Die „Wasser des Oktober“ hat Eduardo Galeano die Wahlergebnisse und die des Plebiszits gegen die Privatisierung des Wassers in Uruguay genannt. Das Fass war zum Überlaufen voll. Die Mehrheit der Uruguayer wollte Veränderungen und nutzte das Plebiszit zur Absage an neoliberale Politik.
Zum gleichen Zeitpunkt wie in Uruguay fanden Kommunalwahlen in Chile statt.
Die Schatten der Diktatur ließen das Land über Jahre in politischer Ruhe erstarren.
Auf dem Versuchsfeld neoliberaler Politik, wie Chile unter der Diktatur genannt wurde, setzte die nach Beendigung der Diktatur gewählte Koalition (Regierung der „Concertacion“ aus den Christdemokraten, der Sozialistischen Partei und anderen) die von Pinochet eingeleitete Entwicklung fort. Ausverkauf der nationalen Reichtü-mer, insbesondere des Kupfers, Deregulierung des Arbeitsmarktes und bedin-gungslose Öffnung des Landes für das internationale Finanzkapital bewirkten eine tiefgehende soziale Spaltung des Landes und die Zerstörung nationaler Produkti-onskapazitäten in Industrie und Landwirtschaft. Die chilenische Gesellschaft wurde sozial fragmentiert und grundlegend verändert. Steigende Arbeitslosenzahlen, Zu-nahme des informellen Arbeitsmarktes und soziale Exklusion zeichneten das Bild der chilenischen Gesellschaft in den 90er Jahren.
Die Wahlen vom 31. Oktober 2004.
Das Ergebnis der Wahlen ist ein erstes Zeichen für veränderte politische Verhält-nisse. Eine Bewegung mit dem Namen PODEMOS erreichte ein beachtliches Er-gebnis von 9,14%. Gewählt wurden für sie vier Bürgermeister (alcaldes) und neun-zig Abgeordenete (consejales) in kommunale Räte.
Die PODEMOS , die sich im Dezember 2003 aus 22 Parteien (darunter die Kom-munistische und Humanistische Partei) und politischen Organisationen gebildet hatte, vertritt antineoliberale Positionen und lehnt die Politik der herrschenden Koa-lition im Interesse der nationale Souveränität und einer gerechten sozialen Politik ab.
Im Vergleich zu vergangenen Wahlen, da die KP, z.B., nur 5,12% erreichte, ist das Ergebnis ein Erfolg. So schätzen alle in der Bewegung vereinten Organisationen ein, dass das Ergebnis nur möglich wurde, weil sie gemeinsam handelten. Das progressive Chile mit einer grossen Tradition der Frente Unido fand zu geeigneten Formen im politischen Kampf zurück, was von einem Teil der Bevölkerung sofort honoriert wurde.
Gleichzeitig erlitten sowohl die Parteien der Concertaciòn wie auch die der rechten Opposition Stimmenverluste (ca. 500.000 Stimmen weniger für beide Koalitionen). Politik- und Parteienverdruss führte dazu, dass 10% der Bevölkerung (ca. 2 Mio. Bürger), darunter viele Jugendliche, sich überhaupt nicht in die Wahllisten einge-tragen hatten. Die Ergebnisse der Wahl spiegeln wieder, dass die chilenischen Gesellschaft in Bewegung geraten und eine neue politische Situation entstanden ist. In den Krei-sen der PODEMOS [PODEMOS – Movimento Poder Democrático y Social (im Spanischen heisst podemos – „wir können“). So ergibt sich die Losung „Junto PODEMOS“ – „Gemeinsam können wir“.] herrscht Freude und Zuversicht. Mit dieser Wahl hat sich die Bewegung als neues politisches Subjekt im Lande etabliert. Mit dem landesweiten Streik, zu dem die Gewerkschaftszentrale CUT im Juni 2003 aufgerufen hatte, wurde eine Protestwelle eingeleitet, die nicht mehr abebbte. Be-sonders die Nationale Föderation der Gelegenheitsarbeiter mobilisierte landesweit zu weiteren Aktionen.
Der Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen der Pinochet-Diktatur
Nicht nachgelassen hat der Kampf um die Verfolgung der Menschenrechtsverlet-zungen während der Pinochet-Diktatur. Die Aufdeckung illegaler Konten und un-rechtmässig erworbener Kapitalien brachte Pinochet vor Gericht. Ein oberster Richter verhing Hausarrest gegen den 89-Jährigen. Gleichzeitig wurden seine Kon-ten gesperrt und Grundstücke des Pinochet-Clans beschlagnahmt. Das hatte zur Folge, dass selbst rechte Kreise von Pinochet abrückten.
Eine eingesetzte parlamentarische Untersuchungskommission, die über 30.000 Menschenrechtsverletzungen untersuchte, übergab kürzlich den „Bericht über Haft und Folter“ an Präsident Lagos. Erstmalig nach dem Ende der Militärdiktatur wird im Bericht anerkannt, dass das Regime folterte, tötete, verbannte und schwerwie-gende Menschenrechtsverletzungen beging.
Der Oberkommandierende der Armee Chiles, Cheyre, meldete sich mit einem of-fenen Brief „Ende einer Vision“ zu Wort. Der General teilte der erstaunten Öffent-lichkeit mit, dass die Armee die Entscheidung getroffen hat, „die auf den Kalten Krieg konzentrierte Konzeption zu verlassen“. Und weiter: „Die Armee Chiles kam zur harten, aber unumstösslichen Entscheidung, die Verantwortung als Institution für strafrechtlich und moralisch nicht akzeptable Taten zu übernehmen.“ Offen bleibt aber, welche konkreten Schritte die Armee unternehmen wird, um die Schul-digen aus ihren Reihen konkret zur Verantwortung zu ziehen. Bleibt der Brief nur eine symbolische Geste, kann damit die Auseinandersetzung mit der blutigen Ver-gangenheit keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden.
Aus diesem Grunde fordert die Öffentlichkeit die Publizierung des Berichtes durch den Präsidenten und die Annahme eines schon vorliegenden Gesetzentwurfes zu den Menschenrechts-Verletzungen durch das Parlament.
Das erste Sozialforum Chiles
Das beeindruckendste Ereignis des Forums war die Demonstration von über 50.000 Menschen zu seiner Eröffnung am 18. November im Zentrum der Haupt-stadt Chiles. Es war die grösste Manifestation seit 14 Jahren.
Aus allen Gegenden des Landes waren sie gekommen, um gegen die Politik der Regierung und gegen die Anwesenheit des US-Präsidenten Georg W. Bush zu protestieren. Bush hielt sich aus Anlass der Konferenz der APEC-Staaten in Chile auf.
Auf Plakaten und Transparenten forderten die Demonstranten die Beendigung des Krieges im Irak, die Annulierung des Vertrages über Freihandel USA-Chile und protestierten gegen die Folgen der neoliberalen Globalisierung.
Als Anti-APEC- Veranstaltung gedacht, gestaltete sich das Forum als Raum offe-ner Debatten und alternativer Diskussionen. Die APEC-Konferenz verlief hinter verschlossenen Türen, unter scharfer Bewachung der Carabinieros und der einge-flogenen Sicherheitsleute aus den USA und damit unter völligem Ausschlusses der Öffentlichkeit.
Das Forum dagegen hatte an den zweiTagen seines Verlaufs einen kaum erwarte-ten Zulauf. Über 12.000 Personen beteiligten sich an den Seminaren, Debatten und Kulturveranstaltungen. Allein in der Universidad Academia de Humanismo Cristiano waren es 9.000 Beteiligte. Die Universität glich einem Bienenschwarm. Mindestens 70% der Besucher waren junge Menschen, die die unterschiedlichsten Organisationen und sozialen Bewegungen vertraten. In den Debatten zeigten sie sich politisch interessiert und aufgeschlossen. Sie äusserten ihre Sorgen über die sozialen Zustände im Lande, stellten Fragen und suchten Antworten, wie es in Chi-le, ihrem Land, weitergehen soll.
Wie auch andere Sozialforen vorher war das chilenische ein offener Raum, vielsei-tig und demokratisch. Zu den Problemen des Landes wurden Vorschläge und Al-ternativen erarbeitet.
Selbst der konservative „Mercurio“ konnte nicht umhin, die Hauptaussage des Fo-rums zu dokumentierten: „Wir wollen ein anderes Chile, eine andere wirtschaftliche Realität, andere Minister, die das Volk repräsentieren, und eine Politik im Interesse der Menschen.“