Im Jahr 2017 wies die amtliche Statistik lediglich noch 17,5% der erwerbstätigen inländischen Bevölkerung als «Arbeitern» und «Arbeiterinnen» aus. Ältere (Rentner-)Jahrgänge erinnern sich noch an andere Zeiten, in denen noch nahezu die Hälfte der Erwerbstätigen als «Arbeiter» zählte und die dominante soziale Status-Gruppe stellte. Arbeiter oder Arbeiterin war, wer überwiegend körperlich arbeitete und oft wöchentlich eine Lohntüte erhielt. Die Unterschiede zum Status des und der Angestellten waren offenkundig: Blaumann oder weißer Kragen, Wind und Wetter oder Bürostube, Lohn oder Gehalt. Vom Arbeiter zum Angestellten zu werden, bedeutete in den Köpfen vieler auch: Sozial aufzusteigen. Gleichzeitig sind, nicht zuletzt infolge dieser
sozialen Mobilität, allerdings viele lebens- und alltagsweltlichen Distinktionen zwischen «Arbeiter» und (einfachen und mittleren) «Angestellten» in ihrer Bedeutung geschrumpft oder gänzlich verschwunden, z.B. die wöchentliche Lohnzahlung.
Mit der dominanten Rolle der Sozialfigur «Arbeiter» setzte sich allmählich auch ein Wandel in der Sprach- und Begriffswelt ein. Statt von Arbeitern und Angestellten ist von Arbeitnehmern, abhängig Beschäftigten oder Lohnabhängigen die Rede, dabei oftmals auch den Status «Beamte» einschließend und die zweifellos fortbestehenden Unterschiede verwischend. Oder der Begriff «Arbeiter» wird umgekehrt verwendet, auch andere soziale Stellungen einschließend.
Augenscheinlich hat der Begriff in der öffentlichen Rede seine Schärfe verloren. Mitnichten trifft das auf die Individuen zu. Sehr wohl wird hier in der Selbst- wie Fremdwahrnehmung unterschieden, etwa ob man zur «Arbeiterschicht» oder zur «Mittelschicht» (der Angestellten) zählt, wobei diese Selbsteinstufung nicht zwingend mit der eigenen sozialen Lage in Einklang stehen muss, sondern auch auf Zugehörigkeit aufgrund von Herkunft beruhen kann.
Auch spielt der «Arbeiter» in der politischen Debatte wieder eine größere Rolle, nämlich seit dem er sein Wahlverhalten geändert hat: Von der hohen Wahrscheinlichkeit, SPD zu wählen, zur hohen Wahrscheinlichkeit, sich gar nicht zu beteiligen; und bei den Arbeitern, die wählen, zuletzt zu einem hohen Stimmenanteil für eine rechte Partei. Übersehen bzw. nicht hinterfragt wird dabei, welche Bedeutung dieses Stimmverhalten für das Gesamtergebnis hat, welchen Anteil Arbeiter unter allen Wählern einnehmen.
Der Abstieg von der dominanten Sozialfigur zu einer minoritären gründet im ökonomischen Strukturwandel, ist selbst aber wiederum die Quelle einer Reihe von subjektiven Verarbeitungs- und Anpassungsweisen. Strukturelle Macht – Marktmacht wie Produktionsmacht – schwindet dramatisch, mit ihnen auch die Organisationsmacht, die eigenen Gesellschaftsbilder verlieren ihre normierende Kraft, damit auch die Lebensweise und Lebenseinstellungen, schließlich muss man sich auch mit dem Gedanken beschäftigen, den sozialen Aufstieg nicht geschafft zu haben. Zusammen mit den (neuen) Schließungsversuchen der sozialen Aufsteiger nach unten bildet sich (wieder) eine klassische «proletarische Lebenslage» heraus, die nicht nur von der Existenzsicherung geprägt ist, sondern auch von der Aussichtslosigkeit, diese Lage verlassen zu können. Die umgangssprachlichen «beengten Verhältnisse» kehren zurück.
Besonders bemerkenswert und in der Bedeutung für die gesellschaftspolitischen und politischen Entwicklungen der letzten Jahre nicht zu unterschätzen: der soziale Wandel, die Schrumpfung der sozialen Position «Arbeiter» hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren, enorm beschleunigt und damit auch die Statusverunsicherungen, die Umstellungserfordernisse, der soziale Druck auf den Habitus.
All das war Anlass genug, ein paar grundlegende statistische Daten zusammenzutragen, die in groben Zügen die «Flugbahn» des «Arbeiters» in der deutschen Sozial- und Klassenstruktur charakterisieren können.
Inhalt
- Methodische Vorbemerkung
- Definition
- Datenquellen
- Von der Mehrheit zur Minderheit
- Schwindende Bedeutung einer Status-Differenz
- Arbeiterinnen und Arbeiter
- Regionale Aspekte
- Alter
- Subjektive Selbsteinstufung
- Einkommen, Bildung und Berufe
- Einkommen
- Schulischer Abschluss
- Beruflicher Abschluss
- Wirtschaftsbereiche
- Datenquellen
- Daten-Anhang
Arbeitsmaterial des Gesprächskreises Klassen und Sozialstruktur