Publikation Rassismus / Neonazismus »Das hat’s bei uns nicht gegeben!« Antisemitismus in der DDR

Zum Streit um Bilder und Texte einer Ausstellung. Informationen und Kommentare

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Reihe

Online-Publ.

Erschienen

Juli 2007

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Die Amadeu Antonio Stiftung gehört seit vielen Jahren zu den bekanntesten Institutionen, die sich im Kampf gegen den Antisemitismus in Deutschland mit vielen Projekten (insbesondere unter Beteiligung junger Menschen) sowie zahlreichen Publikationen engagieren.1 Im Kreis der NGOs in Deutschland 2, die den OSZE-Prozess zur Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus 3 begleiten, nimmt die Amadeu Antonio Stiftung eine besonders anerkannte Stellung ein.

  1. Die Ausstellung und ihre bisherigen Stationen


Titel der Exposition:

„Das hat’s bei uns nicht gegeben!“ Antisemitismus in der DDR

Am Projekt beteiligte Partner (insgesamt 76 Jugendliche):
Borwin-Schule und Geschichtswerkstatt Rostock e. V.; Regionale Schule Prof. Dr. Friedrich und Museum Hagenow; Albert-Einstein-Oberschule und Eberswalder Zentrum für demokratische Kultur, Jugendarbeit und Schule e. V.; HATIKVA e. V., Dresden; John-Lennon-Gymnasium, Jüdische Oberschule und Nelson-Mandela-Schule Berlin; Junge Gemeinde Stadtmitte, Jena; Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus /Projekt gegenPart, Dessau; Schulmuseum – Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig

Konzeption:
Amadeu Antonio Stiftung und Dr. Bettina Leder
Redaktion: Anetta Kahane, Dr. Bettina Leder, Heike Radvan und Katharina Stengel

Wissenschaftlicher Beirat:
Dr. Dr. Lothar Mertens + (Ruhr Universität Bochum), Dr. Peter Fischer (Zentralrat der Juden in Deutschland), Dr. Thomas Haury (Universität Freiburg), Dr. Hermann Simon (Centrum Judaicum, Berlin), Dr. Andreas Zick (TU Dresden)

Mit freundlicher Unterstützung durch:
Fritz Bauer Institut, Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv, Bundesarchiv in Koblenz und Berlin, Robert-Havemann-Gesellschaft, Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Deutsches Historisches Museum, Landesarchiv Berlin, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Neues Deutschland.

Die Ausstellung wurde im Rahmen des Programms CIVITAS erstellt und von verschiedenen Sponsoren unterstützt, darunter Die Freudenberg Stiftung und die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Die Ausstellung umfasst 36 Tafeln.
Da vor allem der konzeptionelle Ansatz der Ausstellung Gegenstand kontroverser Diskussionen ist, sei er hier so zitiert, wie er in der Ausstellung zu lesen ist:
„Bis heute hält sich der Mythos, in der DDR habe es keinen Antisemitismus gegeben. Die DDR sah sich als antifaschistischer Staat, der zusammen mit dem kapitalistischen System Faschismus und Antisemitismus „mit der Wurzel ausgerottet“ habe. Als Beleg führten die Verantwortlichen diejenigen Funktionäre an, die aus dem Exil und den Konzentrationslagern zurückgekehrt waren und nun an der Spitze des Staates standen; sie verwiesen auf die zahlreichen Prozesse gegen Kriegsverbrecher und auf die antifaschistische Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Antisemitismus galt in der DDR als Erscheinung der Vergangenheit, als Verschleierungspraxis der Kapitalisten, mit der die ausgebeuteten Arbeiter davon abgehalten werden sollten, ihre wahren Feinde zu erkennen. Den Begriff Nationalsozialismus lehnte die DDR ab, da er den Sozialismus in Verruf brachte. Hinter der allgemeinen Verwendung des Wortes Faschismus verschwanden jedoch die Besonderheiten des deutschen Nationalsozialismus – insbesondere der Antisemitismus und der Massenmord an den Juden, aber auch der rassistische, totalitäre und expansionistische Charakter des NS-Systems.
Seine Bürgerinnen und Bürger hatte der Staat allesamt zu Antifaschisten und zu „Siegern der Geschichte“ erklärt. Demzufolge sah man keinen Grund, sich mit dem Erbe des Nationalsozialismus und des Antisemitismus in den Köpfen der Menschen auseinander zu setzen. Eine bis heute andauernde und schwer aufzulösende Verdrängung war die Folge, die Auswirkungen auf die DDR-Gegenwart hatte – auf die Erinnerung an die früheren jüdischen Nachbarn und deren Ermordung, auf die Entschädigung der Überlebenden und auf das Verhältnis zu Israel und zu jenem Terrorismus, der den jüdischen Staat seit seiner Gründung bedrohte.
In vielen Städten und Gemeinden in den neuen Bundesländern ist die Geschichte der jüdischen Opfer bis heute nicht bekannt: Häufig gibt es keine öffentliche Erinnerung an den Ort der Synagoge oder des jüdischen Friedhofs; es gibt kein Wissen über die Geschichte vor und nach 1945. Deshalb setzt sich die Amadeu Antonio Stiftung dafür ein, dass vor Ort über die lokale Geschichte des Antisemitismus gesprochen wird. Hierzu soll diese Ausstellung einen Beitrag leisten.“

In der Einladung zur Ausstellungseröffnung heißt es ähnlich:
„Oft wird darüber diskutiert, woher der Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern kommt. Erklärungen suchen Politik und Wissenschaft meist in sozialen Kontexten. Außer Acht gelassen wird jedoch häufig ein anderer Aspekt: Auch der Osten Deutschlands war Teil des nationalsozialistischen Täterlandes. Somit hatte auch die DDR sich mit seinem Erbe auseinander zu setzen. Der Staat aber erklärte die Bevölkerung zu einem Volk von Antifaschisten. Auch in den Familien und Gemeinden fand in der Regel keine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit statt. So blieb der Bodensatz des Antisemitismus unangetastet. Doch bis heute hält sich der Mythos, es hätte in der DDR keinen Antisemitismus gegeben.“
In Medienbeiträgen (oft schon in den Überschriften)  tauchten die Begriffe „Mythos“ und „Bodensatz“ von Antisemitismus in der DDR besonders häufig auf – und werden gegensätzlich bewertet.

Die Ausstellung wurde am 11.4.2007 im Roten Rathaus feierlich mit einer Podiumsdiskussion eröffnet. An dieser Debatte nahmen teil: Wolf Biermann 4, Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Heike Radvan, Projektleiterin dieser Ausstellung und Mitarbeiterin der Amadeu Antonio Stiftung und Carolin Kügler, Schülerin der Nelson-Mandela-Schule Berlin, Teilnehmerin am Ausstellungsprojekt.

Station Berlin-Lichtenberg (12. bis 24.4.2007, Rathaus Lichtenberg)
An diesem ersten Ort der Präsentation der Ausstellung wurde ihre Brisanz deutlich.
In einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärten die Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich und Prof. Dr. Jürgen Hofmann, kulturpolitischer Sprecher der Fraktion der Linkspartei.PDS in der BVV Lichtenberg von Berlin, am 13.4.2007 ihren Haupteinwand gegen das Konzept der Ausstellung mit den Worten: „Hinterfragt werden müssen allerdings die konzeptionellen Vorgaben der Ausstellung und einseitige Bewertungen. Die Behauptung, die DDR habe keinen Grund gesehen, ‚sich mit dem Erbe des Nationalsozialismus ... auseinanderzusetzen’ und ‚sich ihrer Verantwortung vor der Geschichte’ verweigert, hält einer sachlichen Überprüfung nicht stand.“
In der Erklärung, die sofort auch als „Basisinformation“ der Linkspartei.PDS verschickt wurde, wird - ohne die Amadeu Antonio Stiftung zu nennen - das Engagement der am Projekt beteiligten jungen Leute gewürdigt. Schülergespräche und gesellschaftliche Foren sollen stattfinden.
Eine erste öffentliche Diskussion zur Ausstellung fand am 8.5.2007 in Lichtenberg statt; eine Begleitveranstaltung zur Ausstellung mit Regina Scheer (Lesung aus ihrem Buch über die Herbert-Baum-Gruppe 5) war gut besucht. Beide Veranstaltungen machten vor allem deutlich, dass es wenig hilfreich ist, einzelne Sätze des Konzepts der Ausstellung, die durchaus problematisch oder missverständlich sind, aus dem Kontext des Gesamtkonzepts wie der Gesamtanlage der Ausstellung herauszureißen.

Ausstellungsmacher wie Organisatoren von Begleitveranstaltungen müssen zugleich aushalten, dass sich manche Diskussionsteilnehmer (insbesondere im Osten Deutschlands) persönlich angegriffen fühlen, ihre antifaschistische Gesinnung, die sie in der DDR bewusst gelebt haben, nicht nehmen lassen wollen. Es fällt schwer, die Defizite im Umgang mit einem brisanten Bereich von DDR-Geschichte zu akzeptieren.

Station Eberswalde (5. bis 26. Mai 2007)

Station Berlin Treptow/Köpenick (19.6. bis 10.7. Rathaus Köpenick)
Im Begleitprogramm zu dieser Präsentations-Station fanden 2 Veranstaltungen statt: mit Dr. Hermann Simon, Direktor der „Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ (Podiumsgespräch zur Ausstellung) und mit Dr. Arno Lustiger (Antisemitismus in den Ostblockländern und insbesondere der DDR.)

Station Leipzig (Schulmuseum Leipzig, 11.7. bis 31.7.2007.)
Themen von Begleitveranstaltungen waren hier u. a. Die Israelfeindschaft der DDR – Antisemitismus aus der SED? (mit Dr. Thomas Haury); Rechtsextremismus in der DDR (mit Heike Radvan und Dr. Harry Waibel); Tabu und Latenz – Antisemitismus im politischen System der BRD (mit Andreas Müller und Prof. Dr. Ulrich Bröckling); Jüdisches Leben in der DDR (mit Elke Urban und Dr. Timotheus Arndt.)

Feststehende weitere Termine:
2007
31.8.-17.9.    Berlin Prenzlauer Berg (Zionskirche)
4.10.-17.10.  Bernau
18.10.-8.11.  Berlin Pankow
8.11.-24.11.  Pirna
24.11.-8.12.  Mittweida
9.12.-31.12.  Berlin Neukölln

2008
1.1.-12.2.      Rostock
13.-31.2.       VHS Ilmenau
1.-31.3.         Dresden
7.5.-28.5.      Bernburg
2.6.-21.6.      Berlin Schöneberg

Folgende Institutionen wollen außerdem die Wanderausstellung der Amadeu Antonio Stiftung zeigen, ohne dass bislang ein genauer Termin vereinbart wurde:
Bezirk Berlin-Marzahn (gemeinsam mit der Fachhochschule Alice Salomon);
Bezirk Berlin-Mitte; 6
Fürstenwalde (Stadtorganisation der Partei DIE LINKE und überparteiliches Bündnis „Plattform gegen Rechts“).

  1. Meinungen zur Ausstellung in der aktuellen Publizistik7

Vor allem in den deutschen Medien gibt es seit der Ausstellungseröffnung eine Fülle von Meinungsäußerungen, die nicht alle systematisch gesammelt werden konnten; für weitere Hinweise bin ich dankbar. Versucht wurde, sich weitgehend einer Bewertung der Texte zu enthalten. Jeder einzelne Text verdient – so oder so – eine gründliche Analyse. Hier angeführte Zitate dienen zunächst dem Zweck, Kollegen neugierig zu machen.

Kurt Pätzold: Du sollst nicht falsch Zeugnis geben. Vorab: Notizen zu einer Ausstellung über Antisemitismus in der DDR.  In: ND, 7./8.4.2007.
Pätzold zitiert aus der Einladung zur Ausstellungseröffnung den Satz, dass in der DDR der Bodensatz des Antisemitismus erhalten blieb und kommentiert u. a.: „Die Verfechter der These spekulieren womöglich auf jene Wirkung, auf die auch Joseph Goebbels vertraute, der meinte, eine Lüge müsse nur oft genug wiederholt werden, damit sie auch geglaubt würde.“

Über das Internet reagierte der Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner äußerst heftig auf den ND-Artikel von Kurt Pätzold. So heißt es bei ihm u. a.: „Wäre ich in der SED-Parteikontrollkommission, hätte ich einen Parteiausschluss des Genossen Pätzold beantragt. Heute sage ich, lasst ihn links liegen.“ 8

Rolf Lautenschläger: „So was hat’s bei uns nicht gegeben“. Schüler recherchieren über „Antisemitismus in der DDR“ und die Gründe, warum dort das Thema verdrängt wurde. Herausgekommen sind eine Ausstellung, unglaubliche Geschichten und Erklärungsversuche über Rechtsradikalismus. In: taz, 12.4.2007, S. 28.

Kerstin Eschrich: Jüdische Friedhöfe zu Abstellplätzen! Eine Ausstellung über Antisemitismus in der DDR provoziert eine lange fällige Auseinandersetzung mit einem Tabuthema vieler Anhänger des Realsozialismus. In: Jungle World, 18.4.2007.

Lydia Leipert: Rausgeschmissen. Wie im Rathaus Lichtenberg eine Ausstellung zum Antisemitismus in der DDR behandelt wird. In: Berliner Zeitung, 21./22.4.2007, S. 21.

Jan Thomson: Die Stasi brach Leichen das Zahngold heraus. Ausstellung zeigt den Antisemitismus in der DDR – Titel: „Das hat’s bei uns nicht gegeben!“ In: Berliner Zeitung, 17.4.2007.

Ruth Frey: Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte (Leserbrief zu „Du sollst nicht falsch Zeugnis geben“, ND vom 7./8.4.). In: ND 20.4.2007, S. 19.

Jan Thomson: Diskussion über Antisemitismus ohne die PDS. Partei versäumt Debatte über strittige Ausstellung. In: Berliner Zeitung, 26.4.2007.

Ina Beyer: Der Bodensatz blieb unangetastet. Antisemitismus im Arbeiter- und Bauernstaat? Eine Ausstellung von Jugendlichen, die provoziert. In: ND, 27.4.2007, S. 12.

Martin Scheele: Ich vermisse Herbert Baum (Leserbrief zu: „Der Bodensatz blieb unangetastet“, ND vom 27.4.). In: ND, 4.5.2007, S. 19.

Rolf Richter, Eberswalde: Antisemitismus in der DDR – eine Ausstellung und ihre Zwecke. In: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, Juni 2007. Der Text wurde von Richter auf den 25.5.2007 datiert. Er berichtet u. a. über eine Begleitveranstaltung des Geschichtswissenschaftlichen Instituts Eberswalde mit Kurt Pätzold zur Ausstellung, listet alle ihm bekannten finanziellen Quellen für die Realisierung des Ausstellungsprojekts auf, benennt nach seiner Ansicht falsche oder verfälschende Aussagen („Nicht nur Lüge und Verdrehung ist Fälschung.“) - und schreibt auch: „Es sei nochmals betont, dass der erste Komplex, der Nachweis der antisemitischen Vorkommnisse in der DDR, über die hierzulande geschwiegen wurde, verdienstvoll ist. Was auch das Motiv für dieses Schweigen war, Sorge um die außenpolitische Wirkung im Kalten Krieg oder vor einem Nachahmungseffekt, sprechen müssen wir wenigstens heute darüber. Kurt Pätzold beurteilte dieses Verschweigen als schweren Fehler. Ich bin nicht sicher, ob eine breite öffentliche Diskussion solcher Vorfälle gegen den antisemitischen Ungeist mehr bewirkt hätte als der Verfolgungsdruck.“

Regina General: Worte sind manchmal wie Schiffe. Antisemitismus in der DDR. Hat der „verordnete Antifaschismus“ auch dabei versagt? In: Freitag Nr. 17, 27.4.2007, S. 6;.  In dieser Zeitung folgten zum Thema bisher noch vier Beiträge: Karsten Laske: Dein unbekannter Bruder. In: Freitag Nr. 21, 25.5.2007, S.6; Harald Schmid: Antizionistischer Antifaschismus. Wie antisemitisch war die DDR? Über die Erst- und Letzt-Begründung des anderen deutschen Staates. In: Freitag Nr. 23, 8.6.2007, S. 6; Thomas Abbe: Das Böse der Anderen, Wie antisemitisch war die DDR (I)? Viele Untersuchungen zeigen, bezogen auf NS-Diktatur und historische Verantwortung war das Problembewusstsein im Osten stärker als im Westen. In Freitag Nr. 25, 22.6.2007., S. 8; Kurt Pätzold: Diktat des Vergessens. Wie antisemitisch war die DDR (II)?  Es sollte um Erinnerungen, nicht um Erinnerungsmythen gehen. In Freitag Nr. 25, 22.6.2007, S. 8.

Peter Ullrich: Nationaler Kommunismus nach Auschwitz – die DDR und die Jüdinnen und Jeden. Ein Bilanzierungsversuch. In: Utopiekreativ 199, Mai 2007, S. 455-467.

Jens-Uwe Heuer: Antisemitismus der Linken? Eine Antwort. In: junge Welt, 4.7.2007.
Heuer setzt sich ausführlich mit dem Text von Peter Ullrich auseinander, resümiert, dass „sein Artikel von Voreingenommenheit und Vorurteilen strotzt“ – und lädt ihn zu einem Meinungsstreit ein, der „möglich sein müsste“.

Irene Runge: Antisemitismus in der DDR. Ein Leserbrief, den die BZ nicht brachte. In: antifa, Mai/Juni 2007, S. 17.

Anja Reich: Die Geschichten der anderen. Juden erzählen aus ihrem Leben in der DDR. (Zu Wort kommen mit eigenen Texten bzw. per Interview: Hermann Simon, Barbara Honigmann, Peter Kahane, Salomea Genin und André Herzberg). In: Berliner Zeitung, 16./17.6.2007, Magazin, S. 4-5.
Anja Reich schildert hier auch, warum andere DDR-Bürger sich zu diesem Thema derzeit nicht äußern wollten: Gregor Gysi, Fred Düren, Klaus Wilzcinski und ein namentlich nicht genannter Geschichtslehrer.
„Ich rief den Schauspieler Fred Düren in Jerusalem an, der Ende der 80er Jahre zum Judentum konvertiert ist. Seine Antwort war noch knapper [als die von Gregor Gysi]. Er sagte: ‚Ich habe keinen Grund mich dazu zu äußern.“ Ich erzählte Düren, der seit 18 Jahren in Israel lebt, von der Schülerausstellung „Das hat es bei uns nicht gegeben“. Sie reist gerade durchs Land und hat eine Kontroverse ausgelöst: Manche behaupten, in der DDR hätte es nie Antisemitismus gegeben, andere sagen, es sei noch schlimmer als im Westen gewesen, nur subtiler, man spüre das heute noch. ‚Oh ja’, sagte Düren, der die ganze Zeit still zugehört hatte, ‚und es wird noch viel schlimmer.’ Das war das Ende unseres Gesprächs.“

Thorsten Hinz: Eine plumpe Manipulation. Ausstellung der linken Amadeu Antonio Stiftung: Mit dem Tunnelblick des Ressentiments / Der Mythos vom Antisemitismus in der DDR. In: Junge Freiheit. Juli 2007

Thema: Antisemitismus in der DDR. David Begrich / Matthias Gärtner: So mustergültig war die Aufarbeitung nicht. In : ND, 29.6.2007, S. 14 und Sabine Kebir: Tiefer als der Schrecken saß die Scham. In: ebenda.

Leserbriefe von Peter Franz, Hans-Joachim Weise und Georg Schwirtz zu Begrich, Gärtner und Kebir. In: ND, 6.7.2007, S. 15.

Ellen Brombacher: ... als sei ich von Sinnen: Die bürgerliche Freiheit und der späte Sieg des faschistischen Ungeistes. In: ND, 30.6./1.7.2007, S. 21.
In diesem Zeitungsbeitrag wird u. a. darüber informiert, dass sich Kurt Goldstein und Ellen Brombacher an die Amadeu Antonio Stiftung mit dem Vorschlag gewandt haben, ein Gespräch mit Jugendlichen zu führen, die an dieser Ausstellung gearbeitet haben.
Ellen Brombacher kritisiert u. a. auch die Wortwahl der Überschrift eines Artikels von Peter Ullrich in der von der RLS herausgegebenen Zeitschrift Utopiekreativ: „Nationaler Kommunismus nach Auschwitz – die DDR und die Jüdinnen. Ein Bilanzierungsversuch“: „Nationaler Kommunismus, das assoziiert Nationalsozialismus – Zufall? Autor Peter Ullrich war 1989 vierzehn.“

Elke Kellermann: der verdrängte Nazi-Ungeist in der DDR. Über Schmierereien oder Schändungen jüdischer Friedhöfe wurde im Sozialismus geschwiegen. Liegt darin die Ursache des heutigen Rechtsextremismus? In: Freies Wort, 16.7.2007, S. 3.

  1. Bemerkung inmitten einer nicht beendeten Debatte:

Aus eigenem Erleben verschiedener Diskussionen sowie dem Studium publizistischer Beiträge zur Ausstellung ergeben sich m. E. mindestens sechs Überlegungen genereller Art.

  1. Allein die Heftigkeit der Debatte zeigt, dass ein wichtiges Thema von „Umgang mit DDR-Geschichte“ aufgegriffen wurde. Defizite der geschichtswissenschaftlichen Forschung wie der politischen Bildung und des “Allgemeinwissens“ von Menschen unterschiedlicher Generationen in Deutschland werden deutlicher.
  2. Mehr Sorgfalt und ausreichende Ausführlichkeit bei der Darlegung eigner konzeptioneller Ansichten helfen, gegenseitigen Missverständnissen und Unterstellungen von vornherein zu entgehen.
  3. Die Diskussion um diese Ausstellung krankt oft am an der Vermischung zweier Ebenen: selbst Erlebtes und Erfahrenes als DDR-Bürger einerseits wird oft durcheinander gebracht mit der nüchternen Schilderung von Tatsachen und den chronologischen Abläufen von realen geschichtlichen Prozesse in der DDR andererseits.
  4. Insbesondere „DIE LINKE“ sollte in dieser wie in anderen Debatten politische Kontrahenten nicht zu Hauptfeinden erklären. Unsererseits wäre mehr Streitkultur und Gelassenheit – auch gegenüber sich häufenden antikommunistischen Attacken gegen die neue Partei DIE LINKE angebracht. (Was haben wir denn erwartet?)
  5. Alle, auch „Linke“, müssen damit leben, dass sich Im Deutschland von heute jedermann zu jedem beliebigen historischen Gegenstand äußern kann: zu allen historischen Epochen, zu den darin agierenden Personen, einzelnen geschichtlichen Tatsachen und Vorgängen von der Antike bis zum gestrigen Tag. Einzuhalten sind dabei nur zwei Bedingungen: Beachtung der Prinzipen des Grundgesetzes und Vermeidung von Äußerungen, die in Deutschland unter Strafe gestellt sind.
  6. Der Prozess der Auseinandersetzung mit unhaltbaren Ansichten von sich als „links“ verstehenden Menschen muss fortgesetzt werden – wiederum unter Beachtung der Tatsache, dass Entsolidarisierung untereinander oder Selbstzerfleischung auch in diesem Falle nicht weiterhilft – und es wohl derzeit wichtigere Felder politischer Auseinandersetzung in der deutschen Gesellschaft gibt.

Hinzu kommt:
Wie bei anderen Debatten auch – etwa dem Thema unwiderruflicher Bruch mit dem Stalinismus als System (zentrales Element des Gründungskonsenses der PDS 1989) oder der Rolle von Gewalt in den politischen Auseinandersetzungen in Geschichte und Gegenwart oder dem Platz individueller und gruppenspezifischer Menschenrechte im Wertegefüge einer demokratischen Gesellschaft – wird von der direkten Diskussion um den jeweiligen eigentlichen Gegenstand hin und wieder abgelenkt. Manche Argumente sind durchsichtige Ablenkungsmanöver oder erscheinen als nur vorgeschoben.

Wenig hilfreich ist vor allem eine ideologisierende Diskussionsweise.
Kritische wie selbstkritische Aufarbeitung von DDR-Geschichte unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen, zum Beispiel zum Thema Antisemitismus in der DDR, sollte  jahrzehntelange in der DDR geübte Klischees und ideologische Vorwürfe an den Gegenstand wie dessen Bearbeiter unterlassen, um wirklich glaubwürdig zu sein.
Eine Auswahl ideologischer Versatzstücke:

  1. Man muss immer beide deutsche Staaten zusammendenken – und der Antisemitismus in der BRD war viel schlimmer als in der DDR. Wer hat wie, in welchem Umfang und gesellschaftlichem Kontext sowie aus welchen Gründen den antifaschistischen Grundkonsens nach dem 2. Weltkrieg verlassen bzw. in seiner Wirksamkeit selbstverschuldet oder/und fremdbestimmt beschädigt?
  2. Die Klassenfrage war im Kalten Krieg und ist noch immer wichtiger als der Umgang mit Einzelnen oder Gruppen von Menschen. Menschenrechte sind aus dieser Sicht zu respektieren, ihnen wird letztlich aber keine oberste Priorität eingeräumt.
  3. Die Engels’sche Logik, dass mit dem Sozialismus die Vorgeschichte der Menschheit aufhört, bestätigt, dass nur der Marxismus-Leninismus „richtige“ Erklärungen über die Gegenwart und Zukunft, die „eigentliche Geschichte“ der Menschheit, wie auch die Vergangenheit geben kann.
  4. Es geht dem vorherrschenden Trend der politischen Auseinandersetzung nur oder vor allem um Verunglimpfung - der DDR wie des Kommunismus generell.
  5. Man muss immer alles im Zusammenhang sehen.
  6. Fehlerdiskussionen dienen nur dem „Klassenfeind“ oder der herrschenden Ideologie
  7. Internationalismus gebietet uneingeschränkte Solidarität mit den arabischen Nachbarn Israels – für Linke auch heute noch. Kritik an aktuellen Elementen der Politik der USA und Israels ist legitim und darf nicht unter Antisemitismusverdacht gestellt werden.
  8. Die bürgerliche Demokratie der Gegenwart wird als sozial ungerecht empfunden. Antisemitische Einstellungen von 25 % der Bevölkerung sind dabei erschreckend und unentschuldbar. Erklären kann man sie dennoch.
  9. Wer sich als „Linker“ versteht, kann kein Antisemit sein. Manchmal hört man jedoch auch das „Argument“: Aber man sollte auch nicht übersensibel reagieren. Verbreitetes Beispiel: Der ursprünglich zutiefst antisemitische Vergleich von „den Juden“ mit Ungeziefer, das vernichtet werden muss, hat nichts damit zu tun, dass bestimmte wirtschaftliche Vorgänge heute mit dem Bild der Heuschrecke oder blutsaugenden Insekten verglichen werden. Nahezu inflationär finden sich Beispiele dafür in der Politik, den Medien wie in der gesellschaftswissenschaftlichen Literatur. Oder wäre hier mehr Sensibilität angebracht?

Notwendige Einzelbemerkung zu Wolf Biermann und Arno Lustiger, die beide in Sachen dieser Ausstellung „Partei“ sind. Ihre Haltung ist mir außerordentlich sympathisch, relativ unabhängig davon, was sie sonst noch sagen oder tun. Ich schätze beide noch aus einem andern konkreten Grund. 9

Lesehinweise
Zum Thema: Geschichte des Umgangs mit dem Jüdischen in der DDR (und dabei auch zu den antisemitischen Elementen in der Politik der DDR-Führung sowie im Alltag der Gesellschaft) gibt es eine erstaunliche umfangreiche Literatur. Historiographische Darstellungen sowie Biografien und Erinnerungen sind zu nennen. Zu betonen ist, dass Publikationen , die dieses Thema direkt oder indirekt behandeln, vor wie nach 1989 in beiden deutschen Staaten sowie auch in anderen Ländern entstanden sind. 10

Mit Absicht werden in diesem Text die in der Debatte um die Ausstellung so nachdrücklich und häufig als ausreichender „Beweis“ für die Bekämpfung des Antisemitismus in der DDR  aufgezählten Beispiele aus Kunst und Kultur der DDR zum Umgang mit dem Jüdischen hier nicht wiederholt.11

Auch in diesem Fall liegt der Teufel im Detail. Zu fragen wäre, wie Kunstwerke, die von Juden handelten sowie vom Umgang der Gesellschaft in der DDR in verschiedenen historischen Etappen mit ihnen, Kindern und Jugendlichen in der DDR nahegebracht wurden – und wie dies mit dem Übermittelten umgegangen sind. 
Zu fragen wäre auch, welche politische Einflussnahme auf die Entstehung wie die Verbreitung von Kunstwerken in der DDR üblich war.

Das Anne Frank Zentrum Berlin bereitet zur Zeit eine Ausstellung zum Thema „Umgang mit dem Tagebuch der Anne Frank in der DDR“ vor.

Ein letztes.
Nur verwiesen werden kann in diesem Zusammenhang darauf, dass es auch zur Geschichte des Umgangs mit dem Jüdischen in der „alten Bundesrepublik“ (und dabei zentral zu antisemitischen Elementen in der Politik der BRD-Regierung sowie im Alltag der Gesellschaft) eine umfangreiche Literatur wie politische Debatte gab  – in der Gesellschaft insgesamt und unter „den Linken“ im besonderen. 12

Zumindest angesprochen werden soll, dass bei der allseits eingeforderten Aufarbeitung von deutscher Geschichte seit 1945, die zumeist auf eine noch zu leistende „Bringepflicht der Linken“ reduziert wird, neben vielen weiteren auch dieses Thema, das nicht Gegenstand der Ausstellung über den Antisemitismus in der DDR ist, hinzugehört.

(Stand: 24.7.2007)


1 Siehe: Internetseite der Amadeu Antonio Stiftung:www.projekte-gegen-antisemitismus.de und E-Mail-Adresse:info@amadeu-antonio-stiftung.de. Vom Newsletter der Stiftung, den 3459 Abonnenten beziehen, erschien im Juni 2007 die 28. Ausgabe.

2 Bei einer vor kurzem durchgeführten Beratung dieser NGOs wurde in Anwesenheit von Abgeordneten aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien (für die Fraktion DIE LINKE: Petra Pau) verabredet, die Bundesregierung aufzufordern, regelmäßig einen Bericht zum Antisemitismus in Deutschland zu veröffentlichen.

3 Die OSZE führte am 28./29.4. 2004 in Berlin eine Antisemitismus-Konferenz durch. An ihr nahmen 600 offizielle Vertreter aus 55 OSZE-Ländern und etwa 300 Repräsentanten von NGOs  teil. MdB Prof. Dr Gert Weisskirchen (SPD) koordiniert die Aktivitäten in Deutschland dazu, im OSZE-Büro Warschau gibt es eine spezielle Mitarbeiterin für den OSZE-Prozess zum Antisemitismus.

4 Wolf Biermann war am 10.4.2007 nach kontroverser öffentlicher Debatte die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin verliehen worden.

5 Siehe: Regina Scheer: Im Schatten der Sterne. Eine jüdische Widerstandsgruppe, Berlin 2004.

6 Der Antrag zu einem entsprechenden Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin wurde am 12.06.2007 von der Fraktion der CDU gestellt. Die Begründung lautet: „Bei dem Thema Antisemitismus in der DDR handelt es sich um ein relativ unverstandenes, teilweise tabuisiertes Thema mit hoher Relevanz auch für aktuelle Geschehnisse. Die in Lichtenberg zu sehende Ausstellung der Amadeu Antonio Stiftung wurde unter wesentlicher Beteiligung ostdeutscher Schüler erstellt und ist damit hinsichtlich Thematik und art der Entstehung als besonders wertvoll einzustufen. Aus diesem Grunde sollten dieser Ausstellung in Berlin unbedingt weitere Bühnen geschaffen werden.“

7 Hier werden nur die mir vorliegenden Texte aufgelistet. Umfassender siehe: www.projekte-gegen-antisemitismus.de.

8 Siehe RLS-interner Medienauswertungsdienst vom 27.4.2007.

9 Tipp zum Selbstlesen, für mich eine emotional wie rational sehr bewegende Veranstaltung, an der ich teilnehmen durfte: Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkstunde des Deutschen Bundestages, Berlin, 27. Januar 2005. Siehe: Deutscher Bundestag, 419. Sitzung, S. 1-35.

10 Wen einzelne bibliografische Angaben interessieren, bitte bei mir nachfragen.

11 Den besten Überblick dazu bei Walter Schmidt: Jüdisches Erbe in der DDR. In: Manfred Weißbecker / Reinhard Kühnl (Hrsg.): Rassismus Faschismus Antifaschismus... Forschungen und Betrachtungen. Gewidmet Kurt Pätzold zum 70. Geburtstag, Köln 2000, S. 311-339; Siehe neuerdings auch:  Matthias Krauß: Völkermord statt Holocaust. Juden und Judenbild im Literaturunterricht der DDR, Leipzig 2007.; Rezensionen dazu in: ND und antifa Juli/August 2007, S. 24 (Axel Holz)

12 Dies ist nicht Gegenstand dieser Information. Deshalb sei nur auf zwei Publikationen (ganz verschiedener Intention) verwiesen: Friedrich Knilli / Siegfried Zielinski (Hrsg.): Holcaust zur Unterhaltung. Anatomie eines internationalen Bestsellers. Fakten – Fotos - Forschungsreportagen, Berlin (West) 1982; Moishe Postone: Deutschland die Linke und Holocaust. Politische Interventionen, Freiburg 2005.