«Crisis, what crisis?» betitelte 1975 die Band Supertramp ihr viertes Album. Auf dem Plattencover ist ein Mann zu sehen, in einem Liegestuhl, nur mit Badehose bekleidet, hinter ihm ein gelber Sonnenschirm, auf dem Tisch neben ihm ein Drink, um ihn herum eine Welt in Schwarz-Weiß aus Industrie, Ruinen, rauchenden Schloten – das Ende der Welt, wie es in den 1970er Jahren imaginiert wurde: Atomtod, Umweltzerstörung, Fortschrittskrise.
Nils Zurawski ist Soziologe, Ethnologe und Kriminologe am Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Überwachung, Polizei und Sicherheit sowie Stadt- und Raumsoziologie. Er betreibt das Blog surveillance-studies.org.
Dieses Bild ist alles Mögliche, aber auf jeden Fall kein Bild, das die Krise beschreibt, in der wir uns seit dem Jahreswechsel 2020/21 befinden, die sogenannte Corona-Krise. Die Welt draußen ist intakt (wenn man vom generellen Klimawandel mal absieht) – aber: Wir sollen nicht raus, wir sollen das Haus nicht verlassen. Die Welt bleibt zu Hause (wenn sie eins hat), sie kommt zu sich, während wir uns nicht zu nah kommen sollen. Keine Endzeit-Romantik also, in der ein Mann dem Untergang trotzt, sich sein Sonnenbad nicht nehmen lässt und dazu einen Drink nimmt – die Corona-Pandemie fordert Menschen und Gesellschaften, Wirtschaft und Unternehmen, Politik und Zivilgesellschaft auf eine ganz andere Art und Weise heraus. Aber warum tut sie das und was ist das Besondere an der gegenwärtigen Krise, dass viele der ergriffenen Maßnahmen alternativlos erscheinen? Wie kommt es, dass sich Intellektuelle nicht über die Krise selbst, sondern über den Zustand der Gesellschaft nach der Krise Gedanken machen, in der sie eine andere Gesellschaft entstehen sehen? Was wird eigentlich sichtbar, wenn man den jetzigen Zustand als «Krise» benennt? Welche Handlungsoptionen werden dadurch vorgegeben?
Im Folgenden möchte ich über ein paar Aspekte der gegenwärtigen Corona-Pandemie nachdenken: über die Art der Situation, die man Krise nennt, die Möglichkeiten des Umgangs mit ihr (und des gesellschaftlichen Überlebens und Widerstehens) und über die Frage, ob hier möglicherweise gerade bestimmte Formen von Kontrolle und Krisenmanagement neu verhandelt werden. Wie wird Gesellschaft im Krisenmodus verstanden und was lässt sich daran über unsere Vorstellung von Gesellschaft ablesen? Um über die Beschaffenheit der Gesellschaft nach der Krise nachzudenken, sollte man zuerst diese Fragen in den Blick nehmen.