Publikation Krieg / Frieden Wieder Krieg? Öffentliche Meinung in Deutschland gespalten

von Dietmar Wittich

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Dietmar Wittich,

Erschienen

Oktober 2001

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Zu Ergebnissen erster repräsentativer Umfragen

Als der Krieg der NATO unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland im März 1999 gegen Jugoslawien begann, ließen Informationen darüber, wie die öffentliche Meinung in unserem Lande darauf reagierte, auf sich warten. Der Markt der Meinungen überließ das Thema völlig den Linken, in der Wochenzeitung FREITAG konnte ich einige Informationen bringen, aber sie hatten nur geringe Wirkung. Für diese eigenartige Zurückhaltung gab es einen guten Grund: Es war in Deutschland keine Mehrheit für diesen Krieg zu finden; der erste Waffengang deutscher Soldaten in einem fremden Land nach Ende des 2. Weltkrieges traf auf umfangreiche Ablehnung (1) . Aber das Volk sollte nicht wissen, was es selber dachte.

Diesmal ist alles anders, schon am Abend des 11. September hatte EMNID eine Frage in eine laufende Erhebung aufgenommen, weitere folgten an den nächsten Tagen, Ergebnisse wurden im Nachrichtensender N-TV am 15. September präsentiert.

Der Schock der Ereignisse und die Dramaturgie der Meinungsbildung

Der Krieg gegen Jugoslawien war in einem hohen Maße abstrakt. In Erinnerung geblieben sind Bilder, auf denen am dunklen Himmel Blitze von Detonationen zu erkennen waren. Vorangegangen war eine lange Periode, in der mit Berichten über Greueltaten "der Serben", mit einem Gemisch von Informationen und erfundenen Horrormeldungen ein Feindbild vermittelt werden sollte. Angesichts dieser Informationslage blieb ein großer Teil der Bevölkerung skeptisch hinsichtlich der kriegerischen Mittel, für die sich die Regierungen der NATO-Staaten entschieden hatten.

Die terroristischen Angriffe auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington waren konkret. Die Akteure des barbarischen Massakers hatten die Ereignisse selbst als Medienspektakel inszeniert. Die Welt wurde Zeuge, wie die entführten Linienflugzeuge als mit Passagieren bestückte Großwaffen ihr mörderisches Werk taten. Millionen haben die zur Hilfe anrückenden Feuerwehren gesehen, deren Besatzungen Minuten später zu Opfern wurden. Die Welt war schockiert, niemand hatte mit derartigem gerechnet.

In einer solchen Situation steht die empirische Sozialforschung vor dem Problem, einerseits reagieren zu müssen, aber andererseits nicht über systematisch vorbereitete Instrumente zu verfügen. Ein Ausweg besteht darin, sich bei der Messung von Meinungen sehr nahe an die Sprache der Politik und der medialen Berichterstattung zu halten. "Arabische Terroristen" und "harte militärische Vergeltung" waren an diesem 11. September immer häufiger benutzte Vokabeln. EMNID fragte noch am gleichen Abend nach der Meinung zu der Aussage "Die USA sollten mit aller militärischen Härte gegen die arabischen Staaten vorgehen, falls arabische Terroristen für die Anschläge in den USA verantwortlich sind.". Die Formulierung war zugespitzt, sie war bewußt so gewählt, und ich möchte betonen, daß ich das für legitim halte. Jede unscharfe Formulierung hätte unklare Ergebnisse provoziert. Die repräsentative Umfrage ergab: Fast die Hälfte der Bevölkerung - gleichermaßen in West und Ost - stimmte der Aussage und damit einem harten militärischen Vorgehen der USA zu.

Am nächsten Tag war der Öffentlichkeit das volle Ausmaß der Tragödie bewußt geworden. Eine Welle der Solidarisierung hatte eingesetzt und auch deutsche Politiker versicherten uneingeschränkte Solidarität. An diesem Tag wurde nach der Meinung zu der Aussage gefragt: "Deutschland sollte die USA im Kriegsfall als Bündnispartner militärisch unterstützen.". Dabei wurde offen gehalten, welcher Art diese Unterstützung sein könnte. 73 Prozent der Westdeutschen und 62 Prozent der Ostdeutschen stimmten dem zu. Diese Steigerung gegenüber dem Vortag ist nur dadurch zu erklären, daß der Schock seine Wirkung voll entfaltet hatte, aber nicht verarbeitet war.

Am 13. September, als Mutmaßungen darüber einsetzten, welche militärische Mittel als wirksame Gegenreaktion in Frage kommen könnten, war es die Aussage "Bei einem möglichen Militärschlag der NATO sollten auch Bodentruppen eingesetzt werden.", zu der Meinungen erfragt wurden. Die Reaktionen waren wesentlich zurückhaltender: 39 Prozent der Westdeutschen und 36 Prozent der Ostdeutschen stimmten diesmal zu. Da auf die NATO abgestellt war, wurde damit darauf angespielt, daß auch deutsche Truppen in Einsatz kommen könnten und damit Kinder, Enkel oder Nachbarn der Befragten. Vielen waren sicher auch noch die Bilder vom Abzug der geschlagenen sowjetischen Truppen aus Afghanistan im Gedächtnis.

Diese Ergebnisse dokumentieren eine durchgängige Ablehnung und Empörung über diesen Terror gegen die USA, sie belegen eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen West und Ost in dieser Wertung. Sie machen den zeitlichen Ablauf nachvollziehbar, in dem sich die öffentliche Meinung in Deutschland aufbaute, und sie umreißen zugleich die Ausgangslage, von der aus diese öffentliche Meinung auf kommende Ereignisse reagieren wird.

Ausgangssituation: Polarisierung der Meinungen

Der Umfang der Zustimmung verdeutlicht in der Umkehrung zugleich, in welchem Maße in der deutschen Öffentlichkeit der Einsatz militärischer Mittel und Kräfte als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September abgelehnt wird. Die Hälfte der Deutschen ist gegen harte militärische Gegenschläge der USA, ein Viertel bis ein Drittel ist gegen eine militärische Unterstützung seitens Deutschlands und knapp zwei Drittel sprechen sich gegen den Einsatz von Bodentruppen der NATO aus.

Das sind beileibe keine Solidarisierungen mit den Terroristen.

Der gemeinsame Nenner der hier vorgestellten Fragen besteht darin, daß es bei allen Unterschieden im konkreten Kontext jeweils um den Einsatz militärischer Gewalt ging. Das macht es legitim, die Daten zu aggregieren, und dadurch die Verteilung grundsätzlicher Positionen in der öffentlichen Meinung zu verdeutlichen. Dabei entstehen drei Gruppen, eine die in irgendeiner Weise militärische Mittel befürwortet, eine zweite, die die jeweiligen militärischen Mittel ablehnt, und eine dritte, die dazu keine Meinung geäußert hat.

Als Ergebnis wird sichtbar, wie sich im geschilderten zeitlichen Verlauf die Konstellation der Meinungen gestaltet hat.Der Eindruck, den die Werte vermitteln, ist: Insgesamt sind Befürworter und Gegner militärischer Gewalt in der öffentlichen Meinung etwa gleich stark vertreten, im Westen sind etwas mehr für militärische Optionen, im Osten etwas mehr gegen sie, aber diese Unterschiede sind graduell. Zwischen 8 und 11 Prozent äußern keine Meinung. Übersetzt in die Realität des gesellschaftlichen Raumes der politischen Meinungen heißt das: Wir haben es mit einer klaren Polarisierung der Positionen zum Einsatz von militärischer Gewalt zu tun, diese Positionen stehen nicht nebeneinander, sie stehen gegeneinander.

Das ist die Ausgangslage, sie wird sich verändern, wenn die angekündigten militärischen Aktionen in Gang kommen. Mit voller Wucht wird sich dann die Polarisierung als Kampf der Meinungen auch artikulieren. In welchen Kräfteverhältnissen sich das entfalten wird, ist gegenwärtig noch unklar.

Warum findet militärische Gewalt diesmal mehr Akzeptanz?

Die Gründe, warum der Krieg von 1999 abgelehnt wurde, lagen zum einen darin, daß ein UNO-Mandat nicht vorlag, und zum anderen war es die Beteiligung deutscher Streitkräfte, die auf den verbreitete Zweifel stieß, ob sie in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz stünde. Diesmal ist nicht nur insgesamt die Akzeptanz kriegerischer Maßnahmen höher, einer deutschen Beteiligung wird dabei noch besonders intensiv zugestimmt. Warum das so ist, darüber können zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Mutmaßungen angestellt werden.

Die Gründe sind vielschichtig. Zum einen gibt es diesmal im Kern ein klares Feindbild, es hat sich in brutalster Offenheit selbst inszeniert. Die diffusen Randzonen dieses Feindbildes werden bisher noch nicht so deutlich. Zum anderen waren die Ereignisse selbst unmittelbar medial und außerordentlich eindringlich vermittelt. Zugleich werden sie als "näher" oder gar "hautnah" empfunden, die Solidarisierung ist umfassender, weil eine Gefährdung der eigenen Welt, der Welt Nr. 1, der Welt der "westlichen Zivilisation" wahrgenommen wird. Nach einem massenhaften Wertekanon darf es nicht sein, daß die reale und gewollte globale Überlegenheit dieser Welt Nr. 1 so massiv in Frage gestellt wird. Das mobilisiert stark verbreitete subtile rassistische Ressentiments (2) ("Der weiße Mann ist durch den verschlagenen Angriff legitimiert, hart zurück zu schlagen!").

Dilemma der Politiker: Niemand kann auf ungeteilte Zustimmung rechnen

Bei den zu erwartenden Aktionen steht zuerst die Regierung und damit die Regierungskoalition vor der Notwendigkeit von Entscheidungen. Aber auch die anderen im Bundestag vertretenen Parteien müssen in der Folge ins Kalkül ziehen, wie ihre Positionierung in der Öffentlichkeit und bei ihrer jeweiligen potentiellen Wählerschaft aufgenommen und bewertet wird. Und da haben alle Parteien ein Problem: Die Polarisierung der Meinungen zieht sich durch die Wählerschaften aller Parteien. Das ist für diese insofern von Bedeutung, als sie kalkulieren müssen, daß - wie auch immer ihre konkrete politische Position aussieht - sie nicht auf die ungeteilte Zustimmung in den eigenen Klientelen stoßen werden. Die gegenwärtige Regierungsparteien sind davon mit am stärksten betroffen. In der Wählerschaft der SPD sind die Meinungen klar gespalten, Befürworter und Gegner militärischer Mittel halten sich die Waage. Bei den Grünen ist nur ein reichliches Viertel für den Einsatz militärischer Gewalt. Am relativ häufigsten werden militärische Mittel in den Anhängerschaften von CDU/CSU und FDP akzeptiert. Sie werden dabei von den rechten Parteien noch übertroffen, und auch das sollte beachtet werden, ein Einsatz militärischer Mittel bedient vor allem Gesellschaftsbilder und Erwartungen rechter Kräfte und Potentiale. Aber auch im Umfeld der PDS ist ein Drittel für den Einsatz militärischer Mittel, die Gegner dieser Mittel sind zwar in der Mehrheit, aber auch die PDS wird nicht beide Positionen gleichzeitig bedienen können.

Zu erwarten ist, daß es - wie auch bereits 1999 - zu Veränderungen in den politischen Kräfteverhältnissen kommen wird. Gegenwärtig scheint ein Rechtsruck durch die Gesellschaft zu gehen, schlechte Zeiten für Linke. Offen ist, ob es dabei bleibt.

Politische Stimme der Gegner militärischer Eskalation

  • Zum einen besteht ein Koexistenz zwischen einerseits wertkonservativen und andererseits traditionsbezogegnen Positionen. Die wertkonservative Position artikuliert sich in der Meinung, daß Ordnung wieder hergestellt werden muß (und deshalb werden militärische Einsätze befürwortet). Traditionsbezogenen Positionen können sowohl antiimperialistisch als auch pazifistisch oder einfach humanistisch motiviert sein, aus denen heraus militärische Gewalt strikt abgelehnt wird.
  • Die zweite Trennlinie scheint in Zusammenhang zu bestehen mit der Frage: Vergeltung oder nicht Vergeltung. Diese Trennlinie betrifft ein besonders interessantes Segment im Umfeld sozialistischer Politik, sie betrifft eine Gruppierung möglicher Wählerinnen und Wähler, dabei überwiegend Frauen, gut qualifiziert, beruflich aktiv - ein junges aktives qualifiziertes Potential, in das die PDS erst vorzudringen beginnt. Hier stößt die Forderung nach Vergeltung gegenwärtig auf viel Verständnis.

Im politischen Spektrum der Bundesrepublik wird die PDS wie schon 1999 die einzige politische Stimme für Gegner militärischer Gewalt und militärischer Eskalation sein. Sie wird diese Aufgabe wahrnehmen müssen; aber das wird nicht ohne zwischenzeitliche Einbußen und Positionsverluste abgehen können. Zunächst wird die PDS verlieren, weil ihre Ablehnung von militärischen Maßnahmen und der Beteiligung der NATO von manchen als antiamerikanisch gewertet wird, und sie wird verlieren, weil anderen ihre Positionen nicht antiimperialistisch genug sind. Das sollte sie in Kauf nehmen, denn in der Substanz geht es weder um Antiamerikanismus noch um Antiimperialismus. Sozialistische Politik ist zuerst humanistische Politik. Das bedeutet heute eine Gradwanderung. Es schließt einerseits Solidarität mit Maßnahmen ein, die der Verfolgung der Täter und Hintermänner der Terroranschläge dienen, um sie einer gerechten Strafe zuzuführen.

Aber alle militärischen Aktionen, die zum Erreichen dieses Zieles in Gang gesetzt werden können, schließen nicht nur die Gefahr ein, daß Unschuldige und Nichtbeteiligte in großem Umfang getötet oder verletzt können, daß Städte zerstört und schon verwüstete Regionen noch mehr verwüstet werden können, sie können auch der Beginn militärischer Eskalation sein. Sie können, beginnend in den armen Ländern des arabischen Raumes, einen Flächenbrand entfachen, von dem niemand weiß, wohin er führt. Allerdings ist zu befürchten, daß ein islamistischer Imperialismus keineswegs weniger unmenschlich ist als die bisher bekannten Spielarten. Gegen all das muß sich sozialistische Politik klar positionieren. Eine Alternative sehe ich - bei allen Risiken - nicht.

Berlin, 1. Oktober 2001

Nachtrag am 08.10.2001

Unmittelbar vor dem Wochenende, an dem die USA militärische Gegenschläge begannen, wurden diese ersten Ergebnisse noch einmal bestätigt. Nach repräsentativen Umfragen favorisiert in Deutschland eine Mehrheit Gespräche und diplomatische Mittel im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

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(1) Dietmar Wittich: Wahlzeiten, Kriegszeiten, andere Zeiten. Betrachtungen eines ostdeutschen Soziologen. Erscheint demnächst im VSA-Verlag Hamburg.

(2) Link zu dem Papier "Fremdenfeindlichkeit in Deutschland" (pdf, 58kb).