Publikation Krieg / Frieden Die Politik der rot-grünen Regierung in Fragen Sicherheit und Konfliktprävention

Beitrag zur Konferenz "RLS zeigt Flagge in Russland" am 5. und 6.6.2000 in Moskau

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Tobias Pflüger,

Erschienen

Juni 2000

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1. Der Kontext der rot-grünen Außen- und Militärpolitik: Krieg gegen Jugoslawien

Wenn wir über die Politik der rot-grünen Bundesregierung in Fragen Sicherheit und Konfliktprävention reden, dann ist es zentral, noch einmal zurückzuschauen, was zu Beginn der rot-grünen Regierungszeit geschehen ist. Die rot-grüne Regierung war gewählt, aber noch nicht im Amt, und die NATO beschloß - im übrigen mit Zustimmung sowohl der alten als auch der neuen bundesdeutschen Regierung - einen Krieg gegen Jugoslawien zu beginnen. Deshalb muß man, wenn man über die Politik der rot-grünen Regierung in Fragen Sicherheit und Konfliktprävention spricht, zuerst einmal über den Jugoslawienkrieg als grundlegenden Paradigmenwechsel deutscher Außen- und Militärpolitik reden. Ohne Blick auf dieses Geschehnis ist die rot-grüne Außen- und Militärpolitik nicht seriös zu bewerten. Dieser NATO-Angriffskrieg war völkerrechtswidrig, verstieß gegen das Grundgesetz (z.B. Artikel 26.1. Verbot eines Angriffskrieges u.a.), gegen den 2 + 4 Vertrag und gegen das bis dahin geltende NATO-Statut. Es war aber vor allem ein Krieg, der in der Bundesrepublik mit hahnebüchenden historischen Vergleichen insbesondere der Minister Joschka Fischer und Rudolf Scharping begründet wurde, von denen sie heute nichts mehr wissen wollen. Fischer setzte bekanntlich in der us-amerikanischen Zeitschrift "Newsweek" während des Krieges Slobodan Milosevic mit Hitler und Stalin gleich. Damit erreichte Fischer dreierlei: Die kriegstypische personalisierende Verteufelung und Entmenschlichung des Gegners ("des Feindes"), die Verharmlosung des Holocaust, der Shoa und allem, wofür der Begriff Auschwitz steht, und als Zugabe quasi noch die Wiedereinführung der Totalitarismustheorie.

Ziele dieses Krieges waren die Zerstörung der wirtschaftlichen Infrastruktur von Gesamtjugoslawien und eine Terrorisierung der Zivilbevölkerung z.B. durch Streubomben. Klaus Naumann, früherer Generalinspekteur der Bundeswehr und später Vorsitzender des Militärausschusses der NATO, heute pensioniert und Vorsitzender der Clausewitz-Gesellschaft, brachte es in einem Referat vor genau dieser Gesellschaft auf den Punkt (nachzulesen in der Militärzeitschrift "Europäische Sicherheit" 11/99): "Wir haben eine ungemein intensive Bombardierung durchgeführt, dabei 38 000 Einsätze geflogen und ungefähr 20,2 Millionen amerikanische Pfund an Munition über Jugoslawien abgeworfen... Ob wir nur 13 Panzer getroffen haben, wie der britische Observer berichtet oder ob es 110 sind, weiß ich nicht. Die Wahrheit wird irgendwie dazwischen liegen. Es werden weniger als 110 sein, aber deutlich mehr als 13... Wenn man militärische Mittel zur Durchsetzung eines politischen Ziels anwendet, dann muß man sich fragen: Wo treffe ich den Gegner am empfindlichsten? Und was hätte Milosevic denn getroffen? Doch nicht die Zerstörung von Bodentruppen. Einem kommunistischen Diktator ist es egal, wieviele Menschen sterben. Was ihn trifft, ist der Verlust jener Mittel, die seine Macht stützen. Das ist die Polizei, das ist die Beherrschung der Medien und das sind die Industriebarone, die ihn mit Geld unterstützen, und natürlich dann auch deren Anlagen. Als wir diese Ziele mit phantastischer Präzision zerstört haben, da fing der Prozeß des Einlenkens an."

Dieser Krieg war auch gegen die weltpolitische Rolle Russlands gerichtet, dazu wieder Naumann: "Einer, der nicht zur Allianz gehört und hoffentlich niemals dazugehören wird, nämlich Rußland, war mit beauftragt, Verhandlungen zu führen... Noch nie habe ich in der Allianz eine solche Empörung erlebt wie in dieser Phase. Es war schädlich für den Zusammenhalt der Allianz... Man sollte nie wieder in einer Krise die Stabführung wechseln und schon gar nicht jemanden an der Stabführung des Krisenmanagements beteiligen, der noch nicht einmal gleiche Ziele hat wie wir. Und Rußland hatte in keiner Phase des Konflikts identische Ziele mit der NATO. Rußland hatte vielleicht ein Ziel, das mit unseren oberflächlich identisch war: Es wollte einen Krieg in Europa verhindern. Aber nur an der Oberfläche ist das identisch. Warum wollte Rußland einen Krieg verhindern? Um den Präzedenzfall zu verhindern, mit dem künftig Gewalt ohne Mandat der Vereinten Nationen angewendet werden kann. Sie fürchten diesen Präzedenzfall angesichts der nicht von der Hand zu weisenden Gefahr innerer Probleme Rußlands, und sie fürchten, daß Interventionen von dem Präzedenzfall abgeleitet werden könnten. Naumann: Der Gedanke, wir könnten in Rußland intervenieren, weil im Kaukasus sich die Völker die Köpfe einschlagen, ist absurd. Aber es ist nicht untypisch für russisches Denken, diese Versicherung haben zu wollen. ... Wir haben ihnen gezeigt, daß sie keine Chancen haben, Interventionen der NATO durch ein Veto Rußlands zu behindern. Und ich hoffe, Moskau hat das verstanden."

Der zentrale Bruch bezüglich deutscher Außen- und Militärpolitik fand jedoch nicht am 24. März 1999 mit dem Kriegsbeginn statt, sondern schon deutlich vorher, der Bruch war am 16. Oktober 1998 erfolgt: An diesem Tag hatte der alte Bundestag den Beschluß gefaßt, ein Bombardement von Jugoslawien solle unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommen werden. Dieser Beschluß war völkerrechtswidrig, weil er eine selbstmandatierte NATO-Aktion vorsah. Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) hatte damals dazu eine Stellungnahme geschrieben und formuliert: “Das ist rot-grüne Kriegspolitik.” Wir haben eine ganze Reihe von Reaktionen auf diese Stellungnahme bekommen, weil sehr viele Leute gesagt haben: “Kriegspolitik? Nein, das ist keine Kriegspolitik, diese Regierung wird keinen Krieg führen. Nicht wenige hatten sich von einer anderen Bundesregierung auch eine friedensorientierte Politik erhofft, die auch auf Konfliktprävention setzen würde. Daraufhin haben wir formuliert, daß wir befürchten, daß dieser Beschluß ein Vorratsbeschluß sein wird, der erst sehr viel später mit einer Militäraktion umgesetzt werden würde. Günter Verheugen sagte damals im Bundestag, daß dies kein Vorratsbeschluß sei. Er würde nur für die Situation im Oktober 1998 gelten. Wir wissen inzwischen alle, dass es ein Vorratsbeschluß war und daß damit die bisherige Nachkriegsordnung zu Ende war und eine Vorkriegsordnung begonnen hat, nämlich eine Vorkriegsordnung vor dem Krieg gegen Jugoslawien. Interessant an diesem Beschluß war, dass er sehr einvernehmlich gefällt wurde. Mit Ausnahme der PDS-Fraktion und einzelner Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und SPD wurde dieser Beschluß im gesamten Bundestag mitgetragen. Ob der Stellenwert dieses Beschlusses in den Medien der Bundesrepublik wirklich klar vermittelt wurde, ist zu bezweifeln, viele meinten, daß man zuerst mal die neue Regierung machen lassen sollte.

Kurz nach diesem Bundestagsbeschluß wurde der Koalitionsvertrag zwischen Bündnis 90/Die Grünen und SPD abgeschlossen. Und dieser Koalitionsvertrag hat im Bereich Außen- und Militärpolitik die Überschrift: “Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik”. Unter dieser Überschrift fanden sich jedoch eine ganze Reihe von Formulierungen, die der Überschrift widersprechen. Zum Beispiel die Formulierung, daß die neue Bundesregierung die Konzentration der Luft- und Raumfahrtindustrie fördern will. Konzentration der Luft- und Raumfahrtindustrie heißt Konzentration der Luftwaffenindustrie, also Konzentration der DASA und Lagadère Matra, wie inzwischen erfolgt.

In diesem Koalitionsvertrag heißt es außerdem, daß die NATO in der bestehenden Form akzeptiert wird, mit einer Ausnahme, dass die sogenannte Erstschlagsoption bei Atomwaffen thematisiert werden sollte.

2. Die neue NATO-Strategie

Ein zentrales Ziel des NATO-Krieges war es, einen Testlauf für die neue NATO-Strategie durchzuführen, die am 24. April 1999 ein Monat nach Kriegsbeginn beim NATO-Gipfel in Washington verabschiedet wurde.

Diese neue NATO-Strategie hat im wesentlichen drei Kernelemente:

A. "Selbstmandatierung": Die NATO gibt sich in Zukunft selbst ein Mandat für Militäreinsätze. Das bedeutet eine effektive und offensive Aushebelung der UNO, eine Stärkung militärischer Organisationen und eine Schwächung zivilerer zwischenstaatlicher Organisationen. In der neuen NATO-Strategie wird dazu betont: "In diesem Zusammenhang erinnert das Bündnis an seine späteren Beschlüsse in bezug auf Krisenreaktionseinsätze auf dem Balkan." U.a. dies zeigt, der Jugoslawienkrieg war ein Muster für zukünftige NATO-Kriege und nicht eine "bedauerliche Ausnahme".

B. Interventionismus: Es wurde festgelegt, daß es sogenannte "nicht Artikel 5 Krisenreaktionseinsätze" geben soll. Im Art. 5 des NATO-Statutes heißt es, daß wenn ein NATO-Land angegriffen wird, wird dies als Angriff auf alle NATO-Staaten verstanden. Diese Formulierung hat den Mythos des Verteidigungsbündnisses NATO begründet. Ab sofort wird die NATO nicht mehr nur für "Verteidigung" sich zuständig fühlen, sondern auch sogenannte "Nicht-Art. 5 Einsätze" (also Angriffsaktionen wie gegen Jugoslawien) durchführen. Die regionale Zuordnung, wo diese Einsätze stattfinden sollen, wurde in der neuen NATO-Strategie weitestgehend offengelassen.

C. Kampfeinheiten: Durch eine Umstrukturierung der NATO-Armeen sollen noch mehr kleinere, kampforientierte Einheiten (also Krisenreaktionskräfte - KRK) geschaffen werden. Die US-Amerikaner sprechen in diesem Zusammenhang von sogenannten "Warfighting-Profis". In Deutschland gibt es einen Vorboten dieses neuen NATO-Armeetypus: Die Elitekampftruppe "Kommando Spezialkräfte (KSK).

Die NATO hat damit den Schritt vom (offiziellen) Verteidigungsbündnis hin zum militärischen Interventionsbündnis gemacht.

3. Die neue Bundeswehr, der zweite Schritt

Krieg und Kriegsführung sind mit der neuen NATO-Strategie auch für die Bundesrepublik und damit für die Bundeswehr wieder zum "normalen" Mittel von Politik geworden. In Deutschland findet derzeit eine umfassende Debatte statt über die weitere Ausrichtung der Bundeswehr. Dazu wurde eine Kommission unter der Leitung des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eingesetzt und der Generalinspekteur der Bundeswehr Hans-Peter von Kirchbach (der oberste Soldat) wurde beauftragt, ein eigenes Planungspapier zu weiteren Entwicklung der Bundeswehr vorzulegen. Beide Papiere sind geprägt von der Grundlinie eine bessere "Kriegsführungsfähigkeit" der Bundeswehr zu erreichen. Zentrales Ziel in der jetzt folgenden Debatte in Deutschland muß es jetzt sein, eine strukturelle Kriegsführungsunfähigkeit und strukturelle Angriffsunfähigkeit der Bundeswehr zu erreichen. Dies ist insbesondere dadurch möglich, daß die Komponenten der Bundeswehr abgerüstet werden, die militärisch die Kriegsführungsfähigkeit herstellen und die gefährlichste militärische Qualität ausmachen, dies sind die Krisenreaktionskräfte bzw. Einsatzkräfte von 157.000 Soldat/inn/en (Kirchbach-Papier) bzw. 140.000 Soldat/inn/en (Kommissions-Bericht). Deshalb haben wir die Forderung aufgestellt, qualitative Abrüstung einleiten, Auflösung der Krisenreaktionskräfte bzw. Einsatzkräfte einschließlich der Elitekampftruppe Kommando Spezialkräfte (KSK).

Jetzt wird in Deutschland vor allem über zwei – eigentlich unwichtigere Punkte heftig diskutiert: Die Zahlenstärke der zukünftigen Bundeswehr und die Wehrpflicht. Die Reduzierung der Bundeswehr auf 240.000 (Kommission) oder 290.000 (Kirchbach) Mann und Frau ist keine Abrüstung, es ist aufgrund der Aufstockung der Einsatzkräfte (früher Krisenreaktionskräfte / KRK) eine qualitative Aufrüstung! Deshalb ist ein Begrüssen einer rein zahlenmässigen bzw. quantitativen Abrüstung kontraproduktiv, es muß darum gehen, die Teile der Bundeswehr abzurüsten, mit denen Krieg geführt werden könnte! Die isolierte Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht ist ebenfalls kontraproduktiv. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist weder im Kirchbach-Papier noch im Kommissionsbericht vorgesehen. Aber insbesondere im Kommissionsbericht wird mit der Einführung eines "Auswahlwehrdienstes" das Ende der Wehrpflicht eingeläutet. Das Ende der Wehrpflicht wäre endlich das Ende eines staatlichen Zwangsdienstes. Doch: Wenn nur die Wehrpflicht fallen würde, aber die Bundeswehr weiter qualitativ aufgerüstet wird, sprich wenn die Kriegsführungsfähigkeit weiter ausgebaut wird, dann ist dies zwar für die betroffenen Männer individuell zu begrüssen, doch friedenspolitisch ist dies ein enormer Rückschritt. Die Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht muß deshalb immer in den Gesamtkontext gestellt werden, zentrales Ziel muß sein, die Bundeswehr strukturell angriffsunfähig zu machen. Die Frage der Wehrpflicht ist nicht die zentrale Frage der deutschen Militärpolitik, die zentrale Frage ist, ob eine Interventionsarmee gewünscht wird oder nicht, wir sollten uns für die Verhinderung einer solchen kriegsfähigen Armee einsetzen. Aus dieser obigen Feststellung wird von manchen die Schlußfolgerung gezogen, dann müßten sie sich für den Erhalt der Wehrpflicht einsetzen, weil damit eine Interventionsarmee verhindert werden könnte. Auch diese Schlußfolgerung ist kurzsichtig. Auch bisher ging Wehrpflicht und der Ansatz einer Interventionsarmee zusammen. Ein Beibehalten der Wehrpflicht verhindert die Kriegsführungsfähigkeit nicht. Das Kirchbach-Papier hatte als Vorgabe, genau die Kombination von Wehrpflicht und Interventionsarmee zu erreichen, der Kommissionsbericht versucht mit der Einführung der Auswahlwehrpflicht beides unter einen Hut zu bekommen. Nach wie vor bleibt für die Bundeswehrführung die Wehrpflicht die "beste" Rekrutierungsmöglichkeit von späteren Berufs- und Zeitsoldaten. Deshalb: Pro-Wehrpflicht-Positionen sind auch kontraproduktiv!

Die neue NATO-Strategie wird derzeit auf die Bundeswehr durchdekliniert. Die NATO ist ein Interventionsbündnis geworden, die EU ist auf dem Weg zur Militärmacht und die Bundeswehr wird verändert in eine Profi-Interventionsarmee (so sagt dies zumindest die konservative Zeitung "Die Welt"). Wir stehen nun in der Bundesrepublik vor der Aufgabe den Menschen die konkreten Auswirkungen der Militarisierung bewußt zu machen. Wie sieht diese Militarisierung konkret aus? Die durch die neue NATO-Strategie und die EU-Militarisierung veränderte und kriegstauglicher gemachte neue Bundeswehr greift viel weiter in zivile Bereiche der Gesellschaft ein, als das bisher der Fall war.

- Die Bundeswehr hat während des Jugoslawien-Krieges begonnen mit ausgewählten Kliniken zivilmilitärisch zusammenzuarbeiten, d.h. es gibt dort einen gegenseitigen Austausch von Personal "schon in Friedenszeiten" für die spätere Nutzung bei "Landes- und Bündniseinsätzen".

- Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das Frauen ermöglicht in Zukunft auch Waffendienst in der Bundeswehr zu leisten, zu Frauen in die Bundeswehr paßt hervorragend in die neue Militärkonzeption: Es fehlen der Bundeswehr derzeit Freiwillige also Menschen die den tödlichen Job machen wollen. Diese Lücke kann nun mit engagierten Frauen aufgefüllt werden.

- Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden immer häufiger genutzt als Begleitprogramm zu Militäreinsätzen. NGO's dürfen Nachsorge betreiben, wenn zuvor ein heißer Krieg geführt wurde, oder sie sind Begleitprogramm für Militäreinsätze, so wie dies während des Jugoslawienkrieges war. Hier ist von den NGO's mehr Eigenständigkeit und mehr Distanz zum Militär notwendig.

- Es gibt jetzt eine umfangreiche Zusammenarbeit zwischen privaten Firmen und Bundeswehr. "Eine strategische Partnerschaft auf dem Weg in den modernen Staat" sei das. In Teilen der Bundeswehr findet "Outsourcing" und Privatisierung statt. Ein umfangreicher Personalaustausch zwischen Bundeswehr und den beteiligten Firmen ist vorgesehen. Zu den Firmen gehören auch bisher vollständig zivile Firmen aus allen möglichen Branchen. Wieder findet eine zivilmilitärische Vermischung statt. Kriegführung wird teilprivatisiert.

4. Die Bedeutung der deutschen und der NATO-Entwicklung für die russische Politik

Was hat diese Entwicklung nun für eine Bedeutung für russische Politik und russische Wissenschaft? In US-amerikanischen Zeitungen wird geschrieben, daß die Bundesrepublik nun dabei sei, als erster Staat nach den USA professionelle Strukturen für Militäreinsätze zu schaffen. Deutschland ist mal wieder der Musterknabe diesmal innerhalb der NATO. Für Russland ist deshalb diese Entwicklung zentral, weil sich viele Militärs und (un-)verantwortliche Politiker schon wieder dahingehend äußern, daß sie sich auch Militäraktionen der NATO z.B. im Kaukasus vorstellen können. Oberstleutnant i.G. Dr. Wilfried Herrmann, Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr, schreibt z.B. in der Zeitschrift Europäische Sicherheit November 1999: "Zusammenfassend ist hervorzuheben, daß an der geostrategischen Peripherie der NATO Konfliktpotentiale existieren, die ähnlich wie der Kosovo in eine Krise eskalieren können. Einer der wichtigsten Bereiche mit einem hohem Eskalationsrisiko ist die kaspische Region, in der innerstaatliche wie zwischenstaatliche Konflikte vorhersehbar erscheinen. Da diese Region nicht nur in der ethnischen und religiösen Zusammensetzung problematisch, sondern zugleich der Schnittpunkt der Interessen der Vereinigten Staaten, Rußlands, der Türkei, der Volksrepublik China und des Iran ist, können noch komplexere Szenarien entstehen als auf dem Balkan. Vor allem die Möglichkeit der direkten Konfrontation der NATO mit Rußland, dem Iran und/oder der Volksrepublik China lassen das Kaspische Meer zur Schlüsselregion der nächsten Jahre werden. Dabei geht es jedoch nicht nur um eine (globale) Verantwortung der NATO für die Ziele Demokratisierung, Menschenrechte und soziale Marktwirtschaft, sondern auch um konkrete Rivalitäten um essentielle Ressourcen wie Wasser und Öl sowie die dazugehörige Infrastruktur. Das bedeutet für die NATO-Mitgliedsländer und deren politische Verantwortlichen die frühzeitige Beschäftigung mit der Region sowie die Entwicklung präventiver diplomatischer und wirtschaftlicher Ideen, bevor die anstehenden Konfliktpotentiale zu einer "heißen" Krise a lá Kosovo eskalieren."

Klaus Naumann, schreibt im gleichen Heft im übrigen seinen Artikel unter der Überschrift: "Der nächste Konflikt wird kommen - Erfahrungen aus dem Kosovo-Einsatz".

Immer mehr Staaten treten dem NATO-Programm "Partnerschaft für den Frieden" bei. Das PFP-Programm ist im Grunde genommen nichts anderes als eine "NATO-Mitgliedschaft light". Russische Politik sieht sich also - zusammengefaßt - einer anderen Bedrohung gegenüber als bisher, die NATO ist zu einem "Unsicherheitsbündnis" geworden. Die NATO bedroht mit ihrem Verständnis von "Sicherheit" inzwischen andere Länder. Frieden und Gerechtigkeit für viele Menschen in vielen Staaten sind nur noch gegen die NATO möglich. Die Rücknahme der neuen völkerrechtswidrigen NATO-Strategie, die Angriffselemente enthält, ist deshalb die Forderung der Stunde.

5. Die Bedeutung von Konfliktprävention in der deutschen Außen- und Militärpolitik und Ausblick

Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, die neue NATO-Strategie und die Umwandlung der Bundeswehr in eine Profi-Interventionsarmee sind die Gesamtzusammenhänge, innerhalb derer die Initiativen zur Konfliktprävention gesehen werden müssen, die von der deutschen Regierung auch unternommen werden. Neben der Beteiligung an OSZE-Aktionen, die hier nicht Thema sind, hat die Bundesregierung in zwei Ministerien Programme ziviler(er) Konfliktbearbeitung gestartet. Das Auswärtige Amt z.B. bildet "ziviles Personal für internationale Einsätze im Ausland" aus. Dazu schreibt Staatsminister Ludger Volmer: "Die Kosovo-Missionen von NATO, OSZE und VN machen zugleich deutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit von militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten in einem Einsatzgebiet ist." Im Werbeprospekt heißt es dann: "Alle diese Themen werden von Spezialisten aus dem In- und Ausland unterrichtet, die auf ihren Gebieten über internationale Praxis verfügen. Zu ihnen gehören u. a. die Bundeswehr, die Polizei, das Forum Ziviler Friedensdienst sowie renommierte Forschungsinstitute." Aufgrund der Entwicklung bei der Bundeswehr (hin zu einer Profi-Interventionsarmee) und innerhalb der NATO (zu einem Interventionsbündnis ohne klar umrissenen räumlichen Zuständigkeitsbereich -Madleine Albright spricht von der NATO als Bündnis nicht mehr zur Verteidigung von Territorium sondern zur Verteidigung gemeinsamer Interessen), ist die Vermischung militärischer und ziviler Aktionen hochproblematisch. Beim Programm des Auswärtigen Amtes handelt es also im Grunde genommen sich um ein "ziviles Begleitprogramm" bzw. ein "ziviles Nachsorgeprogramm" für Militäraktionen. Das zweite Programm, das die Bundesregierung gestartet hat, hat sie im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), landläufig auch Entwicklungshilfeministerium genannt, angesiedelt. Dort bekommen der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) und Organisationen aus dem Zusammenhang des sogenannten "Zivilen Friedensdienstes" (ZFD) Zuschüsse für Programme zivile Konfliktbearbeitung vor Ort. Dieses Programm ist glaubwürdiger und könnte ein erster Ansatz sein, Konfliktprävention in den Vordergrund zu stellen. Zentral ist jedoch, der "Zivile Friedensdienst" muß, wenn er glaubwürdig bleiben will, klar zivil bleiben und das bedeutet dann auch klar militärkritisch. Die finanzielle Dimension der Programme der zivilen Konfliktbearbeitung und von bundesdeutschen Militärausgaben zeigen das (Un-)Verhältnis von Anstrengungen im Zivilbereich und im Militärbereich. 17,5 Millionen DM sind im Haushalt 2000 für beide Programme ziviler Konfliktbearbeitung vorgesehen, die Militärausgaben der Bundesrepublik Deutschland betragen im Jahr 2000 nach NATO-Kriterien 59,6 Milliarden DM. Das ist ein Verhältnis von 3.405 : 1. Oder 0,00029 % der Militärausgaben werden für diese zivilen Programme ausgegeben. Ein Verhältnis das sich dringend ändern muß!

*Tobias Pflüger aus Tübingen (Baden-Württemberg) ist Politikwissenschaftler, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., einer Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich zur Aufgabe gestellt hat, über die Außen- und Militärpolitik insbesondere Deutschlands zu informieren, Pflüger ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift "Wissenschaft und Frieden", Autor der Bücher "Krieg in Jugoslawien" (1994, ausverkauft) und des Buches "Die neue Bundeswehr" (1996/1997), er promoviert gerade (mit einem Promotionsstipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung) über neue deutsche Militärpolitik. Er ist angeklagt (3.500,- DM) wegen "Öffentlicher Aufforderung zur Fahnenflucht" (an die Soldaten aller Kriegsparteien während des Kosovo-Krieges bzw. NATO-Krieges gegen Jugoslawien), Prozeßtermin 28.06.2000, Amtsgericht Tübingen