Publikation Soziale Bewegungen / Organisierung Waleri Sawa - 2. Sekretär des ZK der Partei der Kommunisten Moldovas

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Juni 2005

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Grußansprache auf dem 39. Parteitag der Kommunistischen Partei der Ukraine

Kiew, 25.06.2005 (Auszüge)

In Moldova sind die Ukrainer nach den Moldauern die zweitstärkste Nationalität. Dem entspricht auch die Zusammensetzung unserer Partei. Aber darum geht es hier nicht. Was uns Kommunisten stets einte, war weniger nationale oder ethnische Verwandtschaft, sondern waren unsere gemeinsamen humanistischen Ziele, unsere hohe Mission, das Bewusstsein dessen, dass nur wir die Welt vor den heraufziehenden sozialen und politischen Katastrophen zu bewahren vermögen.

Zunächst stellt sich uns aber die Frage: Sind wir überhaupt in der Lage, die sozialen und politischen Strukturen unserer Länder zu verändern? Die Antwort ist eindeutig: Wir können es nicht nur, wir müssen es tun. Die Globalisierung aller Seiten des menschlichen Lebens, dieser unabwendbare Prozess des Zusammenwachsens der Menschheit zu einem einzigen sich selbst regulierenden Organismus, läuft gegenwärtig offenbar nicht in der richtigen Richtung. Er hat bisher nur einen Pol, was immer diktatorische Gefahren heraufbeschwört. Nur wenn die internationale kommunistische Bewegung einig handelt, wird sie in der Lage sein, wieder einen zweiten Pol zu errichten, von dem Humanität und Fortschritt ausgehen.

Wir moldauischen Kommunisten haben uns in der Praxis davon überzeugt, dass es nach der räuberischen Privatisierung und der Zerstörung der Elemente des Sozialismus in unserem Lande nur einen Ausweg gibt – zu arbeiten und nochmals zu arbeiten, bei zeitweiligen Rückschlägen nicht in Panik zu verfallen und uns dabei immer wieder auf veränderte Situationen einzustellen.

Uns ist klar geworden, dass es unter den heutigen Bedingungen nicht möglich ist, die Gesellschaft mit Gewalt unter die roten Banner des Sozialismus zurückzuführen. Deshalb haben wir uns von Anfang an für den parlamentarischen Weg des Kampfes um die Macht entschieden.

Nach den Wahlen von 1998 hatten wir im Parlament von Moldova bereits eine starke Fraktion. Wir stellten 40 der insgesamt 101 Abgeordneten. Bei den vorgezogenen Neuwahlen von 2001 errangen wir dann einen beispiellosen Sieg. Wir erreichten eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament, konnten unseren Parteivorsitzenden zum Staatspräsidenten wählen lassen, der eine Regierung bildete.

Damals stellte man den Sieg der Kommunisten in Moldova vor allem als Ergebnis einer Protestabstimmung hin. Alle politischen Parteien hatten sich derart kompromittiert, dass das Volk gar keine andere Wahl hatte, als uns zu wählen. Teilweise traf das sogar zu. Wir wussten: Wenn wir den Erwartungen der Wähler nicht gerecht werden und sie uns bei den nächsten Wahlen wieder von dannen jagen, dann wäre das das Ende unserer Partei.

Ich sage das, um an unserem Beispiel die Richtigkeit der Leninschen These zu demonstrieren: „Es ist viel leichter die Macht zu erobern, als sie zu behalten.“ Daher waren die Parlamentswahlen vom März 2005 für unsere Partei viel wichtiger und bedeutsamer als die von 2001. Vor vier Jahren hatten wir mit Argumenten, mit Worten gesiegt. Jetzt mussten wir mit Taten und Ergebnissen unsere Position verteidigen.

Und wir haben erneut gewonnen! Zwar waren es nicht die Ergebnisse 2001, aber wir haben im Parlament statt einer Zweidrittel- nun eine einfache Mehrheit. Die Bedeutung dieses Sieges geht indessen weit darüber hinaus. Viele unserer politischen Gegner mussten sich davon überzeugen, dass unversöhnliche Opposition zur KP nichts bringt. Daher haben einige Parteien den Weg der konstruktiven Opposition eingeschlagen und unterstützen in manchen Fragen offen die Position der Kommunisten. Das hat der Gesellschaft etwas zurückgegeben, wonach sie sich in all diesen Jahren so sehr gesehnt hat – einen gewissen Konsens, der die Voraussetzung für Konsolidierung ist.

Zuweilen hören wir von außerhalb unseres Landes, die moldauischen Kommunisten seien nach rechts gegangen, arbeiteten nicht nur mit zentristischen, sondern auch offen rechten Parteien zusammen, sie hätten die Orientierung auf Ostintegration verräterisch durch die auf Westintegration ersetzt, lägen ständig im Streit mit Russland, der GUS und so weiter. Wir seien überhaupt keine richtigen Kommunisten mehr, sondern konvertierte lokale Sozialdemokraten, die den Aufbau der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft ausgerufen hätten.

Es versteht sich von selbst, dass politische Kräfte, die das Wort „Kommunist“ nur mit Zähneknirschen aussprechen können, so reagieren. Aber zuweilen gibt es solche Auffassungen auch bei Leuten, die sich kommunistisch geben.

Meist handelt es sich dabei um Linksradikale, die nicht aufhören, ihre Völker auf die Barrikaden zu rufen, aber für ihre extremen Doktrinen kaum Interesse in ihren Gesellschaften finden. Man wirft uns vor, wir handelten zögerlich, wir hätten es aufgegeben, unser Land in kürzester Frist auf den sozialistischen Weg zurückzuführen. Aber aus den Schützengräben der Opposition die Lage zu betrachten ist das Eine, als Regierungspartei ein Land führen zu müssen, etwas ganz Anderes.

Bevor wir an die Regierung kamen, haben viele von uns auch gedacht, sobald wir das Steuer in der Hand hielten, würden wir den Sozialismus wieder aufbauen. Inzwischen aber haben wir begreifen müssen: Viele gesellschaftliche Prozesse sind inzwischen so weit gegangen, dass sie unter den heutigen Umständen nicht umzukehren sind. Das Volk ist total verarmt und glaubt an gar nichts mehr. Moldova, einst eine blühende Landschaft, ist zum ärmsten Land Europas herabgesunken. Die Gesellschaft befand sich am Anfang des neuen Jahrhunderts in einer tiefen Systemkrise, aus der kein Ausweg möglich schien.

Wenn wir nach unserem Wahlsieg im Jahre 2001 sofort daran gegangen wären, das bereits Zerschlagene noch einmal zu zertrümmern, dann wären wir wegen geringer Kräfte und Mittel damit nicht weit gekommen. Uns hätte eine totale internationale Isolierung gedroht. Die Gesellschaft hätte das alles gar nicht ausgehalten und uns einfach hinweggefegt. Unsere Aufgabe bestand also darin, im Rahmen der Gegebenheiten, die wir vorfanden, die Systemkrise zu überwinden. Es blieb uns nichts anderes übrig, als unter unseren Bedingungen eine Art Leninsche „Neue Ökonomische Politik“ zu betreiben. Das haben wir getan. Seit 2001 ist das BIP der Republik Moldova jährlich um sechs bis sieben Prozent gewachsen. In vier Jahren haben wir die Renten und die Gehälter der Staatsangestellten dreimal erhöht, solche fast völlig brachliegenden Bereiche wie Gesundheitswesen, Bildung und Wissenschaft wieder auf die Beine gebracht. Bei Privateigentum an Grund und Boden sind erste Schritte zur Zusammenführung der zersplitterten landwirtschaftlichen Flächen zu Genossenschaften auf neuer Grundlage eingeleitet worden. Das ist für unser Agrarland besonders wichtig.

Mit raschem Tempo werden unsere traditionellen Wirtschaftszweige – Weinanbau, Gartenbau und Tabakanbau – wieder hergestellt. In hohem Tempo werden zu allen Dörfern und Ortschaften Gasleitungen gelegt. Diese Arbeit wird Ende 2009 abgeschlossen sein.

Ich könnte noch viele anfangs unlösbare Probleme aufzählen, die unsere Partei inzwischen gelöst hat. Das ist geschehen, obwohl wir all die Jahre von ausländischen Krediten völlig abgeschnitten waren. In den vergangenen vier Jahren hat Moldova nicht einen Cent an derartigen Krediten erhalten. Es hat lediglich ein paar Spenden und Zuwendungen im Rahmen eines Programms zur Armutsbekämpfung gegeben. Dabei musste Moldova ein Drittel seiner Steuereinnahmen für das Begleichen der astronomischen Auslandsschulden aufwenden, die frühere Regierungen gemacht haben. Und es klingt paradox: In diesen vier Jahren haben sich die Steuereinnahmen trotzdem etwa verdoppelt.

Ich glaube, das muss ich nicht weiter kommentieren. Zu den Wahlen vom März 2005 brauchten wir dafür auch keine große Propaganda, denn die Folgen spürt jeder Bürger bei sich selbst. Umfragen, die längere Zeit vor den Wahlen von unabhängigen Instituten des In- und Auslandes vorgenommen wurden, zeigten stets die gleichen Ergebnisse, dass nämlich zwischen 60 und 67 Prozent der Wähler für die Kommunisten stimmen wollten. Unmittelbar vor den Wahlen waren es dann 50 Prozent. Die ursprünglichen Voraussagen der Soziologen bestätigten sich also nicht. Wenn man diese plötzliche Veränderung der Wählerentscheidung analysiert, erhält man Antwort auf viele Fragen, die die Lage in Moldova uns heute aufgibt.

Was ist geschehen? Dass bei diesen Wahlen alle äußeren Kräfte gegen die Kommunisten arbeiten würden, dass die Oppositionsparteien viele Millionen für ihren Wahlkampf erhalten, dass die gesamte Kraft des internationalen Antikommunismus über die Medien gegen uns wirken würde, wussten wir natürlich. Uns war auch klar, dass Moldova irgendeine der „Rosen-“, „Orangen-“ oder vielleicht „Weintrauben-Revolution“ kaum vermeiden konnte, die plötzlich im postsowjetischen Raum so zur Mode geworden sind.

Aber der Hauptschlag kam von einer ganz anderen Seite. Sein wichtigster Inspirator wurde die Staatsduma der Russischen Föderation, der plötzlich eine „Blockade“ des Dnestr-Gebietes durch die moldauische Regierung in Chisinau Sorgen bereitete. Darauf reagierte sie mit einer Blockade Moldovas, die mit einer bisher nicht gekannten Kampagne von Lügen, Verleumdungen und Provokationen gegen die Partei der Kommunisten Moldovas einherging. Zwar verließ die Fraktion der KPRF aus Protest gegen diese Erfindungen den Sitzungssaal, aber die Duma fasste trotzdem Beschlüsse gegen Moldova, die ein Schlag gegen unser souveränes Recht sind, unsere inneren Probleme zu lösen und die Integrität unseres Landes zu wahren. [Das Dnestr-Gebiet, das 80 % der moldauischen Industrie beherbergt und zu einem großen Teil von russischsprachiger Bevölkerung bewohnt ist, hat sich vor einigen Jahren zur unabhängigen Dnestr-Republik erklärt. Unter dem Schutz russischer Truppen blüht dort der Schmuggel mit Waffen, Drogen und vielen anderen verbotenen Gütern. Russland weigert sich bisher, seine Truppen von dort abzuziehen und Moldova die Möglichkeit zu geben, das Land wieder zu vereinigen. – d. Ü.]

Es ist kein Geheimnis, dass es in den 90er Jahren in Moldova Ausschreitungen von Nationalisten gab, die unser Land dem großen Nachbarn jenseits des Flusses Pruth [gemeint ist Rumänien – d. Ü.] anschließen wollten. Da war viel Russophobie im Spiel. Aber seit die Kommunisten an der Macht sind, hat sich das allmählich wieder gegeben. Wir Kommunisten können stolz darauf sein, dass es uns gelungen ist, in unserem Lande normale Beziehungen zwischen den Nationalitäten wieder herzustellen. Das war uns fast noch wichtiger, als die Überwindung der Wirtschaftskrise. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Moldova von heute grundsätzlich von dem des vergangenen Jahrzehnts.

Dabei sind auch die Sympathien zu Russland allmählich wieder gewachsen, das durchaus die Potenzen hat, zu einem Integrationskern im postsowjetischen Raum zu werden. Wenn aber dieser „Kern“ alle Mittel der modernen Massenkommunikation, ja sogar kriminelle Methoden nutzt, um sich in die inneren Angelegenheiten eines kleinen postsowjetischen Staates einzumischen, dann kann das Ergebnis nur negativ sein. In Moldova belief es sich zumindest auf einige Prozent der Stimmen, die die Kommunisten verloren, und die an verschiedene Kräfte, darunter offene politische Abenteurer, gegangen sind.

Moldova hat in den letzten Jahren viele Vorschläge zur Aktivierung der Tätigkeit der GUS gemacht. Sie alle sind ignoriert worden. Erst danach haben wir den nicht leichten Entschluss gefasst, uns auf die EU zu orientieren, eine internationale Struktur, die uns realer und pragmatischer erscheint.

Heißt das aber, dass wir deshalb unsere Ostorientierung aufgeben? Auf keinen Fall! Moldova hat nicht die Absicht aus der GUS auszutreten oder die entwickelten bilateralen Beziehungen zu allen Staaten des postsowjetischen Raumes abzubauen. Wenn wir aber die Integration in die EU ignorieren, dann könnten wir uns in Zukunft zwischen zwei auf Europa orientierten Staaten – der Ukraine und Rumänien – wiederfinden.

Wir sehen keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen diesen beiden Orientierungen. Selbst Russland, das keine offizielle Absicht erklärt, sich der EU anzuschließen, koordiniert seine Schritte mehr und mehr mit dieser Organisation. Man kann sich vorstellen, dass der von uns genannte zweite globale Pol durchaus durch Integration aller europäischen postsowjetischen Staaten mit Russland an der Spitze in die EU entstehen könnte. Daraus ergäbe sich aber eine Aufgabe für uns alle – eine gesamteuropäische linke Front unter Führung der kommunistischen Parteien mit einem einheitlichen Koordinierungszentrum zu schaffen...

Wir schlagen uns nicht selten an die Brust und erklären stolz, dass wir den Traditionen der KPdSU treu sind. Ich möchte behaupten, dass nicht alle diese Traditionen es wert sind, fortgeführt zu werden. Ist doch die KPdSU selbst in eine ruhmlose innere Krise geraten und zerfallen. Noch weniger können wir zulassen, dass jemand Methoden und Arbeitsstil, die früher gerechtfertigt gewesen sein mögen, Eins zu Eins auf die gegenwärtige Lage anzuwenden versucht. Was passiert, wenn man sich in organisatorischer oder ideologischer Hinsicht dogmatisch an alte Prinzipien klammert, haben wir in den Jahren, die wir an der Regierung sind, oft genug zu spüren bekommen.

Daher gelangen wir in unserer Partei immer mehr zu der Überzeugung, dass man unsere gemeinsame theoretische Basis, den Marxismus-Leninismus, auf keinen Fall als eine Sammlung eherner Wahrheiten betrachten darf, die für alle Zeiten gelten. Das würde bedeuten, die Klassiker des Marxismus-Leninismus zu einer Art Partei-Evangelium, die ganze kommunistische Theorie und Ideologie zu einer Art weltlicher Religion herabsinken zu lassen.

Wir stehen heute vor dem dringenden Erfordernis, unsere Partei radikal zu erneuern. Dieser Prozess läuft bereits, wobei wir bestimmte Dinge beachten:

Erstens bleibt der Marxismus-Leninismus unsere methodische Grundlage, das theoretische und praktische Werkzeug, mit dem wir das Handeln auf die Realitäten unserer Zeit einstellen.

Zweitens verbinden wir die verschiedensten modernen Methoden der organisatorischen Arbeit mit unseren Traditionen, wobei wir allerdings jene abstoßen, die sich längst überlebt haben und in unseren Tagen eindeutig zum Anachronismus geworden sind.

Drittens achten wir darauf, dass unsere programmatischen Ziele weniger für Menschen mittleren und hohen Alters, sondern vor allem für die Jugend attraktiv sein müssen.

Viertens wird jede nationale kommunistische Partei, die von der Weltbewegung isoliert ist, unweigerlich zur politischen Sekte. Daher muss sie sich in die gesamteuropäische linke Bewegung eingliedern und dafür arbeiten, dass diese sich organisatorisch findet und stärkt.