Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Westeuropa Perspektiven des Europäischen Sozialstaates. Bestandsaufnahme für alternative Strategien

Herausgegeben von Cornelia Hildebrandt. Beiträge von C. Hildebrandt, L. Brangsch, A. Brie, H.-J. Bieling, J. Caudron, T. Maniatis, S. Lopez, S. Elvira, F. R. Pizzuti, S. Sjöberg, A. Wahl, P. Szumlewicz. Manuskripte 52 der RLS

Information

Reihe

Manuskripte

Autorin

Cornelia Hildebrandt,

Erschienen

April 2005

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Nur online verfügbar

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Inhalt

Cornelia Hildebrandt / Lutz Brangsch: Vorwort

André Brie: Europäische Sozialpolitik: Der Abriss des Sozialstaates. Geschichtliche Wurzeln und Verläufe. Aktuelle Entwicklung. Die Zukunft des Sozialstaates in Europa - acht Thesen

Hans-Jürgen Bieling: Die neue europäische Wirtschaftspolitik und die Reform des Sozialstaates

José Caudron: Frankreich: Gegen das Abgleiten Richtung Restwohlfahrtsstaat. Thanasis Maniatis: Der Wohlfahrtsstaat in Griechenland

Susana Lopez und Salce Elvira: Die wachsende soziale Kluft zwischen Spanien und Europa. Perspektiven in der Europäischen Union

Felipe Roberto Pizzuti: Lohnkosten, soziale Sicherheit und Arbeitnehmerabfindungsfonds

Stefan Sjöberg: Die schwedische Erfahrung : Der Niedergang des „Volksheimes“

Lutz Brangsch: Grundsicherung als politisches Konzept und sozialpolitisches Problem.Thesen zu Ansätzen für eine gemeinsame sozialpolitische Strategie in Europa aus der Sicht der deutschen Erfahrungen

Asbjörn Wahl: Ein breites Bündnis für den Wohlfahrtsstaat

Piotr Szumlewicz: Die antisoziale Transformation

 

aus dem Vorwort:

Perspektiven des Europäischen Sozialstaates. Bestandsaufnahme und Problematisierung

EU-Europa soll bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden. Dieses anspruchsvolle Ziel wurde 2000 in Lissabon beschlossen. Die Einheit von Innovation, Wachstum und Beschäftigungsentwicklung sollte der Kern einer kohärenten Strategie im Kampf mit den Konkurrenten auf den Weltmärkten werden. Alle Politikbereiche sollten unter dem Gesichtspunkt ihrer Rolle für das Erreichen einer neuen Kräftekonstellation auf den Weltmärkten in Auseinandersetzung vor allem mit den USA, Japan und China geprüft werden. Die Beschäftigungsquote sollte von 61 auf 70% auf der Grundlage von drei Prozent jährlichen Wachstums bei Modernisierung des sozialen Schutzes erhöht werden. Über eine Methode der offenen Koordinierung sollten hierzu nationale Politiken mit dem Ziel evaluiert werden, die jeweils „besten Praktiken“ auf den Gebieten von Beschäftigung und Sozialpolitik zu bestimmen. Dabei wurden wesentliche Elemente sozialer Sicherung zur Disposition gestellt, staatliche bzw. öffentliche Formen sozialer Sicherung durch die Ausweitung privater Formen verdrängt und diskreditiert.

Es sei dahingestellt, was tatsächlich hinter diesen Zielstellungen im Detail konzeptionell gestanden haben mag bzw. steht – das propagierte Ziel  wurde letztlich in keiner der möglichen Lesarten erreicht.

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Das tatsächlich einzige greifbare Ergebnis des Lissabon-Prozesses ist ein radikaler Umbau der gesamten Gesellschaft, die Neuverteilung von Macht, national politisch abgesegnet und vollzogen, abgestimmt und befördert durch neue Verzahnung und Wirkungsweise europäischer Instrumente, deren Wirksamkeit mit dem Selbstverständnis Europas als eigenständiger Akteur, als global player wächst. Dabei sind die Prozesse globalisierter Wirtschafts- und Kapitalkreisläufe verzahnt mit parallel ablaufenden Prozessen der sich vertiefenden wirtschaftlichen europäischen  Integration. Deregulierte Kapital- und Finanzströme und die mit ihr einhergehende internationale Arbeitsteilung hat eine neue Qualität von Standortkonkurrenz zwischen den Staaten entfesselt, so dass Sozialstaaten zu nationalen Wettbewerbsstaaten mutieren, in deren Folge die öffentliche Daseinsvorsorge in ihrer bisherigen Ausprägung zur Disposition gestellt wird. In Schweden, Frankreich, Italien, Spanien und ebenso in Griechenland geht es um die Senkung der Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme, um ihren Um- und Abbau hin zur privaten Vorsorge. Hartz heißt in Italien „Dini-Reform“, Arbeitsmarktreformen, wie in Deutschland die Hartz-Gesetze, laufen europaweit verknüpft mit nationalen Besonderheiten: In Frankreich ist seit Januar 2004 das Gesetz zur Erhöhung des Anreizes zur Arbeitsaufnahme in Kraft und begrenzt Leistungszahlungen auf drei Jahre für alle bisherigen Leistungsbezieher.

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Wie ist es unter diesen Bedingungen für die Linken in Europa möglich, gemeinsame Forderungen gegen den weiteren Abbau sozialer Sicherungssysteme in Europa zu formulieren? Wie können Sozialstandards entwickelt und schließlich durchgesetzt werden? Wie kann verhindert  werden, dass sich unter Bedingungen postfordistischer Reproduktionsweisen, der Globalisierung, der demografischen Entwicklungen, sich die Entsolidarisierung fortsetzt und zu einem politischen Sprengsatz wird?

Neue Ansätze müssen die Fragen von Macht und Eigentum ebenso auf der Tagesordnung wie die nach einer zeitgemäßen Sozial- und Gesellschaftspolitik. Und schließlich – wer wird diese neuen Ansätze schließlich durchsetzen?

Der vorliegende Manuskripte-Band enthält Beiträge, die auf einem Workshop 2003 in Frankfurt/Main präsentiert und um weitere Beiträge zur Entwicklung des europäischen Sozialstaates ergänzt wurden. Sie stützen sich auf einen Fragespiegel, der in einem gemeinsamen Suchprozess im Rahmen des europäischen Netzwerkes „Transform!“ entwickelt wurde.

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Dieser Band versteht sich als ein Anfang, als eine Bestandsaufnahme, auf deren Grundlage Überlegungen für einen Europäischen Sozialstaat neuen Typs entwickelt und diskutiert werden müssen. Wo findet die Linke Ansätze gemeinsamen Handelns, die den Unterschieden der sozialen Sicherungssysteme, den unterschiedlichen Geschwindigkeiten europäischer Entwicklungen und dem sich dynamisch verändernden Geflecht der Durchdringungen europäischer, nationaler und regionaler Ebenen gerecht werden? Wie kann eine Trendwende hin zu einem Mehr an selbst bestimmtem Leben in sozialer Sicherheit gegen zunehmende soziale Ausdifferenzierung, Polarisierung und Prekarisierung möglich gemacht werden? Wie kann eine Einheit sozialer, ökologischer, wirtschaftlicher und finanzieller Entwicklung erreicht werden, die global nachhaltige Entwicklungspfade eröffnet und sowohl transnationale wie auch regionale Wertschöpfungsketten diesen Zielen unterordnet? Hier steht die Europäische Linke mit ersten Konzepten noch am Anfang. Verkürzung der Arbeitszeit, ein einheitlicher sozialer Schutz über eine mögliche Grundsicherung, eines Mindestlohns, ebenso der Protest und die Kämpfe gegen die Auflösung öffentlicher Daseinsvorsorge, gegen GATS für den  Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge sind erste Antworten. Aber jeder lange Weg beginnt mit einem ersten Schritt.