Der Terroranschlag in Berlin im Dezember 2016 entfachte in Deutschland eine Diskussion über den Entzug von Entwicklungshilfe für Tunesien, sollte das Land bei der Rückführung abgelehnter AsylbewerberInnen nicht kooperieren. Jedoch bestimmt nicht ein Mehr oder Weniger an Entwicklungshilfe das Schicksal des Landes: Tunesiens Handlungsfähigkeit ist durch die hohen Auslandsschulden blockiert.
Vor dem Hintergrund wachsender Fremdenfeindlichkeit in Deutschland fühlt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar genötigt, den Forderungen fast aller im Bundestag vertretenen Parteien entgegenzukommen und die Abschiebung abgelehnter AsylbewerberInnen zu beschleunigen. Das erfordert eine verbesserte Kooperation mit den Herkunftsländern, insbesondere mit den nordafrikanischen Staaten, in die sie im Februar/März 2017 zu Gesprächen reiste.
Wenn es nach der deutschen Regierung ginge, dann würden in Nordafrika sogar Sammellager («Aufnahmezentren») für jene MigrantInnen aus Drittländern eingerichtet, die aus Europa abgeschoben werden sollen. Gegenwärtig sieht es so aus, als ob die unmenschlichen Bedingungen in den bereits existierenden Lagern für MigrantInnen in Libyen einer Errichtung solcher «Zentren» dort entgegenstünden. Weshalb nun Tunesien und Ägypten verstärkt ins Spiel kommen. Obwohl derartige Überlegungen bislang kaum öffentlich diskutiert wurden, fühlte sich der tunesische Premierminister Youssef Chahid bereits genötigt, dieses Ansinnen bei seinem Berlin-Besuch am 14. Februar heftig zurückzuweisen. Allerdings könnte dies auch nur der Versuch gewesen sein, den «Preis» – in Form von mehr Finanzhilfe – nach oben zu treiben.
Seit dem Anschlag vom 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz, bei dem zwölf Personen getötet und Dutzende verletzt wurden, sind die deutsch-tunesischen Beziehungen merklich belastet. Das rührt nicht in erster Linie daher, dass der Attentäter Tunesier war, sondern liegt an der Nichtbereitstellung notwendiger Informationen für dessen Abschiebung (Austausch von biometrischen Daten) durch Tunesien. Der Umstand, dass diese Informationen dann nur zwei Tage nach dem Attentat übermittelt wurden, zeigt die Bedrängnis, in die die tunesischen Behörden geraten waren. In der daraufhin entfachten Abschiebedebatte in Deutschland spielten Vorschläge, wie Tunesien zu einer schnelleren Kooperation gezwungen werden könnte, eine wichtige Rolle.
Wirtschaftlich gesehen macht es für Tunesien allerdings sehr wohl Sinn, eine Zusammenarbeit bei der Identifizierung von (vermeintlichen) Landsleuten zu verzögern, um diesen so die Möglichkeit zu geben, im Ausland zu arbeiten. Im Jahr 2015 überwiesen im Ausland lebende TunesierInnen 3,87 Milliarden Tunesische Dinar (TND), derzeit etwa 1,5 Milliarden Euro, in das nordafrikanische Land. Die Geldtransfers von AuslandstunesierInnen waren damit fast doppelt so hoch wie die gesamten ausländischen Direktinvestitionen, die sich für den genannten Zeitraum auf nur zwei Milliarden TND (ca. 800 Mio. EUR) beliefen.
Dabei sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Tunesien eigentlich sehr gut, wie auch Angela Merkel betont hat. Die demokratischen Umwälzungen nach 2011 brachten dem Land die Wertschätzung vieler Staaten und Nichtregierungsorganisationen ein, die sich unter anderem auch in Entwicklungszusammenarbeit ausdrückt. In diesem Rahmen werden nicht nur Kredite bereitgestellt, sondern auch Infrastrukturprojekte wie Straßen oder Kläranlagen gebaut, die öffentliche Verwaltung dezentralisiert, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchgeführt und der demokratische Prozess auf regierungs- und zivilgesellschaftlicher Seite unterstützt. Und genau hier möchten einige Politiker den Hebel ansetzen, um Tunesien zur Mitwirkung bei deutschen Maßnahmen gegen unerwünschte Immigration zu zwingen.
Maha Ben Gadha ist Programmmanagerin mit Schwerpunkt sozio-ökonomische Fragen im Auslandsbüro Nordafrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Sitz in Tunis, dessen Leiter Peter Schäfer ist.