Publikation Globalisierung - International / Transnational - Amerikas Die Öffnung der Wasserhähne in Deutschland und Europa

Beitrag zum Weltsozialforum in Porto Alegre (26. – 29. Januar 2005). Trotz der erfolgreichen Volksabstimmung am in Uruguay, bei der der Schutz des Wassers in der Verfassung verankert wurde, gibt es in Europa keinen Anlass für große Euphorie. Die schleichende Entwicklung in der kommunalen Wasserwirtschaft setzt sich nämlich fort und verstärkt damit all jene Effekte, die den Wassersektor als Gegenstand des europäischen Wettbewerbsrechts prädestinieren: Gegenwärtig vollzieht sich ein leiser Konzentrationsprozess.

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Klaus Lederer,

Erschienen

Januar 2005

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Die erfolgreiche Volksabstimmung am 31. Oktober 2004 in Uruguay, bei der durch das Votum der Bevölkerung der Schutz des Wassers in der Verfassung verankert wurde, ist ein bedeutendes Zeichen für all diejenigen, die weltweit gegen Kommerzialisierung von Wasserressourcen und Wasserwirtschaft kämpfen. Die ökonomischen und politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre sind nicht überreich an Erfolgen mit Ausstrahlungskraft, die mehr Menschen für neue Wege mobilisieren und unser Selbstbewusstsein befördern können. Wenn es darum geht, wer in Zukunft den Zugriff auf Wasserressourcen und -infrastrukturen haben und nach welchen Prinzipien dies organisiert werden soll, brauchen wir dringend konkrete positive Erfahrungen, Ergebnisse und Vorbilder.

Die globalen Signale der jüngsten drei Jahrzehnte sind schon widersprüchlich. In Mar del Plata 1977 hat die Staatengemeinschaft das Recht aller Menschen auf Trinkwasser in ausreichender Qualität und Quantität für seine Bedürfnisse festgestellt. Dem schloss sich der Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 in seiner Agenda 21, Kapitel 18, an. Ehrgeizige Ziele wurden postuliert. Alle Menschen sollen bis zum Jahr 2025 Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, die Wasserbewirtschaftung von den Prinzipien nachhaltiger Entwicklung beherrscht werden. Auf der anderen Seite die internationale Wasserlobby in Marrakech 1997, in Den Haag 2000 und in Kyoto 2003, mit dem Ziel, Wasser zu einem Bedürfnis, zu einem ökonomischen Gut, umzudefinieren, dessen Bereitstellung nach den Grundsätzen des freien Wettbewerbs zu erfolgen habe. Die meisten Industriestaaten folgen inzwischen dem Washington-Consensus. Auch internationale Entwicklungshilfeinstitutionen setzen auf multinationale Unternehmen in der Wasserwirtschaft und versuchen, die Tauglichkeit dieser Strategie anhand ausgewählter Großprojekte erfolglos zu beweisen.

Wir werden genau beobachten müssen, wie die Resonanz der Freihandels- und Wassermarktlobby im internationalen Maßstab auf die Volksabstimmung in Uruguay aussehen wird. Ich denke, Reaktionen wird es geben. Wie die Auseinandersetzung um die Herrschaft über das Wasser in Uruguay – und in anderen Ländern der Region, die dem Beispiel möglicherweise folgen – ausgeht, ist von entscheidender Bedeutung auch für die Kräfteverhältnisse in den Zentren des Kapitals. Unsichere Investitionslagen lösen beim Kapital Fluchtreflexe aus. David Hall hat vom WWF III aus Kyoto berichtet, dass die multinationalen Unternehmen selbst eindeutig den organisierten Widerstand in den Ländern des Südens als ernsthaften geschäftlichen Hinderungsfaktor betrachten. Aber dieser fordert sie auch heraus. Auch die Weltbank hält an der Strategie privater Wasserwirtschaft fest. Der Druck auf die öffentliche Steuerung von Wassernutzung und Wasserwirtschaft nimmt zu, obgleich die Realität mit aller Deutlichkeit zeigt, dass die Übergabe der Wasserinfrastrukturen an multinationale Konzerne in finanzieller, sozialer und ökologischer Hinsicht ein Irrweg ist.

Dies zeigt sich – gerade im Vergleich zu Uruguay – auch an der deutschen und europäischen Lage. In der Bundesrepublik gibt es seit Jahrzehnten eine öffentliche Wasserbewirtschaftung. Wer Wasser nutzen will, kann dies nicht einfach tun, weil er z. B. Eigentum an Grund und Boden oder Eigentum an Wasserinfrastrukturen besitzt. Die Verfügung über Wasserressourcen ist dem allgemeinen Interesse untergeordnet. Damit ist es unmöglich, ein privates Eigentumsrecht an Wasserressourcen zu begründen, das zu dessen Ausnutzung und Ausbeutung berechtigt. Begründet wird dies mit der Bedeutung des Wassers als lebenswichtiges Gut und als Ressource. Wasser soll nicht der Verfügungsgewalt Einzelner unterworfen werden. Das deutsche Verfassungsgericht hat diese Grundentscheidung 1981 als mit dem Grundrecht auf Eigentum vereinbar und als für die Zukunftssicherung notwendig angesehen.

In den vergangenen Jahren ist der ökologische Aspekt des Wassers, der Ressourcenschutz, sogar noch stärker in den Vordergrund gerückt. Dies war ein Trend, der in allen europäischen Staaten mit unterschiedlichem Niveau beobachtet werden konnte. Der Prozess ist aber inzwischen ins Stocken geraten. Das wiederum hat auch mit Veränderungen in der Wasserwirtschaft zu tun. Diese Veränderungen drücken sich (noch) nicht so sehr in Liberalisierung oder Privatisierung aus. Aber schon die öffentlichen Betriebe sehen heute anders aus als noch vor zwanzig Jahren. Sie sind inzwischen anders organisiert und sie verhalten sich tendenziell anders. Ich will das kurz erklären:

Die deutsche Wasserwirtschaft befand sich bis vor wenigen Jahren in nahezu vollständig öffentlicher Regie. Die Kommunen waren zwar faktisch und rechtlich nur dafür verantwortlich, dass in ihrem Einzugsbereich diese Aufgaben ordentlich erfüllt werden. Es war aber niemand als die Kommunen selbst dazu fähig und in der Lage, eine leistungsstarke Wasserwirtschaft aufzubauen und zu unterhalten. 6.000 Unternehmen der Wasserversorgung und noch einmal so viele Abwasserentsorger in weitgehend kommunalem Eigentum prägen deshalb traditionell die Landschaft der deutschen Wasserwirtschaft. Ausgestattet mit festen Ver- und Entsorgungsgebieten boten sie viele Jahre in der Bundesrepublik die Garantie dafür, dass von Drittinteressen zwar nicht völlig unabhängige, aber zumindest repräsentativ-demokratisch beeinflussbare Akteure bezahlbare und zuverlässige Wasserver- und Abwasserentsorgung auf hohem Niveau betrieben haben. Die Kommunen hatten damit die Chance, „ihre“ wasserwirtschaftliche Infrastruktur im Einklang mit der kommunalen Entwicklungs-politik zu verändern.

Inzwischen sind viele Sektoren kommunaler Dienstleistungen auf europäische Initiative hin – und auch gestützt durch die herrschende deutsche Politik – für private Übernahmen geöffnet worden. Dies bildete die Grundlage für eine – von der Bundesregierung geförderte – Kapital- und Unternehmenskonzentration vor allem im Strom- und Gassektor, aber auch bei anderen bislang öffentlich erbrachten Leistungen. Ein Überschuss privat akkumulierten Kapitals infolge zurückgegangener Investitionsoptionen in den klassischen Verwertungssektoren sucht Renditeoptionen und hat den öffentlichen Sektor für sich entdeckt. Es winken saftige Rendite, denn bei Anlagen in Infrastrukturnetzen geht es um langfristig sichere hohe Beträge. So konnten z. B. Eon und RWE entstehen. Flankiert durch wirkungsvolle Privatisierungs-, Liberalisierungs-, Deregulierungsideologie, die von weiten Teilen der Bevölkerung im Grunde nachvollzogen wird, bieten sich derartigen Akteuren günstige Ausgangsbedingungen. Begründet wird die politische Unterstützung dieser Kapitalfraktionen damit, dass der „einheimischen Wirtschaft“ „gute Ausgangsbedingungen“ für den zunehmend globalisierten ökonomischen Aktionsraum geschaffen werden müssten.

Die Kommunen sind demgegenüber weitgehend finanziell am Ende. Früher vor allem Interessenvertreterinnen ihrer Bürger im Bundesstaat, auch in sozialer Hinsicht, betteln die Kommunen inzwischen, ächzend unter diesem fiskalischen Druck, nach Entlastung, um ihre Schulden im Griff zu behalten und Schuldendienste zu begrenzen. Aber auch der laufende Abbau sozialer Pflichtleistungen genügt kaum, die zusätzlichen Belastungen abzufangen, denen sie immer wieder ausgesetzt sind, weil die Umverteilungs-Steuerpolitik sie immer ärmer macht. Mit ihren öffentlichen Infrastrukturen gehen die Kommunen unterschiedlich um. Einige verkaufen als Tafelsilber, was sie los werden. Andere, vor allem Größere, versuchen, ihre Stadtwerke für einen expansiven Kurs fit zu machen. Wieder andere versteigern Lizenzen für ihre städtische Infrastruktur. Einige versuchen, mit ihren Unternehmen die öffentlichen Aufgaben gut zu erfüllen, sind dabei aber auch einem größeren Druck nach Rentabilität ausgesetzt. Dies zeigt sich auch an ihrer Organisationsstruktur, in der demokratische Steuerung und politische Mitwirkung an Gewicht verliert.

Es ist ein beachtlicher Erfolg von organisierter Bevölkerung, Kommunen, Gewerkschaften und Bundesländern, dass die Wasserwirtschaft bislang nicht wie Strom und Gas liberalisiert worden ist. Als die von Sozialdemokraten und Grünen getragene Bundesregierung vor 5 Jahren den Trinkwassersektor für den Markt öffnen wollte, führte der Gegendruck dazu, dass die Regierungsabgeordneten dem Vorhaben die Gefolgschaft verweigerten. Die Wettbewerbsrechts-Novelle wurde fallengelassen. Eine Absage an einen Kurs von Konzentration und privater Beteiligung war damit zwar nicht verbunden. Aber vorerst war der flächendeckende Einbruch des britischen oder französischen Szenariums im kommunalen Wassersektor ausgeschlossen.

Anlass für große Euphorie bietet das aber kaum. Und zwar nicht nur, weil die Debatte um die Perspektiven der Wasserwirtschaft kaum größere Bevölkerungskreise erreichte. Die schleichende Entwicklung in der kommunalen Wasserwirtschaft setzt sich nämlich fort und verstärkt damit all jene Effekte, die den Wassersektor als Gegenstand des europäischen Wettbewerbsrechts prädestinieren: Gegenwärtig vollzieht sich ein leiser Konzentrationsprozess. Große Versorger fassen strategisch Fuß. Sie kaufen sich in Stadtwerke ein, übernehmen Betreiberpflichten oder ganze Netze und Anlagen. Es liegt zwar noch prinzipiell bei den Kommunen selbst zu entscheiden, wie sie ihre Wasserwirtschaft in der Zukunft organisieren wollen.

Es wird aber – unter dem Druck von zunehmender Rechtsunsicherheit, Haushaltsproblemen, privaten Angeboten und nachhaltiger Marktgläubigkeit – immer schwerer, problemangemessene und souveräne Entscheidungen vor Ort zu treffen. Steigende technische und ökonomische Anforderungen an die Erhaltung öffentlicher Wasserwirtschaft sind ein Problem, weil die Ressourcenlage schlechter, technische Aufrüstung anstelle integrativer Wasserbewirtschaftung als eindimensionale Lösung immer noch favorisiert wird und die Wasserkultur nach wie vor zu wünschen übrig lässt. Public-Private-Partnerships dieser Art lösen das Problem aber nur für kurze Zeit. Hier gilt für die Gemeinden letztlich „Ihr könnt alles haben, wenn es bezahlt wird.“ Viele Kommunen lassen sich schon mangels Erfahrung auf verheerende Geschäfte ein. Aber auch sonst stehen ihre Unabhängigkeit in der Kalkulation, ihre haushaltsmäßigen Bindung (Garantien), ihre Infrastrukturpolitik (Kenntnisse, Interessen und faktischer Zugriff auf die Anlagen) und langfristig auch Qualität, Preis und Umfang der Leistung selbst (Verträge, Laufzeiten) auf dem Spiel. Da es um viel Geld geht, sind diese Geschäfte besonders anfällig für Bestechung und konspirative Absprachen zum Vorteil privater Interessen. Mittelständische Unternehmen, die sich nicht an den Finanzmärkten kapitalisieren (können) und weniger renditeorientiert agieren, werden aus privat-kommunaler Kooperation verdrängt und ggf. in die großen Versorger integriert.

Ein Beispiel für eine gravierende politische Fehlentscheidung, die auf lange Zeit die kommunalen Spielräume schädigt, ist die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe in meiner Stadt Berlin durch die damalige christdemokratisch-sozialdemokratische Stadtregierung 1999 zu einem möglichst hohen Kaufpreis. Für 1,5 Mrd. € erhielt ein inzwischen noch von den multinationalen Unternehmen RWE und Veolia je zur Hälfte getragenes Konsortium 49,9 % der Anteile an den Berliner Wasserbetrieben, und die Befugnis zur Betriebsführung. Die Mindestlaufzeit der dem Grunde nach auf Dauer abgeschlossenen Verträge beträgt 30 Jahre. Vereinbart wurde eine feste Verzinsung des Kapitals im Unternehmen. Berlin bürgte für eine entsprechende Rendite aus dem Haushalt. 3 Jahre lang wurden die Wasserpreise künstlich stabil gehalten. Die Verträge durften legal abgeschlossen werden. Man wusste in Berlin, worauf man sich einließ.

Die seit 2001 lokal regierende sozialdemokratisch-sozialistische Koalition hat nun die Wahl zwischen Pest und Cholera, nämlich entweder drastische Wasserpreiserhöhungen oder den Verzicht auf städtische Einnahmen zuzulassen... Derzeit versuchen wir einen Mittelweg zu gehen, denn die Erhöhung der Wassertarife hat Grenzen sozialer Zumutbarkeit. Im Rahmen der vorhandenen Kräfteverhältnisse stärken wir politische Belange in der Unternehmenspolitik und bestreben eine schärfere Unternehmenskontrolle. Inzwischen hat sich die Haushaltskrise noch zur Notlage verschärft. Die Stadt hängt faktisch am Tropf des Bundes und der anderen Bundesländer. Ihre Verschuldung ist so groß, dass selbst Rückkaufverhandlungen gegenwärtig aussichtslos sind. Wir werden sehen, ob sich hier mittelfristig Handlungsspielräume ergeben, um eine andere Machtkonstellation in der Wasserinfrastruktur zu schaffen. Immerhin sind die Beschäftigten bis 2014 vor Kündigungen gesichert. Aber auch dieses Zugeständnis trägt auf Grund der Risikoverteilung keiner der beteiligten Konzerne. Alles in allem haben wir also ein sehr diffiziles und – wenn überhaupt – schwer lösbares Zukunftsproblem. Aber im kommunalen Sektor gibt es auch gegenläufige, wenngleich schwache Tendenzen in eine andere Richtung. Die Nachbarstadt Potsdam hat einen Vertrag mit der Suez-Tochter Eurawasser aufgrund gravierender Preiserhöhungen gelöst, bei dessen vorheriger Anbahnung aber auch gravierende Fehler gemacht und Illusionen verbreitet wurden.

Wenn das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist, muss der Kampf gegen die Verpfändung von Wasserwerken und Stadtwerken geführt werden. Es geht darum, die Wasserwirtschaft transparent zu organisieren und zu re-politisieren. Hierfür gibt es keinen Königsweg, oft sogar wenig konkrete Ideen. Die aktuell hegemonialen kommunalen Modernisierungsstrategien wirken jedenfalls genau gegenteilig, so dass in den Kommunen selbst für die Kommerzialisierung der Boden bereitet wird. Die großen Gemeinden müssen gehindert werden, im Prozess der „Markteroberung“ direkt oder indirekt mitzuspielen, wie es z. B. der rekommunalisierte Wasserversorger Gelsenwasser vorhat. Die pluralistische organisierte Gegenöffentlichkeit braucht eine breitere Ausstrahlung und ziel – und problembewussteres Engagement. Es steht die Frage, welche durchsetzbaren Formen verantwortungsvoller, sozialer und ökologischer lokaler Ressourcenwirtschaft uns einfallen. Falls das nicht gelingt, heißt es zugunsten erträglicher Konditionen zu intervenieren.

Die Tendenz zur Privatisierung ist gegenwärtig nach wie vor ungebrochen. Die augenblicklich größte Gefahr für die Zukunft der Auseinandersetzungen vor Ort liegt bei der Europaebene, ist eine europäische Marktöffnungsdirektive. Die EU-Binnenmarktintegration wirkte bisher im Wassersektor nur indirekt: über Defizitgrenzen öffentlicher Haushalte, das europäische Vergabe- und Beihilferecht für öffentliche Dienstleistungen und über Standardvorgaben. Eine gezielte Liberalisierung der Wasserver- und Abwasserentsorgung wurde auf europäischer Ebene zwar immer wieder von einzelnen Mitgliedstaaten oder europäischen Repräsentanten in die Diskussion gebracht, es war von „Prüfaufträgen“ und Appellen an die Nationalstaaten die Rede, wie beispielsweise im Langen-Bericht des Europäischen Parlaments. Bislang konnte diese Strategie auf europäischer Ebene nicht durchgesetzt werden. Mittlerweile wird aber der Wind schärfer. Das Argument der Markt-Fetischisten: Wenn die engagierten Unternehmen groß genug sind und ihr Aktionsradius über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg reicht, dann ist der Wassersektor als europäisch „relevanter Markt“ einzustufen und den Bedingungen des europäischen Wirtschaftsrechts nach den wirtschaftlichen Grundfreiheiten des EG-Vertrags zu unterwerfen. Dass Wasser eine lebensnotwendige, knappe, verderbliche lokale Ressource ist, dass Wasserver- und Abwasserentsorgungsgebiete lokale Infrastrukturen sind, ändert demzufolge nichts daran, dass kommunale, dezentrale, geschützte Wasserver- und Abwasserentsorgung „wettbewerbsverzerrend den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen“ und folglich liberalisiert werden müssen. Hier liegt die entscheidende europapolitische Konfliktlinie.

Die Konzerne und nationalstaatlichen Regierungen sind starke Akteure in den europäischen Politiknetzwerken. Als Machtfaktoren verhandeln sie mit, wenn die EU bei den GATS-Verhandlungen unter den WTO-Mitgliedstaaten als Vertreterin all ihrer Mitgliedstaaten agiert. Der europäische GATS-Beitrag wurde dadurch politisch abgekoppelt von den nationalstaatlichen Liberalisierungsauseinandersetzungen. Nach wie vor sind in den meisten EU-Staaten öffentliche Stellen Träger der kommunalen Wasserwirtschaft. Die Niederlande verboten 2000 sogar die Privatisierung per Regierungsbeschluss. Großbritannien, ein europäischer Akteur mit großem Einfluss, hat in den 1970er Jahren seine Wasserwirtschaft in großen Flussgebietsbehörden politisch zentralisiert und dann verkommen lassen. Ende der 1980er Jahre überführte die Thatcher-Regierung die Trinkwasserversorgung dauerhaft in private Monopole. Preise und Umweltstandards werden seitdem durch Regulierungsbehörden überwacht, die Ergebnisse sind mäßig. Die Konzentration der privaten Verfügung über die Infrastrukturen bildete eine starke Basis für die Verwertung privater Investitionen und für expansive Unternehmenspolitik. In Frankreich, einem Land mit über 150-jähriger PPP-Tradition, beherrschen Suez Lyonnaise und Veolia die Szene. An diesen beiden Modellen knüpft die Debatte um die Wasserwirtschafts-Liberalisierung an. Die deutsche Entwicklungshilfe und Wirtschaftspolitik betont ebenfalls die Chancen des Wettbewerbs – vor allem die Exportchancen.

Mit Blick auf bevorstehende neue GATS-Schritte, so kündigte es die Europäische Kommission schon in ihrer „Binnenmarktstrategie der EU 2004-2006“ an, müsse auch im europäischen Binnenmarkt an der Wettbewerbsfähigkeit des „Euroraumes“ gearbeitet werden. Dienstleistungen seien ein entscheidender Wachstumsmarkt. Zu Beginn des Jahres 2004 legte schließlich der Wettbewerbskommissar Frits Bolkestein den Entwurf einer Richtlinie vor, die erklärtermaßen einen marktbezogenen Konvergenzprozess der mitgliedstaatlichen Regulierungsregimes nahezu aller Dienstleistungssektoren, einschließlich der kommunalen Wasserwirtschaft, in Gang setzen soll. Diese Richtlinie ist ein Generalangriff auf die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regulierungssysteme und -traditionen der Mitgliedstaaten. Wenn sie europäisches Recht wird, dann verändert sich das Gesicht Europas rapide.

Es sollen im Grunde sämtliche Dienstleistungen liberalisiert werden, für die eine wirtschaftliche Gegenleistung denkbar ist. Sie sind „neutral und transparent“ zu vergeben, d. h. in der Regel europaweit auszuschreiben. Dies umfasst u. a. soziale, Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen, natürlich auch Wasserver- und Abwasserentsorgung. Weiterer Kern der Richtlinie ist die Einführung des Herkunftslandprinzips. Danach sind die Staaten für Kontrolle und Regulierung der Dienstleistungserbringung zuständig, in denen das Dienstleistungsunternehmen seinen Sitz hat. Zwar gilt dies nicht für alle Sektoren, u. a. ist Wasser ausgenommen. Aber kein Sektor könnte sich vor den ökonomischen Kräfteveränderungen und sozialen Dumpingprozessen abschotten, kein Mitgliedstaat mehr effektiv sektorübergreifend und in konkreten Fällen Wirtschaftskontrolle ausüben. Das ging selbst der deutschen Länderkammer, dem Bundesrat, zu weit. Es ist zu vermuten, dass in einem solchen Prozess alsbald lokale Qualitätsstandards und Investitionsverpflichtungen, Vorgaben für Preispolitik und Transparenzvereinbarungen als „Handelshemmnisse“ auf den Prüfstand gestellt werden. Die absehbare Folge dessen wäre eine Erosion des Öffentlichen. Auf kommunaler Ebene sind dann viele Auseinandersetzungen um die Zukunft der Wasserwirtschaft nicht mehr zu entscheiden.

Viel Zeit bleibt nicht, um zu intervenieren. Wasser ist ein kostbares Gut, das wissen viele Menschen. Es eignet sich für den Kampf um die Deutungshoheit, weil hier viele bereit sind, das politische Problem ernst zu nehmen und sich zu positionieren. In der Bundesrepublik sind schon jetzt die Schwierigkeiten unübersehbar, das verfassungsrechtlich begründete Schutzprogramm für die Wasserressourcen faktisch zu sichern und durchzusetzen. Mit „Bolkestein“ wäre auch die öffentliche Wasserbewirtschaftung in weiten Teilen erledigt. Es geht also jetzt nicht mehr nur um den Wasserpreis, sondern um den Vorrang der politischen Entscheidung vor privaten Zugriffsrechten auf lebenswichtige, begrenzte Ressourcen. Die Parallelen zur WTO und zu GATS sind unübersehbar. Konzipiert als Einbahnstraße der Entwicklung, mit einer Rechtsetzungsbehörde, die Vorgaben in Größenordnungen an der Zahl produziert, ein Gerichtshof, der ihre Einhaltung überprüfen und Verstöße sanktionieren kann – eine rechte Marktmachtbürokratie.

Wir bestehen auf einer anderen Form, die internationalen wie lokalen Angelegenheiten im Umgang mit Wasser zu regulieren. Dies wird ohne langen Atem nicht durchzusetzen sein. Wir können uns aber auch in jüngerer Zeit auf internationale Stimmen beziehen, die unseren Konsens laut vernehmbar in den politischen Raum tragen. So appellierte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Vieira de Mello 2003 in Kyoto an die Staatengemeinschaft, den Zugang zu Wasser in völkerrechtlich verbindlicher Form als Menschenrecht zu verankern. Und das „Peoples World Water Forum“ 2004 in Delhi forderte in seiner Abschlusserklärung eine Weltwasserkonvention, die Wasser als lebenswichtige Naturressource, an der alle partizipieren können, in den Mittelpunkt stellt. Wenn dabei nicht hehre Bekenntnisse zum Wasser entstehen sollen, die seine kommerzielle Verwertbarkeit unberührt lassen, muss es möglichst verbindlich zugehen. Wir müssen deshalb schon jetzt aus den vielen widersprüchlichen lokalen Erfahrungen schöpfen, um gemeinsam konkrete Anforderungen an ein soziales und nachhaltiges globales Wasserregime abzuleiten.