Publikation Geschlechterverhältnisse Organisations- und Geschlechtersoziologie

Theoretische Brücken und empirische Einsichten zur Einführung von Gender Mainstreaming in die Verwaltung. Manuskripte 56 von Iris Peinl, Karin Lohr und Kristiane Jornitz

Information

Reihe

Manuskripte

Autor*innen

Iris Peinl, Karin Lohr, Kristiane Jornitz,

Erschienen

September 2005

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Nur online verfügbar

Theoretische Brücken und empirische Einsichten zur Einführung von Gender Mainstreaming in die Verwaltung

Vorwort und Danksagung

Das vorliegende Buch mischt sich in die aktuellen und kontrovers geführten theoretischen wie politischen Debatten zu den Themenfeldern Organisation, Geschlecht und Gender Mainstreaming ein.
In einem ersten Kern geht es darum zu diskutieren, wie gerade in der Gegenwart des grundsätzlichen Umbaus der Gesellschaft, ihrer Institutionen, Organisationen und sozialen Verhältnisse wie Beziehungen das analytische Potenzial der mittlerweile gut sortierten „Werkzeugkästen“ von Organisations- und Geschlechtersoziologie verschränkend genutzt werden kann. Argumentiert wird, dass mit dieser Verschränkung eine genauere Abbildung und Erklärung der je spezifisch in die Organisationen eingelassenen und über das Alltagshandeln der Beschäftigten modifiziert hergestellten Geschlechterbeziehungen und –verhältnisse möglich ist. Diese Methodologie stellt den Hintergrund für den zweiten Kern des Buches dar. Hier wird eine eigene empirische Untersuchung vergeschlechtlichter Strukturen eines Amtes einer Berliner Verwaltung vorgestellt, und zwar als Ausgangs- und Bezugspunkt der aktuellen Strategie des Gender Mainstreaming. Wir veröffentlichen in diesem Buch die zentralen theoretischen Vorannahmen und Definitionen der Untersuchung, die methodischen Arbeitsschritte, Ergebnisse und Schlussfolgerungen.
Das inhaltliche Bindeglied zwischen diesen beiden Kernen des Buches ist die Überlegung, dass die Methodologie einer produktiven Verschränkung zwischen Organisations- und Geschlechtersoziologie gerade auch für die Analyse aber auch Umsetzung der Strategie des Gender Mainstreaming eine zwingende Voraussetzung ist. Das heißt: Nur auf der Grundlage einer verschränkenden organisations- und geschlechtersoziologischen Vorab-Analyse der je spezifisch konfigurierten organisationalen Geschlechterhierarchien kann eine „punktgenaue“ Strategie des Gender Mainstreaming den Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern entgegenwirken.
Diese beiden zentralen Bestandteile des vorliegenden Buches resultieren aus einem langjährigen Arbeitszusammenhang. Er war zentriert um ein mehrsemestriges Projektseminar „Organisation und Geschlecht“ am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin 1. In ihm arbeiteten Dr. Karin Lohr und Dr. Iris Peinl sowie die StudentInnen Susanne Beer, Silke Chorus, Gabriele Gawel-Thomas, Stefan Geratz, Andy Gubitz, Kristina Gust, Romy Hilbrich, Kristiane Jornitz, Sandra Lange, Anna Mucha, Uta Schwarz, Renate Stawinoga und Susanne Vangerow.
Das inhaltliche Programm dieses Seminars umfasste zwei voneinander zu unterscheidende Schwerpunktsetzungen und Arbeitsphasen, die in den zwei Kernen des Buches zum Ausdruck kommen. Die erste Arbeitsphase bestand zunächst aus methodologischen Diskussionen zur Leistungsfähigkeit „der“ Organisations- und Geschlechtersoziologie für die Analyse gegenwärtiger organisationaler Geschlechterdifferenzen, -hierarchien und -ungleichheiten.
Der zentrale Untersuchungsfokus richtete sich hier auf die Frage, inwieweit ausgewählte klassische und moderne Ansätze der  Organisationssoziologie mit ihren jeweils spezifischen Gegenstandsbereichen und Kategorien Anschlussstellen für die Abbildung und Erklärung auch geschlechtsspezifischer Strukturen, Beziehungen und Verhältnisse bereithalten. Damit im Zusammenhang war auch von Interesse, ob und wie geschlechtersoziologische bzw. feministisch inspirierte organisationssoziologische Überlegungen und Ansätze diese kategorialen Anschlussstellen aufgreifen. Werden sie, so die Frage, als Analyseinstrumente für den eigenen spezifischen Untersuchungsgegenstand relativ ungebrochen übernommen oder aber entsprechend modifiziert?
Auf dieser Grundlage der Diskussionen zu den Erkenntnismöglichkeiten und –grenzen der beiden „Bindestrichsoziologien“ für die Erklärung von „gendered organizations“ loteten die StudentInnen ihre Interessen an der Erklärung bestimmter Erscheinungen vergeschlechtlichter Beziehungen und Verhältnisse in Organisationen aus, formulierten erste eigene Fragestellungen und suchten für die Beantwortung dieser Fragen nach dafür möglichst geeigneten Ansätzen und Kategorien. Der Zufall kam der in dieser Arbeitsphase notwendigen Suche nach einem geeigneten empirischen Feld für die Untersuchung der skizzierten studentischen Teilprojekte zu Hilfe: Ein Bezirksamt von Berlin bat um wissenschaftliche Unterstützung und  Begleitung von Pilotprojekten zur gegenwärtig stattfindenden Einführung des Gender Mainstreaming in die Berliner Verwaltung.
Damit begann die zweite Arbeitsphase des Projektseminars. Das in Absprache mit dem Bezirksamt entwickelte inhaltliche Konzept bestand in der Untersuchung vergeschlechtlichter Strukturen in einem seiner Ämter als grundlegender Bezugs- und Ansatzpunkt einer potentiell erfolgsversprechenden Einleitung des Gender Mainstreaming. Dafür wurden begriffliche Vorarbeiten und -leistungen erbracht. Diese umfassten im Wesentlichen die Spezifizierung von Verwaltung als besondere Organisation in ihrer Einheit von Struktur und Handeln, die Herausarbeitung eines Verständnisses des Gender Mainstreaming Ansatzes, die Charakterisierung von - Berliner - Verwaltungsmodernisierung und die Definition von vergeschlechtlichten Strukturen einer Verwaltung sowie die Herausarbeitung ihrer zentralen analytischen Dimensionen. Auf dieser Grundlage wurden  die bislang eher skizzenhaft entwickelten studentischen Fragestellungen konkretisiert und eigene studentische Projekte geplant. Mit Hilfe dieser Projekte und unter einem einheitlichen methodischen Design wurden dann in einem ersten Schritt vergeschlechtlichte Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen dieses einen Amtes untersucht. Daraus wurden in einem zweiten Schritt Schlussfolgerungen für mögliche Ansatzpunkte des Gender Mainstreaming abgeleitet.
Das hier vorgelegte Buch ist das Ergebnis dieses Diskussions- und Arbeitszusammenhangs innerhalb des Projektseminars als auch zwischen den Herausgeberinnen. Eine Urheberschaft für eine einzelne Idee, Argumentation oder auch eines einzelnen Abschnittes ist nicht mehr eindeutig auszumachen. Wir präsentieren also als Resultat der konzeptionellen wie empirischen Zusammenarbeit ein gemeinsames Produkt. Teil I ist davon ausgenommen. Er stellt das verschriftlichte Resultat der fast unzähligen produktiven Streitgespräche zwischen Karin Lohr, Iris Peinl und Kristiane Jornitz in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Projektseminars als auch in Vorausschau auf diese Buchveröffentlichung dar.


1 Projektseminare sind Bestandteile der sozialwissenschaftlichen Ausbildung im Hauptstudium, in denen StudentInnen lernen, auf der Grundlage eines theoretischen Analyserahmens und mittels einer eigenen Fragestellung Ausschnitte der gesellschaftlichen Praxis abzubilden und plausibel zu erklären. Insbesondere die Darstellung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung beruht auf der Arbeit der StudentInnen. Des Weiteren sind aus diesem Arbeitszusammenhang zwei Diplomarbeiten hervorgegangen. Andy Gubitz schrieb ihre Arbeit zum “doing gender while doing the job. Exemplarische Analyse zum ‚Geschlechter(un)wissen’ als Vorbedingung für Gender Mainstreaming“. Kristiane Jornitz bearbeitete das Thema „Gender Mainstreaming in der kommunalen Verwaltung. Das Gender Mainstreaming Konzept im Spiegel der Implementation in einem Berliner Bezirksamt“.

 

Inhalt

Vorwort und Danksagung

1 Einleitung

 

Teil I
Theoretische Spurensuche: Vorüberlegungen zum Zusammenhang von Organisation und Geschlecht

2 Grundprobleme: Zur Abbildung des Verhältnisses von Organisation und Geschlecht
3 Bestandsaufnahme: Erkenntnisgewinne und Grenzen von Organisations- und Geschlechtersoziologie
3.1 Die Organisationssoziologie
3.2 Die Geschlechtersoziologie 
3.3 Die feministische Organisationssoziologie
4 Zwischenfazit: Differente Potenziale für eine Verschränkung der analytischen Perspektiven von Organisations- und Geschlechtersoziologie

 

Teil II
Theoretische und empirische Ausgangspunkte für das Projekt

5 Gender Mainstreaming und Verwaltungsmodernisierung
5.1 Die Strategie des Gender Mainstreaming
5.2 Verwaltung als soziale Organisation
5.2.1 Politisch-administrative Funktionen der Verwaltung
5.2.2 Interner Aufbau und Funktionsweise von Verwaltungen
5.3 Die Verwaltungsmodernisierung
5.3.1 Die Verwaltungsmodernisierung in Berlin
5.3.2 Brückenbau: Gender Mainstreaming und Verwaltungsmodernisierung
5.4 Exkurs: Die Implementierung von Gender Mainstreaming in die Berliner Verwaltung
6 Ausgangspunkte: Vergeschlechtlichte Strukturen einer Verwaltung
6.1 Organisationsverständnis 
6.2 Begriffsklärung: vergeschlechtlichte Strukturen
6.3 Zwischenfazit: vergeschlechtlichte Strukturen einer Verwaltung
7 Projektfragestellung und methodisches Vorgehen bei der empirischen Analyse
7.1 Fragestellung und Untersuchungsdimensionen
7.2 Operationalisierung
7.3 Untersuchungsfeld
7.4 Erhebungsmethoden

 

Teil III
Empirische Ergebnisse: Vergeschlechtlichte Strukturen im untersuchten Amt

8 Beschäftigten- und Organisationsstrukturen
8.1 Untersuchungsgegenstand
8.2 Beschäftigtenstruktur
8.3 Vertikale Arbeitsteilung
8.4 Horizontale Arbeitsteilung
8.5 Arbeitsorganisation und -abläufe
8.6 Exkurs: Wahrnehmung der Verwaltungsreform durch die MitarbeiterInnen des Amtes
8.7 Zusammenfassung: Vergeschlechtliche Beschäftigungs- und Organisationsstrukturen
9 Geschlechtlich eingefärbte Zusammenarbeit mit den Antragstellenden
9.1 KundInnenleitbild
9.2 Ermessensspielräume, Konflikte und Bearbeitungsstile
9.3 Die Interaktion zwischen MitarbeiterInnen und Antragstellenden
9.4 Zusammenfassung: Die Relevanz von Geschlecht in der Interaktion mit Antragstellenden
10 Das Geschlechterwissen im beruflichen Alltagshandeln der Beschäftigten und Führungskräfte
10.1 Analyseperspektive Geschlechterwissen
10.2 Wahrnehmung von geschlechtsspezifischer Ungleichheit im Amt und der Gesellschaft
10.3 Selbstbild, Selbstverortung
10.4 Wahrnehmung von KollegInnen innerhalb der Arbeitszusammenhänge
10.5 Wahrnehmung der MitarbeiterInnen durch GruppenleiterInnen
10.6 Wahrnehmung der GruppenleiterInnen und der Amtsleitung durch MitarbeiterInnen
10.7 Erklärungen: geschlechtsspezifischer Ungleichheiten im Alltagsbewusstsein
10.8 Zusammenfassung: Geschlechterwissen im beruflichen Alltagshandeln
11 Bewertung von Maßnahmen der Geschlechtergleichstellung: „Keine Probleme, kein Bedarf“
11.1 Analyseperspektive, -dimensionen
11.2 Frauenförderung
11.3 Frauenvertreterin
11.4 Gender Mainstreaming
12 Fazit: Vergeschlechtlichte Strukturen eines Berliner Amtes
13 Schlussfolgerungen: Gender Mainstreaming im untersuchten Amt

 

Teil IV
Abschließende Thesen

14 Verschränkungen: Organisations- und Geschlechtersoziologie, Gender Mainstreaming und Verwaltungsmodernisierung