Kurzbiografien.
von Gottfried Hamacher unter Mitarbeit von André Lohmar, Herbert Mayer, Günter Wehner und Harald Wittstock.
Manuskripte der RLS 53, 2., korr. Aufl.
Zum Geleit
Wenn wir es nicht machen, wird es niemand tun – so lässt sich am besten die Haltung beschreiben, die den letzten Überlebenden, unterstützt von wenigen selbstlosen Enthusiasten, die Kraft verlieh, den Stoff, der dieses Buch ausmacht, zusammenzufügen.
Den Frauen und Männern, die bis 1945 außerhalb Deutschlands gegen das alle Freiheit und Menschenwürde zermalmende deutsche NS-Regime – die brutalste, heimtückischste und aggressivste Spielart des Faschismus – kämpften, ist in diesem Deutschland nur selten gedankt worden. Die meisten sind nicht nur vergessen, sondern wurden vorsätzlich vergessen gemacht.
Die Differenz zwischen dem sich antifaschistisch verstehenden Deutschland in den Grenzen der DDR und der sich selbst als Fortführerin des Deutschen Reiches deklarierenden Bundesrepublik wirkt noch immer fort. Dabei gab es Verdächtigungen, Verunglimpfungen, selbst Verfolgungen zu unterschiedlichen Zeiten in beiden deutschen Staaten, wenn auch zumeist gegensätzlich politisch motiviert, für ehemalige Widerstandskämpfer, die auf »Feindesboden« gegen den Hitlerfaschismus gekämpft hatten. Trotzdem war die Chance, »angenommen zu werden«, in der DDR unvergleichlich größer als in der BRD, in der 1951 vorzugsweise 730 000 bei der Entnazifizierung entlassene Beamte wieder eingestellt wurden – die so genannten 131er.
Im Staate Bundesrepublik, der Blutrichter nicht nur im Einzelfall alimentierte, wagte sich trotz permanenter Freiheitsbeschwörung und trotz freier Wahlen niemand, eine landesweite Vereinigung jener deutschen Minderheit zu bilden, für die Deutschsein Widerstand gegen den Hitlerfaschismus auch im Bunde mit dem Kriegsgegner, dem »Feind« nicht ausschloss. Erst nach dem Ende der DDR entstand eine solche – in allen Teilen Deutschlands wirkende – Organisation. Sie nennt sich »Deutsche in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung ›Freies Deutschland‹ e. V.«
Ohne Budget, von staatlichen Zuschüssen oder sonstigen Beihilfen von bemittelten Sponsoren ganz zu schweigen, aber mit viel gutem Willen ist auf Initiative von Gottfried Hamacher, der unterdessen in der zweiten Hälfte seines neunten Lebensjahrzehnts steht, das hier ausgebreitete Material in jahrelanger Arbeit zusammengetragen worden. Ihm, seinen fast gleichaltrigen Kameraden des antifaschistischen Widerstands wie auch jenen, die mit ihm dieses Buch – soweit sie sich noch im erwerbsarbeitsgebietenden Alter befinden: in ihrer Freizeit – fertig stellten, möchte der Verlag an dieser Stelle ausdrücklich danken.
Immer wieder haben sie Kriterien entwickelt, immer wieder mussten diese verworfen oder mindestens modifiziert werden. Zu vielfältig, zu lebensprall waren die Wege jener, über die hier Zeugnis abgelegt wird, als dass dies angemessen in den strengen Rahmen einer solchen Kurzdarstellung zu pressen wäre. Allerdings: Ein Kriterium ist geblieben. Wer als Deutscher während der Mordorgie des deutschen Faschismus, mit der die europäischen Völker überzogen wurden, nachweislich in den Streitkräften der Antihitlerkoalition, auch der französischen Résistance und den Aktionen der Partisanen und Widerstandskämpfer anderer Länder oder in der weltweiten Bewegung »Freies Deutschland« vor dem 8. Mai 1945 Widerstand gegen die Aggressoren, die schlimmsten Verderber auch der deutschen Nation, leistete, gehört in dieses Buch. Selbst wenn nur wenige Informationen vorlagen, ja nur Teile des Namens überliefert sind, war dies Grund, hier verzeichnet zu sein. Völlig gleichgültig ist auch, was zuvor oder danach an Politischem geleistet oder nicht geleistet wurde; entscheidend ist das Verhalten in der – biographisch gesehen – kurzen Zeitspanne des Krieges. Keinerlei Unterschied wurde ebenfalls gemacht zwischen den verschiedenen Formen des Widerstands: Ob mit der Waffe in der Hand, ob an einem Radiosender tätig, ob als Lehrer in einem Kriegsgefangenenlager, ob als Frontbeauftragte oder (in Großbritannien, Schweden und in den diversen Staaten Amerikas) als Mitglieder von Organisationen, die kollektiv der Bewegung »Freies Deutschland« beigetreten waren – entscheidend ist das Was und nicht das Wie.
Der Verlag ist – in freundlicher Absicht – von verschiedenen Seiten mehrmals gewarnt worden, dieses Buch der Öffentlichkeit zu übergeben. Nicht nur fehlen sehr viele Deutsche, die gerade in den Streitkräften der Staaten der Antihitlerkoalition, vor allem in der britischen, US-amerikanischen, australischen, kanadischen Armee sowie in der chinesischen Volksarmee gegen den Faschismus kämpften und von denen der kleinen Arbeitsgruppe, die dieses Buch erarbeitete, zumeist nicht einmal deren Namen zugänglich waren; auch sind viele Frauen, die oft nur im Stillen wirkten, bis heute in ihrer Leistung unerkannt geblieben; und: Politisch war der weltweite Widerstand der Deutschen außerhalb des Reiches breiter, als hier mitunter deutlich wird. Wenn das hier ausdrücklich vermerkt wird, übersehen die Herausgeber aber auch nicht, dass der Beitrag aller deutscher Widerstandskämpfer zusammengenommen – ob in Deutschland selbst oder an der Seite der Antihitlerkoalition – keinen Vergleich mit den Anstrengungen der Völker standhält, die den Absturz der menschlichen Zivilisation in die furchtbarste Barbarei verhinderten und mit der militärischen Zerschmetterung des Hitlerfaschismus und seiner Wehrmacht auch das deutsche Volk von seinen schlimmsten Feinden befreiten.
Einige dieser genannten Mängel dieser Publikation wurden selbstredend deshalb verursacht, weil es an Kraft, an Zeit und natürlich auch an Geld fehlte, all das schon veröffentlichte Material in einer Vollständigkeit auszuwerten, die wünschenswert, aber nur an einer akademischen Einrichtung zu leisten wäre. Um zu erinnern, wie es in Deutschland um solcherart Institutionen und um ihre Fähigkeit und Willigkeit bestellt ist, systematische Werke zu erstellen, wird kaum ein Leser der Belehrung bedürfen und deshalb damit hier auch nicht belästigt werden.
Vor die Wahl gestellt, dieses Buch zu publizieren oder weiterhin Teil der – nicht zuletzt akademischen – Verschweigensgemeinschaft in Deutschland zu bleiben, hat sich der Verlag entschlossen, zum einst gegebenen Wort zu stehen und das Buch zum 60. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus auf den Markt zu bringen. Hunderte Frauen und Männer erhalten mit diesem Buch ihre Ehre zurück – und das zählt.
Damit all den – hier zu Unrecht, wenn auch nicht mit Vorsatz – Ausgelassenen künftig gleiches wiederfahren kann, soll das Projekt fortgeführt werden. Jeder, der Ergänzungen, Korrekturen, auch Streichungen beitragen möchte, ist gebeten, sich an die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu wenden (handbuch@rosalux.de oder Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: 030 44310123, Fax: 030 44310123).
Ein Anfang ist also gemacht; möge er sich nicht als ein Ende herausstellen.
DER VERLAG