Publikation Kapitalismusanalyse - Arbeit / Gewerkschaften - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Sozialökologischer Umbau - Digitaler Wandel Maximalprofit oder Mobilität?

Die Entscheidung über alternative Lösungen für die Krise der Autobranche fällt heute!

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Stephan Krull,

Erschienen

Juli 2018

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«Die Produktionskapazitäten sind größer als die begrenzten Märkte»: Tausende Autos des Volkswagen-Konzerns warten in Emden auf die Verschiffung. CC BY-NC-ND 2.0, Foto: eLKayPics / flickr

Die Autoindustrie als Schlüsselindustrie der Bundesrepublik hat schon einige Krisen überstanden, die Kollateralschäden sind beträchtlich: Fabriken sind verschwunden, Städte sind verwaist, Fusionen, Betriebsschließungen und Massenentlassungen wiederholen sich etwa alle zehn Jahre. In den übrig gebliebenen Produktionsstätten wurde rationalisiert und optimiert, zeitweilige Unternehmenspartnerschaften und Überkreuzbeteiligungen wurden geschlossen, neue Märkte «erobert», Full-Flex-Fabriken gebaut.

Damit das Geschäft für die verbliebenen Konzerne besser als zuvor floriert, werden Bedürfnisse künstlich geschaffen:

Während die SUV-Welle noch rollt, wird ein nächstes Auto metaphysisch beworben – «Das ist ein Auto, für das man sogar gerne früh aufsteht und die Straßen genießt, solange sie noch leer sind – dieses Auto macht die Landstraße zur Lustmeile, mit jeder Minute kommen sich Mensch und Maschine näher und irgendwann sind beide eins.»
In der kapitalistischen Dauerkrise sind alle Planungen und Investitionen mehr als bisher eine Spekulation auf die Zukunft. Die Sorgen der Eigentümer in den großen Herstellerländern in Europa, USA und Japan ähneln sich:

Erstens: Die Produktionskapazitäten sind größer als die begrenzten Märkte, Marktanteile können nur durch teure Rabattaktionen und Aufrechterhaltung von Subventionen gehalten werden. Die «Eroberung» neuer Märkte in Asien und in Afrika und die Schaffung von neuen Bedürfnissen, umgangssprachlich «die Entwicklung neuer Geschäftsfelder», sind kapitalintensiv. Beispiel: Das Mobilitätsunternehmen FlixBus mit der Beteiligung von Daimler hat bisher nur Verluste eingefahren.

Zweitens: Die Zeit des Verbrennungsmotors läuft wegen Umweltunverträglichkeit definitiv ab. Porsche hat den Verkauf von Neuwagen in Europa eingestellt, Mercedes, BMW und Volkswagen haben etliche Modelle aus dem Programm genommen, weil die Emissionsanforderungen von den Motoren nicht eingehalten werden können. Aber Elektroautos oder autonome Fahrzeuge sind nicht serienreif, viel zu teuer und haben (noch) keine Akzeptanz wegen der Preise, wegen der Datenunsicherheit und unbeantworteter ethischer Fragen.

Drittens: Die Beschaffung und Sicherung der Ressourcen wird immer aufwendiger. Die Bundesregierung arbeitet in der Rohstoffsicherung eng mit der Wirtschaft zusammen; zur Behauptung im Wettbewerb um Rohstoffe nimmt die Deutsche Rohstoffagentur eine wichtige Rolle ein. Die «geopolitischen Risiken» bei der Beschaffung von Erdöl, seltenen Erden und knappen Metallen führen bereits seit zwei Jahrzehnten zu Interventionskriegen und gewaltsamen «Regime Changes».

Viertens: Das Auto ist in urbanen Zentren, in den Megacities dieser Welt, mehr ein Stehzeug als ein Fahrzeug. Als Statussymbol und Luxusspielzeug zählt es noch für die Superreichen – als persönliches Eigentum für den Alltagsgebrauch ist es für eine wachsende Zahl an Menschen nicht mehr interessant.

Die Manager suchen nach Aus- und Umwegen zur erfolgreichen Kapitalverwertung. Die Überakkumulation von Kapital und die Konzentrationsprozesse in der Auto- und Zulieferindustrie wirken sich jetzt negativ aus – aber genau an dieser Spirale wird weiter gedreht. Überkapazitäten und Automobilcluster, wie sie von hochbezahlten «Experten» von McKinsey, Roland Berger und Co. empfohlen, von Politikern und Managern umgesetzt wurden, sind in ihrer Monostruktur die Achillesferse der Produktion.

Der hohe Grad der Konzentration und die Kartellbildung sind Ausdruck der objektiven Reife für die Vergesellschaftung dieser Schlüsselindustrie. Die gravierenden Produktionsausfälle bei Volkswagen, die Schließung des Opel-Werkes in Bochum machen das ebenso deutlich wie die Schließung von Betrieben der Prevent-Gruppe in Leipzig, Plauen und Stendal, von Bosch in Homburg, Neunkirchen, Rutesheim und Fellbach sowie der Verkauf des Bosch-Werkes in Hildesheim – die Liste ließe sich verlängern.

Die verzweifelten Anstrengungen der Manager, wieder «gestärkt» aus der Krise herauszugehen, gipfeln in Betrugsmanövern gegenüber den Kunden, in der Bildung illegaler Kartelle, in der Forderung nach absurden Produktivitätssteigerungen, nach Lohnsenkung und Arbeitszeitverlängerung an die Beschäftigten, in zeitweiligen Kooperationen, in der Suche nach neuen Geschäftsfeldern und neuen Märkten, die allesamt die tatsächlich mörderische Konkurrenz, den erbitterten Kampf um Marktanteilsgewinne nur schwach kaschieren.

Nachdem der chinesische Markt weitgehend aufgeteilt ist, rücken Indien und Afrika ins Visier der Autobosse. VW-Patriarch Piëch erklärte vor Jahren, dass er sich im Krieg gegen die anderen Autokonzerne befinde und die Absicht habe, diesen Krieg zu gewinnen. Zutreffend spricht Jean Ziegler von einem «wirtschaftlichen Weltkrieg». Wie in jedem Krieg gibt es am vorläufigen Ende ein paar einsame Gewinner und viele Verlierer. Verlierer sind die Regionen, in denen oft jahrzehntelang Autos produziert wurden; sind die Beschäftigten, die in ständiger Angst leben, die ihren Arbeitsplatz verlieren ebenso wie diejenigen, die ihren Arbeitsplatz behalten «dürfen», aber für weniger Geld mehr arbeiten müssen. Gewinner sind Großaktionäre wie der Porsche-Piëch-Clan, die Quandt-Familie, die Schaefflers und die Scheichs von Katar und Kuwait.

Die Mittel zur Profitmaximierung sind die oft verdrängte brutale Ausbeutung von Leiharbeitern und Werksvertragsbeschäftigten, die Ausbeutung der Beschäftigten in vielen anderen Ländern. In Ungarn oder in Rumänien werden die gleichen Fahrzeuge gebaut wie in Wolfsburg oder in Stuttgart. Die Entlohnung der Beschäftigten jedoch ist um zwei Drittel bis 80 Prozent geringer als in Deutschland – entsprechend hoch sind die Profite. So erklärt sich, dass Volkswagen, Daimler und BMW trotz der Krise viele Milliarden Euro Gewinn pro Jahr verbuchen und über Gewinnrücklagen verfügen, die manchen Staatshaushalt in den Schatten stellen.

Am Beispiel des Lkw-Kartells, also der Umgehung sonst heiliger Marktmechanismen, und des andauernden gemeinschaftlichen Abgasbetruges, der allein Volkswagen bisher rund 30 Milliarden Euro an Straf- und Schadenersatzzahlungen gekostet hat, wird die geradezu mafiöse Verbindung zwischen den Autokonzernen und der Bundesregierung deutlich.

Inzwischen laufen Klagen der EU gegen Deutschland, weil Gesetze nicht eingehalten werden beziehungsweise die Nichteinhaltung von Gesetzen straflos bleibt. Munter werden weiter Subventionen in Milliardenhöhe an die Autoindustrie ausgereicht, wie eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ergab. Ob Angela Merkel, Olaf Scholz, Andreas Scheuer oder Winfried Kretschmann – unisono erklären sie: Fahrverbote sind auf jeden Fall zu vermeiden, auch unter Hinnahme schwerster gesundheitlicher Einschränkungen durch Stickoxide und Feinstaub. Bei der Vorstellung des Luftreinhalteplans der Stadt Hannover erklärte der dortige SPD-Oberbürgermeister unverhohlen: «Wir wissen, dass eine Vielzahl von Menschen wegen einer zu hohen Stickoxid-Belastung vorzeitig stirbt … Wenn wir Verkehre ausschließen, laufen wir Gefahr, die Städte lahmzulegen.»

Die Autokonzerne fühlen sich trotz millionenfachen Betruges so sicher, dass sie ihren neuen Kunden «Mobilitätsgarantien» für den Fall von Fahrverboten geben. Die Spenden der Autoindustrie an die Union, SPD, FDP und die Grünen sind offensichtlich gut angelegtes Geld. Es führt kaum noch zu Empörung, wenn ein hoher Beamter des Außenministeriums während des Abgasbetruges als Berater für «internationale und europäische Politik» an VW «ausgeliehen» ist und einen «Sprechzettel» für das Gespräch des damaligen Außenministers Steinmeier mit den US-Behörden anfertigt. Der kurzzeitig beurlaubte Ex-Regierungssprecher Thomas Steg (SPD) ist als Chef-Lobbyist von VW wieder im Amt; der Vertraute der Bundeskanzlerin und Ex-Staatsminister Eckart von Klaeden (CDU) interveniert als Chef-Lobbyist von Daimler im Kanzleramt gegen Abgasregeln. Bei dieser Kumpanei der Regierung mit der Autoindustrie kann man von Staatsversagen sprechen, das tatsächlich das Vertrauen vieler Menschen in Staat und Demokratie erschüttert.

Am 13. Juni verhängte die Braunschweiger Staatsanwaltschaft erstmals gegen VW ein Bußgeld von einer Milliarde Euro – der Löwenanteil davon betrifft die «Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile» aus dem Betrug, also die Betrugsdividende, die längst an den Porsche-Piëch-Clan und die Scheichs von Katar sowie als Boni an die Vorstände ausgezahlt wurde. Es ist nicht zu erwarten, dass das Unternehmen seine Großaktionäre dafür in Verantwortung nehmen wird. Zwar akzeptierte VW den Bußgeldbescheid, ein Sprecher fügte jedoch hinzu, das sei «nicht automatisch auch ein Schuldeingeständnis». Die Staatsanwaltschaften ermitteln wegen des Abgasbetruges allein bei Volkswagen gegen 20 Manager seit drei Jahren – wahrscheinlich haben auch sie nicht genügend Personal, um die Arbeit zu bewältigen. Die Autokonzerne beschäftigen Heerscharen von Anwälten, um die Forderungen von Staaten, Umweltbehörden und Kunden abzuwehren.

Und die Zukunft? Die gegenwärtigen Planungen und Investitionen der Autoindustrie sind Suchbewegungen mit offenem Ausgang. Elektroautos lösen nicht das Ressourcenpro­blem, von anderen Problemen ganz zu schweigen. Die großspurig angekündigten Ziele der Bundesregierung, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen, werden trotz vielfältiger zusätzlicher Subventionen weit verfehlt.
Über das, was zu tun wäre, reden die üblichen «Experten», Berater der Autoindustrie, in einschlägigen Universitäten und Instituten ununterbrochen mit vorhersehbaren Empfehlungen. Über die notwendige Transformation beraten auch Gewerkschaften, Verkehrsverbände, die politischen Stiftungen, die Bundestagsfraktionen von Linkspartei, SPD und Grünen – allerdings fast alle unabhängig voneinander.

Die Breite der Debatte kann hier nicht annähernd dargestellt werden. Eine Verständigung zu den Überlegungen zur Transformation wäre erforderlich, wie Jörg Hofmann, der IG-Metall-Vorsitzende, bei der Präsentation einer Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation gerade betont hat: Die Beschäftigtenentwicklung in der Autobranche sei «aus Sicht der IG Metall kein Grund, in Angst zu geraten. Die Herausforderung ist zwar groß, aber zu bewältigen, wenn jetzt die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Politik und Unternehmen müssen jetzt Strategien entwickeln, um diese Transformation zu gestalten. Wir müssen die kommenden Jahre nutzen, um die erforderlichen Anpassungsprozesse in die Wege zu leiten, aber die Weichen dafür werden jetzt gestellt.»

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat mit dem Gesprächskreis «Zukunft Auto, Umwelt und Verkehr» die Notwendigkeit zu Veränderungen aufgegriffen und erarbeitet Elemente und Bedingungen einer doppelten Transformation des Produktes und der Produktionsweise. Der demokratische Prozess, der erfolgreich sein wird, wenn den Beschäftigten eine gute Lebens­perspektive angeboten wird beziehungsweise sie sich diese gemeinsam erarbeiten und realisieren, steht dabei im Zen­trum: eine ökologische Klassenpolitik, mit der die Frage nach Vergesellschaftung und nach demokratischer Kontrolle neu bearbeitet wird.

Das Beispiel Opel oder Detroit vor Augen, geht es nicht nur um Ökologie, Ökonomie, Mobilität und Technik, sondern um die gesellschaftliche Verantwortung für ganze Regionen, für ein gutes Leben für alle, für soziale Garantien für hunderttausende Beschäftigte und ihre Familien – und zwar heute, nicht erst morgen, wie die angekündigten Entlassungen bei Daimler in Bremen und den vielen Zulieferbetrieben deutlich machen.

Ähnlich die Friedrich-Ebert-Stiftung, die in einer Studie aus dem März 2018 zu der Schlussfolgerung kommt: «Mit automobilpolitischer Regulierung und unternehmensinterner Selbsttransformation sind diese Transformationsprozesse nicht mehr zu bewältigen. Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Verbraucher_innen müssen in gemeinsamer Anstrengung einen Wandel im Bereich der Automobilitiät voranbringen. Gelingen kann dies nur mit einem Zukunftspakt für Mobilität, der unternehmerische, politische und gesellschaftliche Strategien mit dem Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Verkehrswende zusammenführt. Er steht in der Tradition der kooperativen Bewältigung des wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Wandels. Politisches Leitbild muss ein nachhaltiges und integriertes Gesamtverkehrssystem unter Einbeziehung des Automobils als Baustein in intermodalen Handlungs- und Transportketten sein.»

Die anstehenden Veränderungen sind eine Auseinandersetzung um grundlegende Fragen: Geht es nur um Maximalprofite oder geht es um die Befriedigung tragbarer und nachhaltiger Mobilitätsbedürfnisse? Mobilitätszwänge müssen reduziert werden durch andere Formen von Wirtschaften, die Streichung von Subventionen für schädliche Produkte und Lebensweisen muss vermittelt und akzeptiert werden, es geht um eine grundlegend andere Verteilung von Erwerbsarbeit und sonstiger gesellschaftlich notwendiger Arbeit.

Veränderungen kommen so oder so – demokratisch und bedürfnisorientiert oder autoritär und profitorientiert.

Neu gestellt werden müssten vor allem die Eigentumsfrage und die Frage nach der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, über das «Was, Wie und Wo» der Produktion. Die wunderbaren und unveränderlichen Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes wären die legitime Grundlage, eine völlig aus dem Ruder gelaufene Branche zivilgesellschaftlich einzufangen und mit der kriminellen Energie der Eigentümer und Manager Schluss zu machen, bevor weitere verheerende Schäden angerichtet werden.

Denn die jüngsten «Geschäftsmodelle» von «Ride Pooling» und «Ride Hailing» laufen auf eine Austrocknung und Privatisierung des öffentlichen Personenverkehrs hinaus. Das kann verhindert werden, wenn demokratisch über die Zukunft von Arbeit und Mobilität beraten und entschieden wird – auf kommunaler ebenso wie auf nationaler und europäischer Ebene. Es geht dabei um das Allgemeinwohl im weitesten Sinne, darum, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen.

In den ersten Jahren nach der Befreiung vom Faschismus gab es einen Konsens: Kapitalkonzentration müsse ausgeschlossen werden, Sozialisierung und Vergesellschaftung der wesentlichen Industrien und der Banken sind mögliche Hebel, um den eigentlichen Produzenten, den arbeitenden Menschen, in den Betrieben und in der Gesamtwirtschaft mehr Entscheidung und Mitbestimmung zu ermöglichen. Was aber wären die Artikel 14 und 15 der Verfassung, was also wäre das Grundrecht auf Enteignung und auf Sozialisierung wert, wenn es nicht angewandt würde?

Veröffentlicht in OXI 6/2018 https://oxiblog.de/aktuelle-ausgabe/

Stephan Krull koordiniert den Gesprächskreis «Zukunft Auto, Umwelt und Verkehr» der Rosa-Luxemburg-Stiftung.