungen wie die Kontrolle der Finanzmärkte, die Tobin-Tax, die Schließung von Steueroasen, die Verbote von Derivaten und Hedgefonds, die Enteignung von Aktionären der Großkonzerne, die Auflage von Konjunkturprogrammen und die Durchsetzung von Mindestlöhnen werden nun plötzlich unter den Bedingungen der Krise von herrschenden Eliten übernommen und zumindest teilweise in die eigenen Programme integriert.
Die Krise gibt den Forderungen der Linken recht, macht aber zugleich auch die Krise derselben deutlich. Sie ist bisher nicht fähig zu gesellschaftlicher Führung. Erst in Anfängen ist es ihr über soziale, politische und kulturelle Differenzen hinweg gelungen, gemeinsame Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Erstmals gibt es eine gemeinsame Wahlplattform der Europäischen Linkspartei.
Übereinstimmungen gibt es hingegen genug: Alle linken Parteien in Europa, von denen wir in dieser Publikation nur einen Ausschnitt zeigen, stehen für soziale Gerechtigkeit, für Demokratie, für ein Europa, in dem die Menschen in Würde und sozialer Sicherheit friedlich leben können. Alle hier dargestellten Parteien setzen sich mit der neoliberalen Politik herrschender Eliten auseinander und vertreten dabei die Interessen der Mehrheit der Menschen in Europa. Die Linken in Europa haben dabei genügend Erfahrungen und Potentiale für gemeinsame Kämpfe wie der gegen den Irakkrieg, gegen die neoliberale Ausrichtung des EU-Verfassungsvertrages oder gegen die Bolkestein-Richtlinie zeigten. Doch all dies reichte bisher nicht aus, dem Neoliberalismus ein alternatives hegemoniefähiges Projekt entgegenzustellen.
Dies führt zum mehreren höchst unterschiedlichen Fragen: Wo sind die Ursachen für diese Situation zu suchen? Wo werden vorhandene Entwicklungspotentiale blockiert und wodurch? Wie muss die Linke sich verändern, um einen alternativen hegemonialen Block aufzubauen? Wie kann sie eine Gesellschaft schaffen, in der die Befreiung des Einzelnen die Voraussetzung für die Befreiung aller ist, eine Gesellschaft, die von linken Parteien in Europa Sozialismus genannt werden kann?
Um derartige Fragen mit Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen vor Ort zu diskutieren, arbeitet die Rosa Luxemburg Stiftung – unterstützt von ihren Büros in Brüssel, Warschau und Moskau – mit ihren Partnern Transform Europeund der Fraktion der Linken im Europäischen Parlament zusammen. Zusammen mit diesen wurde ein langfristiges Projekt über die nicht-sozialdemokratische Linke in den Ländern Europas ins Leben gerufen. In diesem Rahmen bilden die hier versammelten Länderberichte eine erste Momentaufnahme, eine notwendige Grundlage für die Erarbeitung des gemeinsamen Forschungsprogramms. Dabei geht es zunächst darum, der Leserin oder dem Leser einen Überblick über die Geschichte und die aktuelle Situation linker Parteien in Europa zu geben, wobei die Artikel jeweils die Auffassung der Autorinnen und Autoren ausdrücken.
Die Linke gibt in den einzelnen Ländern ein höchst unterschiedliches Bild ab, entstanden aus unterschiedlichen Traditionen und Politikansätzen des betrachteten Landes, und aus einem unterschiedlichen Selbstverständnis der jeweiligen Organisationen. In diesem Band beispielhaft versammelt sind linke Parteien, die sich aus ehemals kommunistischen Staatsparteien entwickelt haben, jene mit eurokommunistischem Hintergrund, nicht-sozialdemokratische Reformlinke, klassisch kommunistische Linke mit einem feministisch erweiterten Selbstverständnis und andere.
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Inhalt
Westeuropa
Dupret, Paul-Émile: Möglichkeiten und Grenzen der antikapitalistischen Linken in Belgien
Hildebrandt, Cornelia: Frankreichs Linke in Bewegung
Wagener, Sascha: Die Linken in Luxemburg
Weissbach, Cornelia: Die emanzipative Linke in den Niederlanden
Nordeuropa
Johansen, Inger V.: Die soziale und politische Linke Dänemark
Pertti Hynynen / Anna Striethorst: Linke Parteien und Politik in Finnland
Seierstad, Dag: Die norwegische Linke - Politik in einer Mitte-Links-Regierung
Süssner, Henning: Schweden - Langer Marsch in die Koalition
Nordwesteuropa
Kachel, Thomas: Die Linke in Gordon Browns Großbritannien
Ahern, Ken / Howard, William: Radikal Linke Politik in Irland - Die Partei Sinn Féin
Mitteleuropa
Hildebrandt, Cornelia: DIE LINKE in Deutschland
Furtlehner, Leo: Zur Situation der Linken in Österreich
Politt, Holger: Linke Parteien in Polen
Kosel, Heiko: Die kommunistische Partei der Slowakei (KSS)
Holubec, Stanislav: Die radikale Linke in Tschechien
Südeuropa
Porcaro, Mimmo: Die radikale Linke in Italien zwischen nationaler Niederlage und europäischer Hoffnung
Soeiro, José: Der Bloco de Esquerda und die Neugründung der Linken in Portugal
Heilig, Dominic: Das spanische Linksbündnis Izquierda Unida zwischen Regionalisierung und autoritärer Politik
Südosteuropa/Türkei
de Nève, Dorothée / Olteanu, Tina: Die Linken in Bulgarien
de Nève, Dorothée / Olteanu, Tina: Die Linke in Rumänien
Sey, Cem: ÖDP – Eine türkische Linkspartei zwischen Patriotismus und Linksliberalismus
Marioulas, Julian: Wo Kommunisten regieren - Zypern
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Siehe auch:
Europawahl 2009 – Die Wahlprogramme der Parteien im Vergleich
Neu erschienene Studie von Jochen Weichold und Horst Dietzel