Nachdem wir anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung der Kommunistischen Internationale (Komintern) Anfang März 2019 bereits Beiträge von Jörn Schütrumpf und Lutz Brangsch veröffentlicht haben, wird das Historische Zentrum der Rosa-Luxemburg-Stiftung in den kommenden Wochen in unregelmäßiger Folge Texte veröffentlichen, die sich einem viel zu wenig untersuchten Aspekt der Komintern widmen: nämlich dem Wirken der Internationale im globalen Süden und insbesondere dem Aspekt des Antikolonialismus. Im hier veröffentlichten ersten Teil der Reihe untersucht Matt Swagler den Einfluss der Komintern auf den Antikolonialismus in Afrika und darüber hinaus; weitere Artikel folgen.
Die Kommunistische Internationale (Komintern) wurde 1919 in Moskau mit dem Ziel gegründet, Gruppierungen in aller Welt zu koordinieren, die sich dem antiimperialistischen Kampf und dem revolutionären Sozialismus verschrieben hatten. Auf ihrem Kongress im Folgejahr vereinbarte die Komintern eine Reihe von Bedingungen für eine Mitgliedschaft. Eine davon richtete sich an sozialistische Organisationen – die sich nun kommunistisch nannten –, die in den Metropolen der Kolonialmächte aktiv waren. Die Bedingung besagte, dass solche Parteien verpflichtet seien:
Die Machinationen «ihrer» Imperialisten in den Kolonien rücksichtslos zu entlarven, jede Freiheitsbewegung in den Kolonien nicht nur mit Worten, sondern durch Taten zu unterstützen, die Verjagung ihrer eigenen Imperialisten aus diesen Kolonien zu fordern, in den Herzen der Arbeiter ihres Landes wirklich brüderliche Gefühle für die werktätige Bevölkerung der Kolonien und der unterdrückten Nationen zu wecken und unter den Truppen ihres Landes eine systematische Agitation gegen jegliche Unterdrückung der Kolonialvölker zu treiben.
Die Formulierung gründete auf dem gemeinsamen Verständnis der Komintern-Mitglieder, dass die Kolonialherrschaft von zentraler Bedeutung für das Überleben und das Wachstum des Kapitalismus in den Metropolen sei. Eine Krise der wichtigsten kapitalistischen Mächte in Europa (wie auch der Vereinigten Staaten) konnte dementsprechend nicht nur von revolutionären Bewegungen «zu Hause», sondern auch von antikolonialen Kämpfen in ihrem Herrschaftsbereich befördert werden. Im Laufe der nächsten 15 Jahre stellte diese Perspektive die Grundlage dar, auf der sich die Komintern-Führung auf den panafrikanischen Aktivismus bezog. Im vorliegenden Text soll beleuchtet werden, wie Schwarze Kommunistinnen und Kommunisten Netzwerke aufbauten, um Kämpfe von Schwarzen in Nord- und Südamerika, der Karibik, Europa und Afrika zu verbinden. Obgleich die Beziehungen zwischen Komintern-Mitgliedsorganisationen und Schwarzen Kommunist/inn/en häufig angespannt waren, brachte diese Zusammenarbeit wichtige organisatorische und intellektuelle Bindungen hervor, auf deren Basis sich nach dem Zweiten Weltkrieg breitere antikoloniale Bewegungen entfalten konnten.
Antikolonialismus, Afrika und die frühe Komintern
Am Anfang stand jedoch die Frage, ob die Komintern-Mitglieder jegliche antikolonialen Bewegungen unterstützen sollten. Während Lenin diese Frage bejahte, setzte der indische Marxist M.N. Roy dem entgegen, eine solche Position könne dazu führen, dass Kommunist/inn/en antikoloniale oder nationalistische Führungspersonen mit reaktionären Ansichten unterstützten. Roy befürwortete stattdessen die Unterstützung von Bauern- und Arbeiterbewegungen in den Kolonien, wenn deren Ziele zu der eigenen sozialistischen Programmatik passten. Seine Position wurde auf dem Kongress von 1920 übernommen und diente als eine der zentralen Leitlinien bei der kommunistischen Organisierung in den Kolonien, obgleich die Unterscheidung zwischen «reaktionären» und «revolutionären» antikolonialen Bewegungen in der Praxis nicht immer so eindeutig war.
Die frühen Debatten in der Komintern hatten entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung antikolonialer Strömungen in Afrika. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges hatten europäische Staaten den Großteil des afrikanischen Kontinents unter ihre Kontrolle gebracht, und eine erste Welle von Aufständen gegen die koloniale Herrschaft war weitestgehend niedergeschlagen worden.
Der Krieg beflügelte jedoch neue afrikanische Widerstandsbewegungen, die sich gegen höhere Steuern, Zwangsarbeit und die Einberufung von mehr als einer halben Million Afrikanern in die Kolonialarmeen richteten. Obwohl er häufig sehr effektiv war, beschränkte sich der Widerstand zumeist auf bestimmte Orte und war selten von Dauer, was teilweise an der brutalen Repression lag. Im Jahr 1917 gab es auf dem afrikanischen Kontinent mit der South African International Socialist League lediglich eine revolutionär-sozialistische Organisation (1920 folgte die Kommunistische Partei Ägyptens). Die League lehnte den Ersten Weltkrieg ab und rief die ersten Schwarzen Gewerkschaften des Landes ins Leben, die von T.W. Thibedi, Johnny Gomas und Hamilton Kraai angeführt wurden.
Sehr bald wurden jedoch auch weitere Schwarze Intellektuelle sowie Arbeiterinnen und Arbeiter aus Afrika und der afrikanischen Diaspora auf die Russische Revolution und die Aktivitäten der Komintern aufmerksam. Die Russische Revolution sorgte dafür, dass marxistische Ideen in den folgenden Jahrzehnten prägend waren für die Debatte um antikoloniale und antirassistische Befreiung.[1] Die Komintern trat für die vollständige Unabhängigkeit afrikanischer Staaten ein – eine Position, die zu jener Zeit nur von zwei anderen internationalen Organisationen geteilt wurde: den Pan-Afrikanischen Kongressen von W.E.B. Du Bois sowie der Universal Negro Improvement Association (UNIA) unter Marcus Garvey. Die Komintern-Führung teilte den panafrikanischen Ansatz dieser Organisationen, vertrat aber als einzige die Position, dass das Schicksal der afrikanischen Befreiungskämpfe gegen die Kolonialherrschaft untrennbar mit den Kämpfen gegen den Kapitalismus in den Kolonialmächten verbunden war.
Kommunistischer Panafrikanismus: Von Claude McKay bis Lamine Senghor
Auf ihrem 4. Kongress im Jahr 1922 übernahm die Komintern einen panafrikanischen Ansatz. Zwei Schwarze Marxisten aus den Vereinigten Staaten, Claude McKay und Otto Huiswoud, führten die sogenannte «Negro Commissiond an. Und es war vermutlich Huiswoud, der das Papier «Thesis on the Negro Question» verfasste, das von den Kongressdelegierten angenommen wurde. Darin wurde die zentrale Bedeutung von Kolonialismus und Rassismus für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus unterstrichen und damit auch die Notwendigkeit für die kommunistische Bewegung, Verbindungen zu Schwarzen Kämpfen in den Vereinigten Staaten, der Karibik, Südamerika und Afrika aufzubauen. Die Komintern setzte darüber hinaus ein von Huiswoud geleitetes «Negro Bureau» ein, um die Internationale in den Regionen südlich der Sahara sowie in der Schwarzen Diaspora zu verankern.
Der von McKay und Huiswoud vorgeschlagene panafrikanische Ansatz war zum Teil eine Reaktion auf den Einfluss von Du Bois und Garvey. Er war aber auch gut mit der Position der Komintern zu vereinbaren, wonach Kolonialismus und Rassismus auf internationaler Ebene verflochten waren und auch auf dieser Ebene bekämpft werden mussten. Schwarze Kommunist/inn/en in den Vereinigten Staaten spielten bei der Entwicklung entsprechender Komintern-Strategien eine maßgebliche Rolle. Manche von ihnen, wie etwa Lovett Fort-Whiteman, versuchten jedoch auch Kontakte zu Vertreter/inne/n afrikanischer Studenten- und Arbeiterbewegungen zu knüpfen, um eine panafrikanische Konferenz zu organisieren. Doch trotz der Unterstützung dieses Vorhabens durch die Komintern gelang es in den 1920er Jahren nicht, ein solches Treffen zu organisieren. Erst 1927 fand unter der Federführung deutscher Kommunist/inn/en der Gründungskongress der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit (LAI) statt, zu dem 170 Delegierte nach Brüssel anreisten, darunter auch eine kleine Gruppe afrikanischer Aktivist/inn/en aus Frankreich und Südafrika. Auf dem Kongress formulierte Lamine Senghor, ein in Frankreich lebender senegalesischer Kommunist, eine vernichtende Kritik des Kolonialismus, der Misshandlung afrikanischer Soldaten nach dem Krieg und der Gräuel, die Frankreichs «zivilisatorische» Mission in Afrika begleiteten.
Senghor hatte während des Ersten Weltkrieges in der französischen Armee auf den Schlachtfeldern Europas gekämpft. 1921 nach Frankreich zurückgekehrt, fühlte er sich – wie viele afrikanische Kriegsveteranen – von der französischen Regierung verraten. Denn afrikanische Kriegsinvaliden erhielten nur einen Bruchteil der Renten, die Soldaten aus der Metropole bezogen, und die Regierung nahm viele ihrer Versprechen zurück, mit denen sie afrikanischen Soldaten mehr politische Rechte in Aussicht gestellt hatte. Senghor trat 1924 sowohl in die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) als auch in die eng mit ihr verbündete Union Intercoloniale (UIC) ein, in der sich Radikale aus den französischen Kolonien organisierten. Bald begann er im Namen der UIC Texte zu verfassen und Reden zu halten, 1925 kandidierte er für die PCF bei den Pariser Kommunalwahlen.
Senghor und weitere Schwarze PCF-Mitglieder warfen ihrer Partei jedoch regelmäßig vor, den französischen Kolonialismus im subsaharischen Afrika zu wenig zu beachten und die von der Komintern geforderte Organisierung Schwarzer Arbeiterinnen und Arbeiter zu vernachlässigen. Gemeinsam mit Tiemoko Garan Kouyaté, einem weiteren Genossen aus Westafrika, sowie Kommunist/inn/en aus der Karibik gründete er deshalb das Comité de Défence de la Race Nègre (CDRN) sowie die Nachfolgeorganisation, die Ligue de la Défence de la Race Nègre (LDRN). Beide Organisationen hatten sich die Überwindung der französischen Kolonialherrschaft auf die Fahnen geschrieben und setzten sich für «die vollständige Emanzipation» der Schwarzen ein. Obgleich die Führungen von CDRN und LDRN aus der PCF stammten, waren sie stets bemüht, die Autonomie der neuen Organisation zu wahren, die in Paris und den französischen Hafenstädten mehrere hundert Mitglieder gewann. Da sie zudem Sympathisanten unter afrikanischen Matrosen hatte, konnte sie ihre Zeitungen auch in westafrikanischen Hafenstädten verbreiten und dort Kontakte aufbauen – obwohl ihre Schrifterzeugnisse in den Kolonien verboten waren.
Ungeachtet ihrer kritischen Haltung gegenüber der PCF bekannten sich Senghor und Kouyaté offen zur kommunistischen Bewegung. Wie der Historiker Hakim Adi dokumentiert hat, wurden die kommunistischen Parteien in den Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und Südafrika häufig von Schwarzen Aktivist/inn/en in ihren Reihen dafür kritisiert, den Imperialismus und den Rassismus gegen Schwarze nicht entschieden genug zu bekämpfen.[2] In vielen Fällen wandten sich Schwarze Kommunistinnen und Kommunisten direkt an die Führung der Komintern, die solche Beschwerden sehr ernst nahm und regelmäßig den «weißen Chauvinismus» führender Figuren der nationalen kommunistischen Parteien anprangerte. Zuweilen gelang es Schwarzen Kommunist/inn/en und der Komintern, Parteien wie die PCF dazu zu bewegen, ihre Arbeit stärker auf den Raum südlich der Sahara zu konzentrieren. 1929 etwa initiierten LDRN und PCF eine gemeinsame Kampagne, um den Gbaya-Aufstand in den französischen Kolonien in Zentralafrika zu unterstützen, der als Reaktion auf die dortige Zwangsarbeit ausgebrochen war. Daher blieben viele Schwarze und afrikanische Kommunist/inn/en während der 1920er Jahre der Komintern und dem Ansatz verbunden, Kapitalismus und Imperialismus zugleich zu bekämpfen. In einer Rede auf dem LAI-Kongress 1927 führte Senghor aus:
Die imperialistische Unterdrückung, die wir zu Hause Kolonialisierung nennen und ihr hier als Imperialismus bezeichnet, ist ein und dieselbe Sache. Alles geht auf den Kapitalismus zurück […]. Daher müssen sich jene, die unter der kolonialen Herrschaft leiden, die Hand reichen und Seite an Seite mit jenen stehen, die unter dem Imperialismus der führenden Nationen zu leiden haben. Kämpft mit denselben Waffen und vernichtet diese Geißel der Menschheit, den Weltimperialismus! Er muss vernichtet und durch einen Bund freier Völker ersetzt werden. Dann wird es keine Sklaverei mehr geben.
Senghors Rede wurde in Zeitungen in aller Welt abgedruckt, auch in den Vereinigten Staaten. Im Anschluss an seine Rückkehr nach Frankreich wurde er festgenommen und inhaftiert. Doch obgleich er bald wieder entlassen wurde, verstarb Senghor, der im Krieg unter dem Einsatz von Giftgas gelitten hatte, noch im selben Jahr an Tuberkulose.[3] Die Erfahrungen, die er in seinem viel zu kurzen Leben machte, ähnelten jenen vieler Schwarzer Radikaler dieser Zeit, deren Zusammenwirken mit der kommunistischen Bewegung inspirierend und oft frustrierend zugleich war.
Die Organisierung Schwarzer Arbeiterinnen und Arbeiter: Das International Trade Union Committee of Negro Workers
Die Komintern reagierte 1929 auf die Kritik Schwarzer Kommunist/inn/en an der Arbeit ihrer nationalen Parteien mit der Schaffung einer neuen Organisation, des International Trade Union Committee of Negro Workers (ITUCNW). Die explizite Ausrichtung des ITUCNW an Schwarzen Arbeiter/inne/n war wiederum eine Antwort auf das demografische und ökonomische Gewicht der Schwarzen Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten und Südafrika sowie auf die Streikwellen in der Karibik und Westafrika nach dem Ersten Weltkrieg. Obgleich afrikanische Gewerkschaften von den damaligen Kolonialverwaltungen verboten wurden, kam es im Jahrzehnt nach dem Weltkrieg zu Streiks von Bergleuten und Eisenbahnern in den heutigen Regionen von Senegal, Ghana, Gambia, Sierra Leone, Nigeria und Südafrika.
Das ITUCNW hatte seinen Sitz in Europa, die Führung setzte sich jedoch aus Schwarzen Kommunist/inn/en aus den Vereinigten Staaten zusammen: James Ford, George Padmore sowie Otto und Hermina Huiswoud (Padmore stammte ursprünglich aus Trinidad und Hermina Huiswoud aus Britisch-Guayana). Zusammen mit William Patterson, einem weiteren Schwarzen Kommunisten aus den USA, waren sie die hauptsächlichen Organisatoren der First International Conference of Negro Workers, die 1930 in Hamburg stattfand. An der Konferenz nahmen letztlich nur 17 Delegierte aus Westafrika, Europa, der Karibik und den Vereinigten Staaten teil. Logistische Herausforderungen, insbesondere infolge der einsetzenden Weltwirtschaftskrise, erschwerten die Teilnahme weiterer Delegierter aus aller Welt. In etlichen Fällen wurden die vorgesehenen Teilnehmer/innen aber auch aufgrund ihrer politischen Aktivitäten mit einem Reiseverbot belegt, wie es etwa der Fall bei der südafrikanischen Delegation war.
Größere Wirkung als die Konferenz selbst entfalteten aber wohl die ausgedehnten Reisen, die Ford, Patterson, Padmore und die Huiswouds im Vorfeld unternahmen, um in Afrika sowie in der afrikanischen Diaspora Kontakt zu Aktivistinnen und Aktivisten aus Arbeitskämpfen aufzunehmen. So etwa zu E.F. Small aus der Hauptstadt Gambias, der 1929 einen Streik anführte, in dessen Folge Gewerkschaften in der britischen Kolonie legalisiert wurden. Der Streik erhielt umfassende Unterstützung durch Kommunist/inn/en und Schwarze Aktivist/inn/en in Großbritannien, und Patterson gelang es, sich mit Small in London zu treffen. Ausgehend von Smalls Kontakten in Westafrika bereiste Padmore danach Senegal, Sierra Leone, Nigeria, Liberia sowie die Goldküste (Ghana) und baute dabei direkte Beziehungen auf, die dem ITUCNW, seinen Zeitungen und der Komintern zugutekamen.
Von 1931 bis 1933 stand Padmore an der Spitze des ITUCNW, hielt unermüdlich Kontakt mit Mitstreiter/inne/n in Afrika und der Karibik und schrieb ausführlich über die Kämpfe Schwarzer Arbeiter/inn/en in aller Welt. Während dieser Zeit koordinierte das ITUCNW Solidaritätsproteste und eine Pressekampagne zum Fall der «Scottsboro Boys».[4] Die Mutter zweier der beschuldigten Jugendlichen wurde von der Organisation bei einer Informationsreise durch Europa unterstützt. Die Zeitung des ITUCNW, The Negro Worker, wurde von Sympathisant/inn/en und Kommunist/inn/en in Westafrika und Südafrika verteilt, häufig aus dem Untergrund heraus.
Padmores Arbeit endete jedoch jäh mit der Machtübernahme der NSDAP und seiner Ausweisung aus dem deutschen Hauptquartier des ITUCNW im Jahr 1933. In der Folgezeit überwarf sich Padmore öffentlich mit der Komintern. Die genauen Umstände, die zum Bruch Padmores mit der Internationale führten, sind komplex und umstritten, standen aber jedenfalls im Zusammenhang mit den Veränderungen, die seit Ende der 1920er Jahre in der Komintern stattgefunden hatten.
Die Neuausrichtung der Komintern unter Stalin und das Beispiel Südafrikas
Gegen Ende der 1920er Jahre waren die Arbeiterrevolutionen, die in Europa und China im Gefolge der Russischen Revolution ausgebrochen waren, allesamt gescheitert, und die Sowjetunion stand nunmehr so vollständig isoliert da, wie es die erste Führungsriege der Kommunistischen Internationale befürchtet hatte. Am Ende der 1920er Jahre hatte der bürokratische Apparat rund um Josef Stalin die Kontrolle über den Sowjetstaat an sich gerissen und jegliche Opposition ausgeschaltet. In der Folge richteten sich die Aktivitäten der Komintern immer stärker an der Funktion aus, der neuen herrschenden Bürokratie in der Sowjetunion als diplomatischer Arm zu dienen.
Stalins Abkehr von den Gründungsprinzipien der Komintern führte zu einer Entfremdung von Aktivisten wie Padmore. Diese Veränderungen hatten auch tiefgreifende Auswirkungen auf die junge Kommunistische Partei von Südafrika (CPSA). Im Fokus der Debatten der Komintern zu Rassismus und der Befreiung der Schwarzen stand, neben den Vereinigten Staaten, vor allem Südafrika. Und trotz der frühen Verankerung der CPSA in der Organisierung Schwarzer Arbeiter/innen lag der Schwerpunkt ihrer Arbeit anfangs auf den Kämpfen weißer Arbeiter, so auch bei der Unterstützung der «Rand Rebellion», in der sich weiße gegen Schwarze Bergleute stellten.[5] Das änderte sich im Laufe der 1920er Jahre ausgehend vom Komintern-Papier «Thesis on the Negro Question» von 1922 und den Argumenten führender Schwarzer Kommunist/inn/en aus Südafrika und den USA. Während dieses Jahrzehnts wuchs die Schwarze Arbeiterklasse, insbesondere in den Minen und den urbanen Räumen Südafrikas, zahlenmäßig massiv an. Ausgangspunkt dieses Zwangs zur Annahme von Lohnarbeit war die Umsetzung des Native Lands Act, demzufolge die ursprüngliche Bevölkerung des Landes, die immerhin die Mehrheit darstellte, lediglich in «Reservaten» auf gerade mal sieben Prozent des Staatsgebiets Land pachten oder besitzen durfte. Im Zeitraum von 1921 bis 1936 verdoppelte sich daher die Zahl der in südafrikanischen Städten lebenden Afrikanerinnen und Afrikaner.
In diesem Zusammenhang entwickelte sich die Industrial and Commercial Workers Union (ICU) schnell zur ersten landesweiten Massengewerkschaft für Schwarze Arbeiterinnen und Arbeiter, die zudem eng an die Kommunistische Partei angebunden war – mit gleich zwei «farbigen» Kommunisten, James La Guma und John Gomas, die beiden Organisationen vorstanden. Obgleich die ICU La Guma und weitere Kommunisten 1926 ausschloss, arbeiteten diese weiter eng mit dem wachsenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) zusammen. Ende 1928 hatte die CPSA 1600 afrikanische Mitglieder, die damit die Mehrheit der Aktivist/inn/en und einen wachsenden Anteil an der Führungsriege stellten; Albert Nzula wurde 1929 sogar zum Generalsekretär der Partei gewählt.
1927/28 traf die Kommunistische Internationale jedoch eine Entscheidung, die zu einer verheerenden Spaltung der CPSA führte. Nach einem Besuch von La Guma in Moskau wiesen Bucharin und das Exekutivkomitee der Komintern die CPSA an, die Forderung nach «einer unabhängigen schwarzen Republik Südafrika als ersten Schritt hin zu einer Arbeiter- und Bauernrepublik mit vollständiger Autonomie für alle Minderheiten» zu propagieren.[6] Der Ansatz der «Native» oder «Black Republic» wurde von Schwarzen Kommunist/inn/en aus den Vereinigten Staaten in der Komintern unterstützt, von den meisten Schwarzen wie weißen Führungsfiguren der CPSA hingegen anfangs abgelehnt. Die Befürworter/innen argumentierten, diese Maßnahme zwinge die CPSA dazu, sich mit ihrem latenten «weißen Chauvinismus» auseinanderzusetzen und ihre Organisierungsbemühungen stärker auf die wachsende Schwarze Bevölkerung auf dem Land auszurichten, die sich einer Umsiedlung in die Reservate widersetzte.[7]
Während die Kritik an der CPSA-Führung teilweise durchaus zutraf, war der Ansatz der «Native Republic» aus verständlichen Gründen umstritten. Zunächst einmal trieb der Landraub durch den Native Lands Act die Proletarisierung der afrikanischen Bevölkerung voran, da er eine wachsende Zahl von Landlosen erzeugte, die folglich Arbeit in den Minen und den urbanen Räumen suchen mussten. Daher wandten manche südafrikanische Kommunist/inn/en ein, dass die Überwindung der Rassendiskriminierung das Werk einer zunehmend von Schwarzen angeführten und für eine sozialistische Revolution kämpfenden Arbeiterklasse sein werde.
Darüber hinaus war die «Native Republic» als eine grundlegende «Entwicklungsstufe» definiert, die erreicht werden müsse, bevor der Sozialismus überhaupt möglich sei. Ende der 1920er Jahre diktierte die sowjetische Führung den Kommunist/inn/en in Afrika und anderen Teilen der kolonisierten Welt immer häufiger solche «Zwei-Stufen-Modelle». Die Idee, dass Südafrika (und andere Kolonien) zunächst eine Phase der kapitalistischen Entwicklung zu durchlaufen hätten (hier in Form einer «von Schwarzen geführten Republik»), stand den Positionen, die Lenin und Trotzki auf den ersten Komintern-Konferenzen dargelegt hatten, diametral entgegen.
In der Praxis führte die neue Direktive aus Moskau dazu, dass Kommunist/inn/en sich der Führung konservativerer nationalistischer Organisationen unterordneten – wie es in China 1925-27 mit verheerenden Folgen für die chinesische Arbeiterklasse geschah. In Südafrika avancierte der Ansatz der «Native Republic», obgleich er 1935 von der Komintern offiziell fallen gelassen wurde, später zur Basis der langjährigen Kooperation der CPSA mit dem ANC, unter dem gemeinsamen Banner, die Apartheid durch eine Schwarze Mehrheit in Südafrika zu ersetzen. Bei den ersten Wahlen ohne Rassentrennung im Jahr 1994 konnte sich dieses Projekt schließlich durchsetzen. Doch abgesehen von einer kleinen Schwarzen Elite, die enorm von der Transition profitieren konnte, hat sich die ökonomische Ungleichheit entlang rassistischer Kategorien in Südafrika in den letzten 25 Jahren nur immer weiter verschärft.
Doch wie auch immer man die langfristigen Folgen betrachtet, die diese Ende der 1920er Jahre erfolgte Einmischung der Komintern in die CPSA hatte, ihr unmittelbares Ergebnis war eine Spaltung der Partei in unzählige Splittergruppen. Die CPSA wurde von der Komintern-Führung nicht nur angewiesen, die Idee einer «Native Republic» als erster «Stufe» zu propagieren, sondern auch zu einem Sektierertum gedrängt, das im Versuch mündete, eigene Schwarze Gewerkschaften aufzubauen. Dieses Projekt war zum Scheitern verurteilt und isolierte die CPSA von der Schwarzen Arbeiterklasse, obwohl sie sich Anfang der 1930er Jahre an Streiks und Demonstrationen beteiligte, bei denen öffentlich Pässe verbrannt wurden. Eine von der Komintern unterstützte Welle von Ausschlüssen Schwarzer wie weißer Führungsmitglieder reduzierte die Mitgliederzahl bis 1933 auf gerade mal ein Zehntel dessen, was sie noch fünf Jahre zuvor aufzuweisen hatte.[8]
Der Niedergang der Partei hatte jedoch auch andere Ursachen: Ende der 1920er Jahre hatte der südafrikanische Premierminister J.B.M. Hertzog eine antikommunistische Kampagne lanciert, die den «Bolschewismus» für die zunehmenden Schwarzen Aufstände verantwortlich machte.[9] Die daraus resultierenden Festnahmen und Inhaftierungen führender afrikanischer Kommunist/inn/en hatten ebenfalls fatale Auswirkungen auf die CPSA.
«Hände weg von Abessinien»: Äthiopien und der Beginn eines neuen Weltkrieges
Trotz des Niedergangs der Komintern gab es in den 1930er Jahren weiterhin bedeutsame Kampagnen, die von Aktivistinnen und Aktivisten der kommunistischen Bewegung auf dem afrikanischen Kontinent angeführt wurden. Das Jahr 1935 markierte den Beginn des Zweiten Weltkrieges in Afrika, als die italienische Armee Äthiopien überfiel. Die brutale Besatzung, die hunderttausende Äthiopier/innen das Leben kostete, rief sofort internationale Empörung hervor. Kommunist/inn/en aus den USA und Europa schlossen sich der Solidaritätskampagne an, die panafrikanische, antikoloniale und antifaschistische Gruppen von Harlem bis Accra durchführten. Hafenarbeiter in Kapstadt und Durban weigerten sich, Schiffe zu beladen, die die italienische Armee mit Nahrungsmitteln versorgen sollten. Mit dieser Aktion folgten Schwarze Hafenarbeiter dem Aufruf der CPSA, der zufolge jeder Schlag gegen die italienische Besatzung Äthiopiens auch einen Schlag gegen die weiße Vorherrschaft in Südafrika darstellte.
Die Komintern-Anhänger I.T.A Wallace-Johnson und Bankole Awooner-Renner, die beide in Moskau studiert hatten, schufen 1934 in der Goldküste die West African Youth League (WAYL). Ein Jahr zuvor hatte Wallace-Johnson bereits ein Solidaritätskomitee für die «Scottsboro Boys» in Accra ins Leben gerufen. 1935 organisierte die WAYL dort eine Kundgebung gegen die Invasion in Äthiopien, an der tausend Menschen teilnahmen, und sammelte Geld für den äthiopischen Widerstand. Zugleich begehrte Wallace-Johnson öffentlich gegen die Kolonialgesetzgebung auf und schrieb ausgiebig über die Verbrechen des europäischen Kolonialismus. In der Folge wurde er verhaftet und ein antikommunistisches Gesetz in Britisch-Westafrika erlassen.
Wie bereits im Fall der internationalen Unterstützung für die «Scottsboro Boys» zeigten die von Kommunist/inn/en unter der Losung «Hände weg von Abessinien» organisierten Komitees eindringlich, dass die kommunistische Bewegung in den 1930er Jahren tatsächlich weltweite Kampagnen unter antirassistischem Vorzeichen und im Sinne panafrikanischer Solidarität durchführen konnte. Mittlerweile war Garveys UNIA im Niedergang begriffen und auch die Panafrikanischen Kongresse waren ausgesetzt. Für den Großteil der Zwischenkriegszeit stellte die Komintern die einzige wirklich internationale Bewegung dar, die kontinuierlich darum bemüht war, Verbindungen zwischen Schwarzen Radikalen in Afrika und in der afrikanischen Diaspora herzustellen. Trotz der Hindernisse, denen sich Schwarze Kommunist/inn/en ausgesetzt sahen – sei es staatliche Repression oder der Rassismus weißer Genoss/inn/en –, spielten sie durchweg eine zentrale Rolle, wenn es um die Forderung nach einer afrikanischen Unabhängigkeit sowohl in Afrika wie auch in der Diaspora ging.
Stalinismus, Diplomatie und Imperialismus
Doch Mitte der 1930er Jahre hatte Stalin seine Herrschaft gefestigt. Den kommenden Krieg mit dem Deutschen Reich vorausahnend, bemühte er sich im Namen des Kampfes gegen den Faschismus um eine Allianz mit den Regierungen Frankreichs und Großbritanniens. Da die Komintern nunmehr den diplomatischen Interessen Stalins diente, wurden die kommunistischen Parteien in beiden Ländern ebenso wie in deren Kolonialreichen angewiesen, Forderungen nach einer Unabhängigkeit der Kolonien zurückzustellen, um die erhofften Alliierten der UdSSR nicht zu brüskieren. 1939 fürchtete Stalin jedoch, dass eine Einigung mit Frankreich und Großbritannien aussichtslos war, und unterzeichnete unvermittelt einen Nichtangriffspakt mit Nazi-Deutschland, was zu einer schweren Krise in der kommunistischen Bewegung führte. Erst als das Deutsche Reich 1941 die Sowjetunion angriff, kehrte er seine Position wieder um und verbündete sich mit den Alliierten. Auch diesmal erfolgte eine Geste der Versöhnung gegenüber den kapitalistischen Großmächten: 1943 wurde die Komintern aufgelöst.[10]
Das Ende der Kommunistischen Internationale und die absurden Volten von Stalins Außenpolitik in den 1930er Jahren führten dazu, dass viele Schwarze Aktivist/inn/en der kommunistischen Bewegung den Rücken kehrten. Mitunter kam es noch schlimmer: Manche von ihnen, so etwa Lovett Fort-Whiteman und womöglich auch Albert Nzula, fielen den stalinistischen Säuberungswellen in der Sowjetunion zum Opfer.
Die Rolle, die Kommunist/inn/en und andere Marxist/inn/en schließlich während des Zweiten Weltkrieges im Kampf gegen den Faschismus spielten, und die damit zusammenhängende größere Popularität linker Parteien im unmittelbaren Nachklang des Krieges zogen die Aufmerksamkeit einer neuen Generation afrikanischer Radikaler auf sich. Als antikoloniale Bewegungen in den Jahrzehnten nach Kriegsende wieder an Bedeutung gewannen, wurden der Marxismus und die Sowjetunion zu noch wichtigeren Bezugspunkten für den afrikanischen Kontinent.
Eine frühere Version dieses Artikels wurde in der Review of African Political Economy (RoAPE) veröffentlicht, www.roape.net (Übersetzung: Sebastian Landsberger, Lektorat: Felix Kurz, Redaktion: Albert Scharenberg).
[1] Vgl. Hakim Adi, Pan-Africanism and Communism: The Communist International, Africa and the Diaspora, 1919-1939. Trenton, NJ: Africa World Press (2013).
[2] Adi (ebd.) weist mit Blick auf den Vorwurf des «weißen Chauvinismus» darauf hin, dass diese neu gegründeten kommunistischen Parteien zu Anfang der 1920er Jahre noch Schwierigkeiten hatten, als vereinte Organisationen aufzutreten. Es sei daher nicht der Fall, dass es einen konzertierten Versuch gegeben hätte, die Bedeutung des antikolonialen und antirassistischen Kampfes kleinzureden. Stattdessen hätten die noch jungen kommunistischen Parteien mit vielschichtigen Problemen zu kämpfen gehabt.
[3] Zu Senghor und seine Mitstreiter/innen vgl. die Schriften von Brett Hayes Edwards, David Murphy und Babacar M’Baye.
[4] Die «Scottsboro Boys» waren neun afroamerikanische Jugendliche (im Alter von 13 bis 20 Jahren) aus Alabama, die 1931 zu Unrecht der Vergewaltigung zweier weißer Frauen beschuldigt wurden.
[5] Zu Rand Rebellion und CPSA vgl. Baruch Hirson, The General Strike of 1922, in: «Searchlight South Africa», Vol. 3, No. 3 (1993).
[6] «Autonomie» wurde später durch «gleiche Rechte» ersetzt.
[7] Die Komintern-Führung argumentierte, dass die «Schwarze Bauernschaft» die «treibende Kraft der Revolutiond sei.
[8] Näher dargestellt wird diese Kritik in Schriften von Baruch Hirson.
[9] Vgl. Nigel Worden, The Making of Modern South Africa. Malden, MA: Blackwell (2000), S. 7.
[10] Ausführlicher zu den überraschenden Kehrtwenden der späten Komintern: Duncan Hallas, The Comintern. Chicago, IL: Haymarket Books (2008).