Weder migrationspolitische Themen noch Veranstaltungen in den westlichen Bundesländern sind ganz neu für die RLS - erinnert sei z.B. an die Großkonferenz "Grenzübertretungen. Rechtsextremismus, Migration, Geschlechterverhältnisse in Polen, Tschechien und Deutschland" (Berlin 2001), die Tagungen "Gewerkschaften - Migration - Frauen" (Hamburg 2000 und 2001) oder die "Out of this World"-Kongresse (Bremen 2000 und 2002). Und doch: Mit "Kommen und bleiben. Migration und interkulturelles Leben in Deutschland" am 24./25. Mai in Köln wurde eine neue Qualitätsstufe sowohl der Beschäftigung mit dem Themenfeld Migration als auch in der Arbeit in den alten Ländern erreicht. Migrationspolitische Fragen waren erstmals alleiniger Gegenstand einer RLS-Tagung, und erstmals fand eine (der in diesem Jahr sechs) Schwerpunktveranstaltungen in den alten Bundesländern statt. Die Hamburger Tagung "Sirenen der Ökonomie" am 21./22. Juni wird dann die zweite "West"tagung im Rahmen der "Schaltjahr 2002"-Reihe sein.
Bemerkenswert war die produktive und unkomplizierte Zusammenarbeit zwischen der RLS und der (noch) ausschließlich ehrenamtlich tätigen Mitveranstalterin RLS NRW. Die engagierte Beteiligung von StipendiatInnen der Stiftung bei der Vorbereitung und Durchführung insbesondere der AGs (AG 2 Interkulturalität als Herausforderung, AG 4 Arbeit - Migration - Gewerkschaften, AG 5 Diskussionsforum "Fundamentalismus") wie die Einbeziehung von RLS-geförderten Projekten (z.B. Projekt "Sind Sie mit der Abschiebung einverstanden" von StudentInnen der Humboldt-Universität Berlin) trugen gleichfalls zum Gelingen der Tagung bei.
Insgesamt nahmen etwa 120 TeilnehmerInnen an der Tagung teil, davon ein großer Teil mit einem - im weitesten Sinne - Migrationshintergrund. Nach Altersgruppen und Geschlechtern war das Publikum heterogen zusammengesetzt, wobei die jüngeren und mittleren Jahrgänge dominierten. Die No-Integration-Revue von Kanak Attak im Rahmenprogramm der Tagung hatte etwa 150 bis 180 BesucherInnen.
Für den Erfolg der Tagung steht, daß es gelang, Mitwirkende verschiedener Generationen aus Politik, antirassistischer Arbeit, migrantischer Selbstorganisation und Wissenschaft zusammenzuführen. Auch wenn scheinbar keine großen politisch-inhaltlichen Differenzen bestanden, waren die vorgetragenen Problemsichten so durchaus unterschiedlich. Während z.B. die Referenten des ersten Abends Tayfun Keltek von der LAGA NRW und Ali Sönmez von der IG BAU als Vertreter der ersten Einwanderergeneration mit einem eher gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Hintergrund sich verhalten positiv auf den Integrationsbegriff - wenn auch nicht seine Ausformung durch die politische Mehrheit in Deutschland - bezogen, lehnten die weit jüngeren AktivistInnen des Netzwerks "Kanak Attak" den Integrationsbegriff radikal ab und setzten auf Zuspitzung und Provokation. In der Debatte um Illegalisierte, Flüchtlings- und Asylpolitik (AG 3) traten bei grundsätzlich ähnlicher Ausrichtung Unterschiede in der Radikalität der Kritik an herrschender Politik sowie in der Frage zu Tage, ob eine umfassende Legalisierungskampagne für Illegalisierte oder ein nach unterschiedlichen Gruppen von "Illegalisierten" differenzierter Einsatz sinnvoller wäre. Und in der AG 4 blieb z.B. strittig, ob in der offiziellen Gewerkschaftspolitik eine positive Veränderung im Umgang mit "Illegalisierten" festzustellen sei.
Sicherlich aber waren bei Mitwirkenden und TeilnehmerInnen die Felder der Übereinstimmung vorherrschend. Einig war man sich in der kritischen Distanz zum offiziösen, Medien und Politik dominierenden Zuwanderungsdiskurs, der ökonomistisch die Frage nach der "Nützlichkeit" von Einwanderung ins Zentrum stellt, menschenrechtliche Prämissen abwertet und MigrantInnen primär als "Sicherheitsrisiko" begreift. Konstatiert wurde, daß die deutsche Gesellschaft und die praktizierte Politik nach wie vor weit davon entfernt sind, den Gegebenheiten eines Einwanderungslandes Rechnung zu tragen und Normalität und Chancenreichtum interkulturellen Lebens anzuerkennen. Die jüngsten gesetzgeberischen Schritte, insbesondere das Zuwanderungsgesetz, fanden vor dem Hintergrund des Anspruchs auf eine emanzipative Migrationspolitik allgemeine Ablehnung.
Eine so breit angelegte Überblickstagung zu den verschiedenen Aspekten von Migration, Interkulturalität und Antirassismus kann manches freilich nicht vertiefen. Einige Themenstellungen insbesondere in den AGs hätten präziser sein können. Die Kontroversen müßten künftig noch stärker auf die für Linke zentralen Widersprüche und Probleme ausgerichtet werden. Durch die große Zahl qualifizierter ReferentInnen und Mitwirkender blieb für Diskussionen teilweise zu wenig Zeit. Manch produktiver Gedanke, wie z.B. der nach den Konturen einer Praxis von migrantischer Interessenvertretung und sozialer Sicherung, die den Fallen von Ethnizität und Focussierung auf den Nationalstaat entgeht (AG 4), konnte nicht weiter verfolgt werden. Und trotz guten Willens gelang es zwar in den Arbeitsgruppen, nicht aber in den Plenumsteilen, eine ausgewogene Mischung von Frauen und Männern unter den ReferentInnen/DiskutantInnen zu erreichen. Absagen von Referentinnen konnten qualitativ gleichwertig durch Referenten ersetzt werden, für den Anspruch der RLS war aber die geringe Vertretung von Frauen in den Plenumsteilen dennoch nicht ideal. Auch hätten Gender-Gesichtspunkte stärker in die einzelnen Themen integriert werden können.
Die weitere Beschäftigung der RLS mit Migration und Interkulturalität wird versuchen, sich auf Themenverknüpfungen zu konzentrieren, zu denen wir bereits Kompetenz erworben, Interesse gefunden und z.T. "Marktlücken" aufgetan haben. Ziel ist es dabei, Zusammenhänge von unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen und Diskriminierungen - nach Schicht bzw. Klasse, Geschlecht und ethnischer Herkunft - zu thematisieren und nach gemeinsamen emanzipatorischen Anknüpfungspunkten zu suchen, ohne die unterschiedlichen Problemlagen wegdiskutieren zu wollen. "Gleichheit und Teilhabe" könnte eine Überschrift für diesen Ansatz lauten, der aus der Migrationsthematik folgende Aspekte einschließen soll:
- Migration & "Gender";
- Migration & Arbeit/Gewerkschaften;
- Linke und Migration - Widersprüche, Problemlagen (u.a.: Sozialstaat ohne Nationalstaat?, Unterschichten und MigrantInnen);
- Illegalisierte, Flüchtlinge, Asylpolitik - vernachlässigte Themen des politisch-medialen Mainstreams;
- Kooperation mit und Unterstützung von migrantischer Selbstorganisation.
Klar ist: Dies wird sicherlich nicht das letzte gemeinsame größere Vorhaben von RLS und RLS NRW gewesen sein. Und nicht die letzte Veranstaltung, die Migration und Antirassismus zum Gegenstand hat; Themen, ohne die eine linke Stiftung weder Gleichheit noch Partizipation ausreichend buchstabieren kann.
Konferenz: Kommen und bleiben. Migration und interkulturelles Leben in Deutschland. am 24./25. Mai 2002 in Köln, in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen.