Publikation Staat / Demokratie - Europa - Südosteuropa - Autoritarismus Autoritarismus und die orthodoxe Kirche von Griechenland

Historische und aktuelle Aspekte

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Alexandros Sakellariou ,

Erschienen

September 2019

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Orthodoxe Priester in Leonidi, Griechenland
Orthodoxe Priester in Leonidi, Griechenland CC BY-ND 2.0, Spiros Vathis

Einleitung

Es mag auf den ersten Blick seltsam, gar fragwürdig anmuten, mögliche Verbindungen zwischen dem Autoritarismus und der orthodoxen Kirche von Griechenland zu thematisieren  oder überhaupt anzudeuten.[1] Doch genau darum geht es in diesem Artikel, nämlich um einen kurzen Überblick über die im Verlauf der griechischen Geschichte immer wieder zu beobachtenden Beziehungen der orthodoxen Kirche von Griechenland zu autoritären Regimes sowie jüngst zur extremen Rechten – ein schwieriges Forschungsfeld.[2] An manche Aspekte dieses faszinierenden Themas könnte man stärker analytisch herangehen, doch aus Platzgründen beschränke ich mich hier auf die wesentlichen und bekannteren Details. Da dieser Artikel vor allem darauf abzielt, einen provisorischen Überblick über einen kontroversen Gegenstand zu geben, gehe ich im Folgenden primär deskriptiv vor und verzichte auf theoretische Analysen und Erklärungsansätze sowie akademische Begriffsbildung.

Alexandros Sakellariou, August 2019 
 

Vor der eigentlichen Analyse gilt es, die Rolle und Position der orthodoxen Kirche innerhalb der griechischen Gesellschaft zu skizzieren. Die orthodoxe Kirche von Griechenland war – und ist teilweise weiterhin – eine mächtige Institution, die in vielerlei Hinsicht Gesellschaft und Politik in Griechenland geprägt hat. Nach der Staatsgründung Griechenlands im 19. Jahrhundert wurde die orthodoxe Kirche 1833 zur Nationalkirche und wandelte sich fortan zum ideologischen Staatsapparat, der die nationale Ideologie reproduzierte. Somit ist die orthodoxe Kirche von Griechenland im Grunde eine Staatskirche. Das zeigt sich auch am bestehenden rechtlichen Rahmen, der das Verhältnis von Staat und Kirche sowie den rechtlichen Status der Kirche selbst definiert (Sakellariou 2013a: 157–59). Artikel 3 der griechischen Verfassung besagt: «Vorherrschende Religion in Griechenland ist die der Östlich-Orthodoxen Kirche Christi.» In der Präambel wird zudem verkündet: «Im Namen der Heiligen, Wesensgleichen und Unteilbaren Dreifaltigkeit». Des Weiteren heißt es in Artikel 2 des ersten Kapitels des Gesetzes über die Funktion der orthodoxen Kirche und ihre Beziehungen zum Staat (590/1977): «Die Kirche von Griechenland arbeitet bei Fragen von gemeinsamem Interesse mit dem Staat zusammen, etwa bei der christlichen Erziehung der Jugend; bei Gottesdiensten im Militär; bei der Aufrechterhaltung von Institutionen wie Ehe und Familie; […] bei der Bewahrung heiliger Reliquien sowie kirchlicher und christlicher Denkmäler; bei der Festlegung neuer religiöser Feiertage; und sie zieht staatlichen Schutz heran, wenn unsere Religion beleidigt wird.» Diese Form von Rechtsprechung veranschaulicht die enge und privilegierte Beziehung der orthodoxen Kirche zum Staat. Dieses Verhältnis war unter der Führung rechter, konservativer Regierungen grundsätzlich noch enger und offenkundiger, ebenso während der Herrschaft autoritärer Regimes wie den drei Militärdiktaturen im 20. Jahrhundert (Sakellariou 2008).[3]

Autoritäre Regimes und Antikommunismus

Während der Metaxas-Diktatur (1936–41) war das Verhältnis zwischen Staat und Kirche von Zusammenarbeit geprägt – trotz des Eingriffs des Regimes in die Wahl des neuen Erzbischofs von Athen und damit des Kirchenoberhaupts im Jahr 1938. Aus Metaxas' Tagebüchern geht hervor, dass es ihm nicht um obrigkeitliche Herrschaft über die Kirche ging, sondern lediglich – wie bei anderen staatlichen Institutionen – um «allgemeine Überwachung». Die Kirche war, Metaxas zufolge, in den vorhergehenden Jahren in Dekadenz verfallen, weshalb sein Regime beabsichtigte, sie zu schützen und zu stärken. Dieser Schutz hatte jedoch unter dem «ideologischen Dach» der Nation und der Ideologie der sogenannten «Dritten Hellenischen Zivilisation» zu erfolgen (Sakellariou 2008: 352–66).[4] Die orthodoxe Kirche begrüßte ihrerseits die Machtergreifung der Diktatur, nicht zuletzt angesichts der vermeintlichen kommunistischen Bedrohung. Im zweiten Jahr der Diktatur bezeichnete die Kirche das Regime als «Segen für Griechenland» und rief einen Gottesdienst ins Leben, der alljährlich in Anwesenheit des Erzbischofs abgehalten wurde, um dem Regime und Metaxas persönlich zu huldigen; zu diesem Anlass wurden auch landesweit Enzykliken in den Diözesen in Umlauf gebracht (Sakellariou 2008: 367–70).

Die orthodoxe Kirche hatte sich bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts sowie in der Zwischenkriegsperiode gegen kommunistische, sozialistische und linke Ansichten und Ideen gewandt. Sie wurde zu einem zunehmend wichtigen staatlichen Instrument, um den Kommunismus zu bekämpfen und der bereits etablierten hellenistisch-christlichen bzw. hellenistisch-orthodoxen Ideologie Vorschub zu leisten (Gazi 2004: 62–78). Diese Ideologie beruht auf einer Verknüpfung von antikem Griechenland, byzantinischem Reich und modernem Griechenland und suggeriert, dass die griechische Nation einzigartig, von Gott gesegnet und von historischer, kultureller und biologischer Kontinuität gekennzeichnet sei. Ein wahrer Grieche habe orthodox zu sein, womit unterstellt wird, dass Religion und Nation untrennbar miteinander verbunden seien und somit die wahre griechische Identität zwangsläufig beide Dimensionen umfassen müsse. Die fortschreitende Verbreitung kommunistischer und sozialistischer Ansichten und Überzeugungen entfachten folglich eine reaktionäre Gegenbewegung sowohl seitens des Metaxas-Regimes als auch seitens der Kirche. Metaxas baute seine Diktatur vor dem Schreckgespenst einer scheinbaren kommunistischen Bedrohung auf und erließ antikommunistische Gesetze, die den Kommunismus zum «Volksfeind» erklärten und für Kommunist*innen das Exil vorsahen. Auch der klerikale Diskurs war vorrangig antikommunistisch geprägt. Die Kirche leistete dem Regime praktische Gefolgschaft, indem sie etwa die Anforderung eines «Zeugnisses über gesellschaftliche und ideologische Überzeugungen» für Priesterschaftsanwärter einführte (Apostelamt der Kirche von Griechenland 1956: 208) und freimütig erklärte, die Konfrontation mit dem Kommunismus sei die größte Errungenschaft des Regimes (Sakellariou 2008: 385).[5]

Das zweite autoritäre Regime war die von 1967 bis 1974 währende Militärdiktatur. In diesem Zeitraum griff die Diktatur zweimal in die kircheninterne Organisation ein, um in Athen neue Erzbischöfe zu installieren: das erste Mal nur sechs Tage nach  Machtergreifung, im Zuge der Vereidigung von Ieronymos; das zweite Mal ungefähr ein Jahr vor ihrer Ablösung, nämlich mit der Ernennung von Seraphim, der sein Amt auch nach Zusammenbruch der Diktatur behielt und schließlich als dienstältester Erzbischof (1973–98) in die Kirchenannalen einging. Obwohl es sich in beiden Fällen um einen direkten und aggressiven staatlichen Eingriff in die klerikale Verwaltung handelte, ist keine offene oder kollektiv organisierte Reaktion der Kirche verzeichnet – mit Ausnahme vereinzelter Kirchenmitglieder und natürlich des abberufenen Erzbischof Ieronymos im zweiten Fall.

Abgesehen von diesen Interventionen kann das Zusammenspiel der beiden Institutionen in diesem Zeitraum als äußerst vertraulich, kooperativ und reibungslos beschrieben werden. Der Kirche gelang es, einige ihrer Hauptziele umzusetzen. Unter dem Regime der Obristen erreichte sie die Bewilligung einer neuen Kirchencharta entsprechend der eigenen programmatischen Vorstellungen und konnte eine Reihe neuer Vorzugsrechte für sich geltend machen, insbesondere die Angleichung von Priesterlöhnen an Beamtenlöhne.[6] Für beide Errungenschaften zeigte sich die Kirche erkenntlich: Sie rühmte den Diktator und das Regime in öffentlichen Stellungnahmen, Enzykliken und Reden und organisierte offizielle Zeremonien zu ihren Ehren (Sakellariou 2008: 407–8). Ebenso betonte sie ihr gutes Verhältnis zum Staat, als sie sich nach dem Attentatsversuch durch Alexandros Panagoulis 1968 besorgt um den Diktator zeigte. Eine unmittelbar herausgegebene Enzyklika wies sämtliche Bischöfe dazu an, in den Ortskirchen eine Doxologie zu Ehren des Diktators darzubringen (Apostelamt der Kirche von Griechenland 2000: 92).

Auch das zuvor erwähnte ideologische Bündnis zur Abwehr des Kommunismus und Bewahrung des hellenisch-orthodoxen Erbes setzte sich während der Diktatur von 1967 bis 1974 fort. So nahm etwa Erzbischof Ieronymos an mehreren von der Junta organisierten Gedenkveranstaltungen teil, bei denen die Niederlage der Kommunist*innen im Bürgerkrieg von 1946 bis 1949 gefeiert wurde. Im Rahmen der Gedenkfeier anlässlich der Befreiung Mazedoniens lobte auch Dorotheos, der Bischof von Kastoria, das Militär dafür, eine Diktatur errichtet und Griechenland vor dem Kommunismus bewahrt zu haben (Macedonia 1967: 5, 7). In Nordgriechenland unterstrich Alexandros, der Bischof von Philippi, Neapolis und Thasos, in einem öffentlichen Brief, dass es dem Militär zu verdanken sei, dass das Land von der Pest eines gottlosen und subversiven Kommunismus befreit wurde (Stylianou 2017). Während der Diktatur bestrafte die Heilige Synode außerdem zahlreiche Priester für Verfehlungen wie Sympathien für linkes Gedankengut, eine antinationale Gesinnung oder die Akzeptanz kommunistischer Ideen (Apostelamt der Kirche von Griechenland 2000: 39, 269). 

Eine Vielzahl von Priestern brachte also ihre Zustimmung und Unterstützung für die Diktatur zum Ausdruck, doch nach ihrem Sturz versuchten die meisten von ihnen, sich als Oppositionelle darzustellen (Ginis 1981). Nach der Wiederherstellung der Demokratie war die Kirche tatsächlich die einzige Institution, die ihre Arbeit fortsetzen konnte, ohne demokratisiert und von ihren mit der Diktatur sympathisierenden Strömungen bereinigt zu werden. Neben Erzbischof Seraphim gab es weitere Bischöfe, die während der Junta Ämter bekleideten und auch nach 1974 wichtige Funktionen übernahmen. Erzbischof Christodoulos (1998–2008) war während der Diktatur Generalsekretär der Heiligen Synode, doch als die Medien diese Tatsache während seiner Amtszeit als Erzbischof wieder aufgriffen, brachte er vor, dass er keine Kenntnis von Folterpraktiken unter der Diktatur habe und nicht in die damaligen politischen Angelegenheiten verwickelt war (Vassilakis 2006: 63). Auch Amvrosios, der kürzlich in den Ruhestand getretene Bischof von Kalavrita, war als Pfarrer für die griechische Gendarmerie tätig gewesen und wurde dennoch 1978 zum Bischof ernannt.

Das Verhältnis von Staat und Kirche während der Militärdiktaturen des 20. Jahrhunderts beruhte also auf Kooperation und gegenseitiger Wertschätzung. Kleinere Streitigkeiten oder Uneinigkeiten spielten dabei keine besondere Rolle und standen der Zusammenarbeit nicht im Weg. Die Kirche, vor allem ihre Führungsriege, war darum bemüht, den soziopolitischen und wirtschaftlichen Status Quo aufrecht zu erhalten, und verfolgte dabei zwei Ziele: Einerseits wollte sie die Stellung der Kirche in der griechischen Gesellschaft ausbauen; andererseits ging es ihr um die konservativ-moralische Ausrichtung von Gesellschaft und Nation auf religiösem Fundament. Kommunismus und Sozialismus waren dabei der wesentliche «Feind». Die Regimes respektierten und schützten die Kirche und sahen sie als Verbündete; die Kirche fügte sich den autoritären Regimes widerstandslos – mit Ausnahme einiger zumeist rangniederer Mitglieder. Solange der Staat es ihr gestattete, ihre privilegierte Position zu behalten, sah die Kirche dabei auch über die gegen das Volk ausgeübte Gewalt hinweg.

Die orthodoxe Kirche und die extreme Rechte

Das Verhältnis der orthodoxen Kirche zur extremen Rechten in Griechenland ist ein ähnlich aufschlussreiches Kapitel, das eine Fülle von Untersuchungsmaterial bietet. Das entscheidende Ereignis, das der Kirche erstmals nach dem Sturz der Junta im Jahr 1974 einen Anlass gab, sich erneut der extremen Rechten zuzuwenden, war der Zerfall Jugoslawiens in den frühen 1990er Jahren, und damit verknüpft der Anspruch der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (EJRM) auf Unabhängigkeit sowie auf den Namen «Mazedonien». Im selben Jahrzehnt machte die Kirche öffentlich auf ihre Position in der Sache aufmerksam, indem sie Großdemonstrationen zu diesem Thema organisierte (1992).[7] Als es viele Jahre später 2018 zu einem weiteren Versuch kam, eine Einigung beim Thema Mazedonien zu erzielen, übernahm die Kirche erneut eine nationalistische Vorreiterrolle und wiegelte die Öffentlichkeit gegen das Abkommen auf, das im Sommer 2018 von beiden Ländern in Prespes unterzeichnet wurde. Wieder organisierte die Kirche Großdemonstrationen, bei denen viele Vertreter des Klerus aller Ränge sowie Mönche teilnahmen. Man verurteilte das Abkommen aufs Schärfste, wobei manche sogar von Verrat und einem Verbrechen gegen das griechische Volk sprachen und den Premierminister und die Parlamentarier*innen, die für das Abkommen votiert hatten, als Verräter*innen geißelten.[8] 

Eine der Schlüsselfiguren im Feld der extremen Rechten war Erzbischof Christodoulos (1998–2008) – der während der Diktatur, wie bereits erwähnt, Sekretär der Heiligen Synode gewesen war und nur wenige Tage vor dem Regimewechsel zum Bischof ernannt wurde. Seine Beziehungen zu rechtsextremen Kreisen hörten damals nicht einfach auf. Immerhin hatte er bereits vor seiner Wahl zum Erzbischof Artikel in der rechtsextremen Zeitung Eleftheros Kosmos veröffentlicht und in engem Austausch mit der Zeitung Stochos gestanden, einer Unterstützerin der Junta. Ein Jahr vor seiner Wahl nahm Christodoulos zusammen mit 45 weiteren Bischöfen an einer von Stochos organisierten Konferenz teil. Seinen Vortrag beendete er mit einem Plädoyer dafür, dass es «Widerstand gegen alles Böse braucht, gegen alles, was nicht christlich, orthodox und griechisch ist», und bedankte sich diesbezüglich beim Zeitungsherausgeber für dessen Einsatz (Vassilakis 2006: 79–80).

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Kirchenführer rechtsextreme oder rechtspopulistische Bewegungen wie den Orthodoxen Volksalarm (Laikos Orthodoxos Synagermos, LAOS), die Unabhängigen Griechen (Anexartiti Ellines, ANEL) oder die Griechische Lösung (Elliniki Lysi, EL) unterstützt haben. Dass Mitglieder des Klerus aller Ränge anfangen würden, Beziehungen zur neonazistischen Partei Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) aufzubauen, kam jedoch als Überraschung. Diese Partei hatte nämlich weder einen orthodoxen Hintergrund, noch war sie dem orthodoxen Glauben verpflichtet, was Beobachter*innen der neonazistischen Szene bekannt war. Einige der früheren Parteiveröffentlichungen lassen eher eine Affinität für die antike griechische Religion bzw. heidnische Kulte als für den orthodoxen christlichen Glauben erkennen (Psarras 2012: 211–32). Selbstverständlich versuchte die Partei mit ihrem Einzug in den Politikbetrieb, diese Einflüsse aus wahltaktischen Gründen herunterzuspielen. In öffentlichen Stellungnahmen und Online-Veröffentlichungen begann sie, sich als Schutzpatron der orthodoxen Kirche und der orthodoxen Tradition zu inszenieren. Öffentlichkeitswirksam geschah das erstmals im Herbst 2012, als die Partei zusammen mit klerikalen und kirchennahen Kreisen zum Sprachrohr der Proteste und gewaltsamen Ausschreitungen wurde, die sich bezüglich der Inszenierung von Terrence McNallys als blasphemisch angesehenen Stück Corpus Christi vor dem Chytirio-Theater in Athen abspielten. Infolge der andauernden Ausschreitungen und insbesondere der Drohungen gegen die Darsteller*innen wurden die Vorstellungen schließlich abgesagt (Sakellariou 2013b: 48–50). Im Kontext der Proteste reichte Seraphim, der Bischof von Piräus, mit vier Abgeordneten der Goldenen Morgenröte gemeinsam Klage gegen das Stück ein. Der Bischof selbst stellte dies so dar, dass er eigenständig geklagt hätte und die Abgeordneten ihre Unterstützung erst später – nachdem sie von dem Fall erfahren hatten – angeboten hätten. Zudem argumentierte er, dass nicht die Abgeordneten der Goldenen Morgenröte Faschisten sind, sondern diejenigen, die die Einhaltung der staatlichen Gesetze – in diesem Fall das Blasphemieverbot – blockieren. Bis April 2013 erhob ebenjener Bischof kein einziges Mal seine Stimme gegen die Goldene Morgenröte und verurteilte auch nicht ihre Hasstiraden, ihren Rassismus und ihre gewalttätigen Übergriffe gegen Einwander*innen. Erst als zu diesem Zeitpunkt einige Abgeordnete der Partei in einem Interview von ihren Glaubensüberzeugungen erzählten und Sympathien für die antike griechische Religion bekundeten, stellte Seraphim ihre religiösen Ansichten offen infrage. Er setzte aggressiv nach und bezichtigte die Partei, einem Heidenkult verfallen zu sein, wenn nicht gar dem Satanismus.[9] Dennoch bleibt die Tatsache, dass sich der Bischof über ein Jahr lang mit Stellungnahmen zum wachsenden Einfluss der Partei auf die griechische Gesellschaft und zu ihrem Einzug ins Parlament zurückhielt. Genauer gesagt war er tunlichst darum bemüht, jegliche Verurteilung der Partei zu vermeiden.

Auch andere Bischöfe unterstützten die Goldene Morgenröte offen – so zum Beispiel Andreas, der Bischof von Konitsa. Bei einer von rechtsextremen Kreisen organisierten Gedenkveranstaltung zu Ehren der Opfer des Kommunismus, die während des Bürgerkriegs im Grammos-Vitsi-Gebirge gefallen waren, lobte er die Goldene Morgenröte in höchsten Tönen und bezeichnete die «schwarzgekleideten Burschen» als «großartige Kämpfer». Die Schlusspointe seiner Rede war, dass sie ihre schwarzen Hemden hoffentlich bald gegen blau-weiße eintauschen würden – eine klare Anspielung auf die griechischen Nationalfarben.[10] Auch Amvrosios, der während der Diktatur von 1967 bis 1974 als Pfarrer der Gendarmerie tätig war, hat seinen Zuspruch kundgetan: Als er sich zu den Missgeschicken einiger Parteimitglieder äußerte, nannte er sie die «süße Hoffnung» des Landes. Ebenso bezeichnend ist, dass Amvrosios die Ermordung von Pavlos Fyssas im Jahr 2013 – die in Kirchenkreisen zu großer Empörung führte – zwar verurteilte, aber nicht der Goldenen Morgenröte als solcher ankreidete. Stattdessen erklärte er sogar, dass es innerhalb der Partei viele ernstzunehmende Kräfte gäbe, denen man die ihnen gebührende Machtposition zugestehen sollte.[11] Andere Bischöfe wie Anthimos von Thessaloniki oder Nikolaos von Fthiotida haben Parteiführer freudig und mit offenen Armen in ihren Büros empfangen: ersterer 2017 nach der Ermordung von Fyssas und letzterer 2018 während des Prozesses, bei dem die Führungsriege der Partei als kriminelle Organisation angeklagt war.[12] Schließlich gelangte ein Video an die Öffentlichkeit, in dem der Parteivorsitzende behauptet, dass eine Reihe von Bischöfen die Goldene Morgenröte aktiv unterstützten, entweder indem sie Leute dazu bewegen, die Partei zu wählen, oder sogar, indem sie die Mietzahlungen für Parteibüros übernehmen.[13]

Natürlich gibt es auch Bischöfe, die sich gegen die Umtriebe der Goldenen Morgenröte aussprechen, sich von ihr zu distanzieren suchen und keine Gelegenheit auslassen, sie zu kritisieren. Ebenso wichtig und beunruhigend ist jedoch, dass es orthodoxe Bischöfe und Priester gibt, die den Neonazismus und Rassismus der Partei entweder ausblenden oder teils sogar hinnehmen, an der Seite der Partei stehen und sie in ihren Reden und Predigten offen unterstützen. Außerdem hat sich die Kirche als Gesamtinstitution bisher davor gescheut, sich offiziell gegen die Goldene Morgenröte auszusprechen, vielleicht auch deshalb, damit das Kräftegleichgewicht innerhalb der Heiligen Synode nicht kippt. Während sie in der Vergangenheit eindeutig Position gegen kommunistische und linke Parteien und Organisation bezogen hat, versucht die Kirche nun, sich neutral zu verhalten – was zu breiter Kritik geführt hat (?oumboulakis 2013: 14–15). Selbst nach dem Mord an Fyssas hat die Kirche die neonazistische Partei nicht ausdrücklich verurteilt; stattdessen hat sie (wie nach der Tötung von zwei Mitgliedern der Goldenen Morgenröte) lediglich eine allgemeine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie jegliche Form von Gewalt verurteilt, um damit auf allen Seiten politische Distanz zu wahren.[14]   

Fazit

Wie bereits zu Anfang angedeutet, ist Autoritarismus vielleicht nicht der treffendste Begriff, wenn man die Rolle der orthodoxen Kirche von Griechenland untersuchen möchte. Dennoch bleibt als vorläufiges Fazit, dass die orthodoxe Kirche tendenziell konservativen, rechten, rechtsextremen und autoritären Ideologien und Praxen nahesteht und dass historisch betrachtet eine Kollaboration mit Diktaturen durchaus im Bereich des Möglichen und Akzeptierten war. Diese Haltung der Kirche ist nicht ganz einfach zu erklären, denn die theologische oder biblische Rechtfertigung dafür ist unklar; vielmehr entsteht der Eindruck, dass sich diese Tendenz aus ideologischen und politischen Gründen speist.[15] Was der hier vorliegende Überblick jedenfalls verdeutlicht, ist, dass das Verhältnis der orthodoxen Kirche zum Autoritarismus und zum Rechtsextremismus ein weites und komplexes Forschungsfeld ist, das noch weiterer Untersuchungen und Analysen bedarf. 

Über den Autor: 

Alexandros Sakellariou promovierte an der Panteion-Universität Athen in Soziologie zum Verhältnis von Staat und Kirche während der drei griechischen Militärdiktaturen im 20. Jahrhundert. Er hat an der Philosophischen Fakultät der Universität Athen studiert und seinen Master an der Panteion-Universität erlangt. Er lehrt Soziologie an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Fernuniversität Patras und hat seit 2011 umfangreiche Forschungserfahrung in groß angelegten und kleineren EU-Projekten (FP7 & Horizon 2020) gesammelt. So hat er das soziopolitische Engagement und Wohlbefinden junger Menschen untersucht, innovative Sozialpolitik evaluiert und zum Thema Radikalisierung geforscht. Derzeit ist er neben seiner Beteiligung an zwei kleineren EU-Projekten wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt Dialogue about Radicalisation and Equality (DARE; 2017–2021). Zu seinen Forschungsinteressen zählen die Religionssoziologie, die Soziologie des Atheismus, religiöse Gemeinschaften in der griechischen Gesellschaft, das Verhältnis von Kirche und Staat, Islamophobie, Jugendsoziologie, Rechtsextremismus, Radikalisierung und qualitative Methoden. Er ist Beiratsmitglied der Hellenischen Liga für Menschenrechte.  

Literaturverzeichnis

  • Apostelamt der Kirche von Griechenland (1956): Rundbriefe der Synode. Bd. 2. Athen: Apostoliki Diakonia (in griechischer Sprache).
  • Apostelamt der Kirche von Griechenland (2000): Rundbriefe der Synode. Bd. 4. Athen: Apostoliki Diakonia (in griechischer Sprache).
  • Gazi, E. (2004): Das zweite Leben der drei Hierarchen: Eine Genealogie des Helleno-Christianismus. Athen: Nefeli (in griechischer Sprache).
  • Ginis, G. (1981): Hierarchen – Diakone der Junta. Athen: Vasdekis (in griechischer Sprache).
  • Karagiannis, G. (2001): Die Kirche von der Besatzung bis zum Bürgerkrieg. Athen: Proskinio (in griechischer Sprache).
  • Macedonia (1967): «Die Feiern zum Jahrestag des mazedonischen Freiheitskampfs waren in Nordgriechenland eine Formalität», 14. Oktober 1967 (in griechischer Sprache).
  • Psallidas, G. (2016): Kollaboration und Ungehorsam: Die Politik der Kirche von Griechenland während der Besatzung (1941–1944). Athen: Estia (in griechischer Sprache).
  • Psarras, D. (2012): Schwarzbuch Goldene Morgenröte. Athen: Polis (in griechischer Sprache).
  • Sakellariou, A. (2008): Diktaturen und die orthodoxe Kirche von Griechen im 20. Jahrhundert: Politische, ökonomische und ideologische Verhältnisse unter Regimes im Ausnahmezustand. Dissertation, Panteion-Universität für Sozial- und Politikwissenschaften, Athen, Griechenland (in griechischer Sprache).
  • Sakellariou, A. (2013a): «Religion in Greek society: State, public or private?». In: Religion beyond its private role in modern society. Hrsg. Hofstee, W./van der Kooij, A. Leiden/Boston: Brill, S. 153–66.
  • Sakellariou, A. (2013b): «Über Blasphemie und andere Dämonen: Die Haltung der orthodoxen Kirche von Griechenland». In: Gott braucht keinen Rechtsbeistand: Die Kirche, Blasphemie und die ‹Goldene Morgenröte›. Hrsg. Christopoulos, D. Athen: Nefeli, S. 39–61 (in griechischer Sprache).
  • Sakellariou, A. (2014): «Die Kirche von Griechenland». In: Der «Tiefe Staat« im heutigen Griechenland und die extreme Rechte: Polizei, Militär, Kirche. Hrsg. Christopoulos, D. Athen: Nissos, S. 279–318 (in griechischer Sprache).
  • Stylianou, M. (2017): «Die Konsolidierung des Helleno-Christianismus und die Auslöschung des kulturellen ‹Anderen› in Kavala während der Diktatur (1967–1974)». Vortrag bei der Konferenz: Fifty years after: New approaches on the Colonels’ dictatorship. Institut für Historische Forschung/Nationales Hellenisches Forschungszentrum und Archiv für zeitgenössische Sozialgeschichte, Athen, 20. bis 22. April 2017 (in griechischer Sprache).
  • Vassilakis, ?. (2006): Die Plage Gottes. Athen: Gnoseis (in griechischer Sprache).
  • Zoumboulakis, S. (Hrsg.) (2013): Neonazistisches Heidentum und die orthodoxe Kirche. Athen: Artos Zois (in griechischer Sprache).

[1] Die Verwendung des Begriffs des Autoritarismus in Zusammenhang mit der orthodoxen Kirche oder sonstigen Glaubensinstitutionen ist umstritten. Einige sind der Ansicht, dass es unzutreffend oder gar abwegig sei, die orthodoxe Kirche hinsichtlich Ideologie und Organisationsform als autoritäre Institution zu beschreiben. Allerdings lässt sich die Tatsache nicht leugnen, dass sie ultrakonservativ und teils fundamentalistisch ist (vielleicht ein passenderer Begriff für eine Glaubensinstitution), dass sie patriarchalisch strukturiert und rechtsorientiert ist und bezüglich manch politisch-ideologischer Neigungen auch rechtsextreme Züge hat. Ich weise aber darauf hin, dass es einen Unterschied zwischen Religion und Kirche gibt und dass dieser Aufsatz die Kirche als Institution behandelt, nicht ihre individuelle Anhänger*innenschaft.

[2] Es gilt zudem zu betonen, dass dieser Fokus auf die Verbindungen der Kirche zu autoritären Regimes und zur extremen Rechten nicht bedeutet, dass sämtliche Bischöfe und Priester solche Ansichten und Ideologien teilen oder unterstützen würden. Im (insbesondere niederen) Klerus gibt es zahlreiche Anhänger liberaler, demokratischer oder auch linker Ansichten. Die Problemlage, die dieser Aufsatz umreißt, hat mehr mit der über die Heilige Synode kommunizierten offiziellen Haltung der Kirche zu tun, zudem mit dem habitualisierten Schweigen zu bzw. der mangelnden Verurteilung von autoritären und rechtsextremen Ansichten.

[3] Ich beziehe mich hier auf die Diktatur von General Theodoros Pangalos (1925–26), die Diktatur von General Ioannis Metaxas (1936–41) und das sogenannte Regime der Obristen (1967–74). Aufgrund der kurzen Dauer des Pangalos-Regimes wird sich dieser Aufsatz auf die anderen beiden, bekannteren Diktaturen konzentrieren.  

[4] Mit den ersten beiden Zivilisationen sind das antike Griechenland und das Byzantinische Reich gemeint. Metaxas' Ziel war es, eine Dritte Hellenische Zivilisation unter seiner Führung zu errichten.

[5] Zwei weitere Geschichtskapitel, die bedeutend für Verhältnis von Kirche und Autoritarismus sind, wären die deutsche Besatzung (1941–44) und der Bürgerkrieg (1946–49) (Karagiannis 2001; Psalidas 2016). Auch in diesen Perioden hat die Kirche mehrheitlich mit den herrschenden politischen Kräften kollaboriert, wobei es Ausnahmen gibt. Viele Priester und Bischöfe, darunter etwa Ioakeim von Kozani und Antonios von Ilia, kämpften im Bürgerkrieg auf Seite der Kommunist*innen oder unterstützten sie offen, weshalb sie anschließend selbst verfolgt oder gar exkommuniziert wurden (?aragiannis 2001: 77–89).    

[6] Neben politischen und ideologischen Aspekten spielten finanzielle Fragen eine entscheidende Rolle. Der in dieser Hinsicht wichtigste Punkt war, wie bereits angedeutet, die finanzielle Stellung des Klerus. Das Beibehalten ihrer Steuerfreiheit gehörte stets zu den Prioritäten der Kirche und wurde von keinem der Regimes infrage gestellt. Zudem konnte sich die Kirche darauf verlassen, dass die staatlichen Subventionen, auf die sie angewiesen war, auch während der Militärdiktaturen gezahlt wurden. Diese Gelder flossen an die Heilige Synode und an weitere kirchliche Einrichtungen, darunter auch Klöster und andere Institutionen. 

[7] Es sei noch angemerkt, dass die Goldene Morgenröte auch an diesen Demonstrationen teilnahm und Teile der Jugend für sich einnehmen konnte, wie manche Parteimitglieder später öffentlich erklärten.

[12] Für Näheres zu Anthimos siehe https://left.gr/news/me-ton-neonazi-arhigo-tis-hrysis-aygis-n-mihaloliako-synantithike-o-anthimos. 2013 hat Anthimos die Goldene Morgenröte für ihren Einsatz von Gewalt kritisiert; der Parteivorsitzende Nikos wiederum hat sich in einem privaten Gespräch despektierlich gegenüber dem Prälaten geäußert. Doch wie bereits erwähnt trafen sich die beiden einige Jahre später und zeigten sich dabei freundlich und einander aufgeschlossen. Anthimos wurde, genauso wie Christodoulos, nur einige Tage vor dem Sturz des Obristenregimes zum Bischof ernannt. Für Näheres zu Nikolaos siehe http://www.imfth.gr/news_events/o-arhigos-tis-hrysis-aygis-k-nikolaos-mihaloliakos-ston-sevasmiotato (abgerufen am 2. August 2019).

[13] Siehe https://youtu.be/Lr675_-lBeQ (abgerufen am 2. August 2019). Selbstverständlich haben die im Video genannten Bischöfe die Behauptungen von Michaloliakos allesamt abgestritten.

[14] Siehe http://www.ecclesia.gr/greek/holysynod/holysynod.asp?id=1706&what_sub=d_typou, http://www.ecclesia.gr/greek/holysynod/holysynod.asp?id=1722&what_sub=d_typou (abgerufen am 2. August 2019). Für Näheres zu den Beziehungen der Kirche zur extremen Rechten und zum rassistischen Diskurs siehe Sakellariou 2014. Für eine englischsprachige Zusammenfassung siehe https://www.rosalux.eu/fileadmin/user_upload/rightwing_a4_web.pdf (abgerufen am 24. Juli 2019).

[15] Mit Rückgriff auf Max Weber könnte man auch argumentieren, dass zwischen orthodoxer Kirche und autoritären Regimes sowie rechtsextremen Positionen eine Art Wahlverwandtschaft besteht, die ihr enges Verhältnis begründet. Ein solches theoretisches Argument erfordert allerdings weitere Recherchen und Auswertungen.