Stand 27. September 2005
Die Parlamentswahlen in Polen haben anders als in Deutschland ein klares Ergebnis erbracht. Als deutlicher Sieger dürfen sich die beiden konservativ verstehenden Gruppierungen PiS (Recht und Gerechtigkeit; 27%) und PO (Bürgerplattform; 24,1%) feiern, wobei die Reihenfolge PiS vor PO zugleich die größte Überraschung des Wahlabends gewesen war. Welche politische Rolle PiS-Vorsitzender Jarosław Kaczyński tatsächlich übernehmen wird, hängt nun ab vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen (9. Oktober), bei denen sich Zwillingsbruder Lech im Rennen mit PO-Kandidat Donald Tusk noch alle Chancen ausrechnen kann. In allen anderen Parametern – die überaus geringe Wahlbeteiligung von nur 41% eingeschlossen – wurden alle Vorhersagen mehr oder weniger bestätigt. Vielleicht könnte das gemessen an den letzten Umfragen letztlich doch etwas schwache Ergebnis der PO noch als Überraschung gewertet werden.
PO hatte den Wahlkampf forsch mit marktwirtschaftlich-radikalen Losungen bestritten: Ein einheitlicher Steuersatz von 15% praktisch für alle und alles. Damit, so die Versprechung, werde das für Polens Entwicklung so entscheidende hohe Wirtschaftswachstum von 5% und mehr abgesichert und den arbeitslosen Menschen des Landes eine Perspektive auf bezahlte Beschäftigung gegeben. Polen müsse aus der tiefen Krise, in die die wohlfahrtsstaatlichen Modelle in einer ganzen Reihe von EU-Ländern in den zurückliegenden Jahren gekommen seien, die entsprechenden Rückschlüsse ziehen. Die falsche Wahl könnte das Land um Jahre zurückwerfen. PiS präsentierte sich in sozialer Hinsicht heimelnder, deren Spitzenleute lehnten das 15%-Steuermodell glattweg ab. Auf die Rolle eines starken Staats könne keineswegs verzichtet werden, etwa bei der auf Werte orientierten Ausrichtung der Gesellschaft. Polen könne nur unter Wahrung der eigenen Traditionen und der eigenen Vorstellungen von gesellschaftlicher Entwicklung seinen Weg finden. Das diesbezügliche Programm freilich zeichnet sich durch strikte Gegnerschaft zu emanzipatorischen Ansätzen etwa in der Frage der Gleichstellung von Mann und Frau oder des Umgangs mit sexuellen Minderheiten aus. Fester Bestandteil ist außerdem das antikommunistische Versprechen, den öffentlichen Raum von allen symbolhaften Überbleibseln aus „kommunistischen Zeit“ zu säubern. Die Fragen Markt, Staat und die Stellung zur EU und zu deren Richtlinien dürften dann auch die wichtigsten Streitpunkte der künftigen Koalitionäre sein.
Einig hingegen ist man sich seit langem in einer zentralen Frage. Die auf die Verfassung von 1997 und die Absprachen des Runden Tisches von 1989 sich stützende sogenannte III. Republik müsse abgelöst werden durch eine neue verfassungsmäßige Ordnung – die IV. Republik. Eine komfortable Zweidrittelmehrheit ist den Wahlsiegern aber verwehrt worden. So müssen sie um Bündnispartner unter den künftigen Oppositionsparteien werben. Der Weg in die IV. Republik dürfte länger dauern und schwieriger Umzusetzen sein als in den Parteigremien von PiS und PO angenommen. Die spannende Frage lautet, ob der gemeinsame Wille, die Verfassung zu ändern, das von vielen Beobachtern vorhergesagte Streitpotential zwischen den liberal-konservativen und konservativ-nationalen Koalitionären überstehen wird. PiS hätte als einzige von beiden Fraktionen eine Alternative zur Verfügung: Eine Koalition mit der national-katholischen LPR (Liga der polnischen Familien) und der bauernpolitischen „Samoobrona“ (Selbstverteidigung), die als drittstärkste politische Kraft ins Parlament einziehen wird.
Das bauernpolitische Lager darf sich zu den Gewinnern zählen, da es nach den beiden siegreichen konservativen Parteien zum wichtigsten politischen Faktor im Parlament aufgestiegen ist. Neben der „Samoobrona“ (11,4%) zieht auch die Bauernpartei PSL (7 %) in das Parlament ein. Während die „Samoobrona“ einen Weg in eine neue verfassungsmäßige Ordnung durchaus für möglich hält, begreift sich die PSL (mit offiziell knapp 80.000 Mitgliedern übrigens mitgliederstärkste Partei Polens) bisher eher als Vertreter des verfassungsmäßigen Status quo.
Enttäuscht sein dürfte die national-katholische Gruppierung LPR (7,8%), die noch im Sommer mit einem deutlichen Ergebnis von über 10% rechnen konnte. Die LPR steht aber auf jeden Fall für alle Projekte zur Verfügung, die über die geltende Verfassung hinauszugehen versprechen.
Zu den Verlierern der Wahl zählt die sich liberal verstehende Demokratische Partei (unter 3%), die mit einem prominenten Aufgebot in die Wahl gezogen ist. Aber die versuchte Mischung aus dem ehemaligen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki und dem bisher amtierenden Ministerpräsidenten Marek Belka konnte das eigene wirtschaftsliberale Profil nicht als plausible Alternative zu den recht radikal daherkommenden Vorstellungen der konservativen Gruppierungen aufbauen. Für die Demokraten dürften schwere Zeiten aufziehen, da nach 2001 (damals noch als Freiheitsunion) bereits zum zweiten Mal der Einzug ins Parlament verpasst worden ist.
Der große Verlierer dieser Wahlen aber ist Polens Linke. Dass das Ergebnis von 2001 (über 41%) in Reichweite sei, haben selbst die kühnsten Träumer bereits sei zwei Jahren nicht mehr angenommen. Das jetzt erreichte Ergebnis wirft die Linke rein zahlenmäßig wieder auf den Stand von 1990 zurück. Ohne einer ausführlichen Analyse vorgreifen zu wollen, sei an dieser Stelle folgendes sachlich notiert: Drei sich sozialdemokratisch/links verstehende Listen waren angetreten. Ins Parlament geschafft hat es nur die Liste der SLD (11,3%). Marek Borowskis SdPl (Polnische Sozialdemokratie; 3,5%) ist deutlich gescheitert, kommt aber in den Genuss der überlebenswichtigen Wahlkampfkostenrückerstattung und jährlicher Zuschüsse aus dem Haushalt. Diese Liste unterstützten UP (Union der Arbeit) und die Grünen (Zieloni-2004). Die Liste der PPP (Polnische Arbeiterpartei) scheiterte trotz gewerkschaftlichen Rückhalts (Sierpień 80) mit unter 1%. Die SLD hat im künftigen Parlament mit der PSL so etwas wie einen natürlichen Bündnispartner. Beide Gruppierungen könnten die einzigen sein, die offen und entschieden die bestehende verfassungsmäßige Ordnung verteidigen werden. Sie alleine können allerdings die Zweidrittelmehrheit der Verfechter einer IV. Republik aus Koalition und Opposition nicht mehr verhindern. Außerdem sei daran erinnert, dass die SLD im März 2003 die damals bestehende Koalition mit der PSL aufkündigte. Inoffiziell sprach man damals in SLD-Kreisen überheblich davon, dass der gewesene Koalitionspartner nicht reif sei für „Europa“. Ganz gewiss steht die SLD also nunmehr vor der Notwendigkeit, sich neu zu orientieren, neu aufzustellen und sich allenfalls als Teil eines Projekts zu verstehen, aus dem heraus die Linke Polens zu neuen (nicht nur parlamentarischen) Ehren kommen könnte.