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"Lokalberichten" Nr. 5/2004, vom 4.3.2004 Zur Wahl in Hamburg 2004
Zwar hat Schill in seinen beiden Varianten den Wiedereinzug deutlich verpasst, ebenso die FDP. Aber zum zweiten Mal hintereinander hat sich der Bürgerblock - um einen durch die Springer-Presse im 2001er Wahlkampf gebrauchten Begriff für das rechte Lager jenseits von Rot-Grün aufzugreifen - in der ehemals sozialdemokratischen Hochburg Hamburg als mehrheitsfähig erwiesen. Innerhalb des Bürgerblocks hat die CDU an Stimmen aufgesogen, was die Schill-Parteien und die FDP verloren haben, und so einen erheblichen Stimmenzuwachs und die absolute Mehrheit der Sitze erreicht. Eine detailliertere Analyse der CDU-Ergebnisse dürfte interessante Aufschlüsse geben. Aber auch auf den ersten Blick ist festzustellen, dass der Konservatismus nach Frankfurt, Köln und anderen Großstädten auch in Hamburg auf dem Weg ist, seine traditionellen Probleme mit der Großstadtbevölkerung und bei (vor allem jüngeren) Frauen 1 zu lösen. Das wirft die gründlich zu erörternde Frage auf, wie ihm das gelingt.
Die Auffassung, der Erfolg der CDU resultiere aus einem weit verbreiteten Bedürfnis, die Politik der rot-grünen Bundesregierung, und insbesondere der SPD, abzustrafen, bietet eine nur unzureichende Erklärung. Eher hat Enttäuschung über die SPD viele frühere SPD-Wählerinnen und -Wähler veranlasst, nicht zur Wahl zu gehen. Auch die These, dass die Medien, namentlich die Springer-Presse, die Themen des Wahlkampfes bestimmen und mit ihrer Macht den Wahlausgang manipulieren, greift zu kurz: Erklärungsbedürftig ist ja, warum welche Themen greifen, welche Erwartungen, Hoffnungen, Ängste sie bedienen und wie diese zu Stande kommen.
Wahrscheinlicher scheint mir erstens: Angesichts des großen Wählerstroms erst v.a. von der SPD zu Schill und dann von Schill zur CDU drängt sich auf, dass sich viele - wahrscheinlich zutiefst verunsicherte - Menschen an die Macht anlehnen, bei Schill 2001 sozusagen an das Prinzip der Macht, jetzt an die CDU als die reale Macht.
Zweitens: Ein erheblicher Teil der Hamburger Bevölkerung (insbesondere Besserverdienende und Akademiker, wie die ersten Wahlanalysen zeigen) richtet ihre Hoffnungen auf die CDU als Partei mit einem Modernisierungskonzept, die Hochtechnologie anzieht, die "Zukunftsbranchen" wie IT, Medien, Life Sciences wie Medizintechnik und Biotechnologie, Nanotechnologie, Luftfahrtindustrie entwickelt, Forschungseinrichtungen fördert, Hamburg als Standort moderner Dienstleistungen sichert und ausbaut, mit dem "Sprung über die Elbe" u.ä. lang angestaute Strukturprobleme anpackt usw. usf. Die CDU hat den Eindruck vermitteln können, Zukunft zu bieten. Sie hat sich, das hat gerade Ole von Beust vermitteln können, selbst modernisiert und damit - z.B. durch Anerkennung unterschiedlicher Lebensweisen - Barrieren beseitigt, die ihr vormals den Zugang zu vielen Großstadtmilieus verbaut haben.
Ob ihr Entwicklungskonzept, das auf schroffer sozialer Polarisierung gründet und auf Repression der Bevölkerungsteile, denen es jede Zukunft von vornherein verbaut, ob also dieses Entwicklungskonzept greift und die Hoffnungen, die es bei den bessergestellten Gruppen der Bevölkerung weckt, auch erfüllen kann, steht auf einem ganz anderen Blatt. Wichtig scheint mir, dass ein gut Teil der Opposition, die sich gegen Vorhaben und Taten des Beust-Senats richtete und richtet, sich eher als Korrektur am CDU-Modernisierungskurs versteht denn als grundlegende Opposition mit alternativen Entwicklungsoptionen. Anders ist kaum zu erklären, dass die massive Ablehnung des brutalen Privatisierungskurses, wie sie im Ergebnis des LBK-Volksentscheids zum Ausdruck kommt, die CDU buchstäblich nichts gekostet hat.
Die SPD hat mit Hilfe ihr wohlgesonnener Meinungsforschungsinstitute bis zur letzten Minute versucht, erst mit Hinweis auf die Gefahr absoluter CDU-Mehrheit und am Schluss mit der Behauptung eines engen Kopf-an-Kopf-Rennens zu mobilisieren. Aber auch damit hat sie die Demobilisierung der sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler nicht verhindert. Die Partei mutet ihnen im Bund viel zu und hat ihnen im Land buchstäblich keine Perspektive zu bieten. Der CDU hatte sie nichts entgegenzusetzen außer fadenscheinigen Lügen - wie der, dass die SPD bei einem Wahlerfolg das LBK nicht verkaufen werde - oder Versuchen, die CDU noch zu übertrumpfen, z.B. durch Forderung nach mehr Polizei auf den Straßen.
Aber Schadenfreude über das SPD-Abschneiden ist unangebracht. Das Wahlergebnis für die linke Wahlalternative Regenbogen, die von Regenbogen selbst, der PDS, DKP, SAV, Linksruck und unorganisierten Linken unterstützt wurde, ist denkbar schlecht. 2 Zwar war ein solch schlechtes Wahlergebnis zu befürchten, aber das macht es auch nicht besser. Erklärungen, die auf die kurze Zeitspanne, die schwierigen Konstellation und die undemokratische 5%-Hürde abheben, sind zwar nicht völlig falsch, gehen aber am Kern des Problems vorbei. Das schlechte Wahlergebnis, an dem es nichts zu rütteln gibt, hängt eng mit dem Niedergang der SPD zusammen und markiert einen tiefen Einschnitt.
Von dem Tag, an dem von Beust das Ende der Koalition verkündete, bis zum Wahltag waren zwei scheinbar entgegengesetzte, tatsächlich eng miteinander zusammenhängende Phänomene zu beobachten. Auf der einen Seite machte sich in der Linken bis weit in die Reihen der die Regenbogen-Kandidatur tragenden Kräfte hinein eine starke Tendenz zur Wahl von Rot-Grün bemerkbar. Aber der anderen Seite fehlte es nicht an ebenso verzweifelten wie vergeblichen Bemühungen, vor Rot-Grün und v.a. der SPD als vermeintlich kleinerem Übel zu warnen - beides Ausdruck starker Fixiertheit auf die SPD.3
Meines Erachtens machen das Erstarken des Konservatismus und der Niedergang der SPD nun unvermeidlich, dass sich die Linke von der Vormundschaft der SPD befreit. Gerade in Hamburg hat sich die Linke unter der Ägide der SPD entwickelt, die hier jahrzehntelang nahezu unangefochten regierte und dabei so manches an "Staatsknete" auch für linke Projekte locker machte. Die Linke bezieht ihre Legitimation im Wesentlichen aus der ideologischen Abgrenzung von der SPD, kaum aber durch wirkliche Alternativen für die Entwicklung, die diese Stadt, diese Gesellschaft konkret nehmen soll. Das reicht nun endgültig nicht mehr, und das scheint mir eine Hauptursache dafür, dass wir trotz des erheblichen Protestes, auf den der Rechtssenat in den letzten beiden Jahren stieß, dem Erstarken des Konservatismus nur wenig Paroli bieten konnten.
Es wird nun darüber zu beraten sein, ob und wie das Bündnis, das sich anlässlich der Neuwahlen gebildet hat, weiterarbeitet. Wenn sich aus der Zusammenarbeit bei den Wahlen eine stetigere Kooperation entwickeln soll, dann kommt es meines Erachtens darauf an, ob man sich auf gemeinsame Projekte verständigen kann, die aus dem Tal, in dem wir uns befinden, heraushelfen. 4 Projekte, mit denen wir uns den mit der Globalisierung verbundenen Modernisierungsdruck stellen und uns mit den sozialen Veränderungen, die dadurch hervorgerufen werden, auseinandersetzen. Projekte, die sich mit den vielfachen Problemen befassen, die daraus erwachsen, dass die stattfindende Modernisierung mit massenhafter Deprivation, aber auch mit Aufstiegmöglichkeiten, mit wachsender Unsicherheit des Lebens, aber auch zunehmenden Möglichkeiten der Selbstbestimmung, mit Ängsten, aber auch Erwartungen verbunden sind. Wie sind, das wäre die grundlegende Fragestellung, soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit, Solidarität, Selbstbestimmung und Partizipation unter den (hier nur angedeuteten) Bedingungen neu zu definieren?
Christiane Schneider, PDS
Anmerkungen:
1 Auch bei den Frauen liegt, bei allen Altersgruppen, die CDU vor der SPD. Das hat es in Hamburg meines Wissens noch nicht gegeben.
2 Das gilt für das Ergebnis von Regenbogen bei den Bürgerschaftswahlen wie bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen und noch mehr für das Ergebnis der PDS in den Bezirken Altona und Wandsbek.
3 Eine geradezu peinlich-dümmliche Variante lieferte wieder einmal die Liste Links, die die Unterstützung der PDS für die linke Wahlalternative vehement bekämpfte und für eine PDS-Kandidatur als Glaubensbekenntnis für den Sozialismus eintrat, während sie gleichzeitig landauf, landab für die Wahl der SPD warb.
4 Allerdings scheint es, wie die ersten Stellungnahmen deutlich machen, tiefgreifende Differenzen darüber zu geben, ob wir uns überhaupt im Tal befinden.